Redner(in): Angela Merkel
Datum: 24.10.2006
Untertitel: am 24. Oktober 2006 in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/10/2006-10-24-rede-bkin-100-jahre-vap,layoutVariant=Druckansicht.html
Lieber Verein der Ausländischen Presse in Deutschland,
herzlichen Glückwunsch zum Hundertsten! Keiner von Ihnen musste es 100 Jahre in Deutschland aushalten, aber manch einer hat den großen Fang gemacht, wie wir eben hinsichtlich der Fragen an Günther Schabowski gehört haben. Am Tisch haben wir uns eben darüber unterhalten, ob die Mauer aufging, weil diese Frage gestellt wurde, oder weil Schabowski dort saß und darauf gewartet hat, dass endlich einmal jemand diese Frage stellt. Als Ermutigung darf ich Ihnen sagen, dass Sie sich gar nicht vorstellen können, wie oft auch wir in einer Pressekonferenz sitzen und denken: Warum fragen die uns dieses und jenes nicht? - Ich würde also sagen, Sie sollten weiterhin kreativ sein.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der 100. Geburtstag ist ein guter Anlass, um die Arbeit des Vereins zu würdigen. Sie haben sich zusammengeschlossen; das war eine weitsichtige Entscheidung. Daran, dass Sie inzwischen die Gesellschaft in Deutschland kennen, haben wir keinen Zweifel mehr. Einem der Aufrufe der Gründungsversammlung sind Sie also nachgekommen. Sie können Erfahrungen miteinander austauschen; hoffentlich nicht zu oft darüber, dass wir nicht ausreichend mit Ihnen zusammenarbeiten. Sie können gemeinsam Informationen und Meinungen sammeln und sich gegenseitig in der Arbeit unterstützen. Das heißt also, Sie können für Ihre Arbeit mehr daraus gewinnen, indem Sie als Verein zusammenarbeiten. Ich glaube, das ist sehr wichtig, wenn man sich in einem völlig neuen Arbeitsumfeld, in einem anderen Land, zurechtfinden muss. Das fällt auch schwer.
Damals, bei der Vereinsgründung 1906, waren es 26Korrespondenten aus neun Ländern. Wenn ich mir die Schar der hier heute Anwesenden ansehe, dann sind daraus viele geworden, nämlich über 420Mitglieder aus mehr als 60Ländern. Sie haben auch viele Freunde; das sieht man an diesem Abend. Es ist so? das kann man wohl sagen? , dass ein solches Anschwellen der Mitgliederzahl zeigt, dass Sie eine gute Arbeit leisten und dass Sie von Ihren Kolleginnen und Kollegen geschätzt werden.
Der Verein der Ausländischen Presse ist inzwischen ein fester Bestandteil der Medienlandschaft. Das heißt, er hat sich auch als Teil unserer Medienkultur etabliert. Manchmal? das kann ich aus eigener Erfahrung sagen? sind Ihre Fragen sogar, ohne dass ich anwesende deutsche Journalisten beleidigen möchte, etwas sachlicher am Informationsinteresse ausgerichtet. Aber wir lieben natürlich auch unsere deutschen Journalisten. Manchmal ist die Art zu fragen einfach anders, weil sie auch ein Stück vom Blickwinkel Ihrer Leserinnen und Leser sowie Ihrer Hörer geprägt wird. Insofern gibt uns das die Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand zu schauen und uns vielleicht manchmal auch auf das Wesentliche zu konzentrieren, was über die Tagesaktualität hinaus Bestand hat. Meine Prognose ist: In den nächsten 100Jahren wird Ihre Arbeit sicherlich noch wichtiger werden. Die Welt wächst zusammen, die Kulturen müssen einander besser kennen lernen. Vor diesem Hintergrund sind Sie für uns natürlich ein interessanter Gesprächspartner.
Ich weiß nicht, wie Sie beurteilen würden, wie sich das Bild Deutschlands in Ihren Heimatländern in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat. Mit Sicherheit waren die Deutsche Einheit und der Mauerfall, über die heute schon gesprochen wurde, ein interessanter Wendepunkt; auch hinsichtlich dessen, was in diesem Land möglich wurde. Deutschland ist wiedervereinigt. Deutschland hat damit mehr Verantwortung bekommen. Deutschland hat etwas geschafft, was aus der Perspektive vieler Menschen außerhalb Deutschlands eine unglaubliche Erfolgsgeschichte ist: Ein friedliches Zusammenwachsen und ein friedliches Leben in einem Land mit sehr unterschiedlichen historischen Erfahrungen während eines Zeitraums von mehr als 40Jahren.
Sie, die Sie über solche Veränderungen berichten, nehmen daran teil. Vielleicht war der Sommer in diesem Jahr auch für Sie eine schöne Zeit, als die Fußball-Weltmeisterschaft stattgefunden hat und als Sie wahrscheinlich auch voller Überzeugung davon berichten konnten, wie viele Menschen aus Ihren Heimatländern sich hier wirklich als Gäste bei Freunden gefühlt haben und dass sich umgekehrt auch die Deutschen freuen können. Wenn ich Ihnen etwas verraten darf: Ich bin ganz sicher, dass, wenn wieder einmal etwas richtig Schönes stattfinden wird, Sie das auch wieder tun können. Denn das ist Bestandteil unserer Fähigkeiten. Manchmal gerät das zeitweilig in Vergessenheit, aber ich bin mir dessen ganz sicher.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass Sie uns auch weiterhin geschätzte Mitstreiter sein werden bei den Fragen, wie wir unser Land bekannt machen, wie Sie Staatsbesuche, Regierungsbesuche Kontakte vorbereitend begleiten und wie Sie manchmal wirklich gute Lobbyisten der Länder sind, aus denen Sie kommen - auch in leichter Grenzüberschreitung der journalistischen und politischen Trennlinien. Aber aus der Ferne betrachtet ist das schon in Ordnung. Wir lernen dabei auch oft vieles über andere.
Ich gebe aus der eigenen Erfahrung zu? es wird heute noch einer sprechen, der in dieser Hinsicht vielleicht besser zu Ihnen sein wird? , dass Sie manchmal sehr bohren müssen, um Termine zu bekommen. Manchmal sind Sie ungeduldig, weil wir natürlich zuerst einmal die Journalisten bei uns zu Hause zufrieden stellen müssen. Aber ich möchte Ihnen seitens der Bundesregierung versprechen, dass wir bei aller Tagesaktualität und allem Druck von unseren Journalisten hier zu Hause den Verein der Ausländischen Presse schätzen. Unsere Wertschätzung können wir Ihnen, glaube ich, immer am besten entgegenbringen, indem wir auch mit Ihnen sprechen - nicht nur sprechen, sondern daraus auch etwas Presseverwertbares machen. Wir haben ein großes eigenes Interesse daran, das Bild von Deutschland möglichst umfangreich und auch über die Politik hinaus in alle Länder gebracht zu bekommen. Deshalb ein ganz herzliches Dankeschön! Schauen Sie weiter mit Wohlgefallen auf dieses Land und scheuen Sie sich nicht, uns zu kritisieren, wenn Sie glauben, das tue uns gut. Alles Gute zum 100. Geburtstag!