Redner(in): Angela Merkel
Datum: 26.10.2006
Untertitel: Die Rede im Wortlaut (stenografische Mitschrift):
Anrede: Sehr geehrter Herr Erlen, sehr geehrter Herr Wenning, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/10/2006-10-26-rede-bkin-partner-fuer-innovation,layoutVariant=Druckansicht.html
auch im Namen von Bundesminister Glos und der Forschungsministerin darf ich Ihnen danken, dass Sie heute zu dieser Bilanzveranstaltung der "Partner für Innovation" gekommen sind. Ich danke auch Bayer und Schering, dass sie bereit waren, uns hier Asyl oder ein Stück Heimat zu gewähren. Ich denke, dieser traditionsreiche Ort ist ein guter Ort, um eine solche Bilanzveranstaltung durchzuführen. Ich möchte gleich zu Beginn ein ganz herzliches Dankeschön an all diejenigen richten, die in "Partner für Innovation" Verantwortung übernommen haben, die im Impulskreis gewirkt oder ansonsten mitgemacht haben. Denn dies war eine Initiative, die aus meiner Sicht meinungsprägend und mentalitätsverändernd in Deutschland etwas zustande gebracht hat. Das Klima für Innovation, die Akzeptanz von Innovation haben sich verändert. Dazu haben sowohl die konkreten Projekte als auch die Kampagne "Du bist Deutschland" beigetragen, die aus meiner Sicht weit über den engen Innovationsbereich hinaus ein Stück Stolz und Selbstbewusstsein geformt hat, was ja die Voraussetzung dafür ist, dass man überhaupt vorankommt. Heiner Geißler, einer der legendären CDU-Generalsekretäre, hat immer gesagt: Wer sich selbst nicht imponiert, imponiert auch anderen nicht. ‑Insofern ist für Deutschland ganz wichtig, dass wir uns zwar nicht überschätzen, aber wenigstens an uns glauben, weil dies der Ausgangspunkt für viele Möglichkeiten ist, vor allen Dingen auch für die Fähigkeit, eigene Grenzen zu überspringen, in Neuland vorzudringen und daraus etwas zu machen. Diese Initiative "Partner für Innovation", die von der vorigen Bundesregierung eingerichtet wurde, hat sich vor allen Dingen auch an die Bereitschaft gerichtet, technische Innovationen ernster zu nehmen, sie voranzutreiben und dafür eine Akzeptanz in der Bevölkerung zu finden. Denn wir wissen: Ohne Akzeptanz in der Bevölkerung ist die Bereitschaft, Steuergelder in die Bereiche der Innovation zu geben, nicht ausreichend. So ist es dann sehr schwierig, ein Klima zu schaffen, in dem die Menschen daran glauben, dass wir unseren Wohlstand nur erhalten können ‑und darüber sind sich, glaube ich, alle in diesem Saal einig‑ , wenn wir besser als andere sind; und das müssen wir erst recht sein, wenn wir einen höheren Wohlstand haben wollen. Dieser Zusammenhang, der von unserem Bundespräsidenten sehr gut mit dem Satz beschrieben wurde "Wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind", muss in die Köpfe der Menschen hinein. Ansonsten werden wir den Eindruck haben, dass uns die Globalisierung überrollt. Aber wir haben gar keinen Anlass dazu, so fatalistisch an die Dinge heranzugehen. Denn wir haben prima Menschen. Wir haben gute Erfahrungen. Wir haben eine tolle Infrastruktur. Wir haben ein politisches System, das auf harmonische Art und Weise Konflikte lösen kann. Manchmal dauert es etwas lange und manchmal wäre vielleicht in allen Bereichen etwas mehr Konfliktbereitschaft richtig. Manchmal wäre auch eine mediale Begleitung eines Konfliktes günstig, die nicht immer gleich in eine Katastrophe ausartet. Aber insgesamt sind unsere Voraussetzungen ‑gemessen an denen anderer Länder‑ eigentlich wunderbar. Insofern, glaube ich, ist diese Initiative sehr wichtig gewesen. Sie hat gezeigt, dass all die Akteure, die eigentlich mit sich selbst genug zu tun hätten, bereit waren, sich zu einem Teil für das Gemeinwohl einzusetzen. Auch dafür sage ich ein ganz herzliches Dankeschön. Zeit ist heute mit das knappste Gut in der sich beschleunigenden Welt. Insofern danke ich all denen, die das zustande gebracht haben und die vor allen Dingen nicht im Allgemeinen stecken geblieben sind, sondern auch sehr konkrete Projekte in Angriff genommen haben. Ich finde diese Bilanzbroschüre eigentlich sehr gelungen, weil sie auf einen Blick Wesentliches von dem zeigt, was in Angriff genommen wurde. Ich glaube, dass der Hightech-Gründerfonds mit dem Thema Wagniskapital eine ganz wichtige Sache ist. Das wird hier auch aufgegriffen. Ich denke, dass das Projekt zur Verbesserung der klinischen Forschung ein spannendes ist, dass die energieeffizienten Schulen weit über das Thema Energieeffizienz hinaus einen Beitrag dazu leisten, dass sorgsam mit Energie umgegangen wird, und dass das Thema Werkstoffe als ein klassisches deutsches Thema ‑ich meine "klassisch deutsch" in dem Sinne, dass hier viele unserer Kapazitäten liegen, z. B. als Schnittstelle zur Nanotechnologie, aber auch für viele andere Dinge‑ natürlich von entscheidender Bedeutung ist. Ich kann nicht alle Projekte nennen. Jedes hat Respekt verdient. Manches wird auch Eingang in Nachfolgeprojekte finden - ob man dabei über energieeffiziente Städte oder über viele andere Dinge nachdenkt. Wir haben dieses Projekt "Partner für Innovation" nun sozusagen an einen Endpunkt gebracht. Das haben wir nicht deshalb getan, weil es nicht mehr funktioniert hat, sondern weil es auch Teil der Innovation ist, dass Entwicklungen Stufen haben. Diese Stufen sollen durchaus benannt werden ‑auch, dass auf eine Stufe mindestens eine nächste folgt. Ich glaube, dass dieses Projekt "Partner für Innovation" ganz wesentlich das Klima für Innovation verändert und die Möglichkeiten deutlich gemacht hat. An einem bestimmten Punkt ist es dann zu der Fragestellung gekommen: Was tut nun die Regierung dafür, dass wir das auf breiterer Front in die Praxis umsetzen können? - Da kommen dann natürlich Dinge ins Spiel, bei denen es nicht mehr nur um das eigene Engagement geht, sondern auch um Exzellenz, Ausschreibung und um die Fragen: Wer ist nun wirklich der Beste? Wen könnte ich vielleicht noch gewinnen? ‑So ist es gut, dass wir jetzt sagen: Hier bilanzieren wir. Hier haben wir einen guten Erfolg errungen. Jetzt machen wir weiter: Einerseits mit der Hightech-Strategie, die die Bundesregierung auch durch 6 Milliarden Euro mehr für Forschung und Innovation in dieser Legislaturperiode unterstützt, und andererseits im Rat für Innovation, bei dem dann auch wieder Politikberatung stattfindet. Er befasst sich weniger mit der faktischen Umsetzung von Projekten in die Praxis, sondern bespricht Themen, die für die Möglichkeiten von Forschung und Entwicklung von entscheidender Bedeutung sind. Die ersten Sitzungen, Herr von Pierer, haben ja gezeigt: Von der Frage der Patente bis hin zur Frage der Steuern und Finanzinstrumente ist vieles zu besprechen. Wir haben uns das letzte Mal mit der Frage der Gentechnik und der notwendigen Gesetzgebung befasst. Das wird uns in wenigen Monaten im Kabinett begleiten. So wissen wir, dass Geld allein nicht die Voraussetzung dafür ist, dass wir erfolgreich sind. Es müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Deshalb, Herr Erlen, wäre es fahrlässig von Ihnen gewesen, wenn Sie nicht etwas zu dem gesagt hätten, was aus Ihrer Sicht im Zusammenhang mit der pharmazeutischen Industrie noch verbesserungsnotwendig ist. Wir werden das in unseren Herzen bewegen und es noch einmal in den Anhörungen behandeln. Ich mache ja von solchen Pulten aus keine Zusagen. Aber ich glaube, wir sollten alles daran setzen, unsere innovativen Wirtschaftsbereiche möglichst erfolgreich zu machen. Ob es in ein Gesetz gehört, zu definieren, was internationale Standards der Kosten-Nutzen-Bewertung sind, habe ich meine Zweifel. Aber es gibt noch ein abgestuftes Instrumentarium, worüber man reden kann. Ich glaube, der wichtigste Punkt ist, dass man es nicht zu sehr Einzelnen überlässt, sondern dass das auf einer breiten Meinungsbildung fußt. Darüber wird man noch einmal ausführlich sprechen müssen. Was die Hightech-Strategie anbelangt, so finde ich, dass wir etwas geschafft haben, das aus meiner Sicht sehr wichtig ist, um überhaupt nach vorn gehen zu können. In 17 Bereichen wird sehr nüchtern analysiert, wo Deutschland steht, wo Deutschland hin sollte und wo wir Möglichkeiten sehen. Als ich in dieser Woche den Chef von General Electric getroffen habe, sagte er mir, er hätte durch Zufall bei einem Besuch in Hannover von dieser Hightech-Strategie gehört. Das hat mich dazu veranlasst, dass wir vielleicht doch den politischen Schritt gehen und das Ganze ins Englische übersetzen, um auch im englischsprachigen Raum bekannt zu machen, dass wir etwas für den Standort Deutschland tun, in einem Raum, wo durchaus Bereitschaft besteht, in Deutschland zu investieren, aber wo sich unsere politischen Taten offensichtlich noch nicht so herumgesprochen haben, wie das vielleicht notwendig wäre. Ich glaube, dass im angelsächsischen Raum deutlich wird, dass Deutschland innovationsfreundlicher geworden ist und dass hier Möglichkeiten bestehen. Das kann uns allen miteinander nicht schaden. Meine Damen und Herren, wir wollen 3 % des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2010 für Forschung und Entwicklung ausgeben. Das ist ehrgeizig. Ich werde auf der Ministerpräsidenten-Konferenz, die im Dezember zusammen mit der Bundeskanzlerin stattfinden wird, mit den Ministerpräsidenten über ihre Länderanstrengungen sprechen. Ich werde natürlich auch immer wieder die Forschungsministerin fragen, wie es mit den Beiträgen der Wirtschaft aussieht. Mir ist dabei sehr wohl bewusst, dass Forschungsinvestitionen langfristig angelegt sind, dass sie verlässlicher Rahmenbedingungen bedürfen und dass wir an einigen Stellen auch noch unsere Hausaufgaben zu machen haben. Aber ich glaube, es sollte insgesamt unser gemeinschaftliches Ziel sein, diese 3 % zu erreichen. Wir werden auch in Europa an dieser Stelle, an der wir während unserer Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 die Möglichkeit haben, bestimmte Akzente zu setzen, im Zusammenhang mit dem Siebten Rahmenforschungsprogramm versuchen, Betrachtungen in den Vordergrund zu stellen, wo Europa strategisch nach vorne kommen kann. Bei allem Bekenntnis zu freier Entfaltung der Wirtschaft und Unabhängigkeit von Wirtschaft und Politik zeigen uns doch weite Teile der Welt, dass strategische Betrachtungen über die Chancen eines Landes oder eines Kontinents auch woanders angestellt werden und dass man gut daran tut, dies nicht völlig zu versäumen. Insofern ist mit der Hightech-Strategie für diesen Diskurs eine Grundlage gelegt. Bei allem, was es an kritischen Kommentaren gibt, will ich noch einmal sehr deutlich machen: Auch die Tatsache, dass wir mit der Exzellenzinitiative begonnen haben, ist für mich eine ganz wichtige und mentalitätsverändernde Weichenstellung. Man kann sicherlich über manches lange reden. Die Hauptstadt hätte vielleicht auch erwartet, etwas besser da zu stehen. Aber das, was uns insgesamt leiten sollte, ist die Tatsache, dass in Deutschland zum ersten Mal deutlich gesagt wird, dass es Unterschiede in der Leistungsfähigkeit gibt. Eine zweite Sache: Es gibt die Notwendigkeit der Cluster-Bildung in der modernen Forschung, die man einbeziehen muss, die man sozusagen dort leben muss, wo Vernetzungen und Schwerpunktbildungen notwendig sind. Ich will als jemand, der aus der Grundlagenforschung kommt, gar nicht verhehlen, dass das gar nicht einfach zu akzeptieren ist. Ich habe mich mit Herrn Professor Mlynek oft darüber gestritten. Der alte Humboldtsche Gedanke "Alle machen alles und irgendwie wird es dann schon gut" passt heute eben zu den hochtechnischen, auch sehr finanzintensiven wissenschaftlichen Forschungen nicht mehr an allen Stellen in gleicher Weise. Deshalb ist eine Schwerpunktbildung einfach auch notwendig. Allein durch die Antragstellung ist natürlich schon ein Mehr an Gemeinsamkeit, an Schwerpunktbildung gelungen, als wir das jemals in Deutschland hatten. Zum anderen müssen wir uns einfach dazu bekennen, dass es Bessere und noch nicht so Gute gibt. Jeder soll auch die Chance bekommen, auf der Zeitachse nachzurücken. Das ist für mich auch ein ganz wichtiger Punkt. Die Hightech-Strategie ‑auch das sei denen, die sehr stark bei "Partner für Innovation" gearbeitet haben, gesagt‑ richtet sich auch sehr stark an den Mittelstand. Der Mittelstand hat als Zulieferer oder als eigenständiger Produzent heute die meisten Schwierigkeiten, in der Globalisierung klarzukommen. Er ist auf der anderen Seite auch das Rückgrat unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Deshalb sind solche Instrumente, wie z. B. die Forschungsprämie, bei denen Mittelständler ganz gezielt Zuschüsse von Hochschulen und Fachhochschulen bekommen, aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Beitrag. Das wird dann auch wiederum die Forschungsrhythmen an Fachhochschulen und Hochschulen etwas dem Rhythmus wirtschaftlicher Entwicklungen anpassen. Auch das kann nicht schaden, denn nur so kommen wir insgesamt voran. Meine Damen und Herren, ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei denen bedanken, die bereit waren, bei den "Partnern für Innovation" mitzumachen. Das Gemeinwohl hat Sie geleitet. Sie dürfen mit Freude, so hoffe ich, zur Kenntnis nehmen, dass wir das ganze Thema nicht einfach zu den Akten legen, sondern dass wir es fortentwickeln. Ich glaube, ohne die "Partner für Innovation" wäre dieses sehr klare Bekenntnis zur Innovation und zu sechs Milliarden Euro mehr vielleicht weniger wahrscheinlich gewesen. Es gibt immer viele Komponenten, die zu etwas führen. Aber zumindest ist es ein gutes Fundament. Ganz zum Schluss bedanke ich mich auch bei allen denen, die in der Bundesregierung und in den Forschungseinrichtungen dazu beigetragen haben, dass dieses immer gut betreut wurde und dass an dieser Stelle auch sehr wichtige Akzente gesetzt werden konnten. Herr Professor Milberg, Sie haben sehr viel dafür getan, dass alle Impulskreise und alles andere gut funktionieren konnte. Ihnen und allen anderen alles, alles Gute bei weiteren Forschungsvorhaben! Sie finden in der Bundesregierung, beim Wirtschaftsminister und bei der Forschungsministerin immer ein offenes Ohr. Der Kanzleramtsminister wird sein offenes Ohr für überhaupt alle Fragen ‑nicht nur die zur Innovation‑ gleich auch noch unter Beweis stellen. Ich muss leider gehen, da wir heute im Deutschen Bundestag den EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien beschließen werden. Das ist ein nicht ganz unumstrittener Beschluss für manchen Abgeordneten. Aber ich glaube, es ist unter dem Strich bei allen Fragezeichen, die man auch hinter die Geschwindigkeit der Entwicklung setzen kann, auch wieder eine Erweiterung der Europäischen Union, die letztlich Europa gut tun wird. Sie wird Europa insofern gut tun, als wir einen gemeinsamen Markt aufbauen wollen, eine gemeinsame Innovationskultur aufbauen wollen bzw. sie zum Teil schon haben, wir von gemeinsamen Werten aus agieren, in der globalen Welt die Möglichkeiten und Fähigkeiten eines einzelnen Landes kaum noch zur Geltung gebracht werden können. Deshalb ist die Europäische Union für uns alle eine riesige Chance. Sie ist eine Chance, wenn sie auf das Thema Wachstum und nicht auf das Thema Bürokratie ausgerichtet ist. Aber da darf ich Ihnen wiederum sagen, dass die neuen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union meist die sind, die weniger an Bürokratie hängen als die, die schon lange Mitglieder sind. Nochmals herzlichen Dank und Ihnen allen alles Gute! Wir bleiben in Kontakt.