Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 27.04.2000
Anrede: meine Herren Staatspräsidenten, meine Herren Premierminister, Exzellenzen, sehr geehrter Herr Schrempp, sehr geehrter Herr Nordmann, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/22/8222/multi.htm
Königliche Hoheit, Mein ganz besonderer Gruß gilt unseren ausländischen Gästen. Herzlich willkommen in der deutschen Hauptstadt Berlin. Ich freue mich, dass Sie zu uns gekommen sind. Ihr Besuch wird sicherlich dazu beitragen, das Bild von Afrika in der öffentlichen Wahrnehmung zu verändern. Ein Bild, das in Deutschland ebenso wie anderswo in Europa oftmals noch zu sehr von Vorurteilen und zu wenig von Tatsachen geprägt ist. Ein Bild auch, das leider immer noch die enormen Potenziale dieses Kontinents vernachässigt. Potenziale, die gerade das südliche Afrika in großem Maße besitzt. Die damit verbundenen Chancen für sich zu erschließen und zu nutzen, ist - wir alle wissen dies - ein langer und häufig auch steiniger Weg. So werden errungene Erfolge immer wieder von Naturgewalten gefährdet. Gerade Ihr Land, Herr Präsident Chissano, hat dies in den vergangenen Monaten leidvoll erfahren müssen. Auch von dieser Stelle aus wünsche ich den Menschen in Mosambik nach der schweren Flutkatastrophe allen erdenklichen Erfolg beim Wiederaufbau ihrer Heimat. Und ich bekräftige, was ich Anfang des Monats beim EU-Afrika-Gipfel in Kairo zum Ausdruck gebracht habe. Gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn tun wir alles in unserer Macht Stehende, um ihnen dabei zu helfen. Doch sind es leider - auch dies gehört zu einem wahrheitsgetreuen Bild - nicht nur Naturgewalten, die die Menschen in ihrer Arbeit für eine bessere Zukunft zurückwerfen. Aus manchen Regionen des südlichen Afrika erreichen uns in diesen Tagen und Wochen Nachrichten von politischer Willkür und Gewalt. Dies bedeutet nicht nur eine inakzeptable Bedrohung von Leib und Leben der unmittelbar betroffenen Menschen. Es widerspricht auch jeder ökonomischen Vernunft. Denn die damit verbundene Zerstörung der eigenen wirtschaftlichen Basis, die Destabilisierung des Landes und - nicht zuletzt - der Vertrauensverlust im In- und Ausland machen alle Ansätze wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung schnell wieder zunichte. Ich setze darauf, dass die Verantwortlichen in der Region dies selbst erkennen. Und dass sie zurückfinden zu einer Politik des friedlichen Ausgleichs und der Respektierung des Rechts. Denn dies ist Voraussetzung auch für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Mit Blick auf die gesamte Region füge ich aber hinzu: Einzelne Rückschläge dürfen uns nicht den Blick darauf verstellen, dass das südliche Afrika in den vergangenen Jahren eine ermutigende Entwicklung genommen hat. Dies gegenüber der Bevölkerung, speziell aber auch vor Vertretern der deutschen Wirtschaft hervorzuheben, ist mir ein wichtiges Anliegen. Das Afrika-Wirtschaftsforum, veranstaltet von der "Südliches Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft" und dem Afrika-Verein, bietet dafür ein ausgezeichnetes Forum. Es gibt mir zugleich Gelegenheit, insbesondere Herrn Schrempp für seinen Einsatz für Afrika zu danken. Mit ihm hat der afrikanische Kontinent einen gewichtigen Fürsprecher in Deutschland. Meine Damen und Herren, die Fortschritte beim Aufbau demokratischer und rechtstaatlicher Strukturen sowie bei der Bereitschaft zur regionalen Lösung von Konflikten sind in vielen Ländern des südlichen Afrika unübersehbar. Auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich deutlich verbessert. Wesentliche Wirtschaftsindikatoren haben sich günstig entwickelt. Viele Volkswirtschaften der Region haben in den vergangenen Jahren ein Wirtschaftswachstum erzielt, das über dem Zuwachs der Bevölkerung liegt. Der Warenaustausch zwischen Deutschland und den Ländern des südlichen Afrika gestaltet sich positiv. Die Exporte der meisten Länder der Region nach Deutschland sind im vergangenen Jahr gegenüber 1998 kräftig gestiegen. Diese positive Entwicklung ist nicht zuletzt das Ergebnis einer grundlegenden Neuorientierung in diesen Ländern. Einer Neuorientierung hin zu einer Stärkung der privaten Wirtschaft, einer Öffnung der Märkte sowie einer Verbesserung der Rechts- und Investitionssicherheit. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das südliche Afrika dass Afrika insgesamt noch längst nicht den Platz in der Weltwirtschaft einnimmt, der diesem Kontinent aufgrund seines Reichtums an Menschen und Ressourcen zukommt. Die deutsche Wirtschaft rufe ich auf, die langfristigen Möglichkeiten für gewinnbringende Investitionen zu nutzen, die gerade das südliche Afrika bietet. Investitionen zum Vorteil des eigenen Unternehmens, aber auch der Volkswirtschaft, in die damit zugleich investiert wird. Die Staaten Afrikas ermutige ich nachdrücklich, auf dem mehrheitlich von ihnen eingeschlagenen Weg der demokratischen und wirtschaftlichen Öffnung ihrer Gesellschaften fortzufahren und diese wo immer möglich zu beschleunigen. Denn es ist wahr: Eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung eines Landes braucht nach außen wie im Innern Frieden und Stabilität und Frieden und Stabilität brauchen eine prosperierende wirtschaftliche Entwicklung. Meine Damen und Herren, die Aufgabe, Wirtschaft und Gesellschaft zu modernisieren, stellt sich beileibe nicht nur den Staaten Afrikas. Natürlich unterscheiden sich die Startbedingungen zur Lösung dieser Aufgabe von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent. Doch spüren wir überall auf der Welt die Folgen gerade der Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und des Zusammenwachsens zu einer Informationsgesellschaft. Diese Entwicklung eröffnet weltweit neue Wachstums-Chancen durch neue Möglichkeiten der wirtschaftlichen Arbeitsteilung. Dies gilt auch für die Volkswirtschaften der sogenannten Dritten Welt. Denn der gezielte Einsatz der Informations- und Kommunikations-Technologien bietet gute Chancen nicht nur im internationalen Handelswettbewerb. Er ermöglicht vor allem auch den in einer vernetzten Weltwirtschaft für alle Beteilig-ten unentbehrlichen Wissenszugang. Mir ist bewusst, dass in diesem strategisch wichtigen Bereich bei vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt großer Nachholbedarf besteht. Gemeinsam mit unseren G 8-Partnern wollen wir uns deshalb für eine stärkere Nutzung der neuen Technologien in diesen Staaten einsetzen. Und dadurch zu einer verbesserten Integration der Entwicklungsländer in die globale Weltwirtschaft der Zukunft beitragen. Natürlich - und dies gilt für alle Länder unabhängig ihres Entwicklungsstandes - müssen zuallererst zu Hause die richtigen Weichen gestellt werden, um den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen. Gefordert ist ein Staat, der im Sinne einer "good governance" - sich auf seine Kernaufgaben beschränkt und privater Gestaltungskraft den Vorzug einräumt; - der dafür Rahmenbedingungen setzt, die den notwendigen Strukturwandel beflügeln und die Innovationsdynamik der Wirtschaft stärken; - der auf seine Bürger aktivierend wirkt, sie durch Bildung, Ausbildung und lebenslange Qualifizierung in die Lage versetzt, eigenverantwortlich zu handeln und- der seinen Bürgern Sicherheit und Gerechtigkeit gewährleistet und sie teilhaben lässt an den Früchten des wirtschaftlichen Wachstums. Aus der Kooperation einzelner Volkswirtschaften ergeben sich darüber hinausgehende Impulse, um die Chancen der Globalisierung für das eigene Land zu nutzen. Deutschland profitiert ebenso wie die übrigen beteiligten Länder von der Mitgliedschaft in der EuropäischenUnion. Der europäische Binnenmarkt und die Einführung einer gemeinsamen Währung stärken die Wettbewerbsfähigkeit aller Mitglieder und wirken langfristig positiv auf Wachstum und Beschäftigung. Die 14 Staaten im Süden des afrikanischen Kontinents haben sich in der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika zusammengefunden. Dieser Zusammenschluss eröffnet bei freiem Handel nach gemeinsamen Spielregeln das Entstehen größerer Märkte. Diese ermöglichen neue Spezialisierungsvorteile, die im Ergebnis dazu beitragen können, das Gewicht der Region insgesamt in der Weltwirtschaft zu stärken. Ich möchte deshalb die Staaten der Entwicklungsgemeinschaft ermuntern, ihre Kooperation mit diesem Ziel weiter voranzubringen. Meine Damen und Herren, bei alledem dürfen wir wie gesagt nicht vergessen, dass die Startchancen für den Eintritt in die Globalisierung unterschiedlich verteilt sind. Und wir alle wissen, dass diese Bedingungen gerade in Afrika nicht einfach sind. So ist die hohe Verschuldung der ärmsten Länder Afrikas eine schwere Hypothek, die ihre Entwicklungschancen erheblich beeinträchtigt. Die Hinnahme dieses Zustandes entspricht nicht unserem Verständnis von Chancengerechtigkeit und Solidarität. Deshalb hat Deutschland auf dem Wirtschaftsgipfel 1999 in Köln mit der Vereinbarung der internationalen Schulden-Initiative den Anstoß für eine weitergehende Entschuldung dieser Länder gegeben. Die potenziellen Empfänger dieser Entlastung liegen auch im südlichen Afrika. Darüber hinausgehend beabsichtigen wir - wie ich beim EU-Afrika-Gipfel in Kairo zugesichert habe - zusätzlich zu den im Rahmen der Kölner Schulden-Initiative vereinbarten Maßnahmen diesen ärmsten Ländern einen vollständigen Schuldenerlass zu gewähren. Natürlich kann diese Initiative nur ein Element einer Gesamtstrategie sein. Einer Strategie, die es diesen Ländern ermöglicht, sich aus eigener Kraft ihren Weg in die Weltwirtschaft zu bahnen. Dreh- und Angelpunkt muss dabei der Erhalt und der Ausbau eines freien Welthandelssystems sein, das den Produkten dieser Länder eine faire Chance einräumt. Denn wir dürfen ihre Probleme nicht dadurch verschärfen, dass wir ihre Produkte von unseren Märkten ausschließen, um uns unliebsame Konkurrenz vom Halse zu halten. Deutschland setzt sich deshalb im Rahmen der EU und innerhalb der Welthandelsorganisation WTO für eine weitergehende Liberalisierung des Welthandels ein. So machen wir uns seit vielen Jahren für europäische Initiativen stark, den am wenigsten entwickelten Ländern einen zollfreien Marktzugang für nahezu alle Produkte zu gewähren. Vor wenigen Wochen hat sich die EU mit den drei anderen großen Welthandelspartnern in Genf auf ein Paket von Maßnahmen zugunsten der Entwicklungsländer geeinigt. Dies ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Deutschland wird sich dafür einsetzen, auf diesem Weg weiter voranzugehen. Meine Damen und Herren, die Menschen im südlichen Afrika sind fest entschlossen, sich aus eigener Kraft eine bessere Zukunftsperspektive zu erarbeiten. Dies zu verdeutlichen, ist auch eine zentrale Aufgabe dieser Veranstaltung. In diesem Sinn wünsche ich den Gesprächen zwischen den Repräsentanten des südlichen Afrika und der deutschen Wirtschaft einen für alle Seiten gewinnbringenden Verlauf.