Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22.11.2006

Anrede: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/11/2006-11-22-rede-bkin-bt-haushalt,layoutVariant=Druckansicht.html


Vor genau zwölf Monaten hat die Bundesregierung ihre Arbeit für Deutschland aufgenommen.

In diesen zwölf Monaten sind wichtige Weichenstellungen erfolgt: von der Rente mit 67 bis zum Elterngeld, von der Erarbeitung der Eckpunkte der Unternehmensbesteuerung bis zur Einsetzung des Normenkontrollrats und von der Föderalismusreform bis zum Islamgipfel. Wir haben eine historische Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten getroffen. Im Sommer dieses Jahres haben wir in Deutschland eine wunderbare Fußballweltmeisterschaft erlebt, durch die sich das Bild, das die Menschen außerhalb Deutschlands von Deutschland haben, zum Positiven gewandelt hat.

Zwölf Monate sind für die Politik, den Regierungsbetrieb und die Medien eine lange Zeit. Um ein Land auf die Zukunft vorzubereiten, sind zwölf Monate aber eine sehr kurze Zeit. Deshalb gilt der Wählerauftrag von vor einem Jahr unverändert: Es geht für unser Land darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht darum, bessere Bildung zu ermöglichen. Es geht darum, dass wir unsere Zukunftschancen nicht verbrauchen; wir müssen lernen, weniger Schulden und bald gar keine Schulden mehr zu machen. Es geht darum, das Fundament unseres Wohlstands, die soziale Marktwirtschaft, so zu erneuern, dass wir unseren Wohlstand angesichts der Herausforderungen der Globalisierung halten und weiterentwickeln können.

An diesem Wählerauftrag haben wir uns von Anfang an orientiert. Wir haben eine nüchterne Analyse vorgenommen und uns entschieden, entlang des Dreiklangs von Sanieren, Reformieren und Investieren zu arbeiten. Dieser Dreiklang hat sich als richtig erwiesen.

Wir wussten, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land etwas zumuten müssen. Es ist verständlich, dass manche unserer Maßnahmen nicht auf sofortige Zustimmung stoßen. Aber wir sind uns einig, dass man, wenn man verantwortungsvolle Politik macht, einen Weg gehen muss, der Schwierigkeiten überwindet, statt einen, der ihnen ausweicht. Entscheidend ist, wie wir die Frage beantworten können: Steht Deutschland heute besser da als vor einem Jahr Ja oder Nein?

Die Fakten besagen Folgendes: Die Wirtschaft wächst so stark wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Nach einem halben Jahrzehnt ständig steigender Arbeitslosigkeit haben wir in diesem Jahr eine halbe Million Menschen weniger, die auf die Suche nach einem Arbeitsplatz gehen muss. Seit sechs Jahren werden erstmals wieder sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen, mehr als 250 000. Weil Wirtschaft und Arbeitsmarkt sich erholen, steigen die Steuereinnahmen. Wir haben deshalb beschlossen und beschließen können, die Neuverschuldung weiter zu senken, auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Ich finde, das sind gute Daten und darüber können wir uns freuen.

Dies alles zeigt: Richtige Politik wirkt. Das gilt im Übrigen nicht nur für das letzte Jahr, sondern das gilt immer dann, wenn Schwierigkeiten überwunden und Reformen angepackt werden.

Die Erfolge zeigen ein Zweites: Wenn man überzeugt ist, dass ein Weg unter den gegebenen Umständen der bestmögliche ist, muss man ihn auch durchhalten. Ich erinnere mich an manche Kassandrarufe von vor einem Jahr, was die politischen Maßnahmen, die wir in der Koalitionsvereinbarung formuliert haben, alles bewirken werden. Jetzt gerät mancher Rufer ins Stottern. Der Sachverständigenrat schreibt in seinem Herbstgutachten, insgesamt starte die deutsche Volkswirtschaft mit einer guten Ausgangslage sowie bemerkenswertem Schwung in das neue Jahr. Er schätzt das Wachstum für 2007 auf knapp unter 2 Prozent. Auch aus den Wirtschaftsverbänden heißt es, es seien keinerlei Anzeichen erkennbar, die eine fühlbare Abschwächung des Wachstums erwarten ließen, auch nicht durch die Mehrwertsteuererhöhung; so der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Braun am 17. November. Ähnlich sieht es der Zentralverband des Deutschen Handwerks.

Die Bundesregierung ist bei ihrer Prognose bewusst vorsichtiger als zum Beispiel der Sachverständigenrat. Aber es kann nun wirklich nicht bestritten werden, dass sich unser Land nach Jahren der Stagnation endlich wieder im Aufschwung befindet. Das ist eine gute Nachricht für die Bürgerinnen und Bürger.

Doch die Jahresbilanz weist auch darauf hin, dass es noch sehr viel zu tun gibt. Deshalb werden wir die Hände nicht in den Schoß legen. Der Sanierungskurs hat erst dann sein Ziel erreicht, wenn wir es schaffen, den Haushalt eines Tages wieder ausgeglichen zu gestalten. Viele Arbeitsplätze in Deutschland sind weiterhin von Verlagerung bedroht. BenQ ist leider nur ein Beispiel; für andere gilt Ähnliches. Die Arbeitsplätze in Deutschland müssen langfristig wieder sicherer werden. Und mit 4 Millionen Arbeitslosen können wir uns natürlich nicht zufrieden geben. Die Unternehmen müssen spüren, dass sich Neueinstellungen lohnen; sie müssen noch mehr Mut fassen. Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Mittelstand in Deutschland richten. Er ist der Jobmotor in diesem Jahr gewesen. Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade den Mittelstand stärken.

Der Aufschwung darf nicht bloß eine kurze Erholungsphase werden, sondern er muss nachhaltig gemacht werden. Dass das eine gewaltige Aufgabe ist, die die Politik nicht alleine schafft, müssen wir immer wieder deutlich machen. Es ist deshalb wichtig, dass wir darüber sprechen, welche Werte, welche Maßstäbe, welche Leitbilder uns lenken und welche Prinzipien wir haben, nach denen wir arbeiten und bei deren Umsetzung wir die Menschen im Lande mitnehmen können. Ich habe vor einem Jahr in meiner Regierungserklärung diese Prinzipien genannt. Ich habe gesagt, es beginnt damit, dass die Politik nachhaltiger und verlässlicher wird. Ich habe gesagt, wir wollen die Leistung der Menschen besser anerkennen. Wir brauchen mehr Herz und Einsatz für die wirklich Schwachen in unserer Gesellschaft. Wir wollen ein starker Partner in der Welt werden, verlässlich in unseren Bündnissen und mit einer wertebezogenen Außen- und Europapolitik. Um all das zu erreichen, müssen wir vor allem eines: mehr Freiheit wagen.

Meine Damen und Herren, schauen wir uns die Dinge doch einmal ganz nüchtern an: mehr Freiheit für mehr Lebenschancen, mehr Freiheit, damit sich Leistung besser lohnt. Genau aus diesem Grunde haben wir die Sanierung des Bundeshaushalts in Angriff genommen. Zukünftige Generationen brauchen wieder mehr Spielraum. In diesem Zusammenhang haben wir natürlich auch Maßnahmen getroffen, die nicht ganz einfach waren.

In diesem Hause wird darüber geredet, was man noch alles hätte sparen können. Die Vorschläge, die sowieso unseriös sind, lege ich einmal beiseite und ich weise darauf hin, dass wir bei den Bundesbeamten, die für den Staat arbeiten, 1 Milliarde Euro einsparen. Sie haben eine 41-Stunden-Woche und ihr Weihnachtsgeld wurde gekürzt. Wir schicken die Soldaten zu schwierigen Einsätzen ins Ausland und müssen sie gleichzeitig um Verständnis dafür bitten, dass das notwendig ist, weil auch das ein Beitrag für ihre Zukunft ist. Das ist nicht ganz einfach und man muss einfach auch einmal würdigen, dass die Menschen das mittragen. Dafür kann man keine Begeisterung erwarten. Sie tun ihren Dienst trotzdem und das ist viel.

In diesem Jahr halten wir den europäischen Stabilitätspakt wieder ein. Ich erinnere mich noch an unsere ersten Gespräche mit der Europäischen Kommission und daran, mit welch sorgenvollem Gesicht man auf Deutschland geschaut hat. Heute ist Deutschland wieder ein Land, das für die Europäische Kommission dafür steht, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren eingehalten werden kann. Das ist ein Riesenerfolg.

Mit dem, was wir erreicht haben, geben wir uns nicht zufrieden. Wir haben den Sachverständigenrat gebeten zu untersuchen, welche noch wirksameren Schuldenbremsen es für Bund und Länder gibt, damit wir weitermachen und uns unter Druck setzen können, um die Ziele ausgeglichene Haushalte und weniger Verschuldung zu erreichen. Dies wird auch bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform eine gewichtige Rolle spielen.

Meine Damen und Herren, mehr Freiheit wagen heißt natürlich auch, den Menschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben; denn wir alle wissen: Arbeit schafft Selbstvertrauen und soziale Kontakte. Es geht also um Freiheit für ein selbstbestimmtes Leben.

Wir werden die Lohnzusatzkosten senken.

Wir werden die Lohnzusatzkosten senken. Selbst dann, wenn Sie die 0,9 Prozent, die der Arbeitnehmer beim Krankenkassenbeitrag bezahlt, mitrechnen, bedeutet das immer noch eine Reduzierung von 42 Prozent auf ungefähr 40,6 Prozent. Wer das nicht als Senkung erfassen kann, der ist in diesem Hause vielleicht falsch. Es geht runter.

Mit dem Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 4,2 Prozent haben wir den niedrigsten Stand seit 20 Jahren erreicht. Das ist auch ein Erfolg der Bundesagentur für Arbeit. Dass dieser Erfolg eingetreten ist, liegt aber wiederum auch an einer politischen Maßnahme, die von der vergangenen Regierung durchgesetzt und von der CDU / CSU-Opposition unterstützt wurde. Nun können wir uns doch freuen, dass das besser läuft und dass die Menschen durch die Bundesagentur gleichzeitig auch noch bessere Ansprechpartner haben.

Wir haben gesagt, wir wollen zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen. Das kann die Politik nicht alleine. Mit unserem Investitionsprogramm im Umfang von 25 Milliarden Euro haben wir aber die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Dass wir als Bund unseren Beitrag dazu leisten, dass in Zukunft 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden können, und dass wir die Gründerfonds geschaffen und die Exzellenzinitiative durchgesetzt haben, sind ganz wesentliche Beiträge. All dies deutet darauf hin, dass wir nicht wollen, dass die besten Köpfe aus diesem Lande abwandern, sondern dass sie hier eine Chance haben, weil wir hochwertige Arbeit in diesem Lande wollen und brauchen.

Mehr Freiheit heißt für mich auch, dass die Unternehmen Zukunft haben. Wir haben im Kabinett die Eckpunkte für eine Unternehmensteuerreform und die Erbschaftsteuerreform verabschiedet. Für den Mittelstand haben wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen geschnürt: Die Eigenkapitalbildung wird begünstigt und er wird durch weniger Bürokratie dauerhaft entlastet.

Wir sorgen für weniger Bürokratie: Wir haben ein Mittelstandsentlastungsgesetz und das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz beschlossen. Damit haben wir dem Mittelstand Anreize geliefert. Wir haben gleichzeitig die degressive Abschreibung verbessert und wir haben Steuererleichterungen geschaffen.

Wer gestern Abend beim 65. Geburtstag des Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks war, der weiß, dass es bei den Menschen draußen ankommt, egal wie viel hier kritisiert wird. Darüber kann man sich freuen.

Wir werden im nächsten Jahr weitermachen und durch den Normenkontrollrat das Gesetzeswerk auf den Prüfstand stellen, was Kontroll- und Statistikpflichten anbelangt, und in einem Jahr um die gleiche Zeit über die Ergebnisse berichten können.

Mehr Freiheit das heißt auch starke Regionen in Deutschland.

Deshalb war die Föderalismusreform ein wichtiger Schritt. Diese Regierung hat jetzt zweimal die Kommunen in Deutschland durch die Überweisung von Kosten für die Unterkunft in einem Maße unterstützt, über das man aus Bundessicht auch sagen könnte, wenn es etwas weniger gewesen wäre, wäre es nicht schlimm, damit sie ihre Aufgaben zum Beispiel Kinderbetreuung auch für unter Dreijährige erfüllen können.

Dies ist ein Beitrag dazu, dass wir uns zum Subsidiaritätsprinzip bekennen, dass wir sagen: Die kleinen Einheiten sind wichtig da, wo nahe am Menschen entschieden wird. Das ist unser Bild von dieser Gesellschaft und deshalb geht es den Kommunen mit dieser Bundesregierung gut.

Sie müssen nur mal die Oberbürgermeister fragen.

Wenn sie zusammen sind, dann loben sie nie. Wenn Sie sie aber alleine treffen, dann machen sie einen sehr zufriedenen Eindruck. Das alles ist die Wahrheit.

Wir haben auch etwas für diejenigen gemacht, die die freiheitliche Lebensentfaltung brauchen, nämlich für die Familien, in denen Werte vermittelt werden. Ich glaube, dass wir die Tatsache des Elterngeldes gar nicht hoch genug einschätzen können. Das ist ein Wechsel. Ob es ein Paradigmenwechsel oder ein qualitativer Wechsel ist, sei dahingestellt. Es ist ein Wechsel, weil wir die Entscheidung für Kinder in unserer Gesellschaft anerkennen. Ich halte dieses Elterngeld für einen wichtigen Schritt.

Ich habe im vergangenen Jahr gesagt: Wir müssen Leistung anerkennen und mehr Freiheit wagen, damit wir auch den Schwachen in unserer Gesellschaft besser helfen können. Deshalb haben wir natürlich in diesem Jahr eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, mit denen wir gerade denjenigen zu helfen versuchen, die in unserer Gesellschaft Schwierigkeiten haben. Das hat dazu geführt, dass wir Arbeitsmarktinstrumente überprüft haben ganz im Sinne von Fordern und Fördern und auch weiter über Anreize nachdenken, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen; das ist unser Hauptziel. Deshalb reden wir auch über Kombilöhne und Hinzuverdienstmöglichkeiten und werden die notwendigen Entscheidungen am Beginn des nächsten Jahres fällen.

Wir haben die Regelsätze zwischen Ost und West angeglichen ein Beitrag, der für die neuen Bundesländer sehr wichtig war und wir haben im Sinne von Fordern und Fördern gesagt: Derjenige, der dreimal ein Arbeitsangebot ablehnt, der hat auch das Anrecht verspielt, von anderen, die für ihre Löhne hart arbeiten, unterhalten zu werden und Transferzahlungen zu bekommen.

Aber diejenigen das ist mir wichtig, die keine Möglichkeit haben, Arbeit aufzunehmen, haben es verdient, dass sie weiter entsprechende Fördermaßnahmen bekommen. Wir müssen zwischen denen unterscheiden, die Dinge zu Unrecht in Anspruch nehmen, und denen, die keine Chance haben. Diejenigen, die keine Chance haben, müssen weniger werden in unserer Gesellschaft. Das ist wichtig.

Wir haben in der Bildungsfrage weil der Bund hier Kompetenzen hat

Frau Künast, ich erinnere an die Diskussion über Art. 91 b. Wir diskutieren gerade über den Hochschulpakt, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Das ist ein Beitrag des Bundes zu Bildungsfragen.

Wir haben einen Pakt für Ausbildung mit der Wirtschaft geschlossen, damit wir uns um Berufsausbildung kümmern können.

Wir haben die Kinderbetreuungsfragen bei den Kosten der Unterkunft mit behandelt. Wir kümmern uns im Rahmen dessen, was in der Kompetenz des Bundes liegt, ganz bewusst um diejenigen, die mehr Bildung brauchen.

Auch die Berufsausbildung ist Bildung. An dieser Stelle tun wir eine ganze Menge.

Ich sage aber auch in allem Ernst: Wir stehen immer wieder vor extrem schwierigen Situationen. Der Amoklauf in Emsdetten, der "Fall Kevin" und der "Fall Stephanie" haben uns alle zutiefst bekümmert. Wir alle hier im Hause wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Aber es gibt einen Schutzauftrag und ein Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft. Deshalb sollten wir die Frage, wie wir solche Fälle verhindern, nicht zu einer parteipolitischen Frage machen, sondern uns wirklich redlich mühen, Eltern in ihrer Erziehungskraft zu stärken, den jeweiligen Jugendeinrichtungen die Möglichkeit zu geben, ein Maximum an Hilfe zu leisten, und eine Gesellschaft aufzubauen, in der Zivilcourage herrscht und man nicht sagt: Sobald die Wohnungstür zugeht, geht mich das nichts mehr an. All das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Daran werden wir noch lange zu arbeiten haben.

Wir müssen durch unsere Politik deutlich machen: Es gibt null Toleranz gegenüber Intoleranz. Ich sage das im Hinblick auf den Linksextremismus und insbesondere im Hinblick auf die gravierend angestiegene Zahl rechtsextremistischer Straftaten. An dieser Stelle müssen wir sehr deutlich machen, dass die demokratischen Kräfte in diesem Lande vereint dagegen stehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten das Bild unseres Landes bestimmen. Hier gehen wir entschieden vor. Das haben wir deutlich gemacht, indem wir Mittel für entsprechende Maßnahmen in den Haushalt eingestellt haben.

Natürlich müssen wir die Kriminalitätsbekämpfung und insbesondere die Terrorismusbekämpfung ständig weiterentwickeln. In diesem Jahr sind dazu wichtige Schritte ermöglicht worden. Ich erinnere nur an die Antiterrordatei, die aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Punkt ist.

Wir haben uns außerdem das ist aus meiner Sicht ein Meilenstein in der Arbeit der Regierung dem Thema Integration zugewandt. Wir sind ein Land mit einer scharfen demografischen Veränderung. Wir sind ein Land, in dem wir seit Jahrzehnten zulassen, dass diejenigen, die seit Generationen bei uns leben, nicht die gleichen Chancen haben. Es ist an der Zeit, dass wir den jungen Menschen, die aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund kommen, die gleichen Möglichkeiten eröffnen. Das beginnt damit, dass man der deutschen Sprache mächtig ist. Ansonsten haben Kinder in diesem Lande keine Chance. Ich bin froh, dass die Diskussion darüber nicht mehr auf parteipolitischer Ebene geführt wird. Wir wollen miteinander erreichen, dass auch die jungen Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Lande eine Chance haben und sich gut entwickeln. Wenn wir sehen, wie viele keinen Schul- oder Berufsabschluss haben, dann darf uns das nicht ruhen lassen. Deshalb ist der Integrationsgipfel eine solch wichtige Maßnahme.

Jeder kann einmal in eine Situation kommen, in der er auf unsere sozialen Sicherungssysteme angewiesen ist. Deshalb haben wir die Rente auf eine zukunftsfähige Grundlage gestellt und das Programm "50 plus" zur Verbesserung der Chancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt aufgelegt. Der Bundesarbeitsminister hat dies sehr bewusst getan; denn wir wissen, dass wir das Renteneintrittsalter erhöhen müssen, um jungen Menschen eine Chance zu geben, und gleichzeitig die über 50-Jährigen außerordentlich schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Aber das darf so nicht bleiben. Damit darf sich die Politik nicht abfinden. Deshalb ist die Maßnahme "50 plus" genau richtig, um älteren Menschen wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben.

Wir haben eine Gesundheitsreform auf den Weg gebracht.

Das habe ich mir schon gedacht. Wissen Sie, Gesundheitsreformen waren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland selten von einem großen Lobgesang begleitet. Im Übrigen werden Gesundheitsreformen das gilt für diese ganz besonders meist von denen kommentiert, die Leistungen erbringen, und nur selten von den Versicherten selbst. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Diese Gesundheitsreform ist eine Reform für die Versicherten und nicht für diejenigen, die die Leistungen erbringen. Deshalb setzen wir uns auch in erster Linie mit den Versicherten auseinander.

Wenn man einen Einblick bekommen will, an welchen Stellen in dieser Republik eine Veränderungsunwilligkeit besteht und an welchen Stellen man an Besitzständen hängt auch wenn ich nicht alle über einen Kamm scheren will, muss man Gespräche mit den Fachleuten aus dem Gesundheitsbereich führen. Wir wollen, dass es in Deutschland nicht eine Zweiklassenmedizin gibt, sondern ein Gesundheitssystem für alle Menschen.

Es geht um die Versicherten bei dieser Reform. Deshalb musste die Gesundheitsreform verwirklicht werden.

Wir werden im nächsten Jahr die Reform der Pflegeversicherung in Angriff nehmen; denn wir wissen, dass die Pflegeversicherung genauso reformbedürftig ist wie das Gesundheitswesen. Wir haben aber immer gesagt: Eines folgt auf das andere.

Wir haben in diesem Jahr eine Vielzahl von nationalen Projekten in Angriff genommen. Jeder, der sich anschaut, was auf den Weg gebracht wurde, wird sehen, dass wir dieses Land entschlossen verändern und reformieren und die Bedingungen für die Zukunft nachhaltig verbessern. Allerdings erleben wir täglich, dass es an vielen Stellen nicht mehr ausreicht, im nationalen Rahmen Entscheidungen zum Wohl unseres Landes zu treffen, sondern dass wir dafür Partner brauchen. Deshalb habe ich schon im vorigen Jahr in meiner Regierungserklärung gesagt, dass wir wieder ein starker Partner in Europa und in der Welt werden wollen und können. Deutsche Außen- und Europapolitik gründet sich auf Werte. Sie ist Interessenpolitik. Eine Politik in deutschem Interesse setzt auf Bündnisse und Kooperationen mit unseren Partnern.

Wir haben in diesem Jahr für innenpolitische Vorhaben eine Koalitionsvereinbarung getroffen, die ein Programm vorgibt, das man abarbeiten kann. In der Außenpolitik aber sind wir von Ereignissen überrascht worden, die wir nicht voraussehen konnten. An dieser Stelle möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Bei all den Maßnahmen, die getroffen werden mussten, obwohl sie nicht in der Koalitionsvereinbarung standen, und bei all den Ereignissen, die uns vor vollkommen neue Herausforderungen gestellt haben, hat es eine vertrauensvolle und intensive Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung und mit dem Parlament gegeben. Dafür ein ganz herzliches Dankeschön.

Abzusehen war, dass Europa eine finanzielle Vorausschau braucht. Das haben wir in der Europäischen Union geschafft. Dadurch ist die Europäische Union ein Stück handlungsfähiger geworden. Es war abzusehen, dass wir uns mit dem Nuklearprogramm des Iran befassen müssen. Wir können heute noch nicht sagen, dass dieses Problem gelöst ist. Der Bundesaußenminister und andere müssen weiter daran arbeiten. Es gab darüber hinaus die unerwartete Geiselnahme von zwei sächsischen jungen Männern und wir waren außerordentlich erleichtert, als wir feststellen konnten, dass sie wieder frei waren und nach Hause konnten. Und schließlich haben wir uns für zwei Einsätze entschieden, im Kongo und im Libanon, die nicht vorauszusehen waren. Ich möchte an dieser Stelle zu dem schrecklichen Mord an Herrn Gemayel im Libanon sagen ich glaube, für Sie alle: Wir verurteilen diesen Mord. Wir wollen, dass es einen selbstständigen Libanon gibt. Gewalt muss mit aller Kraft unterbunden werden. Dieses war ein feiger Mord, den die Weltgemeinschaft insgesamt verurteilen muss.

Lassen Sie mich stellvertretend für die internationalen Herausforderungen ein Thema nennen, das in den letzten Tagen sehr intensiv diskutiert worden ist angesichts der Vorbereitung auf den NATO-Gipfel in Riga ist dies nicht unverständlich, nämlich die Situation in Afghanistan. Wir haben als Bundesregierung ein sehr realistisches Konzept für Afghanistan aufgestellt. Die Bundesregierung hat sich auch in den vergangenen Jahren der Entwicklung Afghanistans in hohem Maße verpflichtet gefühlt. Ich erinnere an den Petersbergprozess, an die Wahlen in Afghanistan und an vieles andere mehr. Nach unserem ebenfalls sehr realistischen Bericht über die Lage in Afghanistan mussten wir feststellen, dass wir mehr Zeit für die Entwicklung Afghanistans brauchen, als wir es uns gedacht und gewünscht hätten. Ich sage aber auch: Wir wollen und wir müssen diese Mission in Afghanistan mit unseren Verbündeten zusammen zum Erfolg führen. Wir brauchen mehr Zeit, aber es gibt überhaupt keinen Grund, an dieser Stelle zu verzagen.

Die Frage ist nur: Was brauchen wir? Wichtig ist, dass wir einen Ansatz haben, der Sicherheit und Wiederaufbau klug und durchdacht miteinander verbindet. Es kann keine rein militärische Lösung geben, aber ohne ein militärisch gesichertes Umfeld kann es auch keinen Aufbau in Afghanistan geben.

Deshalb ist Afghanistan eine politische Aufgabe und das werde ich auf dem NATO-Gipfel auch deutlich machen: Hier kann man keine separaten Diskussionen führen. Es ist eine politische Aufgabe, eine militärische Aufgabe, eine Aufgabe der inneren Sicherheit und eine Aufgabe für unsere Entwicklungspolitik.

Die Bundesregierung hat sehr früh in einem ganz neuen Ansatz die Gemeinsamkeit der betroffenen Ressorts gesehen. Es gibt eine ganz regelmäßige Zusammenarbeit zwischen dem Entwicklungshilfeministerium, dem Innenministerium, dem Verteidigungsministerium und dem Außenministerium. Dieser Ansatz muss weiterentwickelt und zu einem Standardansatz bei all unseren Aktivitäten werden. Sie können heute nicht mehr zwischen den einzelnen Ressorts unterscheiden. Ich bin sehr froh, dass wir das am Beispiel Afghanistan auch praktizieren.

Wir werben für diesen Ansatz wie ich glaube, erfolgreich. Der auf der Londoner Konferenz zu Afghanistan beschlossene so genannte "Afghan Compact" von London folgt ebendiesem Ansatz, dass einzelne Nationen für einzelne Aufgaben zuständig sind, Deutschland zum Beispiel für den Aufbau der Polizei in Afghanistan. Diese Aufgabe als Leitnation nehmen wir sehr ernst. Wir haben bislang dort 17 000 Polizisten ausgebildet und sind militärisch mit circa 2 900 Soldatinnen und Soldaten über Jahre hinweg einer der größten Truppensteller.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass wir unsere Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit noch besser aufeinander abstimmen müssen, auch zwischen den einzelnen Partnern. Wir müssen die Nachbarn des Landes noch stärker in die Verantwortung nehmen. Wir müssen gemeinsam mit den Partnern und Verbündeten natürlich das Nötige tun, um die Sicherheitslage zu verbessern. Es ist richtig: Afghanistan ist der Lackmustest für die Handlungsfähigkeit der NATO. In Riga wird es deshalb darum gehen, das Zusammenwirken ziviler und militärischer Elemente und die Zusammenarbeit zwischen der NATO, den Vereinten Nationen und der EU sowie mit den Nichtregierungsorganisationen zu verbessern.

Meine Damen und Herren, die Bundeswehr erfüllt im Rahmen der ISAF-Mission im Norden des Landes eine wichtige und gefährliche Aufgabe. Wir wollen den Erfolg dieser Mission im Norden auf gar keinen Fall infrage stellen. Deshalb sehe ich niemanden, der ernsthaft die relative Stabilität, die wir im Norden erreicht haben, aufs Spiel setzen möchte.

Immerhin leben in diesem Gebiet circa 40 Prozent der afghanischen Bevölkerung. Die Bundeswehr wird dort auch weiterhin im Rahmen ihres Mandats Verantwortung tragen. Ich sehe aber kein über dieses Mandat hinausgehendes militärisches Engagement. Auch das will ich hier ganz deutlich sagen.

Deshalb gilt für mich für den NATO-Gipfel in Riga: Das Thema Afghanistan ist zu wichtig, als dass wir es zu einer militärischen Nord-Süd-Debatte verkümmern lassen dürfen. In Afghanistan wollen wir als NATO und als Weltgemeinschaft erfolgreich sein. Wir in Deutschland wissen, dass man dafür kämpfen muss, auch militärisch. Aber, meine Damen und Herren, man muss auch kämpfen um die Herzen der Menschen in Afghanistan. Beides gehört für mich zusammen und so werden wir diese Mission verstehen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein ganz herzliches Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten und an ihre Familien sagen. Sie tun unter schwierigsten Bedingungen ihren Dienst, nicht nur in Afghanistan. Sie haben unsere Unterstützung verdient!

Wir haben beim Thema Sicherheit in diesem Jahr sehr viel über die militärische Sicherung ziviler Prozesse gesprochen. Sicherheit wird in der Zukunft aber auch das hat dieses Jahr genauso gezeigt mit Energiepolitik und Energiesicherheit zu tun haben. Die Europäische Union hat darüber eingehend diskutiert. Energiepolitik ist inzwischen zum Teil Energieaußenpolitik: Die Partner fragen, ob man sich aufeinander verlassen kann.

Zwei große Herausforderungen werden uns in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen:

Das eine ist die Frage, wie nicht nur wir, sondern die Welt mit bezahlbarer Energie ausreichend versorgt werden können. Angesichts des Bevölkerungswachstums die Weltbevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten auf 9 Milliarden Menschen anwachsen, angesichts der extrem hohen Wachstumsraten vieler Länder, wie China und Indien, angesichts der Tatsache, dass wir den Menschen auf anderen Kontinenten nicht ernsthaft sagen können, dass wir ihre Entwicklung hin zum Wohlstand nicht wollen, wird uns dieses Thema beschäftigen.

Die zweite große Herausforderung sie hängt mit der Energieversorgung unmittelbar zusammen ist die Veränderung unseres Klimas. Ich glaube, viele haben die Dimension dieser Herausforderung noch nicht in vollem Umfang verstanden. Die Erwärmung heute liegt bei etwa 0,6 Grad. Wir wissen, dass eine Erwärmung über 2 Grad hinaus nicht stattfinden darf. Viele Prozesse sind allerdings schon unumkehrbar und auch in Deutschland ist die Klimaveränderung spürbar. Nun können Sie sagen: Ob die Eiche in der Uckermark eine Zukunft hat, ist nicht so wichtig. In Portugal und Spanien aber stellt sich das Ganze schon anders dar, man schaue sich die Wüstenbildung an, und in Afrika wird eine weitere Versteppung Grund für Bürgerkriege und Migration sein.

Europa und auch Deutschland werden hier eine ganz besondere Verantwortung haben. Wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass wir Deutschlands langfristige Energieversorgung unter die Lupe nehmen müssen: Wir müssen hier planen und Szenarien erstellen. Wir müssen vor allen Dingen zeigen ansonsten werden wir auf der Welt keine Chance haben, dass es uns gelingt, wirtschaftliches Wachstum von den Emissionen von Treibhausgasen zu entkoppeln.

Ein Stück weit haben wir das schon geschafft; aber wir müssen noch mehr tun. Unser Programm zur energetischen Gebäudesanierung ist nicht nur ein Programm zur Belebung der Bauwirtschaft, sondern auch ein Programm zur Sicherung der Zukunft. Ein Hochtechnologiestandort wie Deutschland sollte sich mit dem Thema Energieeffizienz ganz stark identifizieren, um eines Tages sagen zu können: Hier haben wir einen Beitrag für andere geleistet und gleichzeitig einen Exportschlager geschaffen.

Wir haben in der Europäischen Kommission dafür gesorgt dafür bin ich dem Bundesumweltminister dankbar, dass es Fonds zur Investitionsförderung für effiziente und erneuerbare Energietechnologien gibt. Durch diesen Fonds können auch in Entwicklungsländern Beiträge geleistet werden. Ich glaube, dass uns die Entwicklung von CO2 -freien, erneuerbaren, aber auch anderen Energien in den nächsten Jahren sehr beschäftigen sollte. Heute kommen 19 Prozent aller Umwelttechnologien aus Deutschland. Es können ruhig noch mehr werden. An dieser Stelle können wir zulegen. Ich halte dies für einen wichtigen Punkt.

Meine Damen und Herren, in meiner Regierungserklärung vor einem Jahr habe ich gesagt: "Verlässlichkeit soll das Markenzeichen dieser Regierung sein." Verlässliche Politik ist sicherlich sehr schwierig, weil wir viele Entwicklungen nicht voraussehen können; aber wir müssen uns schon an dem messen lassen, was wir uns vorgenommen haben. Verlässlichkeit bedeutet für mich, dass man nicht alles einfach auf eigene Faust macht, sondern dass man die Menschen für diese Politik gewinnt. Da haben wir noch ein Stück Arbeit vor uns; das will ich ganz klar sagen.

Aber ich möchte auch denen danken, die in diesem Jahr unsere Verbündeten waren. Wir haben einen Energiedialog begonnen, in den sich viele Teilnehmer engagiert einbringen. Wir haben eine Allianz für Familien gegründet, bei der die gesellschaftlichen Verbände intensiv mitmachen. Wir haben eine Initiative "Erfahrung ist Zukunft" zur Behandlung von Fragen des demografischen Wandels auf den Weg gebracht. Daran beteiligen sich die Wirtschaft und die Wohlfahrtsverbände intensiv. Ich habe dafür Dank zu sagen, dass die Arbeit dieser Bundesregierung aus den gesellschaftlichen Bereichen unterstützt wird; denn wir können das, was zu tun ist, allein nicht schaffen.

Ich weiß, dass manche immer noch nach dem einen großen, befreienden Sprung suchen, obwohl sie wissen, dass Deutschlands Kraft erst noch wachsen muss. Ich glaube, es ist vielmehr so, dass die Freiheit von unten wachsen muss. Roman Herzog hat es einmal folgendermaßen beschrieben ich zitiere: den großen Wurf, den unser Volk so gern hat, ( gibt es ) in dieser Frage nicht … Notwendig sind Dutzende, vielleicht sogar Hunderte kleiner Schritte, die sich im Laufe der Zeit und bei entsprechender Zielstrebigkeit summieren und auszahlen werden … Die Schritte werden aber von Jahr zu Jahr größer werden, und dasselbe wird von den Gestaltungsräumen gelten, die unser politisches System dadurch gewinnt, gerade auch im finanziellen Bereich.

Ich glaube, Roman Herzog hat Recht. Der Aufschwung in diesem Jahr gibt uns Anlass zum Selbstvertrauen, auf unserem Weg weiterzugehen.

Herzlichen Dank.