Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 07.03.2007

Untertitel: am Mittwoch, 7. März 2007, in Leipzig
Anrede: Sehr geehrter Herr Professor Reiter, sehr geehrter Herr Iltgen, lieber Bischof Bohl, sehr geehrter Bischof Feige, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/03/2007-03-08-ansprache-chefbk-kirche-im-mdr,layoutVariant=Druckansicht.html


Sie feiern heute eineinhalb Jahrzehnte einer fruchtbaren Aufbauarbeit, einer exzellenten Partnerschaft zwischen Kirche und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Und ich freue mich sehr, diese gelungene Zusammenarbeit mit Ihnen gemeinsam würdigen zu dürfen.

Über 70 Fernsehgottesdienste, das tägliche "Wort zum Tage","Schabbat Schalom" am Freitag und der Sonntagsgottesdienst im Hörfunk, vielfältige Magazine und Features zu Kirche und Gesellschaft, ein attraktives Angebot im Kinderfunk dies ist eine mehr als ansehnliche Bilanz.

Erfolgreiche TV-Produktionen wie "Unsere 10 Gebote" oder "Zeugen aus Stein" oder der großartige Kinderspielfilm "Blindgänger" verdeutlichen, wie es gelingen kann, Kernthemen christlichen Glaubens und christlich geprägter Kultur mediengerecht zu übersetzen und ein Millionenpublikum hierfür zu interessieren.

Dies gilt offenbar auch für die ganz jungen Fernsehzuschauer, die ohne Scheu und mit bester Neugier nach Gott fragen. Gerade deshalb ist die gute Zusammenarbeit mit dem Kinderkanal meines Erachtens ganz besonders wichtig.

Meine Damen und Herren,

das Sendegebiet des MDR müsste gemessen an dem Anteil der kirchlich gebundenen Bevölkerung für religiöse Programme eigentlich eine schwierige Region sein.

Aber die Praxis sieht anders aus: Nicht nur Kirchenmitglieder sehen Sendungen mit religiösem Inhalt. Im Gegenteil, gerade Menschen mit Distanz zur Kirche nutzen das breite Angebot. Die Hemmschwelle zum Radio oder Fernsehen ist vielleicht nicht so hoch wie manche Kirchenschwelle. Das Interesse ist erfreulich hoch, ebenso hoch sind aber auch die Erwartungen an Qualität und Inhalt.

Wie viele Schülerinnen und Schüler von Elisabeth von Thüringen- und Paul Gerhardt-Schulen haben möglicherweise erst in diesem Jahr von den Namengebern ihrer Schulen durch die MDR-Sendungen zu beiden Jubiläen etwas erfahren?

Wie unkonventionell die Heilige Elisabeth für ihre Zeit lebte und sich völlig der Hilfe für andere widmete. Oder wie die Erfahrung von Pest, Krieg und religiösen Spannungen das dichterische Werk Paul Gerhardts prägte, dessen kraftvolle Texte uns bis heute durch das Kirchenjahr begleiten?

Das Sendegebiet des MDR besteht aus vergleichsweise wenigen Christen, aber es ist eine religiös reiche Region, es ist "kirchliches Mutterland" und dies wird auch in der Programmgestaltung sichtbar:

Hier liegt die Heimat Luthers, hier liegen die Wirkungsstätten Bachs, hier stehen "Leuchttürme" wie die Thomaskirche hier in Leipzig, der Erfurter Dom oder die neue Synagoge in Dresden.

Die Weihe der Frauenkirche hatte ein enormes Publikum, gerade auch an den Bildschirmen.

Kirche im Fernsehen und im Hörfunk schaffen eine große "virtuelle Gemeinde" und für alle, die dies wollen, auch eine Zugehörigkeit zu einer großen Gemeinschaft. Für Menschen, z. B. in Krankenhäusern oder Senioreneinrichtungen ist dies oft die einzig mögliche Form des Kirchgangs.

Die "virtuelle Gemeinde" ist wichtig in Momenten, wo der Zusammenhalt zählt,

in der Trauer wie nach dem Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt

oder in Momenten der Solidarität wie nach der großen Flut im Jahr 2002. Hier sind viel mehr dabei als je in Kirchen oder auf Plätze passen.

Für diese Vielfalt von Kirche im MDR stehen engagierte und hochkompetente Redaktionen für Kirche und Gesellschaft in Hörfunk und Fernsehen sowie sehr aktive Sendebeauftragte der Kirchen.

Ich möchte deshalb Bischof Feige für die katholische Kirche, Pastor Christoph Maas für die Evangelischen Freikirchen und Pfarrer Bernd Richter für die Evangelischen Landeskirchen für ihre wichtige Arbeit an der Schnittstelle zwischen Kirche und Rundfunk herzlich danken!

Meine Damen und Herren,

was ich gerade skizziert habe, hat solide Grundlagen, die Landesrundfunkgesetze und den MDR-Staatsvertrag. Er gewährt, wie es dort in Artikel 13 heißt,"angemessene Sendezeiten zur Übertragung religiöser Sendungen".

Der Vertrag gewährt Drittsenderechte für die evangelische, die katholische, die freikirchliche und die jüdische Glaubensgemeinschaft. Das ist nicht gering zu schätzen. Derart weitreichenden Zugang zum Medium Rundfunk haben außer den Glaubensgemeinschaften nur die politischen Parteien beschränkt auf die Wahlkampfzeiten und die Bundesregierung im Katastrophenfall.

Senderechte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeuten Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch Verantwortung.

Die Kirchen wissen seit Jahrhunderten, dass mediales Wirken nicht Luxus, sondern schlichte Notwendigkeit ist. Die Verkündigung des Evangeliums ist nicht auf die Kanzel beschränkt. Dies hat schon Luthers Anschlag der 95 Thesen an der Wittenberger Schlosskirche nachhaltig bewiesen.

Es sind in besonderer Weise die Medien, die Lebensorientierung und Lebensstile prägen und Weltbilder vermitteln. Sie bilden Meinungen, kritisieren, spitzen zu und personalisieren. Deshalb ist es besonders wichtig, dass zum Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten auch Welt- und Lebensbedeutung, Glaube und Religion dazugehören.

Dies ist eine große Chance für die Kirchen, ihr Profil nämlich die Vermittlung der christlichen Botschaft im Programm zu zeigen.

Dabei ist die Balance nicht einfach zwischen Identität und Erkennbarkeit der eigenen Botschaft einerseits sowie der notwendigen Anpassung an das Programmumfeld und den Zeitgeist andererseits. Fernsehen will ja nicht nur informieren, sondern verlangt unterhaltende Sendeformate. Und die Primetime ist begehrt!

Gefragt sind also Kreativität, Kompetenz und Professionalität.

Auch für das Angebot der Kirchen im Rundfunk ist die Quote nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil, Qualität in der Quote, nicht nur für Kirche im MDR, ist lebenswichtig. Wer einmal die minutiöse Planung eines Fernsehgottesdienstes miterlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Die Qualität der Predigt, die Auswahl der Musik, die Glaubwürdigkeit der Protagonisten in einem Magazin, all das zählt.

Zur spezifischen Qualität gehört aber vor allem das, was Kirche transportieren möchte, die "Botschaft" nämlich: die Achtung der Menschenwürde, die Einhaltung des Jugendschutzes, hohe Wertschätzung für Meinungsvielfalt, Einstehen für Toleranz und Zivilcourage; Empathie für Kranke, Behinderte, am Rande Stehende und natürlich bei alledem

Glaube als öffentliches Thema.

Meine Damen und Herren,

lassen Sie uns bei diesen etwas grundsätzlicheren Betrachtungen die Augen nicht verschließen vor der Dynamik, die wir in der Gesellschaft und in den Medien wahrnehmen: Kirchliche Bindung verändert sich, die religiöse Landschaft wird bunter in Deutschland, freikirchliche Gemeinschaften wachsen, ebenso die Fülle nichtchristlicher Religionen, allen voran Gemeinschaften islamischen Glaubens.

Religiöse Pluralität verändert die Debatte. Sind eigentlich unsere Strukturen hierauf eingestellt?

Ebenso differenziert sich die Medienlandschaft. Wer Kabelanschluss hat, kennt kaum die Fülle der privaten Sender, die er im Prinzip anschauen könnte, offene Kanäle sind im lokalen Rahmen zunehmend beliebt, Sparten-TV erobert Marktanteile. Sind "Bibel-TV" und christliche Hörfunksender eine Alternative, eine gute Ergänzung oder gar ein Konzept für die Zukunft?

Wie mag also Kirche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in 15 Jahren aussehen?

Angesichts der erwartbaren demografischen wie der technologischen Entwicklung dürften uns Veränderungen bevorstehen, sowohl bei der kirchlich bzw. religiös gebundenen Bevölkerung wie auch bei den Medien. Die beschriebene parallele Ausdifferenzierung wird sich fortsetzen. Online-Dienste gewinnen an Bedeutung, absehbar ist die mediale Fusion von TV, Computer und Handy.

Welche Folgen wird ein solcher Wandel haben für die Präsenz von Kirchen und Religionsgemeinschaften im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in den elektronischen Medien?

Klar dürfte sein, das Erfordernis an "Erkennbarkeit", an Unverwechselbarkeit der eigenen Botschaft wächst. Viele suchen nach Sinn und Orientierung auch in der Vielfalt des religiösen Angebots.

Es wird mehr Wettbewerb geben, auch um diejenigen, die sich für Religion interessieren.

Es wird neue mediale "Heilsanbieter" geben.

Dem Mediennutzer bieten sich Alternativen. Zum Beispiel die Internet-Plattform "Second Life", die sich erstaunlich großer Beliebtheit erfreut. Selbst das religiöse Angebot ist dort schon etabliert.

Ist es vorstellbar, dass Menschen ihre eigene Religion irgendwann nur noch aus den Medien kennen, ohne je einen Gottesdienst in einer realen Kirche erlebt zu haben? Wird Religion ohne Kirche durch die Medien wahrscheinlicher? Was bedeutet dies für religiöse Identität der Zukunft?

Auch aus diesem Grunde glaube ich, muss es unverzichtbar auch das Ziel von Kirche in den Medien sein, Neugier auf authentische Begegnung, auf emotionale Bindung und auf aktive Teilhabe in Kirchen und in der Kirche zu wecken.

Neugier auf "medienfreie" Begegnung mit Kirche und Glauben.

Ich bin ganz sicher: wer eine Gottesdienstübertragung aus der Frauenkirche gesehen hat, will dieses Bauwerk auch mal mit Predigt und klangvoller Orgel in "echt" erleben.

Die Kirchen brauchen auch in Zukunft unverzichtbar beides: "Räume in der Wirklichkeit" und Professionalität auf dem Bildschirm, hinter dem Mikrofon und im Leben.

Sie brauchen, aber sie bieten auch Gemeinschaft. Kommunion und Abendmahl gibt es eben nur in der realen Gemeinde.

Seelsorgeangebote sind für die, die dies wünschen, auch heute anonym am Telefon oder im Internet verfügbar. Und die hohe Nutzung dieses Angebots belegt, dass dies ein ungemein wichtiger Teil von kirchlicher Arbeit ist. Zugleich bleibt aber für viele unverzichtbar die Begleitung durch einen persönlich bekannten und vertrauten Geistlichen, gerade in den Krisen des Lebens.

Deshalb bin ich überzeugt, wer Kirche nur aus Fernsehen oder Hörfunk kennt, dem wird die wichtigste Dimension von Kirche und Glaubensgemeinschaft unbekannt bleiben. Allerdings muss auch im Rundfunk und Fernsehen daran gearbeitet werden, dass Kirche Kirche bleibt.

Meine Damen und Herren,

die Kirchen brauchen überzeugendes Handeln im realen Leben und breite mediale Präsenz. Hierzu gehört, davon bin ich überzeugt, auch in Zukunft die lebendige Partnerschaft mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk!

Ich wünsche dem MDR und den Kirchen und Religionsgemeinschaften weiterhin eine so erfolgreiche Zusammenarbeit und ein breites, wachsendes neugieriges Publikum.