Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 07.06.2007

Untertitel: In seiner Eröffnungsrede zum 4. Kulturpolitischen Bundeskongress "kultur.macht.europa europa.macht.kultur" am 07. Juni 2007 in Berlin beschreibt Staatsminister Bernd Neumann die Bedeutung der Vielfalt für die europäische Kultur.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/06/2007-06-07-rede-neumann-kupoge,layoutVariant=Druckansicht.html


ich heiße Sie herzlich willkommen zum Kongress "Kultur macht Europa - Europa macht Kultur" in Berlin. Mit diesem Kongress beschließen wir die Reihe der großen internationalen kulturpolitischen Kongresse im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Der Kultur und der zivilgesellschaftlichen Diskussion über sie kommt eine tragende Rolle gerade auch im fortschreitenden europäischen Einigungsprozess zu.

Dabei ist die Kultur erst seit dem Vertrag von Maastricht ausdrücklich Gegenstand der Politik der Europäischen Gemeinschaft. Zuvor wurde sie - wie andere gesellschaftliche und politische Bereiche - von Brüsseler Warte allein unter wirtschaftlichen Gesichtpunkten betrachtet. Naturgemäß waren es deshalb die Medien, für die als erstes Regelungsbedarf bestand.

Ich erinnere hier nur an die Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" in ihrer Ursprungsfassung Ende der 80er Jahre.

Es mag verschiedene Gründe geben, warum die Kultur erst nach vielen Jahrzehnten als Feld der Politik der Europäischen Union erkannt wurde. Einer der wahrscheinlichsten ist die Annahme, man habe eine gemeinsame Kultur, über deren Grundlagen allgemein Konsens herrsche. Ein anderer ist mit Sicherheit das Bemühen um die Achtung der kulturellen Eigenständigkeit der Mitgliedsstaaten.

Es ist eine Besonderheit der europäischen Kultur, dass diese widersprüchlich erscheinenden Aussagen beide zutreffen. Europas Stärke ist die Einheit in der Vielfalt. Dies ist auch eine der Kernaussagen der am 10. Mai dieses Jahres verabschiedeten "Mitteilung der Europäischen Kommission über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung". Ich zitiere: "Aufgrund dieser Einheit in der Vielfalt sind der Respekt der kulturellen und sprachlichen Vielfalt und die Förderung eines gemeinsamen kulturellen Erbes zentrale Anliegen des europäischen Projekts. Im Angesicht der Globalisierung kann darauf weniger denn je verzichtet werden."

Wir als Deutsche wissen am besten, was die Vielfalt der Kulturen bedeutet. Europa baut politisch auf dem Kulturföderalismus auf; Kultur wird auch in Zukunft Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten bleiben.

Europa respektiert die in den Mitgliedstaaten gewachsenen Kulturen und verzichtet im Kernbereich der Kultur auf eine rechtliche Harmonisierung. Die Europäische Gemeinschaft unterstützt diese kulturelle Vielfalt durch zahlreiche Förderprogramme, die auf Austausch und Kooperation ausgerichtet sind. Dabei bleibt sie dem Grundsatz der Subsidiarität streng verpflichtet. Die reiche kulturelle Tradition Europas drückt sich bereits im Artikel 22 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus: "Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen". Die Vielfalt der Kultur zu fördern, zu schützen und zu stärken, damit möglichst viele Menschen an ihr teilhaben können, ist eine der Grundlagen unserer europäischer Identität.

Angesichts der Europaskepsis, die sich nicht zuletzt im Scheitern des Verfassungsentwurfs für Europa in einigen Mitgliedstaaten ausdrückt, erscheint es wichtiger denn je, sich nicht nur über die Vielfalt, sondern vor allem auch über die gemeinsamen kulturellen Wurzeln unserer europäischen Kultur zu verständigen. Identität stiftend können nur gemeinsame Werte und geteilte Überzeugungen sein. Nur auf ihrer Grundlage können die Aufgaben einer "Europäischen Kulturpolitik" formuliert werden, die Verantwortung für das gemeinsame kulturelle Erbe übernimmt.

Jean Monnet stellte mit Blick auf sein Lebenswerk fest, dass er den europäischen Einigungsprozess nicht mit der Wirtschaft, sondern mit der Kultur beginnen würde, wenn er die Möglichkeit zu einem Neuanfang hätte.

In gewisser Weise haben wir mit dem "Europa der 27" diese historische Chance.

Die Grundlage unseres gemeinsamen kulturellen Erbes in Europa ist der Austausch von Gütern und Ideen. Es war in der Tat eine sehr europäische Lösung, vor 50 Jahren die Einigung mit dem wirtschaftlichen Sektor zu beginnen. Die Väter des europäischen Einigungsprozesses stehen damit in einer langen europäischen Tradition. Gerade das, was Jean Monnet als Geburtsfehler der Europäischen Einigung beklagt, ist eine Eigenheit der europäischen Kultur.

Dem Handel miteinander folgte in der Regel erst die kulturelle Annäherung der Völker in Europa.

Deshalb teilt das gegenwärtige geeinte Europa trotz unterschiedlicher politischer Schicksale eine gemeinsame kulturelle Geschichte. Transfer und Kommunikation sind die Grundlagen unserer Kultur.

Lange vor der Schaffung des EU-Binnenmarkts war Europa eine rege Handelszone von den Mittelmeerländern bis zu den baltischen Hansestädten, vom Schwarzen Meer bis zum Atlantik. Den Händlern folgten Rechtsordnungen, die sie auch außerhalb ihrer Herkunftsregion schützten und ein Element der Einheitlichkeit in Europas Vielfalt brachten.

Die Handelsrouten waren immer auch die Kommunikationswege für Ideen. Missionare verbreiteten das Christentum entlang der römischen Handelsstraßen in ganz Europa. Dort, wo sie endeten, trat Stagnation ein.

Das Ideal des freien Stadtbürgers verbreitete sich auf den Wegen der Händler ebenso rasch wie das typisch europäische Modell der Universität, das von Bologna aus seinen Siegeszug antrat.

Europa war und ist ein hochkreatives intellektuelles Labor, das auf die schnelle - in moderner Zeit mediale - Verbreitung von Erkenntnissen angewiesen ist. Bereits in der frühen Neuzeit entstand ein ungeheuer effizientes Verlagswesen, das Ausgangspunkt unserer heutigen medialen Vielfalt ist.

Der freie Austausch von Waren und Ideen bedingt Dynamik und Innovation. Sie sind Zeichen einer europäischen Kultur, die stets rasch auf Einflüsse von außen und neue Anregungen von innen reagiert. Ästhetische Konzepte und neue Denkformen wie der Humanismus und die Aufklärung verbreiten sich über Länder- und Sprachgrenzen hinweg. Trotz unterschiedlicher nationaler Interpretation bleiben sie doch erkennbares Fundament eines gemeinsamen europäischen Kulturerbes.

Auch das Ideal einer umfassenden Bildung für alle ist ein Teil der europäischen Kultur.

Erst die abendländische Vorstellung des gebildeten, eigenständig denkenden und handelnden Individuums bedingt die europäische Vielfalt in der bildenden Kunst, in der Musik und in der Literatur. Diese kulturelle Vielfalt brachte einen Markt hervor, der ganz eigenen Gesetzen gehorcht. Er bildet heute eines der größten Potenziale für die zukünftige Entwicklung Europas.

Dieser kurze Abriss unseres gemeinsamen kulturellen Erbes und seiner Grundlagen zeigt, was die Aufgaben einer gemeinsamen europäischen Kulturpolitik sein müssen. Sie lassen sich mit den Schlagworten

Sicherung von kulturellem Austausch, Anerkennung von Kreativität auch in wirtschaftlicher Hinsichtsowie Förderung von Transfer und Kommunikation

umreißen.

Ein Baustein dieser gemeinsamen europäischen Kulturpolitik ist die Unterstützung des Austausches von materiellen Zeugnissen unseres kulturellen Erbes. Museen und Sammlungen sind das Gedächtnis unserer Kultur. Das Thema "Mobilität von Sammlungen" ist deshalb ein besonderer Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft. Ich freue mich, dass die Tagung "Mobilität von Sammlungen - Vertrauen schaffen, Netzwerke stärken" Anfang Mai in meiner Heimatstadt Bremen das Thema weiter voran bringen und konkrete Schritte für den Abbau von Hindernissen in der grenzüberschreitenden Ausleihpraxis aufzeigen konnte. Nicht weitere Reglementierung durch Gesetzgebung sondern eine pragmatische Praxis der Akteure muss das Ziel sein. Kulturelles und künstlerisches Erbe muss sichtbar gemacht werden, will es nicht in Vergessenheit geraten.

Das im März ratifizierte UNESCO-Übereinkommen zum Kulturgüterschutz stellt einen Meilenstein in der Erhaltung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes dar. Seine Umsetzung wird zeigen, wie kulturelle Identität weltweit möglichst umfassend vor dem Verlust prägender Kulturgüter geschützt werden kann.

Auch wenn die Aura des Originals nicht zu ersetzen ist - ein weiterer wichtiger Schwerpunkt einer europäischen Kulturpolitik ist die Digitalisierung des kulturellen Erbes. Diese Aufgabe ist nur gemeinschaftlich zu bewältigen. Die europäischen Kulturminister haben sich daher im vergangenen November auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt.

Meine Damen und Herren, die historische Entwicklung Europas zeigt, dass Kreativität und Innovation sich nicht auf den rein kulturellen oder rein wirtschaftlich-technologischen Bereich beschränken lassen, sondern sich stets gegenseitig bedingen. Untersuchungen zur Kreativwirtschaft haben dies auch für die Gegenwart belegt.

Grundlegend für das Entstehen einer gemeinsamen europäischen Identität war auch in der Vergangenheit der Handel mit kulturellen Gütern. Heute ist die Kulturwirtschaft einer der am stärksten expandierenden Wirtschaftszweige in Europa. Legt man rein finanzielle und nicht in erster Linie qualitative Maßstäbe an, sind die Umsätze der privaten Kulturwirtschaft weit bedeutender als die öffentlichen Kulturausgaben. Dieser Tatsache muss im Rahmen der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung Rechnung getragen werden. Die Tagung zur "Kultur- und Kreativwirtschaft in Europa - Kohärente Politik in einer globalen Welt" im Mai dieses Jahres hier in Berlin hat dies in beeindruckender Weise gezeigt.

Erst in der vergangenen Woche hat die von uns initiierte EU-Tagung in Hamburg zu den Kulturmetropolen einen weiteren wichtigen Aspekt des Themas aufgegriffen - und in diesem Monat werden sich Experten in Lübeck treffen und die Bedeutung des Kulturtourismus insbesondere für die Welterbestätten diskutieren.

Es wird eine der grundlegenden Aufgaben der nächsten Ratspräsidentschaften sein, das Thema Kultur fest in der Lissabon-Strategie zu verankern. Einen ersten Schritt dahin haben wir unter deutschem Vorsitz in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom März 2007 gemacht, die die Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen des Kultursektors hervorheben.

2009 soll nach Vorstellungen der Europäischen Kommission ein europaweites "Jahr der Kreativität" das Potenzial der Kreativwirtschaft verstärkt im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankern und zugleich die Brücke zwischen Kulturpolitik und Bildungspolitik auf europäischer Ebene schlagen.

Europäische Kultur kann sich nur im Austausch und in der Kommunikation miteinander weiterentwickeln. Deshalb soll künftig im EU-Ministerrat über besondere Aktivitäten der Mitgliedstaaten im Bereich der Kulturwirtschaft berichtet werden. Kultur als Wirtschaftszweig lässt sich jedoch nur nachhaltig und sinnvoll entwickeln, wenn öffentliche und private Initiativen gemeinsam agieren. Dabei sollte bei der Nachwuchsförderung, der Vermittlung wirtschaftlicher Kenntnisse an Kulturschaffende und dem Beitrag zur Integration angesetzt werden.

Die Kreativ- und Kulturwirtschaft zu stärken, kann aber nur eine der Aufgaben einer europäischen Kulturpolitik sein. Unser Kontinent hat nur durch die Bewahrung seiner kulturellen Vielfalt eine Zukunft. Es ist deshalb nachdrücklich zu begrüßen, dass während der deutschen Ratspräsidentschaft die Tagung der Deutschen UNESCO-Kommission "Kulturelle Vielfalt - Europas Reichtum" in Essen als Kulturhauptstadt Europas 2010 stattgefunden hat. Anfang März hat Deutschland das "Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen" ratifiziert, Mitte März ist es in Kraft getreten, noch in diesem Monat werden sich die bisher beigetretenen Staaten erstmals in Paris treffen. Deutschland hat sich von Anfang an in die Diskussion um die Erarbeitung dieses wichtigen Völkerrechtsinstruments eingebracht.

Der Medienbereich ist ein weiterer Schwerpunkt der gemeinsamen europäischen Kulturpolitik. Zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft trat das neue Förderprogramm Media 2007 in Kraft und die Fernsehrichtlinie wurde überarbeitet.

Ich freue mich sehr, dass es uns nach intensiven Verhandlungen mit unseren europäischen Partnern und dem Europäischen Parlament gelungen ist, im letzten Kulturministerrat einen politischen Konsens über den neuen Text zu erreichen. Einer schnellen Verabschiedung steht nun nichts mehr im Wege.

Die neue Richtlinie dehnt den Anwendungsbereich auf alle audiovisuellen Mediendienste aus - und zwar unabhängig von der jeweiligen Übertragungstechnik. Sie stellt damit faire Wettbewerbsbedingungen für alle diese Dienste her. Aber sie ist keineswegs nur von wirtschaftlicher Bedeutung. Die Richtlinie erfasst erstmals Bereiche des Internets, ein Raum, der für Kommunikation und Austausch, gerade aber auch für die Entwicklung von Kreativität immer wichtiger wird. Diese soll nicht durch neue Vorschriften eingeengt werden. Im Gegenteil, nur wenige, aber grundlegende Regeln wie der Schutz der Jugend und der Menschenwürde sollen einen Rahmen schaffen, in dem sich diese Kreativität unter gleichen rechtlichen Bedingungen frei entfalten kann.

Deshalb soll dafür gesorgt werden, dass auch Abrufdienste die Produktion europäischer Werke und den Zugang zu ihnen fördern - eine Regelung, die Ihnen aus dem traditionellen Fernsehbereich schon bekannt ist.

Meine Damen und Herren, der Blick auf das Programm der Tagung "kultur macht europa - europa macht kultur" stimmt mich zuversichtlich. Sie bildet das breite Spektrum der gemeinsamen Aufgaben der europäischen Kulturpolitik hervorragend ab. Ich bin den Organisatoren der Konferenz, der Kulturpolitischen Gesellschaft, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung außerordentlich dankbar, dass es Ihnen gelungen ist, international renommierte Referenten zu dieser Tagung einzuladen. Ich wünsche mir von dieser Tagung kräftige Impulse für das politische Handeln und nachdenkliche Anmerkungen, die dieses Handeln reflektieren helfen.

Meine Damen und Herren, an Europa zu bauen heißt, seine gemeinsame Kultur lebendig erhalten, die Vielfalt seiner Kulturen zu achten und zu stärken. Ein Ergebnis unserer gemeinsamen europäischen Tradition sind Werte wie Religionsfreiheit, Toleranz, Menschenrechte und Freiheit. Eine gemeinsame europäischer Kulturpolitik muss diese Werte kommunizieren.

Europa zeigte stets eine große Fähigkeit zur kulturellen Integration, ohne zugleich auf grundlegende Werte zu verzichten. Deshalb verbinden die Nationen Europas heute, trotz ihrer kulturellen Vielfalt im Detail, grundlegende Überzeugungen wie Toleranz und das Bekenntnis zu einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft.

Wir haben heute die Chance, dieses historische gewachsene Europa als kulturelle Tatsache neu zu begreifen. Eine europäische Kulturpolitik muss sich am Gemeinsamen in der Vielfalt orientieren. Nur so kann es gelingen, Europa eine von seinen Bürgern bejahte Identität und damit eine Seele zu geben.