Redner(in): Angela Merkel
Datum: 12.06.2007

Untertitel: am 12. Juni 2007 in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Herr Flug, Herr Jansen, Herr Kastrup, Herr Gentz, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/06/2007-06-12-rede-merkel-stiftung,layoutVariant=Druckansicht.html


ich bin heute sehr gerne zu diesem Empfang gekommen. Denn heute wird ein wichtiges Anliegen gewürdigt: Es ist endlich gelungen, vielen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern die versprochene humanitäre Unterstützung zukommen zu lassen.

Wir erinnern uns: Viele Menschen mussten während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten sei es etwa in der Industrie oder in der Landwirtschaft. Viele der Gefangenen haben dieses Martyrium nicht überlebt. Die, die überlebt haben, waren und sind körperlich und seelisch gezeichnet. Das Trauma aus dieser schrecklichen Zeit konnten sie kaum mehr abschütteln.

Wir alle wissen: Das zugefügte menschliche Leid kann mit finanziellen Mitteln niemals wiedergutgemacht werden. Umgekehrt darf dies aber nicht als Vorwand dazu dienen, den Opfern nationalsozialistischer Verbrechen humanitäre Leistungen zu verweigern. Deshalb sind seit Kriegsende rund 64Milliarden Euro an Wiedergutmachungen und Entschädigungen im Rahmen verschiedener Gesetze, Regelungen und Abkommen geleistet worden. Von Entschädigungsleistungen ausgenommen waren allerdings NS-Zwangsarbeiter. Hier handelt es sich überwiegend um Menschen aus Mittel- und Osteuropa. Im Gegensatz zu ihren westeuropäischen Leidensgenossen hatten sie keine Möglichkeiten, eine Entschädigung zu erhalten.

Nach dem Ende des Kalten Krieges konnte dieser Ungerechtigkeit endlich begegnet werden. Es wurden zahlreiche, zum Teil auch sehr schwierige internationale Verhandlungen geführt. Aus unterschiedlichen Interessen und Anliegen mussten Kompromisse herausgearbeitet werden, um zu einer zufriedenstellenden Lösung für alle Beteiligten, in erster Linie natürlich für die Opfer, zu kommen. Dies ist mit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gelungen.

Die Bundesstiftung hat sich in den vergangenen Jahren durch ihr Wirken international Respekt und Anerkennung erworben. Vor sechs Jahren begann sie mit der Auszahlung von Leistungen für ehemalige Zwangsarbeiter. Mit Hilfe ihrer Partnerorganisationen hat sie rund 4, 4Milliarden Euro an 1, 66Millionen NS-Opfer in der ganzen Welt ausgezahlt. Dabei möchte ich besonders den Partnerorganisationen danken, die den Opfern die finanzielle Unterstützung vor Ort schnell und unbürokratisch zukommen ließen.

Die Aussage eines Sohnes eines polnischen Zwangsarbeiters mag stellvertretend für viele stehen ich zitiere: "Ich freue mich, dass die deutsche Gesellschaft wenigstens teilweise versucht, unseren materiellen und moralischen Schaden auszugleichen. Schade, dass meine Eltern diese Genugtuung nicht mehr erlebt haben. Ich danke allen, die zur Versöhnung unserer Völker beigetragen haben." Zitatende.

Dass dies gelingen konnte, haben wir vornehmlich dem amerikanischen und dem deutschen Verhandlungsführer zu verdanken: Stuart Eizenstat und Ihnen, Graf Lambsdorff. Sie sind die Väter dieser historischen Einigung.

Ebenso dankbar bin ich den Unternehmen, die sich an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beteiligt haben. Erwähnen möchte ich dabei besonders den ehemaligen Sprecher der Stiftungsinitiative, Herrn Gentz. Wichtig finde ich, dass sich auch deutsche Firmen beteiligt haben, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden und somit in das NS-Unrechtsregime nicht verstrickt waren.

Der Erfolg der Stiftungsarbeit hat viele Mütter und Väter. Stellvertretend für die sehr engagierten Stiftungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter möchte ich den Vorstandsvorsitzenden, Herrn Jansen, und den Kuratoriumsvorsitzenden, Herrn Botschafter Kastrup, nennen. Beide sind unermüdlich für die Belange der NS-Opfer eingetreten.

Dank gebührt auch allen Fraktionen des Deutschen Bundestages. Ich erinnere an den Gesetzgebungsvorgang zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Von seiner Einbringung bis zur Verabschiedung wurde dieses Gesetz mit überwältigender Mehrheit unterstützt. Dieser Konsens drückt sich heute auch hier durch die Anwesenheit von Abgeordneten aller Parteien aus.

Kurzum: Allen, die dazu beigetragen haben, dass dieses weltweit beachtete politische Zeichen zustande kommen konnte, spreche ich meinen Respekt und meinen aufrichtigen Dank aus.

Die individuellen Auszahlungen sind zwar nun abgeschlossen worden, doch damit endet nicht die Tätigkeit der Bundesstiftung. Jetzt beginnt die verstärkte Hinwendung auf die erinnerungs- und zukunftsorientierte Zusammenarbeit. Dazu ist der Fonds "Erinnerung und Zukunft" als dauerhafte Einrichtung geschaffen worden.

Ich wünsche mir, dass die Bundesstiftung weiter dazu beitragen wird, die internationale Zusammenarbeit auf humanitärem Gebiet zu vertiefen, die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen als immerwährende Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland zu begreifen und heutigen totalitären Entwicklungen auf der Welt entgegenzuwirken. In diesem Sinne wünsche ich der Stiftung auch für die Zukunft allen Erfolg.

Ich danke Ihnen.