Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 14.06.2007
Untertitel: am 14. Juni 2007 in der Alten Nationalgalerie Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/06/2007-06-14-rede-neumann-immendorff,layoutVariant=Druckansicht.html
heute wäre Jörg Immendorff 62 Jahre alt geworden. Nun aber feiern wir nicht seinen Geburtstag, sondern versammeln uns zur gemeinsamen Trauer hier in der Alten Nationalgalerie, um seiner zu gedenken: Wir ehren ihn als einen der größten zeitgenössischen Künstler in Deutschland.
Dass ausgerechnet ein christdemokratischer Kulturstaatsminister sich nun voller Respekt vor ihm verneigt, würde Jörg Immendorff selbst vermutlich mit der ihm eigenen Ironie sarkastisch und drastisch auf seine Art kommentieren. Vielleicht würde er es aber einfach mit seinem Lieblingswort als "korrekt" bezeichnen."Korrekt" sagte er, wenn er sich wohl fühlte und mit einer Sache einverstanden war, aber auch, wenn er über seinen Beruf, seine Visionen, ja sogar, wenn er über seine Ängste sprach.
Sein Freund Tilman Spengler hat diesen ungewöhnlichen Umgang mit einem gewöhnlichen Attribut sehr schön in der ZEIT beschrieben.
Immendorff war ein politischer, ein umstürzlerischer, ein zorniger, ein provozierender Künstler von Anfang an. Selbst Joseph Beuys, der Meister, bei dem er studierte, und den er wie einen Vater liebte, bekam den Zorn des jungen Mannes zu spüren. Weil er sich gegen ihn, wie gegen alle Autoritäten und Herrschaftsverhältnisse auflehnte, wurde er der Akademie verwiesen und wurde Hauptschullehrer in Düsseldorf. Die Trennung von Beuys, sagte Immendorff 40 Jahre später,"wollte ich, musste ich wollen, habe ich provoziert."
Der verlorene Ersatzvater, blieb aber der Fixstern, um den er zeitlebens kreiste. Es sei ja kein Zufall, sagte er drei Jahre vor seinem Tode, dass in seinem Atelier das Foto des Meisters und dessen alte Weste, diese wie er es ironisch ausdrückte: "Kleinreliquie", hingen. Viel wichtiger aber sei das, bekannte er,"was noch von ihm in mir steckt." Er begann als Aktionskünstler. Wenn er in spätdadaistischer Pose den Nonsensbegriff LIDL als sein Markenzeichen erfand, wenn er auf Bilder nur Wörter malte: "Rennendes Pferd - Wiese - hauender Adler" wenn er proklamierte "Hört auf zu malen" oder wenn er - zwischenzeitlich bekennender Maoist - mit einem schwarz-rot-gold bemalten Holzklotz am Bein vor dem Bundestag in der alten Bundeshauptstadt Bonn herumhumpelte, bis die Polizei anrückte und ihn mit Ordnungsstrafen belegte, dann tat er dies nicht nur, um zu provozieren und aufzufallen. Hinter den frühen Provokationen schien schon das Thema auf, das ihn später als Meister und Schöpfer des Zyklus "Café Deutschland" berühmt machen sollte: Die geteilte, die gespaltene Nation.
1976 hatte Immendorff den Maler Penck in der DDR kennen gelernt. Er gründete mit ihm ein gesamtdeutsches "Kollektiv" - aber die Grenze störte und behinderte sie. Immendorff fand es
unerhört, dass er sich mit diesem Freund nicht verabreden und treffen konnte, wann immer er es wollte. Also versuchte er, die Mauer malend zu überwinden:
Mit seinem Bilderzyklus "Café Deutschland" wurde Immendorf international berühmt. Er selbst sagte dazu: "Für mich wurde das Gefühl, dass sich alle mit einem geteilten Deutschland abfanden, immer unerträglicher. Ich war nun der Einzige, der beinahe exzessiv gegen die Teilung angemalt hat."
Doch das Interesse an diesem Thema ist damals gering, und Immendorff findet eine neue Rolle. 1984 wird er Besitzer eines Hamburger Szenelokals. Ein neuer Bilderzyklus entsteht: Das "Café de Flore" in dem sich nun nicht die Mächtigen treffen, sondern die großen Künstler seines Jahrhunderts: Giorgio de Chirico, André Breton, Piero Manzoni und natürlich Immendorff selbst, mal als Kellner, mal als Biene, mal als Affe - Historienmalerei in der Tradition der alten deutschen Meister.
1998 wird die unheilbare Nervenkrankheit ALS bei Immendorff diagnostiziert. Den Tod vor Augen, arbeitet er nun erst recht wie ein Besessener. Nein, er habe keine Angst vor dem Tode, nur das Sterben jage ihm noch einen kleinen Schrecken ein."Mehr Angst habe ich eigentlich nicht, das finde ich auch ganz korrekt.", sagt er. Aus seinen Bildern verschwindet das - wie er es nennt - "erzählerische Lametta." Er reduziert seine Malerei auf das Wesentliche, bezieht sich auf Künstlerkollegen der deutschen Renaissance, zitiert Albrecht Dürer und Hans Baldung.
In den letzten Jahren malt er - selbst an den Rollstuhl gefesselt - nur noch mit den Händen anderer. Er dirigiert und die Helfer führen aus, was der Meister befiehlt. Auch das Bild seines Freundes Gerhard Schröder, das demnächst im Berliner Kanzleramt seinen Platz finden wird, entsteht auf diese Weise. So findet der Aktionskünstler und Maoist von einst demnächst sogar seinen Weg in die deutsche Regierungszentrale. Das könnte man fast als eine späte List der Geschichte bezeichnen, und es wäre beileibe nicht die schlechteste.
Denn in seinem politischen Engagement, in seiner fantastischen Querköpfigkeit und seinem grandiosen Kunstsinn, in seinen Leidenschaften und seinen Irrtümern war und ist Jörg Immendorff eine der großen Künstlerpersönlichkeiten unseres Landes. Je mehr ich auch Abschiede übe oder mir Abschiede vorzustellen habe ", hat er einmal gesagt," umso stärker verlasse ich mich auf die Hoffnung, dass ich genug hinterlassen habe, um dem Vergessen entgegenwirken zu können." Das ist ihm gelungen.