Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 27.06.2007

Untertitel: Staatsminister Bernd Neumann bilanziert in seiner Rede vor dem Kulturausschuss des Europaparlaments die deutsche Ratspräsidentschaft.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/06/2007-06-26-rede-neumann-ep-kulturausschuss,layoutVariant=Druckansicht.html


es ist mir eine große Freude, heute vor dem Kulturausschuss des Europäischen Parlaments eine Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft zu ziehen. Ich meine, wir haben in den letzten sechs Monaten wichtige Grundlagen für Europa gelegt, die für Kultur und audiovisuelle Medien wegweisend für die nächsten Jahre sein werden.

Das politisch bedeutendste Thema der deutschen Ratspräsidentschaft im Medienbereich war die Modernisierung der Fernsehrichtlinie. Wie Sie alle wissen, einigte sich der Rat am 24. Mai 2007 politisch auf einen Richtlinientext. Dank der konstruktiven Zusammenarbeit mit Ihnen, sehr geehrte Abgeordnete, wird die Richtlinie vermutlich Ende des Jahres 2007 in Kraft treten können. Danach haben die Mitgliedstaaten 24Monate für die Umsetzung Zeit. Der neue Rechtsrahmen für den audiovisuellen Sektor wird somit ab 2009 in allen Mitgliedstaaten Gültigkeit haben.

In enger Abstimmung mit der Berichterstatterin des Europäischen Parlaments und der europäischen Kommission hat die deutsche Ratspräsidentschaft von Anfang an das Ziel verfolgt, die Positionen der Europäischen Institutionen rasch zusammenzubringen, so dass eine Einigung in früher zweiter Lesung erfolgen kann. Einige haben dieses Ziel zu Beginn der Verhandlungen für zu ambitioniert gehalten. Und ich kann Ihnen versichern, es gab Momente in den letzten Monaten, in denen wir nicht sicher sein konnten, ob wir dieses Ziel tatsächlich erreichen würden. Aber wir haben es geschafft. Wir sind am Ziel angekommen.

Wir haben dieses Ziel aber nur deswegen erreicht, weil Sie uns alle sehr konstruktiv unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt der Berichterstatterin, Frau Ruth Hieronymi. Ihr ist es gelungen, mit kluger und ruhiger Hand die Vielzahl der anfänglich divergierenden Positionen hinter sich zu einen. Das war keine leichte Aufgabe. An dieser Stelle möchte ich deswegen Ihnen, Frau Hieronymi, aber auch allen ihren Kolleginnen und Kollegen, die an dem Zustandekommen des Kompromisses mitgewirkt haben, für ihre hervorragende Arbeit und Unterstützung danken.

Diese Richtlinie haben wir in einer extrem kurzen Zeit verabschiedet: Nicht einmal 17 Monate haben wir gebraucht, um nach der Vorlage des Kommissionsvorschlags den zentralen Grundstein dafür zu legen, dass sich die audiovisuelle und kulturelle Landschaft in Europa kreativ und erfolgreich weiter entwickeln kann. Blicken wir auf die Geschichte der Fernsehrichtlinie zurück, so muss man sagen, das ist ein absoluter Rekord. Der ersten Richtlinie, die im Jahre 1989 angenommen wurde, waren 3 Jahre Diskussion und Verhandlungen vorausgegangen, obwohl wir damals in der EU nur zu 12 waren. Bei der ersten Revision aus dem Jahre 1997, die EU war auf 15 angewachsen, waren es immerhin noch über zwei Jahre. Und nun - zu 27 - sind wir bei weniger als eineinhalb Jahren angelangt. So gesehen kann man weiteren Richtlinienrevisionen nur gelassen entgegen sehen.

Die neue Richtlinie reagiert auf ökonomische und technologische Veränderungen und schafft einen modernen Regelungsrahmen für europäische Anbieter neuer Angebote. Es werden faire Wettbewerbsbedingungen hergestellt und mehr Flexibilität für die Finanzierung audiovisueller Programme verwirklicht. Dieses rasche und - wie ich meine - sehr gute Ergebnis zeigt, dass die Politik den technischen und ökonomischen Entwicklungen gerade nicht immer nur weit hinterherhinkt.

Die Richtlinie ist aber auch aus gesellschaftspolitischen Gründen notwendig und das betone ich besonders vor diesem hohen Haus. Denn das Europäische Parlament hat eine Reihe von Regelungen in die Richtlinie eingebracht, die die Grundpfeiler des europäischen audiovisuellen Sektors bekräftigen. Diese Grundpfeiler sind die kulturelle Vielfalt, der Jugendschutz, der Verbraucherschutz, Medienpluralismus und Medienbildung, Bekämpfung von Rassen- und religiösem Hass sowie die verbesserte Teilnahme von Behinderten am sozialen Leben. Diese zentralen Eckpunkte unserer demokratischen Gesellschaften müssen wir auch in Zukunft in allen audiovisuellen Mediendiensten schützen.

Der sensibelste Punkt der Richtlinie ist das Herkunftslandprinzip. Dieser Aspekt war sicherlich der umstrittenste Punkt und zwar sowohl im Rat als auch im Parlament und nicht zuletzt zwischen Rat und Parlament. Wir haben in einer großen Kraftanstrengung eine Lösung gefunden, die eine gute Lösung ist.

Denn das auf den vertraglichen Grundlagen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit beruhende Prinzip ist und bleibt das Kernstück der Richtlinie. Die neue Richtlinie steht damit in vollem Einklang mit den grundlegenden Prinzipen des Vertrages. Wir nehmen in der Richtlinie eine Kodifizierung des einschlägigen Fallrechts des Europäischen Gerichtshofes vor und kombinieren das mit einfachen und praktischen Verfahren der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Dadurch werden die vertraglich garantierten Freiheiten, so wie sie auch vom Europäischen Gerichtshof in verschiedenen Urteilen ausgelegt wurden - etwa bei der Definition von "Umgehung" - vollständig geachtet.

Sicherlich, diese Richtlinie muss sich in der Praxis erst bewähren und bis dahin liegt noch ein Stück Weg vor uns. Aber ich bin sicher, diese Richtlinie wird den Praxistest bestehen und sich als Grundlage einer kreativen und ökonomisch erfolgreichen europäischen audiovisuellen Landschaft erweisen.

Einen weiteren Schwerpunkt der Ratspräsidentschaft im Kulturbereich bildete die Kulturwirtschaft. Dieses Thema ist in letzter Zeit immer mehr in den Vordergrund der Arbeit des Kulturrates gerückt, und je mehr wir uns damit beschäftigt haben, umso deutlicher wurde das Potential des Kultur- und Kreativbereiches für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in Europa. Aus diesem Grund wurden unter deutscher Ratspräsidentschaft Schlussfolgerungen des Rates über den Beitrag des Kultur- und Kreativbereiches zur Verwirklichung der Lissabon-Ziele erarbeitet, die am 24. Mai auf dem formellen Rat hier in Brüssel beschlossen wurden. Die Ratsschlussfolgerungen setzen ein klares politisches Signal: Kultur und Wirtschaft schließen sich nicht gegenseitig aus! Vielmehr liegen im Wechselspiel zwischen Kultur und Wirtschaft für alle Beteiligten große Chancen. Bereits auf dem informellen Rat in Berlin im Februar hat zwischen den in Europa für Kultur zuständigen Ministerinnen und Ministern daher Einigkeit über die Notwendigkeit einer gemeinsamen Strategie zur Entwicklung der Kulturwirtschaft bestanden. Wir haben jetzt das Stadium erreicht, in dem unsere Überlegungen in Ratsschlussfolgerungen verankert wurden, die die Basis für ein zukünftiges Tätigwerden in vier Bereichen legen:

Zunächst und vor allem geht es um die Sammlung von Daten, um zu abgestimmten Kulturstatistiken auf europäischer Ebene zu kommen. Die Minister haben schon im vergangenen November danach gefragt, und in der Tat bedarf es belastbarer Daten, um alle Beteiligten davon zu überzeugen, dass sie Kultur und Kreativität in die Formulierung ihrer Politik einbeziehen. Ein weiterer Handlungsauftrag ist es, die Aus- und Fortbildung im Kultur- und Kreativbereich zu stärken. Dies müssen wir als wechselseitigen Prozess sehen: Wir müssen die Kulturschaffenden ermutigen, betriebliche und unternehmerische Fähigkeiten zu erwerben, aber auch in der Geschäftswelt muss das Bewusstsein für das Entwicklungspotential des Kulturbereiches geschärft werden. Zu Recht wie ich finde hat auch die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung diesen Aspekt als zukünftiges Aktionsfeld hervorgehoben. Die vollständige Ausschöpfung des Potentials der kleinen und mittleren Unternehmen im Kultur- und Kreativbereich ist ebenfalls von herausragender Bedeutung. Wie Sie wissen, hat der Europäische Rat im März betont, dass ein besonderes Augenmerk der Förderung des Potenzials der kleinen und mittleren Unternehmen gelten sollte, da diese für Wachstum, Beschäftigung und Innovation eine treibende Kraft darstellen, und dabei hat er die kleinen und mittleren Unternehmen im Kultur- und Kreativbereich ausdrücklich hervorgehoben. Mit unseren konkreten Vorschlägen haben wir hierfür die Richtung vorgegeben. Schließlich müssen vorhandene Gemeinschaftsstrukturen, -programme und -initiativen besser genutzt werden, um das Potential des Kultur- und Kreativbereiches weiter zu entwickeln.

Wir haben während der Ratspräsidentschaft auch eine große Anzahl Fachkonferenzen angeboten. Für diese haben wir bewusst Themen ausgewählt, die die europäische Medien- und Kulturpolitik auch künftig prägen werden. So wurden Konferenzen zur kulturellen Vielfalt, zur Digitalisierung von Kulturgut, zur Mobilität von Sammlungen, zur Kulturwirtschaft und zu digitalen Medien sehr erfolgreich durchgeführt. Ganz im Sinne einer kohärenten und nachhaltigen europäischen Medien- und Kulturpolitik wurde damit einerseits die Arbeit der vorangegangenen, insbesondere der österreichischen und finnischen Ratspräsidentschaften fortgesetzt, andererseits aber auch Themenfelder zur Weiterführung durch nachfolgende Präsidentschaften aufbereitet. Es hat sich gezeigt, dass die intensive europäische Kooperation in allen genannten Bereichen als Voraussetzung auch der zukünftigen Medien- und Kulturpolitik in und für Europa angesehen werden muss.

Neben diesen wichtigen, aber doch sehr theoretischen Diskussionen gab es während der deutschen Ratspräsidentschaft Kunst und Kultur auch sozusagen zum Anfassen. Mit Kunstveranstaltungen präsentierte sich Deutschland als große europäische Kulturnation. Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen die Ausstellung "Blicke auf Europa" im Palais des Beaux-Arts gesehen. Thema dieser Ausstellung war die Wahrnehmung Europas in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts. Zu sehen warenrund 150 eindrucksvolle Meisterwerke der deutschen Kunst von Karl Friedrich Schinkel über Caspar David Friedrich bis zu Max Liebermann.

Wer es lieber zeitgenössisch mag, kam bei der Ausstellung der Bundeskunstsammlung auf seine "Kosten". Unter dem Titel "Visit [e]" konnte man Werke von Joseph Beuys, Gerhard Richter und Rebecca Horn aber auch jüngerer Künstlerinnen und Künstler wie Jonathan Meese, Neo Rauch oder Tacita Dean bestaunen.

Insgesamt also haben wir sehr anstrengende aber auch vielfältige und interessante sechs Monaten hinter uns. Ich danke Ihnen für ihre fruchtbare und hilfreiche Unterstützung, die es uns möglich gemacht hat, die deutsche Ratspräsidentschaft so erfolgreich abzuschließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.