Redner(in): Michael Naumann
Datum: 22.05.2000
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/36/11236/multi.htm
Seit meinem Amtsantritt habe ich mich für eine Reform des Stiftungsrechtes eingesetzt, um den Stiftungsgedanken wieder in die Mitte der Bürgergesellschaft zu tragen. Die Regierungsfraktionen und an ihrer Spitze der Bundeskanzler sind sich darüber einig, dass sich politische Maßnahmen zum Thema Bürgerengagement nicht in Sonntagsreden erschöpfen dürfen, sondern konkretes Tun dringend erforderlich ist. Dies soll unsere Gesellschaft dazu animieren, die zu Beginn dieses Jahrhunderts im Vergleich zu heute paradiesischen Zustände im Stiftungswesen wieder herzustellen. Gab es doch vor 100 Jahren in Deutschland rund 100.000 Stiftungen, während die heute registrierten sich auf lediglich 9.000 bis 10.000 belaufen. I. Einen vordringlichen Änderungsbedarf haben wir zunächst auf der steuerlichen Seite gesehen. Die Regierungsfraktionen brachten daher Ende vergangenen Jahres das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen in den Bundestag ein und verabschiedeten es dann mit ihrer Parlamentsmehrheit am 24. März 2000. Allerdings hat hierzu, wie Sie vielleicht in der Zeitung gelesen haben, der Bundesrat am vergangenen Freitag den Vermittlungsausschuss angerufen, worauf ich noch zu sprechen komme. Das vom Bundestag beschlossene Gesetz zur steuerlichen Förderung von Stiftungen sieht Erleichterungen in vier wichtigen Punkten vor, die rückwirkend zum 1. Januar 2000 in Kraft treten sollen: Es wird ein Sonderausgabenabzug für Spenden an privatrechtliche Stiftungen von bis zu 40.000 Mark eingeführt, zusätzlich zu der bisher bestehenden Spendenabzugsmöglichkeit von fünf Prozent bzw. für Kultur und Wissenschaft zehn Prozent des Gesamtbetrags der jährlichen Einkünfte. Uns geht es mit der 40. 000-Mark-Regelung vor allem darum, kleinere und mittlere Vermögen stärker an die Stiftungsidee heranzuführen. Diese Maßnahme ermöglicht ein nachhaltiges Engagement zur Gründung und Unterstützung von Bürgerstiftungen - eine Konzeption, die aus unserer Sicht durch den 100 % igen Steuerbonus für Spendenbeiträge bis zu 40.000 Mark einen kräftigen Schub erfahren würde. Bürgerstiftungen sind wichtige Instrumente im Bereich der privaten Kulturförderung. Sie können vor Ort die kulturelle Vielfalt einer Stadt oder Region sichern und sind damit Ausdruck eines gelebten Subsidiaritätsprinzips. Durch die seitens der Regierungskoalition beschlossene Sonderabzugsregelung können wir noch mehr Menschen ermutigen und anregen, durch Zustiften von 5.000, 10.000 oder gar 40.000 Mark praktischen Bürgersinn zu zeigen. Wir wollen damit eine aktive Bürgergesellschaft fördern. Durch die Erweiterung des Buchwertprivilegs sowie die Befreiung der Erben von der Erbschaftssteuer, wenn sie ererbtes Vermögen an eine gemeinnützige Stiftung weitergeben, enthält das vom Bundestag beschlossene Gesetz durchaus auch interessante Anreize für größere Vermögen. Dennoch kann der Staat die wirklich großen Vermögen letztlich nicht entscheidend mit steuerrechtlichen Vergünstigungen locken. Hier sind ideelle Werte weitaus wichtiger. Dazu gehört vor allem die Schaffung eines stiftungsfreundlichen Klimas, was sich nicht zuletzt im Umgang von Stiftungsbehörden und Finanzämtern mit potenziellen Stiftern, aber auch in der öffentlichen Würdigung von Stiftern zeigen muss. Durch die schließlich vorgesehene Erweiterung der Möglichkeit der Rücklagenbildung steuerbefreiter Stiftungen ( von bisher 1/4 auf 1/3 der jährlichen Erträge ) soll ihre Leistungsfähigkeit verbessert und erhalten werden. Diesem Gesetz hat der Bundesrat am vergangenen Freitag allerdings, wie bereits gesagt, nicht zugestimmt, sondern es wurde der Vermittlungsausschuss angerufen. Die SPD-geführten Bundesländer wollen die Steuerausfälle angesichts der unbestreitbar angespannten Lage der öffentlichen Haushalte stärker begrenzen. Die CDU / CSU- geführten Bundesländer kündigen an, im Vermittlungsverfahren noch bessere finanzielle Konditionen für Stiftungen durchsetzen zu wollen. Allerdings werden sie wohl intern kaum davon ausgehen, dass ihre Versprechungen in dem derzeit vorgeschlagenen Umfang haushaltspolitisch realisierbar sind. Aus kulturpolitischer Sicht sind zur Förderung des Stiftungswesens sicherlich alle Initiativen und Ideen begrüßenswert, wenn sie eine Verbesserung der steuerlichen Situation von Stiftungen zum Ziel haben. Es ist auch das gute Recht der Verbände, stets noch etwas mehr zu fordern. Doch haben wir in Berlin vor Einbringung des Gesetzes mit dem Bundesfinanzminister die finanziellen Spielräume ausgelotet. Und die sind eng, auch wenn die CDU / CSU-geführten Länder jetzt plötzlich auf wundersame Weise in ihren Haushalten scheinbar erhebliche Reserven entdecken, insbesondere für die auch von mir als langfristiges Ziel angestrebte Verdopplung des Spendenhöchstbetrages von fünf auf zehn Prozent und für Kultur und Wissenschaft von zehn auf zwanzig Prozent. Im Vermittlungsausschuss wird für die unionsregierten Länder die Stunde der Wahrheit kommen. Eines möchte ich aber deutlich festhalten: Die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass jetzt nicht immerfort neue Vorschläge kreiert und jahrelang diskutiert werden, sondern endlich "Nägel mit Köpfen" gemacht werden. Die Regierungskoalition hat ihren Beitrag dazu geleistet. Wenn der Bundesrat jetzt den Vermittlungsausschuss angerufen hat und sich dadurch die seit langem überfällige Reform verzögert, darf damit keine Verschlechterung gegenüber dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz einhergehen. Vielmehr erwarte ich jetzt weitere steuerliche Zugeständnisse der Länder. Die Landesfinanzminister sind angesichts der öffentlichen Erwartungen gut beraten, nicht hinter die vom Bundestag beschlossenen Verbesserungen zurückzugehen. Der Bund jedenfalls wird das nicht zulassen. Die Initiative zum Stiftungssteuerrecht, die seinerzeit durch Bundeskanzler Schröder persönlich auf dem SPD-Bundesparteitag im Dezember vergangenen Jahres angekündigt worden ist, hat sicherlich nicht unerheblich zu dem festzustellenden Stimmungsumschwung und der positiven Bewertung der Regierungsarbeit in Berlin beigetragen. Wir werden uns diesen Erfolg nicht nehmen lassen. Denn wir haben unsere Koalitionsvereinbarung, steuerpolitische Hemmnisse für eine aktive Stiftungskultur zu beseitigen, als klare Verpflichtung zum gesetzgeberischen Handeln aufgefasst. Darin unterscheiden wir uns von der Vorgängerregierung mit ihren Versprechungen, bei denen sie es dann auch belassen hat. Mit der konkreten Gesetzesinitiative zur Verbesserung des Stiftungssteuerrechts ist uns - auch in der öffentlichen Wahrnehmung - ein entscheidender Durchbruch gelungen. Und ich bin sicher: Wir haben damit eine neue Stiftungsoffensive in Deutschland eingeleitet. Dies gilt auch und gerade für den Kulturbereich. Bei vielen Veranstaltungen und Begegnungen stelle ich immer wieder fest, dass bereits die seit vergangenem Herbst geführte breite öffentliche Diskussion über eine Stiftungsreform Früchte trägt. Kulturschaffende wie Kulturfördernde haben die Stiftungen neu entdeckt. Indem wir die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes durch bessere steuerliche Anreize zum Stiften "anstiften", wollen wir natürlich neue Geldquellen für die Kultur erschließen - ohne freilich den Rückzug des Staates aus der Kulturförderung einzuläuten. Vielmehr geht es um eine sinnvolle Ergänzung und Arbeitsteilung. Privates finanzielles Engagement soll stärker als bisher ein zweites Standbein der Kultur werden - wenn Sie so wollen, ist es eher das Spielbein, das für Beweglichkeit sorgt. Gerade Stiftungen mit kalkulierbaren jährlichen Ausschüttungen können die Abhängigkeit der Kultur von öffentlichen Zuwendungen verringern, die auch in den nächsten Jahren eher zurückgehen als zunehmen werden. Kommunale Kultureinrichtungen und insbesondere Museen erkennen zunehmend eine Chance darin, sich durch Umwandlung in eine Stiftung und Einwerbung von Zustiftungen aus den Fesseln des öffentlichen Haushaltsrechts zu befreien. Stiftungen eröffnen aber auch neue Teilhabemöglichkeiten der Bürger am kulturellen Leben - sie sind Ausdruck einer selbstbewussten Bürgergesellschaft. II. Bei der Umsetzung der in der Koalitionsvereinbarung angekündigten Reform des Stiftungsrechts haben wir die steuerrechtlichen Fragen vorgezogen, weil zum zivilrechtlichen Teil, also den Regelungen über Stiftungsgründung und Stiftungsaufsicht, noch eingehende Erörterungen mit den Bundesländern erforderlich sind. Maßgebliche Vertreter aus den Koalitionsfraktionen haben allerdings schon im Bundestag angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode eine Gesetzesinitiative zum zivilen Stiftungsrecht zu beschließen. Die Bundesregierung und die Länder haben sich zur Prüfung der Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen auf die Errichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum zivilen Stiftungsrecht verständigt. Diese wird in Kürze unter der Leitung des Bundesjustizministeriums ihre Arbeit aufnehmen, das innerhalb der Bundesregierung für Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuches federführend ist. Als Kulturbeauftragter der Bundesregierung werde ich durch einen Mitarbeiter meiner Behörde in der Arbeitsgruppe vertreten sein und mich - wie bereits beim steuerrechtlichen Teil - auch in die Reformdiskussion zum materiellen Stiftungsrecht aktiv beteiligen. In dieser Bund-Länder-Arbeitsgruppe sollen nach Auffassung der Bundesregierung alle Vorschläge ohne Vorbehalte und ergebnisoffen geprüft werden. Das gegenwärtige zivilrechtliche Stiftungsrecht ist nach Ansicht vieler Experten eine der Ursachen für die im internationalen Vergleich noch erheblich ausbaufähige Rolle des Stiftungswesens in Deutschland. Dem derzeitigen Bundesrecht in den Paragrafen 80 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches liegen teilweise noch obrigkeitsstaatliche Konzepte aus dem Kaiserreich zu Grunde. Es wird zu prüfen sein, inwieweit ein modernes Stiftungsrecht da Änderungen erforderlich macht. In unserem Bundespräsidenten haben wir einen wichtigen Verbündeten, erst jüngst hat er öffentlich eine Entbürokratisierung des Stiftungsrechts angemahnt. Unser Ziel besteht darin, einfache Errichtungsverfahren zu ermöglichen, die potenzielle Stifter ermutigen und unterstützen. Die Funktion der Stiftungsbehörden soll in erster Linie eine beratende sein. Der Stifter muss dort einen "Service aus einer Hand" erhalten, also eine umfassende Beratung und Klärung auch der steuerlichen Aspekte seines Stiftungsprojekts. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass verantwortliche Landespolitiker sich solchen Ideen nicht verschließen. Denn zum einen führen sie zu einer Aufwertung der Landesstiftungsbehörden. Und angesichts der diffizilen Situation der öffentlichen Haushalte, auch auf Landes- und kommunaler Ebene, würde ich mich nicht wundern, wenn wir demnächst einen Wettbewerb der Länder um das bürger- und stiftungsfreundlichste Anerkennungs- und Aufsichtsverfahren für Stiftungen erhalten. Denn die Zunahme gemeinwohlorientierter Stiftungen liegt im wohlverstandenen Interesse jedes verantwortungsvollen Politikers. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat am 4. Oktober 1999 anlässlich des Richtfestes der Nationalgalerie in Berlin die Zielsetzung der Bundesregierung klar umrissen: "Mit ersten Schritten zur Reform des Stiftungsrechts wird unsere Regierung den Weg ebnen zu einer mäzenatisch eingestimmten Bürgergesellschaft - nicht, weil sich der Staat vor seiner kulturpolitischen Verantwortung drücken will, sondern, im Gegenteil, weil die großen Aufgaben der Restauration von Museen und Kulturdenkmälern in ganz Deutschland sich uns allen stellt, in gemeinsamer Verantwortung. ( ... ) Kulturelles mäzenatisches Engagement des Einzelnen gilt in manchen anderen Nationen als heitere, ja, stolze Teilnahme an jenem Gespräch, in dem eine Gesellschaft darüber nachdenkt, was sie ist, was sie will, was sie ordnet und was sie in Zweifel zieht. Und immer waren es die Künste, die in dieser Diskussion die interessantesten und manchmal auch die schönsten Akzente setzten. Ohne sie würden wir verstummen." III. Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige grundsätzliche Anmerkungen machen: Stiftungen schaffen Freiräume. Sie können dadurch wesentlich zur grundgesetzlich garantierten Freiheit von Kunst und Kultur beitragen. Wir müssen in der Kulturförderung neue Wege gehen - oder wie bei den Stiftungen jahrhundertealte Förderungsinstrumente zu neuem Leben erblühen lassen. Und die Politik - sei es auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene - hat dafür die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Denn eines kann ich nur immer wieder betonen: Kulturfreundliche, also die spezifischen Belange der Kultur berücksichtigende Gesetze und Rechtsvorschriften sind eine Form der Kulturförderung, die à la longue für die Pflege und Entwicklung der Kultur wichtiger sein können als die direkte finanzielle Förderung von Institutionen und Projekten aus öffentlichen Haushaltsmitteln. Stiftungen sind aber nicht nur Finanzierungsinstrumente. Stiftungen eröffnen vor allem - man kann dies nicht oft genug hervorheben - neue Teilhabemöglichkeiten der Bürger am kulturellen Leben. Die kulturelle Vielfalt eines Landes bemisst sich eben nicht allein an der Zahl der Staatsopern - sie zeigt sich darin, inwieweit Kultur "von unten" getragen wird. Sie entsteht im pluralistischen Spiel der künstlerischen Kräfte, an dem der Staat nur einen begrenzten Anteil hat. Der Staat lebt vom Engagement seiner Bürger. Der Trend in der westlichen Welt, nicht nur in Deutschland, ist offenkundig: Vom staatlichen Gemeinwohlmonopol zur Pluralität von Gemeinwohlakteuren. Es zeichnet gerade den freiheitlichen Staat aus, dass er privater Initiative den notwendigen Raum belässt, ihr keine bürokratischen Fesseln anlegt und, wenn möglich, privates Engagement nicht nur schützt, sondern auch aktiv fördert. Natürlich setze ich nicht nur auf einen Stiftungsfrühling als Folge von Gesetzesänderungen. Genau so wichtig ist mir der öffentliche Dialog über die immensen Chancen und Perspektiven, die der Stiftungsgedanke Kunst und Kultur eröffnet. Um eine neue Stiftungskultur oder, mit Ralf Dahrendorf gesprochen, eine "Kultur des Gebens" in Deutschland zu schaffen, müssen die Bedeutung und die Leistungen von Stiftern und Stiftungen mehr als bisher vom Staat, aber auch von den Medien ins öffentliche Bewusstsein gerückt und entsprechend anerkannt werden. Deshalb bin ich Ihrer Einladung, im Münchner KulturForum zu Ihnen zu sprechen, sehr gerne gefolgt.