Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 23.05.2000

Anrede: Sehr geehrter Herr Bundespräsident, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/59/10159/multi.htm


ich danke Ihnen und den Mitgliedern der Kommission ganz herzlich für Ihre Arbeit, die Sie mit der Vorlage Ihres Berichtes zur Zukunft der Bundeswehr abschließen. Das heutige Datum ist dafür mit Bedacht gewählt: Es ist der 51. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes.

Das Grundgesetz hat die Grundlage geschaffen für den Aufbau eines demokratischen Verfassungsstaates. Gewaltenteilung, Föderalismus und parlamentarische Demokratie haben, zusammen mit der Sozialen Marktwirtschaft und der Westbindung, ein stabiles und erfolgreiches Regierungssystem in der Bundesrepublik ermöglicht.

Die Bundeswehr war in dieser Republik keineswegs von Anfang an selbstverständlich.

Das Stichwort der "Wiederbewaffnung" führte damals zu Kontroversen, die ins Mark der noch jungen Demokratie gingen. Am Ende war es aber nicht allein die Bedrohung durch den Kalten Krieg, die dafür sorgte, dass die neue Armee von der Bevölkerung akzeptiert wurde.

Es waren ganz wesentlich zwei Faktoren, die die Verankerung im demokratischen Gemeinwesen sicherten:

Zum einen war das die Erfahrung der Menschen, dass Soldaten, die für die Sache der Demokratie kämpften, unmittelbar Hilfe leisten konnten und wollten. Die Einsätze der Bundeswehr bei der Oderflut bleiben unvergessen.

Zum anderen wurde auch rasch klar, dass die neu entstehende Bundeswehr gerade nicht in der verhängnisvollen Tradition des deutschen Militarismus stand.

Die Konzepte der "Inneren Führung" und der "Staatsbürger in Uniform" haben die Menschen überzeugt, dass die Streitkräfte des jungen Staates tatsächlich eine demo-kratische Bundeswehr waren.

Eine Armee, die nicht "Schule der Nation" im wilhelminischen Sinne ist, die sich aber um die Schulung ihrer Angehörigen verdient macht, das ist die Tradition dieser Bundeswehr, die auf dem Boden und zur Verteidigung unseres Grundgesetzes entstanden ist.

Aber, und das gilt es heute festzuhalten, nach dem sicherheitspolitischen Umbruch in Europa, der vor nunmehr zehn Jahren begonnen hat, führt an einer Neuausrichtung der deutschen Streitkräfte kein Weg mehr vorbei. Das haben alle Verantwortlichen gewusst.

Es bedurfte aber bekanntlich erst des Regierungswechsels in Deutschland, um sich dieser Aufgabe wirklich anzunehmen.

Dabei geht es überhaupt nicht um Parteipolitik. Vielleicht war es einfach nötig, den Generationswechsel und den Ortswechsel in der deutschen Politik zu vollziehen, um den neuen Realitäten endlich ins Auge zu sehen.

Es war dem Verteidigungsminister Rudolf Scharping ein gewichtiges Anliegen, Altbundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker für den Vorsitz dieser Kommission zu gewinnen, die uns Vorschläge für die Bewältigung der neuen, komplexen Aufgaben der Sicherheitspolitik machen wird.

Einer Sicherheitspolitik für die nunmehr vollständig souveräne und handlungsfähige, aber damit auch handlungspflichtige, Bundesrepublik Deutschland.

Auch die Bundeswehr musste sich diesem Wandel bereits stellen. Ich erinnere an die Beteiligung unserer Soldaten an den Einsätzen in Kambodscha, Somalia, Bosnien und im Kosovo.

Die Bundeswehr hat diese für sie neuen Aufgaben mit viel Engagement bewältigt und die Anerkennung bei der Bevölkerung und unseren Alliierten redlich verdient. Die fällige Neuorientierung der Streitkräfte ist keine leichte Aufgabe. Deshalb müssen die Entscheidungen von vorn herein auf ein möglichst breites politisches und gesellschaftliches Fundament gestellt werden.

Ein wesentlicher Teil dieses Fundaments ist eine sicherheitspolitische Analyse, die nicht von Denk-Vorgaben eingeengt wird, die nicht tagespolitischem Kalkül Rechnung tragen muss, aber sehr wohl unsere internationale Handlungsfähigkeit, unsere Verlässlichkeit und die Einlösung der Verpflichtungen, die wir im Rahmen von NATO und Europäischer Union eingegangen sind, in Betracht zu ziehen hat.

Und, meine Damen und Herren, nicht zuletzt geht es um die Zukunft hunderttausender Menschen in der Bundeswehr und ihrer Familien.

Der Bitte der Bundesregierung, sich dieser überaus anspruchsvollen Aufgabe zu stellen, haben Sie, Herr von Weizsäcker, und die weiteren von Bundesverteidigungsminister Scharping berufenen Mitglieder der Kommission entsprochen. Dafür gebührt Ihnen unser besonderer Dank.

Dass dann auch noch der ursprüngliche Zeitansatz um knapp vier Monate gekürzt werden konnte, ist ausschließlich Ihrem Engagement zu verdanken.

Das erlaubt uns, nun endlich Planungssicherheit zu schaffen.

Meine Damen und Herren,

neue Ideen finden oft nur langsam Akzeptanz. Sie sind den einen zu futuristisch und den anderen zu wenig revolutionär.

Sie, die Mitglieder der Kommission, waren sich dieser Gefahr sehr wohl bewusst und haben die Aufgabe dennoch beherzt angenommen und Ihren Sachverstand, Ihre Urteilsfähigkeit und Ihre Kreativität für die Lösung der Probleme eingesetzt.

Sie haben, das kann man heute gewiss schon sagen, mit Ihrem Bericht für die deutsche Sicherheitspolitik einen historisch zu nennenden Meilenstein gesetzt.

Ihre Empfehlungen werden eine wesentliche Grundlage für die Entscheidungen der Bundesregierung und damit für die Gestaltung des zukünftigen Profils der deutschen Streitkräfte im Bündnis, in Europa und im Konzert der Vereinten Nationen sein.

Ich danke Ihnen, Herr von Weizsäcker, und den Mitgliedern der Kommission für Ihre Arbeit und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute.