Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 28.06.2007

Untertitel: am 28. Juni 2007, an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster
Anrede: Sehr geehrter Herr Dekan, sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/06/2007-06-28-rede-chefbk-uni-muenster,layoutVariant=Druckansicht.html


Sperrfrist: Redebeginn

liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,

ich freue mich, heute meine "Alma Mater" zu besuchen und an meiner Heimat-Fakultät vortragen zu können.

Denn ich habe, wie einige von Ihnen vielleicht wissen, an der Universität Münster von 1974 bis 1979 Jura studiert, und wurde 1986 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät promoviert.

Hier im H 1 haben wir u. a. eine Veranstaltung mit Prof. Biedenkopf und dem damaligen Wissenschaftsminister von NRW, Johannes Rau, durchgeführt. Viel hat sich hier wenn ich es recht sehe bis heute nicht verändert.

Nun bin ich heute allerdings nicht hier, um eine rechtswissenschaftliche Vorlesung zu halten, sondern um Ihnen einen Einblick in Ergebnisse der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu geben und einen Blick in die "Werkstatt" zu gewähren.

I. Bilanz

Die Bundeskanzlerin hat am 27. Juni in einer Rede vor dem Europäischen Parlament bereits offiziell Bilanz gezogen.

Ebenfalls am 27. Juni haben wir im Bundeskabinett die Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet. Einzelheiten finden Sie unter www.bundesregierung.de.

Grundsätzlich gibt es für den Rat stets ein Arbeitsprogramm, in dem die Agenda für einen gewissen Zeitraum festgelegt wird. Das Bundeskabinett hat das Arbeitsprogramm des deutschen Vorsitzes am 29. November 2006 beschlossen.

Darin berücksichtigt sind auch alle Vorhaben, die uns die Kommission für das erste Halbjahr 2007 auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Viele der Themen, die auf der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft standen, sind Pflicht-Themen, die wir von früheren Vorsitzen "geerbt" haben:

Bei ihnen handelt es sich um die Umsetzung von Ratsbeschlüssen, Vorhaben der Kommission und laufende Gesetzgebungsverfahren.

Ein halbes Jahr Präsidentschaft ist kurz. Wir haben deshalb mit Portugal, die zum 1. Juli 2007 die Präsidentschaft übernehmen, und dem danach folgenden Slowenien als Trio-Präsidentschaft ein 18-monatiges Arbeitsprogramm verabredet.

Aber Deutschland hat in seinem Arbeitsprogramm auch deutlich gemacht, dass es bestimmte politische Schwerpunkte selbst setzen will:

1 )

Für die Fortsetzung des EU-Verfassungsvertragsprozesses

2 )

Für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU

3 )

Für eine integrierte Energie- und Klimaschutzpolitik

4 ) Für die Fortentwicklung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

5 )

Für die Fortentwicklung der EU-Außenbeziehungen.

Es sind gerade diese Themen, die vom besonderen Engagement der Bundesregierung, insbesondere aber der Bundeskanzlerin als Vorsitzender des Europäischen Rates, abhängen. Das istgewissermaßen die Kür einer Präsidentschaft.

Aus dem Gesamtprogramm möchte ich ein paar Vorhaben genauer vorstellen:

1. Bilanz Justizpolitik

Lassen Sie mich dies für einen Bereich etwas ausführlicher beschreiben, der Sie vermutlich besonders interessiert: die Zusammenarbeit im justiziellen Bereich.

Wir hatten uns für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft drei Ziele aus dem Bereich "Justiz" vorgenommen:

die Stärkung der Bürgerrechte,

mehr Rechtssicherheit für Bürger und Wirtschaft und

die Stärkung der praktischen justiziellen Zusammenarbeit.

Aus dem Zivilrecht haben uns insbesondere Fortschritte bei den folgenden Dossiers diesen Zielen zumindest einen großen Schritt näher gebracht:

Der April-Rat der Justiz- und Innenminister hat eine intensive Diskussion über die so genannte Rom III-Verordnung und die vom Vorsitz dazu vorgelegten Leitlinien geführt.

Die Verordnung soll das anwendbare Recht in Scheidungssachen regeln und sicherstellen, dass ein und dieselbe Ehe in allen EU-Mitgliedstaaten nach ein und demselben Recht geschieden wird. Hierbei müssen wir beachten, dass es in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtsstrukturen gibt. Eine europaweite Vereinheitlichung ist daher kein einfaches Vorhaben.

Die weit überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten ist mit der Einführung von europäischen Vorschriften zur Gerichts- und Rechtswahl einverstanden.

Sie befürwortet außerdem eine Vereinheitlichung der Regelungen über das anwendbare Recht bei Fehlen einer Rechtswahlvereinbarung.

Beides sind wichtige Schritte, um die Parteiautonomie zu stärken und mehr Rechtssicherheit in Ehescheidungen mit internationalem Hintergrund zu bringen.

Auch bei der Unterhaltsverordnung konnten wir Einvernehmen über verschiedene Eckpunkte erzielen.

Ziel der Verordnung ist es, die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen innerhalb der EU zu erleichtern.

Unterhaltsschuldnern soll es nicht länger möglich sein, sich innerhalb der Europäischen Union hinter Grenzen zu verstecken.

Diesem Ziel sind wir durch die Einigung darüber, dass das so genannte Exequaturverfahren abgeschafft wird, einen großen Schritt näher gekommen.

Jede Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts wird künftig in allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ohne jedes Zwischenverfahren vollstreckbar sein.

Ferner konnte die deutsche Präsidentschaft auf dem Wettbewerbsfähigkeitsrat im Mai eine politische Einigung über die Revision der geltenden Verbraucherkreditrichtlinien erreichen.

Dies stellt einen großen Erfolg in einem langwierigen und schwierigen Dossier dar. Wenn nun das Europäische Parlament ebenfalls zustimmt, werden wir bei den Verbraucherkrediten ein hohes, vor allem aber ein vergleichbares bzw. einheitliches Verbraucherschutzniveau erlangen können.

Beispielsweise hätten die Verbraucher dann europaweit ein 14-tägiges Widerrufsrecht und würden überall dieselben vorvertraglichen Informationen in der Form eines Standardblattes erhalten.

Im Strafrecht ist insbesondere das von uns vorangetriebene Projekt zur europaweiten Vernetzung der Strafregister der Mitgliedstaaten zu nennen.

Der vorgeschlagene Rahmenbeschluss sieht vor, dass Strafurteile über EU-Bürger von dem Mitgliedstaat, in dem sie ergangen sind, auf elektronischem Wege an den Heimatstaat des Verurteilten übermittelt werden.

Dort sollen sie gespeichert und auf Ersuchen Gerichten, Staatsanwaltschaften und sonstigen Behörden kurzfristig und ebenfalls elektronisch zur Verfügung gestellt werden.

Ferner haben wir einen Durchbruch bei der Anerkennung und Vollstreckung von freiheitsentziehenden Urteilen erzielt.

Nach dem Rahmenbeschluss können verurteilte Straftäter ohne ihre Zustimmung zur Verbüßung der Strafe in ihr EU-Heimatland überstellt werden, wenn sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und über familiäre, soziale und sonstige Bindungen verfügen.

Befindet sich der Straftäter bereits in seinem Heimatstaat, kann das Urteil an den Heimatstaat zur Vollstreckung übersandt werden.

Dies erhöht die Resozialisierungsmöglichkeit für den Täter und dient gleichzeitig der Entlastung des Strafvollzugs.

Beim Rahmenbeschluss zur grenzüberschreitenden Bewährungsüberwachung, der auf Initiative Frankreichs und Deutschlands eingebracht wurde, konnten wir in den Kernelementen eine Einigung erreichen.

Ziel des Vorschlags ist es, dass sich insbesondere zu Bewährungsstrafen verurteilte Personen vom Urteilsstaat in den Staat ihres gewöhnlichen Aufenthalts begeben können, ohne dass dadurch die Wirkung der Verhängung der Bewährungsmaßnahmen beeinträchtigt wird.

Bewährungsauflagen sollen künftig EU-weit überwacht werden können. Der Entwurf zielt aber auch darauf ab, die Resozialisierung des Verurteilten zu fördern und einen besseren Opferschutz zu ermöglichen.

Soweit etwas länger zum Bereich Justizpolitik.

Weitere wichtige Ergebnisse der deutschen Ratspräsidentschaft möchte ich in Stichpunkten nennen:

Es wird künftig einheitliche Schadensersatz-Regelungen bei Verspätungen der Eisenbahn für Kunden geben, auch im grenzüberschreitenden Verkehr in der EU.

In der EU wird ein gemeinsamer Zahlungsmarkt errichtet. Überweisungen von Berlin nach Mailand sollen künftig genauso unproblematisch sein, wie von Berlin nach Münster. Eine europaweit einheitliche Geldkarte wird die Nutzbarkeit für die Bürger deutlich verbessern.

Mit den USA haben wir ein Open-Sky-Abkommen geschlossen. Künftig können deutsche Fluglinien nicht mehr nur von Deutschland aus, sondern von jedem europäischen Flughafen in die USA fliegen. Hier gibt es heute noch starke Restriktionen.

Der Vertrag von Prüm, ein Vertrag über die bessere Zusammenarbeit europäischer Polizeibehörden, wurde auf alle EU-Mitgliedstaaten ausgeweitet. Bisher waren nur ein paar EU-Staaten Mitglied dieses Vertrages. Den Polizeien wird die Zusammenarbeit bei der grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung deutlich erleichtert. Z. B. durch den Austausch von Fingerabdrücken oder den gegenseitigen Einblick in Daten des jeweiligen Kfz-Registers.

Klima- und Energiepolitik

Die Europäische Union hat mit ihren weitreichenden Beschlüssen zugunsten einer integrierten Klima- und Energiepolitik weltweit die Vorreiterrolle übernommen, um eine der größten Herausforderung des 21. Jahrhunderts entschlossen anzugehen. Der Europäische Rat hat im März 2007 ehrgeizige Ziele für die Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen ( CO2 -Emissionen bis 2020 um 30 % , unabhängig von dem Vorgehen anderer Staaten jedoch um mindestens 20 % gegenüber 1990 ) und die sichere Energieversorgung festgelegt. Sie werden von einem Aktionsplan Energie mit ebenso ehrgeizigen Zielen für Energieeffizienz ( bis 2020 20 % des Energieverbrauchs ) und erneuerbare Energien ( Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch von 20 % ) untermauert. Der Aktionsplan verzahnt kohärent und gleichrangig Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz zu einem Zieldreieck der Energiepolitik für Europa. Die EU hat sich erneut dazu bekannt, den globalen Anstieg der Temperatur auf maximal 2 Grad zu begrenzen. Die Absprachen auf dem Gebiet der Energiepolitik und des Klimaschutzes waren ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu den Vereinbarungen in Heiligendamm.

2. Bilanz Vertragsreform

Der Europäische Rat vom 15. / 16. Juni 2006 hatte der deutschen Ratspräsidentschaft den Auftrag gegeben, bis zum Juni-ER 2007 einen Bericht vorzulegen, der " eine Bewertung des Stands der Beratungen über den Verfassungsvertrag

enthalten und mögliche künftige Entwicklungen aufzeigen " sollte.

Vorab die Frage: Warum brauchen wir eigentlich eine solche Vertragsreform? Wir brauchen sie weil:

1. Die Beitritte zahlreicher Staaten die Frage aufwerfen, wie die größer werdende Union in Zukunft geführt werden soll. Um auch mit 27 oder mehr Mitgliedstaaten handlungsfähig zu bleiben, müssen die Politikbereiche der EU, in denen mit Mehrheit entschieden werden soll, erweitert werden.

2. Das europäische Vertragswerk war inzwischen umfangreich und kompliziert geworden. Insbesondere wurden die unzureichende Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedsländern kritisiert. Eine Vereinfachung des europäischen Rechts im Sinne einer größeren Transparenz war notwendig.

3. Kritisiert wurde immer wieder das Demokratiedefizit der Union. Zu viele Entscheidungen werden von den Ministerräten gefällt. Das Europäische Parlament entscheidet noch nicht in allen Politikbereichen mit. Eine Stärkung des direkt gewählten Europäischen Parlaments soll auch eine größere Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern erzeugen.

Dieser enorme Reformbedarf veranlasste den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs im belgischen Laeken am 15. Dezember 2001, einen Europäischen Konvent einzuberufen. Der vom Konvent vorgelegte Verfassungsentwurf wurde am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs in Rom unterzeichnet.

Nach der Unterzeichnung müssen die Mitgliedstaaten die Verfassung nach ihren jeweiligen nationalen Verfahren ratifizieren.

Am 29. Mai und 1. Juni 2005 scheiterten die über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden abgehaltenen Volksabstimmungen. Die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen daraufhin auf dem EU-Gipfel am 17. Juni 2005 in Brüssel, den Ratifizierungsprozess bis Mitte Mai 2007 zu verlängern. Es wurde eine Reflexionsphase eingelegt, die im Juni 2007 beendet werden sollte.

Uns war bewusst, dass es nicht ausreichen würde, Entwicklungen aufzuzeigen, einen bloßen Fahrplan zu möglichen weiteren Verhandlungsschritten vorzulegen.

Die Chancen, eine Einigung unter den 27 Mitgliedstaaten zu finden, standen zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft nicht gut.

Es herrschte eine allgemeine Rat- und Mutlosigkeit angesichts der Lähmung des Verfassungsprozesses auf der einen und der rasch wachsenden internationalen Herausforderungen auf der anderen Seite.

Ziel des deutschen Vorsitzes war es, im Rahmen unserer Möglichkeiten zur Neubegründung der Europäischen Union beizutragen: durch ein wachsendes Bewusstsein gemeinsamer Wertvorstellungen und vor allem durch eine Einigung auf die dringend notwendige Reform der institutionellen Grundlagen der Europäischen Union.

Zufällig hatte Deutschland am 25. März2007, in dem Jahr, in dem sich die Unterzeichnung der Römischen Verträge zum 50. Mal jährte, den Ratsvorsitz inne.

Die Bundeskanzlerin hatte entschieden, dieses Jubiläum nicht nur für ein informelles Treffen der EU-Staats- und

Regierungschefs sowie der Präsidenten von Europäischem Parlament und Kommission in Berlin zu nutzen, sondern darüber hinaus eine Erklärung der drei Organe über die der EU zugrunde liegenden gemeinsamen Werte und Ziele zu verabschieden.

Nach Rücksprache mit dem italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi fand dieses Treffen nicht in Rom, sondern in Berlin statt.

Um diese "Berliner Erklärung" zu erarbeiten, wurde ein vertraulicher Konsultationsprozess in Gang gesetzt, bei dem die engsten Berater der 27 Staats- und Regierungschefs und der Präsidenten von Europäischem Parlament und der Kommission vertraulich verhandelt haben. Die Bundeskanzlerin hatte alle EU-Regierungschefs angeschrieben und um Nennung von ein bis zwei persönlichen Beratern gebeten, mit denen die Verhandlungen dann geführt würden.

Darüber hinaus fanden intensive Gespräche auf Chef-Ebene, also zwischen den Regierungschefs, statt. Bis kurz vor Schluss wurde verhandelt und an einzelnen Formulierungen der Erklärung gefeilt.

Im Ergebnis erklärten sich alle Regierungschefs "in dem Ziel geeint, die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen".

Das war psychologisch, im Verfahren und in der Sache, der Durchbruch.

Die deutsche Präsidentschaft konnte es sich nun zum Ziel setzen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit der Verhandlungs- und Ratifizierungsprozess einer Vertragsreform tatsächlich bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 abgeschlossen werden kann.

Dieses wahrzumachen bedeutete aber, dass eine Regierungskonferenz ihre Arbeit bereits bis Ende dieses Jahres abgeschlossen haben muss, damit für die Ratifizierung genügend Zeit bleibt.

Wie konnte dies erreicht werden? Nur dadurch, dass das Mandat für die Regierungskonferenz so präzise, umfänglich und abschließend definiert ist, dass sich auf der Regierungskonferenz selbst keine neuen Diskussionen zu den politischen Kernfragen entzünden, sondern die vorgegebenen inhaltlichen Orientierungen nur umgesetzt werden.

Dabei war die Ausgangslage kompliziert, da sich die Auffassungen über den Inhalt der Vertragsreform stark unterschieden:

Denjenigen, die den EU-Verfassungsvertrag bereits ratifiziert hatten im Fachjargon sind das die Freunde der Verfassung und deshalb an der Substanz festhielten, standen jene gegenüber, die Schwierigkeiten mit der Ratifizierung hatten und deshalb für umfangreiche Änderungen eintraten, z. B. Frankreich, die Niederlande, Großbritannien, Polen und Tschechien.

Hier hat sich wieder die erprobte Methode der ein bis zwei engsten Berater, der "Focal Points", bewährt.

Das Ergebnis trägt beiden Seiten Rechnung. Es ist ein schwer erkämpfter, guter Kompromiss aller 27 Mitgliedstaaten.

Wichtig dabei ist: Die Substanz des Vertrages wird gewahrt. Alle machen mit. Die Ratifizierung in allen EU-Mitgliedstaaten scheint dieses Mal gesichert. Nur in Irland ist ein Referendum notwendig.

Natürlich ist mit der Einigung von letzter Woche die Vertragsreform noch nicht ganz "in trockenen Tüchern". Das muss ich Ihnen als angehenden Juristinnen und Juristen wohl kaum erklären.

Noch gilt es, mehrere Hürden zu nehmen: Zunächst muss die Regierungskonferenz gemäß Art. 48 EUV einberufen werden; dazu sind Stellungnahmen von KOM, EP und EZB notwendig.

Dann kann die Regierungskonferenz durch die portugiesische Ratspräsidentschaft einberufen werden, und das soll bis Ende Juli 2007 geschehen.

Angenommen, die Regierungskonferenz kann bis Jahresende ein Ergebnis vorlegen, das alle Regierungen unterzeichnen: Dann beginnt anschließend der Ratifizierungsprozess, der zumindest in Irland auch ein obligatorisches Referendum beinhaltet.

Und so könnten die neuen Verträge 2009 in Kraft treten. Deutschland wird jedenfalls weiter mit allen Kräften dazu beitragen, dass dieses eintritt.

II. Blick in die "Werkstatt"

Sechs Monate Ratsvorsitz liegen nun fast hinter uns: Das waren sechs Monate, in denen Deutschland in Europa Vorsitz und Mittler, Impulsgeber, manchmal Bremser und Umsetzer sein konnte. Eine Rolle, die wir seit der Gründung der Europäischen Union bereits zum 12. Mal innehaben und die wir das nächste Mal frühestens 2021 übernehmen werden.

Wie läuft so etwas ab? Was bedeutet es eigentlich, den Ratsvorsitz innezuhaben?

1. Ein Ratsvorsitz muss vorbereitet sein.

Bereits fast zwei Jahre vor Beginn der deutschen Präsidentschaft wurde damit begonnen, das Arbeitsprogramm innerhalb der Bundesressorts abzustimmen.

Auch das umfangreiche Kulturprogramm, die zahlreichen Konferenzen und die vielen informellen Treffen der Ministerräte in Deutschland wurden langfristig geplant. Insgesamt gab es 108 solcher Treffen.

Am 22. Januar 2007 sind die Bundeskanzlerin und alle Minister, viele Bundes- und Landtagsabgeordnete, die Ministerpräsidenten, der deutsche EU-Kommissar und über 200 deutsche Mitarbeiter der EU-Kommission in über 700 deutsche Schulen gegangen und haben dort mit Schülerinnen und Schülern über Europa diskutiert.

Besonders intensiv wurde bereits im letzten Jahr das Treffen der Staats- und Regierungschefs und der Präsidenten von KOM und EP am 24. und 25. März in Berlin aus Anlass des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der "Römischen Verträge" vorbereitet.

Schließlich hat der deutsche Ratsvorsitz dieses Jubiläum auch dazu genutzt, mit den Bürgerinnen und Bürgern ein großes Europafest Unter den Linden in Berlin zu feiern.

2. Ein Ratsvorsitz hat die Macht über die Tagesordnung.

Ratsvorsitz heißt für die Bundeskanzlerin zunächst, dass sie als Vorsitzende die Sitzungen des Europäischen Rates leitet zuletzt Ende Juni 2007 in Brüssel, als es um die Vertragsreform ging.

Daneben gibt es den Rat, genauer den Ministerrat, der in neun unterschiedlichen Formationen tagt.

Hier hatte der jeweils zuständige deutsche Fachminister den Vorsitz. Die Außen- , Finanz- und Agrarminister treffen sich jeden Monat einmal.

Die Räte für Justiz und Inneres, für Wettbewerbsfähigkeit, für Energie, Verkehr und Telekommunikation, für Umwelt, für Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz sowie für Bildung, Kultur und Jugend treffen sich ca. zwei- bis dreimal pro Präsidentschaft.

Außerdem führen die jeweiligen Minister den Vorsitz bei ihren informellen Ministertreffen, von denen in Deutschland insgesamt 14 stattgefunden haben.

Diese Treffen dienen nicht nur dem informellen Austausch der Minister sie können keine formellen Beschlüsse fassen, sondern sie dienen auch dazu, dass das Vorsitzland "Europa" im eigenen Land besser vermitteln kann.

Denn diese Tagungen finden nicht in Brüssel statt, wie sonst alle Treffen der Räte, sondern im Land der Präsidentschaft. Hier werden die späteren Beschlüsse intensiv vorbereitet.

Alle Räte werden inhaltlich in Brüssel vorbereitet: durch Sitzungen auf Ebene der Botschafter bzw. ihrer Stellvertreter im Ausschuss der Ständigen Vertreter, der einmal bzw. zweimal pro Woche tagt.

Diese Sitzungen hat der deutsche Ständige Vertreter für die Bereiche Außenpolitik, Finanzen, Justiz und Inneres sowie Agrarpolitik ( AstVI ) geleitet;

sein Stellvertreter war für die übrigen Bereiche federführend, den AStV II.

Die wöchentlichen Sitzungen werden wiederum von den ca. 160 Ratsarbeitgruppen vorbereitet. Und alle werden in dem halben Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft von einer oder einem Deutschen geleitet, in der Regel von einem Mitarbeiter der deutschen Ständigen Vertretung bei der EU. Während der Ratspräsidentschaft wurde das Personal in der Ständigen Vertretung deutlich aufgestockt.

Und es gibt die Hauptstadtgruppen, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Bundesministerien in Berlin oder Bonn geleitet werden.

Die Aufgabe des Vorsitzes ist es, diese Sitzungen vorzubereiten, Tages-ordnungen festzulegen und die Arbeit so effizient wie möglich zu gestalten und mit allen Beteiligten abzustimmen.

3. Ein Ratsvorsitz befindet sich in ständiger Abstimmung

Der Vorsitz wird vom Ratssekretariat unterstützt. Der Vorsitz stimmt sich eng mit der Kommission und mit dem Europäischen Parlament ab. Er informiert beide Gremien über seine Vorhaben.

Das Bundeskanzleramt stimmt sich in der Zeit der Präsidentschaft eng mit dem Kabinett des EU-Kommissionspräsidenten ab.

So war allein die Bundeskanzlerin viermal im Europäischen Parlament, um dort über die Ergebnisse der Europäischen Räte zu berichten.

Auch die Abstimmung innerhalb Deutschlands muss gut organisiert werden zwischen den betroffenen Ministerien, mit den betroffenen oder zuständigen Ländern und mit dem Bundestag und dem Bundesrat. Beide spielen in EU-Angelegenheiten eine immer größere Rolle.

Da gibt es eingespielte Abläufe auf Ebene der Staatssekretäre und der Europaabteilungsleiter der Bundesressorts und Gremien. Im Vorfeld und während einer Präsidentschaft muss das alles intensiviert werden. Denn wir als Präsidentschaft müssen als erste wissen, welche Themen z. B. auf einer Ratstagung noch strittig sind und wie man eine Lösung angehen könnte.

In den vergangenen sechs Monaten hatten wir zusätzlich ein Koordinierungsteam auf Staatssekretärsebene aus dem Bundeskanzleramt, dem Auswärtigem Amt und dem Bundeswirtschaftsministerium. Sie haben wöchentlich alle Ratstagungen und Themen der darauffolgenden Woche besprochen.

Auch in jeder Sitzung des Bundeskabinetts haben wir über die Ratstagungen und ausstehenden EU-Termine und -Entscheidungen gesprochen.

4. Ein Ratsvorsitz kann wichtige Vorhaben beschleunigen, auch bremsen

Lassen Sie mich die erfolgreiche Arbeit des Ratsvorsitzes an einem Beispiel beschreiben. Nehmen wir die Roaming-Verordnung, die die Bundeskanzlerin gestern unterzeichnet hat. Für sie gilt das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG-Vertrag.

Die Kommission hatte im Juli 2006 dem Rat und dem Europäischen Parlament den Vorschlag vorgelegt, die Roaming-Gebühren zu regulieren, da das Telefonieren mit dem Handy im Ausland wie Sie sicher selbst schon leidvoll erfahren haben überdurchschnittlich teuer war.

Das Thema wurde damit in die Ratsarbeitsgruppe sowie in die zuständigen Fachausschüsse im Europäischen Parlament zur Beratung überwiesen.

Aber unter finnischer Präsidentschaft im 2. Halbjahr 2006 wurde das Thema noch nicht intensiv beraten. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten hatte sich gegen eine Regulierung ausgesprochen.

Im Februar und März 2007 haben die Berichterstatter der Ausschüsse im Europäischen Parlament ihre Berichtsentwürfe vorgelegt, und ebenfalls im März war die Roaming-Verordnung Thema des informellen Treffens der für Telekommunikation zuständigen Minister in Hannover.

Damit kam Fahrt in das Thema. Der deutsche Vorsitz hat es oben auf die Agenda gesetzt.

Ende April 2007 hat dann die erste von insgesamt fünf Trilog-Sitzungen stattgefunden. Der Trilog findet statt zwischen Präsidentschaft, Europäischem Parlament und Kommission. Er ist so eine Art Vermittlungsausschuss auf europäischer Ebene. Am 15. Mai 2007 gab es dann bereits eine Einigung über die Regulierung der Roaming-Gebühren.

Danach hat der Ausschuss der Ständigen Vertreter auf Ratsseite das Ergebnis angenommen.

Ende Mai hat das Plenum des Europäischen Parlaments und Anfang Juni der Rat über die Verordnung abgestimmt, die Ende Juni durch den Rat angenommen wurde.

Und gestern, am 27. Juni 2007, haben der Präsident des Europäischen Rates und die Bundeskanzlerin die Verordnung unterschrieben. Bereits morgen, am 29. Juni 2007, wird sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden können und zum 30. August 2007 in Kraft treten.

Dieser zügige Ablauf ist sicherlich eine Ausnahme in Europa. Aber so geht es auch.

III. Schluss

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft war ein Erfolg, für Deutschland und für Europa.

Die neueste Europa-Umfrage der Kommission zeigt deutlich: 67 % der Befragten Deutschen halten die Mitgliedschaft Deutschlands in der EU für eine gute Sache. Dieser Wert ist seit Herbst 2006 um 7 % gestiegen.

Umfragen sind natürlich nicht allein Ausschlag gebend. Aber mit dem Ergebnis der EU-Präsidentschaft können wird zufrieden sein. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat das Ansehen Deutschlands in Europa vermehrt, aber auch das Ansehen der EU in Deutschland ist gestiegen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich stehe nun gerne für Ihre Fragen zur Verfügung.