Redner(in): Angela Merkel
Datum: 05.07.2007

Untertitel: gehalten am 5. Juli 2007 im Bundeskanzleramt
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/07/2007-07-05-bkin-geschichts-codes-2006,layoutVariant=Druckansicht.html


Lieber Rainer Eppelmann, lieber Markus Meckel, lieber Staatsminister Bernd Neumann, liebe Preisträger und Gäste, ich freue mich natürlich sehr, dass ich Sie heute hier im Bundeskanzleramt begrüßen darf. Sie haben sich am Plakatwettbewerb der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur beteiligt. Dieser Wettbewerb steht unter dem Motto "geschichts-codes 2006 grenzen-los!" all diese Worte sind sehr geschichts- und sinnträchtig. Was zählt, ist, dass Sie sich einem sehr einschneidenden Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte gestellt haben, nämlich der Teilung Deutschlands. Sie haben gezeigt: Geschichte ist etwas Lebendiges. In meiner Generation, wenn ich das so sagen darf, erleben wir ja überhaupt etwas ganz Spannendes, nämlich dass das, was man im eigenen Leben erlebt hat, zu Geschichte wird den Jüngeren wiederum ergeht es natürlich ein Stück weit anders. Aber ich erlebe das jetzt sehr bewusst. Deshalb ist es für mich vollkommen klar, dass Geschichte etwas Lebendiges ist und etwas, aus dem wir für heute und morgen lernen können und aus dem wir auch für heute und morgen lernen müssen. Die Stiftung Aufarbeitung lobt alljährlich den Plakatwettbewerb "geschichts-codes" für Studierende an den deutschen Hochschulen aus. Der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann, setzt sich in besonderem Maße für diese Stiftung ein. Sie wird vom Bund mit rund 2, 3Millionen Euro jährlich gefördert. Die Stiftung leistet natürlich weit über diesen Plakatwettbewerb hinaus einen ganz entscheidenden Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Sie trägt auch wesentlich zur Aufklärung des mit dieser Geschichte verbundenen Unrechts und Leids bei. Deswegen freut es mich auch ganz besonders, dass eine Aufwertung der Stiftung geplant ist, nämlich im Zusammenhang mit der Neufassung des Gedenkstättenkonzepts, von dem ich ausdrücklich sage, dass es jetzt dringend erforderlich ist, und das auch in Kürze vorgelegt wird. Dies zeigt natürlich auch noch einmal ganz deutlich: Die Befassung mit der Diktatur in der früheren DDR spielt auch eine ganz wichtige Rolle in der gesamten erinnerungspolitischen Aufarbeitung unserer Geschichte einer Geschichte, die Höhen und Tiefen hatte. Ich finde es sehr, sehr wichtig es ist eine wirklich elementare Bundesaufgabe? , diese gesellschaftspolitische Aufarbeitung immer wieder zu unterstützen. Wenn wir uns noch einmal in die Zeit zurückversetzen, in der der Kalte Krieg stattfand, der Eiserne Vorhang da war und Ost und West aufeinander prallten, dann bewegen einen doch immer wieder die Bilder vom 13. August 1961, als plötzlich diese Mauer durch Berlin, durch Deutschland hochgezogen wurde, wie bewaffnete Mitglieder der DDR-Grenztruppen die Straßenpflaster aufgerissen, Barrikaden errichtet und Stacheldraht gespannt haben. Ich war damals sieben Jahre alt. Mir ist das im Grunde auch nur aufgrund von Bildern und dem Verhalten der eigenen Eltern an diesem Tag bewusst. Diese Mauer als sichtbares Zeichen der Teilung Deutschlands und als ein Symbol des Kalten Krieges war sozusagen ein makaberes Symbol, das das Aufeinanderprallen zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme deutlich gemacht hat. Es war insofern makaber, als nicht nur Teile Deutschlands auseinander gerissen wurden, sondern Häuser, Straßen und Dörfer geteilt wurden und vor allen Dingen Menschen auseinandergebracht wurden, die zu einer Familie gehörten. Eltern waren von ihren Kindern getrennt und Großeltern von ihren Enkelkindern. Es sind unendlich viele Freundschaften zerstört worden. Das Gute ist aber, dass auch viele geknüpft worden sind. Doch es ist so viel Misstrauen gesät worden. Es sind so viele Menschen bespitzelt, willkürlich verhaftet und erpresst worden. Es gab Hausdurchsuchungen, Postkontrollen. Das war der alltägliche Charakter des SED-Regimes. Es gibt wahrlich keinen Grund, das in den Hintergrund zu drängen. Das heißt nicht, dass man in der früheren DDR kein Leben auf der Basis privater und persönlicher Beziehungen führen konnte. Aber es gibt wirklich die Notwendigkeit, sich an das, was dieses Staatsregime hervorgebracht hat, doch immer wieder zu erinnern. Zu dieser Geschichte gehören aber auch die vielen Versuche mutiger Frauen und Männer, sich diesem Regime zu widersetzen, etwas dagegenzusetzen. Es waren gerade auch sehr viele junge Leute darunter. Immer wieder hatten Einzelne großen Mut, wirkliche Zivilcourage. Leider haben viele darüber ihr Leben verloren oder Jahre ihres Lebens hinter Gittern zugebracht. Symbolisch dafür steht natürlich der 17. Juni1953, der auch als ein Schlüsselereignis der deutschen Geschichte bezeichnet werden kann. Es wäre ohne die Oppositionsbewegung der Zeit nach 1953 besonders die Bewegung in den 1980er Jahren nicht möglich gewesen, diese Diktatur so zu überwinden, wie wir sie überwunden haben. Gerade unter dem Dach der Kirchen konnte sich sehr viel Widerstand und Opposition organisieren. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal an die vielen Friedens- und Umweltinitiativen erinnern, wie z. B. die "Initiative Frieden und Menschenrechte". All dies mündete dann plötzlich wurde es sichtbar in die Montagsdemonstrationen in Leipzig und schließlich in der gesamten DDR. Ganz plötzlich entstand diese Bewegung, in der die Menschen selbstbewusst sagten: "Wir sind das Volk!" Hunderttausende zwangen Woche für Woche die SED-Herrschaft in die Knie. Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, war das sozusagen der Schlussstein in einer Bewegung, die viel früher sehr stark geworden war und zu der auch die gehörten, die über Ungarn und Prag die Ausreise gesucht haben. Aus dem Ruf "Wir sind das Volk!" ist dann wiederum in einer wirklichen Volksbewegung der Ruf geworden: "Wir sind ein Volk!" Es war damals aber auch eine schwierige Diskussion: Wollen wir aus "das Volk" sofort wieder "ein Volk" machen? Man muss sich noch einmal vergegenwärtigen, dass die meisten von uns ja nicht täglich darüber nachgedacht haben, wie das ist, wenn die Mauer gefallen ist, sondern man hat sich mehr damit beschäftigt, wie man mit dieser Mauer als anständiger Mensch durchs Leben kommen konnte. So kommt es, dass wir auch in Erinnerung haben das ist für mich eine der großen Lehren, dass wir mit der Schlechtigkeit und den Mängeln eines Systems unser eigenes Verhalten niemals rechtfertigen dürfen, sondern dass jeder in seinem Leben den Auftrag hat, entsprechend seinen Werten zu leben. Wir haben uns dann auch die Rückbesinnung nicht einfach gemacht. Wir haben dazu Antworten gefunden. Wir haben Verbitterungen aufbrechen können. Wir haben aber auch manche hinterlassen. Auch das gehört dazu. Wenn wir die jüngsten Debatten über das Gesetz zur Bereinigung des SED-Unrechts sehen, dann wissen wir auch, wie schwer es ist, in irgendeiner Weise das aufzuwiegen oder abzuarbeiten, was Menschen in ihrem Leben widerfahren ist. Mir ist trotzdem wichtig, dass in Deutschland nicht der Eindruck entsteht, dass das Leben in der DDR verlorene Lebensjahre und im Westen nur gewonnene waren. Es waren ganz unterschiedliche Erfahrungen. Aber es sind spannende Lebensläufe. Die Neugierde auf das gegenseitige Leben macht das Vollenden der Deutschen Einheit leichter. Es ist immer wieder notwendig, dass wir darüber reden. Die jungen Menschen, die 1989 geboren wurden, sind heute immerhin schon volljährig oder werden es am Ende dieses Jahres sein. Diese jungen Menschen haben andere Chancen, Sorgen und Nöte. Aber es ist wichtig, dass sie als die Baumeister dieses vereinten Deutschlands, unseres vereinten Europas, als die Gestalter der Zukunft Europas, auch einen festen Blick auf unsere Geschichte haben. Kreativität, Innovationsfähigkeit, Neugier und Aufgeschlossenheit sind gefordert. Dazu brauchen wir gemeinsame Werte, ein gemeinsames Verständnis geschichtlicher Erfahrung. Deshalb ist auch ein solcher Plakatwettbewerb ein Stein in der gesamten Kette der notwendigen geschichtlichen Rückbesinnung. 2006 hatten wir den 45. Jahrestag des Mauerbaus zu begehen. Rund 70Studentinnen und Studenten aus verschiedenen Hochschulen haben das Thema künstlerisch verarbeitet. Die Palette der Plakatmotive wir sehen einige hier ist breit. Es geht um staatliche Spaltung, seelische Zerrissenheit und die unterschwellige Bedrohung durch ein allgegenwärtig erscheinendes Regime. Es wird die Freiheitsliebe ebenso wie die Flucht aus dem Einengenden in ein geradezu grenzenloses Lebensumfeld zum Ausdruck gebracht "grenzenlos", wie ja auch das Motto dieses Wettbewerbs heißt. Ich glaube, es ist gut, dass die Wettbewerbsreihe "geschichts-codes" nicht einfach an diesem Punkt innehält, sondern auch die Überwindung von Grenzen auf die Fahnen schreibt. Der Umgang mit historischen Zeugnissen, die Grenzen beinhalteten, soll uns ja gerade in eine bessere Zukunft führen. Deshalb ist es folgerichtig, dass der Wettbewerb in diesem Jahr nachdem er im letzten Jahr unter dem Motto "45 Jahre Mauerbau" stand nun unter dem Motto "Ein Denkmal für Freiheit und Einheit" steht. Das finde ich auch sehr spannend. Das wird hoffentlich genauso erfolgreich verlaufen. Ich bin mir allerdings sicher, dass es auch so sein wird, wie es bei den anderen Wettbewerben der Fall war. Die Auswahl unter allen Entwürfen ist der Jury sicherlich nicht leicht gefallen. Die Wettbewerbsteilnehmer haben bei der Bearbeitung eines schwierigen Themas viel Fantasie und historisches Einfühlungsvermögen bewiesen. Wir bekommen gleich noch die besten Arbeiten vorgestellt; das hoffe ich jedenfalls. Ich kann mir dann auch mein Urteil bilden, werde aber nicht verraten, ob ich die Wertung genauso wie die Jury vorgenommen hätte. Ich möchte aber jetzt schon allen Preisträgerinnen und Preisträgern und allen Teilnehmern an diesem Wettbewerb herzlich danken. Ich hoffe, Sie haben auch ein bisschen Spaß gehabt, sich mit der Geschichte und der Zukunft auseinander zu setzen. Ich freue mich, dass ich dann auch noch die Gelegenheit habe, Sie persönlich kennen zu lernen und ein paar Worte mit Ihnen zu wechseln. Herzlichen Dank, dass Sie ins Kanzleramt gekommen sind. Das hier ist vielleicht auf den ersten Blick ein etwas abseitiger Pfad, aber es ist "der" Pfad des Kanzleramtes, weil er da hinten in die Kantine führt. Das heißt, hier hat niemand die Chance, daran vorbeizukommen, ohne einen Blick auf die Plakate zu werfen. Ich glaube, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kanzleramtes werden ins Gespräch darüber kommen, was Sie erlebt und empfunden haben. Denn Berlin ist ja auch der Ort, an dem Menschen aus Bonn, Westberlin und Ostberlin mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen inzwischen gut zusammenarbeiten zum Wohle unseres Landes. Herzlichen Dank Ihnen, dass Sie Spaß an diesem Wettbewerb gefunden haben. Herzlichen Dank der Stiftung. Ich wünsche Ihnen alles Gute.