Redner(in): Angela Merkel
Datum: 12.09.2007

Anrede: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/09/2007-09-12-merkel-bt-haushalt,layoutVariant=Druckansicht.html


Wie immer die Opposition es dreht und wendet: Deutschland hat wieder allen Grund zur Zuversicht.

Wir sind dabei, eine lange Durststrecke zu überwinden. Die Wirtschaft wächst so stark wie seit sechs Jahren nicht mehr. Seit Regierungsantritt ist die Zahl der Arbeitslosen um mehr als 1Million gesunken. Das ist der tiefste Stand seit 1995, das heißt seit nunmehr zwölf Jahren.

Wir haben 1 Million mehr Erwerbstätige. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Ebenfalls erstmals seit der Wiedervereinigung sind wieder ausgeglichene Staatshaushalte ohne neue Schulden in Sicht.

Das sind die Fakten; darauf bauen wir auf. Das ist eine großartige Entwicklung.

Es geht dabei im Übrigen um mehr als nur um ein paar positive Wirtschaftsdaten. Es geht um etwas ganz Grundsätzliches ich spüre das wie viele andere auch bei meinen Besuchen vor Ort: Deutschland ist dabei, aus eigener Kraft Schritt für Schritt die Lasten und auch manches Versäumnis der letzten eineinhalb Jahrzehnte aufzuarbeiten. Das ist die Botschaft der Zuversicht an die Menschen.

Alle Industrieländer waren in den 90er-Jahren einem massiv erhöhten Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung ausgesetzt. Doch Deutschland war zugleich in einer historisch einmaligen Situation. Der Prozess der deutschen Einheit gehörte und gehört ohne Zweifel zu den glücklichsten Entwicklungen unserer Geschichte. Allerdings band er auch Ressourcen, Kraft und Aufmerksamkeit, wie sie kein anderes Land zu bewältigen hatte.

In seinem Kern erzählt der Aufschwung, den wir jetzt erleben, eine großartige Erfolgsgeschichte: die Geschichte, wie Deutschland gleichzeitig Aufbauleistungen für die neuen Bundesländer und die Globalisierung bewältigen konnte. Meine Damen und Herren, wer das geschafft hat, dem braucht auch vor den Veränderungen des 21. Jahrhunderts nicht bange zu sein. Das ist der Geist, in dem wir Politik machen.

Jetzt sind wir dabei, die Chancen der Zukunft zu beschreiben und sie zu nutzen. Die Financial Times aus London schrieb von einem neuen Wirtschaftswunder. Ich sage: Nein, das ist kein Wunder, sondern der Lohn von harter Arbeit und Anstrengung, der Lohn der mit der Agenda2010 eingeleiteten Reformen und der Lohn der Reformen dieser Bundesregierung.

Vor allem ist dieser Aufschwung der Lohn der Arbeit der Menschen in Deutschland: der Lohn von wagemutigen Unternehmern und gut ausgebildeten Arbeitnehmern, von engagierten Erziehern, Lehrern und liebevollen Eltern, von international renommierten Wissenschaftlern und kreativen Ingenieuren. Sie alle sind es, die diesen Aufschwung möglich gemacht haben.

Die Aufgabe der Politik ist es dabei, die Weichen richtig zu stellen und dafür zu sorgen, dass das Land seine Kräfte bündelt. Genau das macht die Bundesregierung.

Meine Damen und Herren, in diesem Sinne haben wir vor zwei Jahren den Kurs "Sanieren, Investieren, Reformieren" eingeschlagen und ihn gegen Kritik verteidigt. Diese Kritik war zum Teil vernichtend, und die Aussichten waren trübsinnig. Aber wir haben uns nicht beirren lassen. Die Daten von heute zeigen: Es war richtig, diesen Kurs einzuschlagen.

Jetzt wird sichtbar: Die Strategie wirkt. Ich sage ausdrücklich: Das ist kein Grund zu Übermut, wohl aber zu Selbstvertrauen, und zwar zu einem Vertrauen darauf, dass sich Anstrengung lohnt. Wir ruhen uns nicht auf unseren Lorbeeren aus. Deutschland ist noch nicht überall so gut, wie wir es uns wünschen. Dass wir heute bei Investitionen und Bildung im internationalen Mittelfeld liegen, ist gut, aber nicht ausreichend.

Vor allen Dingen: Da wir immer noch 3, 7Millionen Arbeitslose haben, heißt unsere Devise: 3, 7Millionen Arbeitslose sind 3, 7Millionen zu viel. Es muss unser Ziel sein, hier voranzukommen.

Daraus leitet sich unsere Aufgabe für die kommenden Jahre ab: nach innen die Grundlagen des Aufschwungs stärken, Teilhabechancen verbessern und Quellen neuen Wohlstands erschließen und nach außen für faire Regeln und offene Märkte sorgen.

Auf der Kabinettsklausur in Meseberg haben wir beschlossen, in fünf Zukunftsbereichen neue Impulse zu setzen:

Erstens. Wir wollen die Grundlagen des Aufschwungs stärken. Was heißt das? Der Aufschwung und seine Fortsetzung beruhen vor allen Dingen auf Vertrauen. Vertrauen braucht Verlässlichkeit. Deshalb ist eine solide Finanzpolitik das Fundament, auf dem wir mit weiteren Maßnahmen aufbauen.

Es ist gestern in der allgemeinen Finanzdebatte gesagt worden: Allein der Bund hat über 900MilliardenEuro Schulden, und die Zinszahlungen betragen 40Milliarden Euro pro Jahr. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Deshalb hat die Bundesregierung dem Finanzminister ihre Unterstützung zugesagt, wenn es darum geht, spätestens 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können. Dann können wir sagen: Endlich leben wir nicht mehr über unsere Verhältnisse. Das muss dann auch in den Ergebnissen der FöderalismuskommissionII verankert werden, damit das dauerhaft so bleibt.

Deshalb beruht die Fortsetzung des Aufschwungs natürlich auch auf Entlastung dort, wo es möglich ist. Wir haben zum Beispiel gesagt: Wenn es nachhaltig vertretbar ist, werden wir versuchen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf unter 3, 9Prozent zu senken. Vertrauenzerstörend wäre es aber, jetzt irgendetwas zu versprechen, was man nicht einhalten kann. Der Erfolg dieser Bundesregierung besteht darin, dass wir nichts versprochen haben, was wir nicht halten konnten, und die Dinge so gemacht haben, dass sie am Ende im Zweifel besser waren. Das ist der Erfolg dieser Regierung.

Wir werden alles daransetzen, den Menschen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt durch Hinzuverdienstregelungen und die Bündelung der Arbeitsmarktinstrumente möglich zu machen. Wo immer es Spielräume gibt, werden wir sie nutzen.

Wir werden den Aufschwung natürlich auch dadurch fortsetzen, dass wir wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen. Dazu gehört die Unternehmensteuerreform, die wir bereits beschlossen haben. Dazu gehört die Arbeit an der Erbschaftsteuerreform, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht einfacher geworden ist, bei der wir aber nicht aus dem Auge verlieren, dass wir den mittelständischen Unternehmen, den Familienunternehmen den Übergang im Erbfall erleichtern wollen, um Arbeitsplätze hier in Deutschland zu erhalten.

Dazu gehört die Arbeit des Normenkontrollrates, der sich dem Bürokratieabbau verschrieben hat.

Zweitens. Wir wollen, dass alle Menschen am Aufschwung teilhaben können. Der Schlüssel zur Teilhabe ist heute zum einen Arbeit, zum anderen der Zugang zu Bildung. Deshalb haben wir eine nationale Qualifizierungsoffensive gestartet, die wir auch weiterführen werden. Wir wissen, dass wir zum Teil aus dem Aufschwung resultierend bereits einen Mangel an Fachkräften haben. Wir sagen: Zuerst müssen wir alles daransetzen, die Möglichkeiten, die wir hier im Lande durch Qualifizierung haben, zu nutzen. Das gilt für alle Bereiche: für die einfachen genauso wie für die qualifizierten Tätigkeiten.

Wir sagen dann aber auch: Wenn wir einen erkennbaren Mangel in bestimmten Bereichen haben, wenn zum Beispiel in speziellen Ingenieurbereichen gar keine eigenen Arbeitskräfte vorhanden sind, dann ist es doch, ehe die Betriebe ins Ausland abwandern, vernünftig, zum Beispiel Menschen aus den mittel- und osteuropäischen Staaten mit diesen speziellen Qualifizierungen das Arbeiten bei uns zu erlauben.

Wir haben dann festgelegt, dass wir ein mittel- und langfristiges Konzept erarbeiten, das auf dem Gedanken beruht, dass es keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme von Deutschland geben soll, sondern dahin, wo die Besten der Welt gebraucht werden. Offenheit bei gleichzeitiger Qualifizierung aller Menschen in unserem Land das ist unsere nationale Bildungs- und Qualifizierungsinitiative, und die ist wichtig.

Wir werden neue Wege der Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Investivkapital gehen. Dazu werden wir in den nächsten Wochen Vorschläge unterbreiten. Für mich ist dies deshalb so wichtig, weil die Bindung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Kapitalzuwachs ihres eigenen Unternehmens ihnen die Möglichkeit gibt, neben der Lohnentwicklung auch am Wachstum teilzuhaben. Deshalb ist das ein ganz wichtiger Bereich.

Es ist kein Geheimnis, dass wir in der Koalition durchaus darüber diskutiert haben, in welcher Weise wir einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, die Erhaltung von Arbeitsplätzen und gleichzeitig faire Löhne umsetzen können. Sicherlich gibt es da Unzufriedenheit. Aber ich will darauf hinweisen: Wir haben uns für den Herbst Schritte vorgenommen, die genau diesem Ziel dienen sollen. Es geht auf der einen Seite um die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und dort, wo Tarifpartner nicht mehr in der Lage sind, Löhne festzulegen, um das Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Auf der anderen Seite werden wir immer aufpassen, dass dann, wenn Menschen Arbeit haben, diese Arbeitsplätze nicht verloren gehen. Das ist der Weg dieser Bundesregierung.

Drittens. Wir wollen die Quellen des Wohlstands von morgen erschließen. Deshalb haben wir uns vorgenommen, 3Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Wissenschaft und Forschung auszugeben. Die Bundesregierung leistet hierzu ihren Beitrag. Das wird in den Haushaltszahlen deutlich. Denn es ist natürlich klar: Wirtschaftswachstum führt dazu, dass auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigen müssen. Das findet seine Berücksichtigung im Bundeshaushalt. Derzeit liegt Deutschland hier bei knapp 2, 7Prozent. Der Bund schafft jetzt seinerseits die Voraussetzungen für einen Anteil von 2, 8Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Wirtschaft und Länder müssen allerdings nachziehen; auch darauf werden wir ganz konsequent achten.

Wir haben uns Leuchtturmprojekte vorgenommen. Eines davon wird im Bereich der Gesundheitsforschung liegen. Ich glaube, damit wir Menschen für Forschung begeistern können, müssen wir ihnen sagen, was Forschung leisten kann. Deshalb möchte Deutschland das Land sein, das gerade im Bereich der Gesundheitsforschung, zum Beispiel bei der Forschung an Maßnahmen gegen die Krankheit Alzheimer, eine Spitzenstellung in der Welt einnimmt. Wir wollen dort vorne sein. Das nehmen wir uns vor, und wenn wir es uns vornehmen, werden wir es auch schaffen können.

Wir richten unsere Energie- und Klimapolitik neu aus, weil wir glauben, dass hier die Arbeitsplätze der Zukunft liegen, dass wir hier unserer globalen Verantwortung gerecht werden und wir gleichzeitig die Voraussetzungen im Lande schaffen, um unsere Energieversorgung mit größtmöglicher Unabhängigkeit gewährleisten zu können. Dazu haben wir der Wirtschafts- und der Umweltminister gemeinsam ein Paket von Maßnahmen entwickelt, die wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen. Dazu haben wir unsere Position in Europa eingebracht und dazu werden wir uns auf der internationalen Bühne natürlich auch für ein Abkommen im Anschluss an das Kyoto-Protokoll einsetzen.

Dabei spüren wir schon: Unser Weg kann nicht sein, den Ärmeren in dieser Welt Wohlstandsverzicht zu predigen und gleichzeitig in einer Art karitativer Veranstaltung als reichere Länder etwas beizutragen. Die Zukunft wird vielmehr darin liegen, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen und damit die Standards für die Zukunft setzen, gleichzeitig technologische Führer sind und damit dann auch Exportchancen für Deutschland eröffnen.

Damit bin ich bei meinem vierten Punkt. Wir wollen der sozialen Marktwirtschaft einen internationalen Ordnungsrahmen geben. Wir alle kennen die Diskussionen dieser Tage. Wir spüren, auf dieser Welt kann nahezu nichts mehr passieren, ohne dass es uns beeinflusst: Wenn in China mehr Milch getrunken wird, hat das auch auf unsere Milchpreise Auswirkungen. Wenn es eine Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt, wirkt sich das auch auf unsere Märkte aus. Deshalb sage ich ganz klar: Deutschland wird niemals protektionistisch sein. Wir sind Exportweltmeister. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass unsere Unternehmen überall auf der Welt Chancen haben. Aber ich sage auch: Wir werden uns schützen das gilt auch für die Europäische Union, wenn andere uns keine freien Investitionsbedingungen geben, und wir werden dafür Sorge tragen, dass die Finanzmarktregeln international transparent sind.

Denn wir werden den Menschen in unserem Land nicht erklären können, dass immer wieder Finanzmarktprodukte entstehen, deren Herkunft man nicht kennt, die man nicht durchschaut, die aber letztlich auf den Einzelnen in unserem Land und in vielen anderen Ländern zurückwirken. Die Demokratie kann nur erhalten werden, wenn ein Höchstmaß an Transparenz gegeben ist; das gilt heute nicht nur national, das gilt heute auch international. Dafür wird sich Deutschland einsetzen, der Bundesfinanzminister genauso wie ich als Bundeskanzlerin.

Wir wissen, dass wir auf dem Weg, den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen, eine Vielzahl von eigenen Maßnahmen ergreifen müssen, bevor wir uns dem internationalen Rahmen zuwenden können. Deshalb haben wir die Lohnzusatzkosten gesenkt; deshalb haben wir Subventionen abgebaut. Deshalb haben wir schon zwei Mittelstandsentlastungsgesetze beschlossen; deshalb haben wir uns damit beschäftigt, wie wir das Auslaufen des deutschen Steinkohlenbergbaus vernünftig und sozialverträglich regeln können. Wir haben mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt. Wir werden uns mit der Bahnprivatisierung befassen.

Wir haben uns bei Airbus für eine marktkonforme Lösung eingesetzt.

Der wichtigste Indikator ist daran kommt niemand vorbei: Die Staatsquote ist heute auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. 2005 lag sie bei 46, 9Prozent. 2007 sind es 44, 5Prozent. Wenn sich die Dinge weiter vernünftig entwickeln, können wir 2009 42, 5Prozent schaffen. Das heißt, wir haben einen starken, aber auch effizienteren Staat. Das ist es, woran wir arbeiten, um den Menschen möglichst viel Freiheit zu geben, sich in der Globalisierung zu entfalten.

Fünftens. Wir wollen den Zusammenhalt und die Solidarität in Zeiten des Wandels stärken. Wir wissen: Wirtschaftlicher Erfolg ist entscheidend für die Frage, wie wir unseren Wohlstand in unserem Land erhalten können. Aber wer Ludwig Erhard gelesen hat, weiß: Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg sind kein Selbstzweck.

Es geht um ein lebenswertes Deutschland und eine freie und gerechte Gesellschaft unter den Bedingungen des demografischen Wandels. Aber nur dann wir haben es in den letzten zwei Jahren erlebt, wenn die sozialen Sicherungssysteme besser dastehen, wenn mehr Menschen Arbeit haben und in diese Systeme einzahlen, kann das allen zugutekommen. Es wird oft so getan, als könne die Teilhabe aller irgendwie vom Staat zentral geregelt werden. Nein, nur dadurch, dass wir unsere Institutionen und sozialen Sicherungssysteme auf eine gute Basis stellen, können wir alle Menschen am Wohlstand teilhaben lassen. Deshalb ist Arbeit für alle der Schlüssel für das weitere soziale Zusammenleben.

Wenn wir über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft reden, dann hat die Familie natürlich eine Schlüsselbedeutung. Wir stehen vor großen Herausforderungen, die wir auch angepackt haben. Wir haben gesagt: Wir wollen die Wahlfreiheit für Eltern, Beruf und Familie so zu gestalten, wie sie es möchten. Dabei ist erkennbar, dass insbesondere bei der Betreuung von unter Dreijährigen heute keine Wahlfreiheit gegeben ist.

Deshalb haben wir gesagt: Hier machen wir einen großen Schritt. Wir wollen den Rechtsanspruch bis zum Jahr2013 umsetzen. Wenn wir das geschafft haben, dann können wir uns auch wieder mit denen beschäftigen, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Das heißt, prioritär bis 2013 ist erst einmal die Betreuung der Kinder unter drei; das ist die klare Verabredung. Danach machen wir einen weiteren Schritt und sagen: Auch diejenigen, die sich anders entscheiden, bekommen ein Betreuungsgeld.

Entscheidender Maßstab für die Menschlichkeit ist auch der Umgang mit den Älteren und Schwächeren. Deshalb möchte ich an dieser Stelle Folgendes sagen: Es gibt in diesen Tagen zwar viel Kritik an einzelnen Pflegeheimen und bestimmten Zuständen. Das müssen wir aufnehmen; das macht die Bundesgesundheitsministerin. Aber die überwältigende Mehrheit der Menschen, die von Pflegekräften gepflegt werden, wird gut behandelt. Diesen Pflegekräften gilt ein herzliches Dankeschön genauso wie denen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Das ist eine Leistung der Menschlichkeit für unsere Gesellschaft.

Wir werden unseren Nationalen Integrationsplan fortentwickeln. Er ist ein Beispiel für eine sehr gute gemeinsame Arbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Zum ersten Mal ist es gelungen, hier eine Systematik hineinzubringen und zu sagen: Diejenigen, die bei uns leben und einen ausländischen Hintergrund haben, sind nicht irgendwelche Gäste auf kurze Zeit. Sie werden länger bei uns sein, und deshalb müssen wir sie integrieren. Integration ist keine Einbahnstraße; sie erfordert von allen in der Gesellschaft etwas. Aber dass wir uns jetzt einig sind, dass das Beherrschen der Sprache die Voraussetzung für die Integration ist, ist ein großer Fortschritt in Deutschland. Das wird sich in Maßnahmen auf allen Ebenen wiederfinden, und das ist gut so.

Wir haben einen klaren Wertekanon für unser Zusammenleben in Deutschland. Das Bekenntnis zu unserer nationalen Identität und Weltoffenheit sind überhaut keine Gegensätze. Aber wir wissen: Wir leben in einer Welt, in der es neue Bedrohungen gibt. Gestern war der 11. September, der sechste Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center. Es waren damals am 11. Sep-tember2001 Anschläge von Menschen, die die Art, wie wir leben wollen, und unseren Wertekanon, von dem ich gesprochen habe, nicht akzeptieren und ihn vernichten wollen, und zwar mit aller Konsequenz.

Wir wissen, dass in dieser Woche vielleicht ein schrecklicher Anschlag in Deutschland hätte stattfinden sollen. Glücklicherweise wurde er verhindert. Das ist ein großer Erfolg der Sicherheitsbehörden. Ein herzliches Dankeschön an alle, die daran mitgearbeitet haben.

Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass in den letzten Jahren sieben Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund verhindert worden sind oder ihre Ausführung gescheitert ist. Das heißt, wir leben in einer gefährdeten Sicherheit. Unsere Demokratie hat bisher bewiesen das ist die gute Botschaft, dass sie sehr wohl handlungsfähig ist, wenn es um den Schutz der Sicherheit der Bürger geht. Entscheidend ist bei allen Ängsten und Ungewissheiten, die der 11. September mit sich gebracht hat, dass es uns stets gelungen ist natürlich mit kontroverser Diskussion, die Balance von Schutzmaßnahmen und Freiheitsrechten zu erhalten. Wir haben eben kein Klima der lähmenden Angst zugelassen, sondern wir haben Offenheit und Realitätssinn bewiesen. Die Befürchtungen oder die Vorwürfe, Deutschland werde zu einem Polizei- oder Sicherheitsstaat, sind offensichtlich Unsinn.

Ich bin deshalb auch optimistisch, dass es uns gelingt, das, was das Bundeskriminalamt an Terrorbekämpfung leisten muss, in einem Gesetz zusammenzufassen. Ich verhehle nicht, dass für mich auch die Onlinedurchsuchung dazugehört.

Ich empfehle uns, die Diskussion in einem Klima zu führen, in dem wir nicht falsche Fronten aufmachen, sondern in dem wir uns alle gemeinsam das ist das Bekenntnis der großen Mehrheit dieses Parlaments für Freiheit und Sicherheit gleichermaßen entscheiden. Aber wir sollten uns auch vergegenwärtigen, dass es keine Räume in dieser Gesellschaft geben darf, wo die Sicherheitsbehörden keine Möglichkeit des Zugriffs haben, natürlich immer auf rechtsstaatlicher Basis.

Sicherheit ist nicht nur im Zusammenhang mit dem Terrorismus wichtig, sondern Sicherheit gehört zu dem Grundlebensgefühl, das wir brauchen, um überhaupt in Freiheit leben zu können. Deswegen möchte ich heute einmal die Gelegenheit nutzen, den Polizisten auf den ganz normalen Polizeirevieren in den Dörfern und den Städten für ihre tägliche Arbeit zu danken. Das Sicherheitsgefühl, das sie ermöglichen, bedeutet Lebensqualität für Millionen Deutsche, und zwar täglich rund um die Uhr. Dafür ein herzliches Dankeschön.

Die rechtzeitigen Festnahmen in der vergangenen Woche haben des Weiteren gezeigt das ist ganz wichtig: Bei uns haben die Sicherheitsbehörden gut gehandelt. Aber wir haben auch erlebt, dass es eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden verschiedener Länder gibt. Damit kommen wir auf einen Punkt, der in einer global vernetzten Welt von entscheidender Bedeutung ist: Wenn wir Hilfe bekommen, muss man sich auf Deutschland verlassen können, dass es auch Hilfe leistet. Wenn wir also die Lehren aus dem 11. September und den geplanten Anschlägen ernst nehmen, dann ist der Weg nach Afghanistan nicht weit. Wir müssen alles tun, damit Afghanistan nie wieder in die Situation kommt, dass Taliban und al-Qaida von dort aus sozusagen frei und ohne Struktur von staatlicher Stelle agieren können. Afghanistan zeigt uns deutlich, dass Sicherheit und Entwicklung untrennbar verbunden sind. Das ist auch das Credo des Berichts der Bundesregierung über die nachhaltige Entwicklung in Afghanistan: keine Sicherheit ohne Entwicklung und keine Entwicklung ohne Sicherheit.

Der Deutsche Bundestag wird in den nächsten Wochen wieder eine intensive Diskussion über die Fortsetzung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan führen. Ich will dieser Debatte an dieser Stelle nicht vorgreifen, aber genauso wenig will ich heute Morgen mit meiner Meinung hinter dem Berg halten. Erinnern wir uns daran, wie die Situation in Afghanistan vor dem Fall der Taliban war. 23Jahre Bürgerkrieg und Krieg unter der Herrschaft der Taliban haben das Land an den Abgrund gebracht. Die Menschenrechte wurden mit Füßen getreten. Al-Qaida fand in Afghanistan einen Ausbildungs- und Rückzugsraum. Nur weil es quasi keine funktionierenden staatlichen Strukturen in Afghanistan gab, waren die Anschläge vom 11. September mit Tausenden Menschen als Opfer möglich.

Es gibt wieder staatliche Strukturen. Drei Viertel der Menschen können heute auf eine medizinische Grundversorgung zurückgreifen. Die Zahl der Schüler hat sich seit 2001 auf circa 6Millionen mehr als verfünffacht. Davon sind ein Drittel Mädchen. Die Infrastruktur hat sich deutlich verbessert.

Aber ich will gar nicht herumreden: Das sind die guten Fakten. Dennoch bestreitet niemand, dass es trotz dieser sichtbaren Erfolge in Afghanistan beträchtliche Herausforderungen gibt. Die Sicherheitssituation lässt mancherorts mehr als zu wünschen übrig. Die afghanischen Sicherheitskräfte das ist der Punkt sind noch nicht so weit, ihre Aufgaben allein erfüllen zu können. Der Aufbau der staatlichen Institutionen, insbesondere in der weiten Fläche des Landes, stockt, und die Entwicklung der Drogenproduktion ist mehr als unbefriedigend.

Die Bundesregierung hat deshalb im Rahmen einer hervorragenden Kooperation des Außenministers, des Verteidigungsministers, der Entwicklungsministerin und des Innenministers den Schluss gezogen, dass wir natürlich einen Schwerpunkt auf den zivilen Wiederaufbau Afghanistans legen müssen. Deshalb werden wir darum bitten, die Mittel für die Wiederaufbauhilfe für dieses Land aufzustocken.

Eines der wichtigen politischen Projekte war die Initiative des Bundesaußenministers im Rahmen unserer G-8 -Präsidentschaft, Afghanistan und Pakistan an einen Tisch zu bringen; denn nur wenn diese beiden Länder vernünftig zusammenarbeiten, wird es gelingen, die Quellen des Terrorismus zu bekämpfen. Deshalb gibt es eine große Unterstützung für diese Initiative.

Wir wollen den Aufbau und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken. Das gilt sowohl für den militärischen Bereich als auch für den Polizeiaufbau. Wir haben wegen der Größe der Aufgabe EUPOL gebeten, diese wichtige Aufgabe auf mehr Schultern zu verteilen. Wie häufig in Europa, sind Anfangsschwierigkeiten nicht völlig auszuschließen. Aber wir werden mit großem politischen Nachdruck dafür sorgen, dass die Arbeit, die von Deutschland geleistet wurde, jetzt in europäischer Zusammenarbeit stattfindet. Ich muss ganz unumwunden sagen: Solange die afghanischen Sicherheitskräfte nicht selbst für ein sicheres Umfeld sorgen können, halte ich die internationale Truppenpräsenz für weiterhin notwendig. So lange halte ich auch den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan für notwendig.

Unser erfolgreicher zivil-militärischer Ansatz mit den sogenannten Provincial Reconstruction Teams in Kunduz und Faizabad im Norden Afghanistans ist allgemein anerkannt. Damit unterstützen wir eine Vielzahl von Aufgaben und Projekten zusammen mit unseren Partnern. Ich möchte deshalb heute Morgen die Gelegenheit nutzen, allen Angehörigen der Bundeswehr, Polizisten, Diplomaten und Wiederaufbauhelfern aus Deutschland für die Arbeit ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen.

Ich möchte die Gelegenheit ebenfalls nutzen, im Rahmen dieser Debatte an diejenigen zu erinnern, die ihr Leben bei der Aufbauarbeit verloren haben. Wir werden sie nicht vergessen, und ihr Einsatz war nicht vergebens. Ich möchte an die Adresse derjenigen, die glauben, durch Geiselnahmen unsere Entschlossenheit beim Wiederaufbau in Zweifel ziehen, ganz unmissverständlich sagen: Wir tun alles Menschenmögliche, um Geiseln zu retten, aber erpressbar ist Deutschland nicht, und erpressbar wird Deutschland nicht sein.

Unter den gegebenen Umständen halte ich deshalb die anstehende Verlängerung der drei Bundeswehrmandate als Komponenten, die wir brauchen, für erforderlich. Als drittgrößter Truppensteller für ISAF haben wir im Norden Afghanistans regionale Führungsverantwortung übernommen. Der in diesem Haus noch vor sechs Monaten heiß diskutierte Tornado-Aufklärungseinsatz hat sich als Erfolg erwiesen. Die NATO und die afghanische Regierung schätzen ihn. Er leistet einen wichtigen Beitrag zum Gesamtauftrag. Die Bundeswehr wird auch in Zukunft den Schwerpunkt ihres Einsatzes im Norden haben und nur fallweise, wenn es nach Lage der Dinge unabweisbar und notwendig ist, in anderen Regionen tätig werden. Allerdings warne ich vor der Vorstellung, wir könnten uns im Norden vom Rest Afghanistans abkoppeln. Der Erfolg kann nur die Gesamtoperation ISAF sein, und deshalb stehen wir in voller Solidarität zu dieser Gesamtoperation. Ich weiß, dass über die Antiterroroperation OEF in diesem Hause wie auch in der Bevölkerung unseres Landes die größten Sorgen bestehen. Diese Sorgen nehme ich sehr ernst.

Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von OEF erfolgt, wie wir wissen, auf Grundlage von Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und von Art. 5 des Nordatlantikvertrages. OEF auch daran möchte ich erinnern wurde in mehreren UN-Sicherheitsratsresolutionen bestätigt und bekräftigt und wird auch von der afghanischen Regierung unterstützt.

Ich bin überzeugt: Solange die Gefahr eines Wiedererstarkens von al? Qaida oder der Taliban nicht gebannt ist, muss die Stabilisierung des Landes durch ISAF weiterhin von OEF flankiert werden. Dass dabei eine Gefährdung der Zivilbevölkerung so weit wie möglich ausgeschlossen werden muss, will ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Ich will auch darauf hinweisen, dass wir alles unternehmen, um genau das zu verbessern, insbesondere die Kontakte zwischen ISAF und OEF.

In Afghanistan steht viel auf dem Spiel. Deutschland hat 2001 auf dem Petersberg richtigerweise versprochen, sich langfristig für den Wiederaufbau in Afghanistan zu engagieren. Die Bundesregierung der Großen Koalition fühlt sich an diese Verpflichtung gebunden. Es ist der einzige Weg, zu zeigen, dass wir Terroristen bekämpfen, und zwar entschlossen.

Entschlossenheit und multilaterale Einbindung, das ist das, was unsere Außenpolitik insgesamt kennzeichnet, ob es um die Frage des Atomprogramms des Iran geht, ob es um die Stabilisierung des Libanon geht, ob es um die Weiterentwicklung der zarten Hoffnungsschimmer im Hinblick auf die Gespräche im Nahen Osten zwischen Premierminister Olmert und dem palästinensischen Präsidenten geht.

Ich werde in wenigen Tagen an der Generalversammlung der UNO in New York teilnehmen. Für uns ist die Frage "Wie können wir die Herausforderungen bewältigen?" immer verknüpft mit einer starken und handlungsfähigen UN und damit auch mit einem starken und handlungsfähigen UN-Sicherheitsrat. Nur gemeinsam können wir das durchsetzen, was wir versprochen haben, zum Beispiel die Erreichung der Millenniumsziele. Im Haushalt findet dies durch die Erhöhung der Entwicklungshilfeausgaben seinen Niederschlag. Wir gehen damit einen Schritt in die richtige Richtung. Wir haben internationale Verpflichtungen, und wir sind internationale Verpflichtungen eingegangen. Es ist jetzt unsere Aufgabe es geht dabei um unsere Glaubwürdigkeit, die Erfüllung dieser Verpflichtungen auch wirklich durchzusetzen.

Durch unsere G8 -Präsidentschaft weiß ich, dass die Menschen auf der Welt genau hinschauen, ob die Versprechen der Industrieländer leere Versprechen sind oder ob wir das, was wir versprochen haben, auch einhalten. Dem gerecht zu werden, gehört zur Glaubwürdigkeit und zu unserem Wertekanon.

Die Gewichte in der Welt verschieben sich. Wir spüren das, wenn wir das Wirtschaftswachstum von China und Indien sehen, und wir spüren es, wenn wir uns die Bevölkerungsentwicklung der Welt anschauen. Während am Anfang des 20. Jahrhunderts jeder Vierte ein Europäer war, so wird es am Ende des 21. Jahrhunderts nur jeder Vierzehnte sein.

Wenn wir unsere Art, zu leben, wenn wir unsere Vorstellung von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit in der Welt durchsetzen wollen, dann müssen wir entschlossen dafür eintreten. Deshalb steht diese Bundesregierung für eine wertebewusste Politik und für einen Kurs der Orientierung am einzelnen Menschen. Wir wollen mehr Chancen für alle. Wir betreiben eine zukunftsfähige Politik, indem wir weniger Schulden machen. Wir schaffen Raum für Nähe und Geborgenheit in unserer Gesellschaft durch eine Politik für Kinder, Kranke und Pflegebedürftige. Wir stärken die soziale Marktwirtschaft, insbesondere in der internationalen Dimension, und wir übernehmen internationale Verantwortung, indem wir für unsere Wirtschaft, unsere Umwelt und unsere Sicherheit die neue Verbindung zwischen Innen- und Außenpolitik erkennen und gestalten.

Dieser Kurs bringt Deutschland voran, nach innen genauso wie nach außen. Damit schaffen wir die Fundamente unseres Wohlstands, und damit können wir die Erfolgsgeschichte dieser Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. Wir tun dies im Interesse und zum Wohle der Menschen in unserem Land.

Herzlichen Dank.