Redner(in): Angela Merkel
Datum: 12.09.2007
Untertitel: gehalten am 12. September 2007 in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Professor Mlynek, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/09/2007-09-12-rede-bkin-helmholtz-gemeinschaft,layoutVariant=Druckansicht.html
Sie haben sich für Ihre Tagung einen interessanten Zeitpunkt und einen interessanten Ort ausgesucht. Was den Zeitpunkt anbelangt, so bin ich heute sehr gerne hier, aber dieser Tag ist einer der hektischsten Tage im Laufe des parlamentarischen Lebens. Es ist Haushaltswoche und der Mittwoch ist der Tag der "Elefantenrunde". Außerdem findet heute ungefähr all das statt, was im Frühsommer nicht stattgefunden hat von der Eröffnung des Oktoberfestes in Berlin bis hin zum Michaelsempfang der Katholischen Kirche und natürlich zu dieser Jahrestagung der Helmholtz-Gemeinschaft. Dafür bin ich gerne hierher gekommen, bitte aber um Verzeihung, wenn ich Sie dann auch wieder verlassen muss.
Der Ort, die Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom, ist ein beeindruckendes Gebäude. Früher war es das "Kaiserliche Haupttelegraphenamt", heute ist es ein moderner Anbau. Tradition und Moderne sind hier also etwa so vereint, wie dies in Ihrer Gemeinschaft der Fall ist. Ich glaube, dass die Helmholtz-Gemeinschaft eine der Stärken unseres Landes repräsentiert. Auch sie hat ihre Wurzeln im alten Berlin des vorletzten Jahrhunderts. In Berlin-Charlottenburg gründete ihr Namensgeber Hermann von Helmholtz vor 120Jahren Sie wissen das natürlich die Physikalisch-Technische Reichsanstalt. Das war die erste außeruniversitäre Forschungseinrichtung in Deutschland. Der Gedanke schien gut zu sein, denn heute gibt es viele außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.
Forscher wie von Helmholtz, aber auch Max Planck und Alexander von Humboldt haben letztlich weitsichtig die Weichen für unser Forschungssystem gestellt, das das kann man, glaube ich, mit Fug und Recht sagen weltweit einzigartig war und auch heute immer noch ist. Dies lebt in Ihrer Gemeinschaft fort. Der Helmholtz-Gemeinschaft ist es in besonderer Weise zu verdanken, dass Deutschland im Bereich Wissenschaft und Forschung nicht nur eine große Tradition, sondern auch wirklich gute Perspektiven hat.
Deshalb möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft an dieser Stelle einfach ein Dankeschön sagen. Wir seitens der Regierung wissen: Ohne die Kreativität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht es nicht. Darüber können wir auch nicht rechtlich verfügen. Sie ist entweder vorhanden, weil Motivation und Leidenschaft im Spiel sind, oder aber nicht.
Mit dem Motto "Helle Köpfe" haben Sie also wahrscheinlich keine Blondinen gemeint, sondern Menschen, die etwas im Hirn haben. Und davon gibt es in Deutschland wahrscheinlich auch viele. Das habe ich gerade vorhin mit Frau Mlynek ausgearbeitet, als Sie gesprochen haben, wobei mein Anteil der größere war. Also nehmen Sie sie bitte nicht in Haftung.
Jetzt aber zurück zur Situation: Ich habe in der Generalaussprache vor dem Deutschen Bundestag in meiner Rede noch einmal darauf hingewiesen, vor welchen großen neuen und weltweiten Herausforderungen wir stehen. Sie wissen das, kennen das und haben es durch wissenschaftliche Kontakte und dem, was gelesen wird, natürlich ganz deutlich vor Augen: Wir leben in einer Welt, in der sich die Gewichte verschieben, in der die so genannten aufsteigenden Länder längst nicht mehr nur Duplikate produzieren oder irgendwelche verlängerten Werkbänke haben wollen, sondern in denen jede technische Förderung, jede Produktansiedlung und Werksansiedlung letztlich auch mit der Erwartung verbunden ist, die Blaupause gleich mitzukaufen. Das setzt wiederum voraus, dass die Blaupause für die nächste Generation eines Gerätes, einer Entwicklung, eines Produktes bereits irgendwo vorhanden ist und entwickelt wird. Das heißt also, wir müssen, wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, fit sein für den Wettbewerb um Ideen, Forschungsvorsprünge, neue Technologien und die Innovationen von morgen.
Wir wissen: Forschung und Entwicklung sind das gilt für die Helmholtz-Gemeinschaft natürlich in ganz besonderer Weise immer auch Brücken in die Märkte von morgen. Hier entstehen Arbeitsplätze, hier wird der Wohlstand für die Zukunft gesichert. Die Ausgangsbedingungen in Deutschland sind gut. Die 26. 000Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den 15Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft stellen dabei die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands dar. Das hat sicherlich Vorteile: Sie sind schlagkräftig. Das kann auch Nachteile haben, weil die straffe Organisation dann auch erst eingeübt werden muss. Aber darüber wird der Präsident mehr als ich sprechen. Außerdem bauen Sie sowohl die angewandte Forschung als auch die Grundlagenforschung aus. Sie verfolgen Großprojekte von international großem Interesse. Die neue Doppelring-Beschleunigeranlage "FAIR" und der weltweit erste Elektronenlaser "XFEL" gehören dazu. Wir als Bundesregierung sind natürlich auch ein bisschen stolz darauf, dass wir jeweils zum Gelingen beitragen konnten, denn es müssen ja immer sowohl die internationalen Verhandlungen geführt als auch die notwendigen finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden.
Die sechs zentralen Forschungsbereiche, auf die Sie Ihre Aktivitäten fokussiert haben, sind sozusagen das, was im Zentrum vieler Bemühungen steht und was auch in der Bevölkerung auf sehr große Akzeptanz stößt: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie sowie Verkehr und Weltraum. Die 400Patent-Neuanmeldungen pro Jahr deuten darauf hin, dass in Ihrer Gemeinschaft wirklich Innovation entsteht.
Ich glaube, für uns ist es ganz wichtig, dass wir nicht nur in den klassischen Technologiebereichen wie Fahrzeugtechnik oder Maschinenbau morgen werde ich die Internationale Automobilausstellung eröffnen, sondern auch in einem möglichst breiten und auf die Zukunft ausgerichteten Themenspektrum vorne mit dabei sind. Dazu gehören Umwelttechnologien und Energieeffizienzfragen. Ich glaube, wir tun gut daran, zu versuchen, in einem breiten Spektrum bei den Arbeitsplätzen der Zukunft mit dabei zu sein. Wir brauchen ein wirklich gutes Zusammenwirken von Grundlagenforschung und angewandter Forschung.
Über all diese Fragen haben wir natürlich im Zusammenhang mit dem Vorhaben der Bundesregierung, das wir nicht alleine umsetzen können, nachgedacht, nämlich dass wir es in Deutschland bis zum Jahr 2010 schaffen, jährlich dreiProzent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Innovation auszugeben. Der staatliche Anteil von Bund und Ländern muss etwa ein Drittel betragen und der der Wirtschaft zwei Drittel. Der Bund trägt wiederumdie Hälftedessen, was von staatlicher Seite bereitgestellt werden muss.
Angesichts unseres Wirtschaftswachstums ist das keine ganz unehrgeizige Aufgabe. Denn überall wird gesagt, wir müssten sparen und die Schulden abzahlen, aber je schöner das Wirtschaftswachstum ist, umso höher muss der Zuwachs ausfallen. Nicht jeder versteht das sofort, aber Sie natürlich wohl. Insofern haben wir jetzt mit diesem Haushalt einen Schritt gemacht, mit dem wir laut Wirtschaftswachstumsprognosen die Voraussetzungen dafür schaffen, auf 2, 8Prozent Forschungsausgaben zu kommen. Wir werden das natürlich bis zum Jahr 2010 weiter voranbringen.
Wir brauchen natürlich auch ein Regelwerk und ein Klima in der Forschung, bei dem sich auch die Wirtschaft verpflichtet fühlt, in Forschung und Innovation zu investieren. Angesichts der Tatsache, dass wir eher ein alternder Kontinent sind, und angesichts der Tatsache, dass Konsumzuwächse im europäischen Bereich nicht mehr ganz selbstverständlich sind, ist bei nicht optimalen Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Forschung natürlich die Gefahr relativ groß, dass die Forschungsanlagen gleich dorthin wandern, wo auch die großen Konsumzuwächse erwartet werden. Wenn man mit großen Herstellern spricht, dann sieht man das auch.
Umso wichtiger ist es, dass wir in Deutschland das Thema der Exzellenz und eine vernünftige Vernetzung der verschiedenen Forschungsakteure richtig hinbekommen. Deswegen ist es ganz klar, dass die Frage nach den Ausgaben für Wissenschaft nicht nur eine Frage des Geldes ist, sondern auch eine Frage der Strukturen und der rechtlichen Rahmenbedingungen für Forschung in Deutschland. Dabei gibt es viele gesellschaftliche Kämpfe, die wir auszutragen haben.
Wir werden jetzt das Gentechnikgesetz novellieren. Diejenigen, die mit der grünen Gentechnologie zu tun haben, werden nicht immer zufrieden sein. Es ist ein kleiner Fortschritt, aber es wird bei diesem Gesetz z. B. auch deutlich, dass die gesellschaftliche Akzeptanz sehr zu wünschen übrig lässt. Es ist an dieser Stelle leider auch zu sagen, dass viele die grüne Gentechnologie automatisch immer mit Lebensmitteln in Verbindung bringen, was bei uns ja gar nicht das Thema ist, sondern wir müssen es auch sehr stark mit nachwachsenden Rohstoffen und mit anderen Dingen in Verbindung bringen. Wir werden z. B. im Umweltbereich natürlich nicht die Erfolge erreichen können, wenn wir uns hierbei der Anwendung der grünen Gentechnologie verweigern würden. Wir haben deshalb neue Förderinstrumente hinzugezogen.
Ich denke, für die gesellschaftliche Akzeptanz, dass der Leistungsgedanke das Ziel sein muss, ist natürlich erst einmal die Exzellenzinitiative von allergrößter Bedeutung gewesen. Für den, der nördlich des Mains wohnt, ist es bitter, wie die erste Runde ausgegangen ist. Aber das macht deutlich, dass es doch Unterschiede zwischen den einzelnen Forschungseinrichtungen gibt. Diese müssen auch beim Namen genannt werden. Alles andere hilft uns nicht weiter. Ich glaube, es ist gut, dass es jetzt eine zweite Runde geben wird.
Außerdem gibt es den Spitzencluster-Wettbewerb. Ich glaube, das ist eine sehr vernünftige strukturelle Sache. Wir wollen themenoffen leistungsfähige regionale Cluster aus Wissenschaft und Wirtschaft dabei unterstützen, in die jeweilige internationale Spitze vorzudringen. Hiermit kommen wir genau zu einem Punkt, der uns wichtig ist, nämlich zur Vernetzung bisher getrennt operierender regionaler Akteure. Wir haben damals beim BioRegio-Wettbewerb noch unter Forschungsminister Rüttgers folgende Erfahrung gemacht: Wenn Akteure schon bei der Planung einer Initiative zusammengeschmiedet werden, dann kommt man besser zueinander, als wenn man das Geld sicher hat und anschließend schauen muss, ob man auch miteinander auskommt.
Wir wollen in diesem Zusammenhang drei Wettbewerbsrunden im Abstand von ca. anderthalb Jahren durchführen. Die Spitzen-Cluster werden insgesamt mit 600Millionen Euro gefördert. Ich glaube, diese etwas längerfristig angelegte Perspektive ist vernünftig, weil man dann nicht ad hoc von einer Initiative zur nächsten eilt, sondern auch ein Stück Sicherheit hat. Ich glaube, dass die Helmholtz-Zentren viele innovative Konzepte beisteuern können, wie sie es auch im Rahmen der Exzellenzinitiative getan haben.
Bund und Länder stellen für die Exzellenzinitiative insgesamt 2Milliarden Euro zur Verfügung. Hierbei geht es vor allen Dingen um die Universitäten, die aber natürlich auch wieder eine bessere Vernetzung schaffen müssen. Professor Mlynek ist mit seiner Biographie geradezu idealtypisch dafür geeignet, solche Vernetzungsvorgänge zustande zu bringen.
Meine Damen und Herren, Sie waren in der ersten Runde der Exzellenzinitiative als Helmholtz-Gemeinschaft recht gut dabei: VierGraduiertenschulen, sechsExzellenzcluster und ein Spitzenuni-Konzept das war ganz in Ordnung. Das Spitzenuni-Konzept in Karlsruhe ist ja doch ein sehr interessantes, wie ich finde. Ich konnte mir schon vor Ort ein Bild davon machen und habe auch Ministerpräsident Günther Oettinger sehr dafür gelobt, dass er nicht einfach darauf beharrt hat, dass Bund und Länder an dieser Stelle nicht richtig zusammengehören, sondern dass er einfach einmal auf die Sachfragen geschaut hat. Das ist, glaube ich, mit dem "Karlsruhe Institut für Technologie" dem "KIT", wie es genannt wird sehr gut gelungen. Ähnliches haben wir auch im Raum Aachen zu verzeichnen. Ich glaube, man sollte sich diese beiden Beispiele wirklich anschauen und überlegen, wie man dies auch an anderer Stelle weiter verfolgen kann.
Wir werden im Rahmen der Exzellenzinitiative nach Abschluss der zweiten Runde natürlich Auswertungen vornehmen. Dennoch sage ich ganz eindeutig: Die Exzellenzinitiative muss eine Exzellenzinitiative bleiben, es darf keine Regionalinitiative werden. Diese Maßgabe ist bitter für den Einzelnen, aber alles andere hilft nicht.
Wir haben einen "Pakt für Forschung und Innovation" geschlossen und damit Mittelerhöhungen für die großen Forschungseinrichtungen ermöglicht. Bis 2010 sind das ungefähr 2, 3Milliarden Euro. Damit haben wir einen der wesentlichen Beiträge dazu geleistet, das 3-Prozent-Ziel in Deutschland realisieren zu können.
Was uns auch gelungen ist, und darauf kann man, glaube ich, ein bisschen stolz sein, ist, dass die Bundesforschungsministerin eine "Hightech-Strategie" entwickelt hat, und zwar aus einem gemeinsamen Kabinettsverständnis heraus über alle Ressorts hinweg, die an Forschung beteiligt sind. Es gibt inzwischen eine Bereitschaft dafür auch das war nicht zu jeder Zeit selbstverständlich, dass sich auch die Bundesressorts für ihre Ressortforschung dem Exzellenzprinzip oder dem Fachprinzip stellen. Ich weiß, wie schwer das ist. Ich war einmal Umweltministerin und hatte auch schlechte Gutachten zu verkraften. Jeder weiß, wie schwer es ist, wenn man sozusagen etwas aus seinem eigenen Ressort weggenommen bekommt, weil man darin nicht exzellent ist, und genau weiß, dass man es nicht mehr wiederbekommen wird. Es wird dabei also ein hohes Maß an Einsicht verlangt. Das ist gezeigt worden. Es gibt jetzt eine sehr gute ressortübergreifende Strategie, die seitens des Bundesforschungsministeriums verwaltet wird.
Um dem breiten Publikum zu sagen, was die wesentlichen Dinge sind, die wir vor uns haben, haben wir mit der Hightech-Strategie 17Zukunftsfelder benannt sicherlich ziemlich viele, von der IT-Förderung bis hin zur Klimaforschung. Das entspricht dem, was ich auch gesagt habe, nämlich dass wir einen breiten Ansatz brauchen. Deutschland darf sich nicht auf einen oder zwei traditionelle Bereiche konzentrieren.
Es sind 17Zukunftsfelder, bezüglich derer die Bundesregierung sehr nüchtern Folgendes analysiert: Wo stehen wir? Wo sind wir spitze? Wo können wir spitze werden? Was fehlt uns? Wir nehmen uns dabei verschiedene Branchen vor und reden mit ihnen das macht die Bundesforschungsministerin oder, wie wir im IT-Bereich damit begonnen haben, führen einen speziellen Gipfel durch, um damit etwas für die Weiterbildung, Ausbildung und Nachbildung von Ingenieuren z. B. IT-Ingenieuren bis hin für Projekte, die wir sinnvollerweise realisieren sollten, sowie für die Zusammenarbeit von Firmen tun zu können.
Es gibt nämlich Bereiche, z. B. die IT-Technologie, in denen uns die Stellung Deutschlands und auch Europas insgesamt nicht zufrieden stellen kann. Wenn man weiß, dass eine Kenntnis auf der nächsten beruht, dann ist es eben unglaublich wichtig, dass man an bestimmten Schnittstellen der Weiterentwicklung einen Fuß in die Tür bekommt, die man vielleicht eigentlich schon geschlossen gesehen hat. Wenn ich sehe, wie viel Wertschöpfung wir nach all unseren Erfindungen der erste Computer wurde in Deutschland gebaut heute noch im Lande haben, dann kann uns das nicht zufrieden stellen. Deshalb müssen wir schauen, dass wir wenigstens bei der Implementierung der IT-Technologien in die praktischen Anwendungen wieder etwas besser dabei sind. Deshalb sind z. B. Projekte wie die Gesundheitskarte ganz wesentliche Projekte, um auch eine Massenanwendung zu erreichen.
Wenn wir dann allerdings die gesellschaftlichen Akteure in diesem Falle Kassen, Ärzte und BITKOM sehen, dann ist, sage ich einmal, mangelnder Innovationsgeist manchmal mit Sicherheit nicht nur bei Politikern zu beklagen, sondern er scheint sich irgendwie doch recht systematisch durch bestimmte Bereiche der Gesellschaft zu ziehen. Wir müssen es aber gemeinsam schaffen, dass wir den Geist der Veränderung, den Geist der Innovation als den Normalfall des Lebens im 21. Jahrhundert und nicht als Ernstfall oder Unglücksfall verstehen. Das ist eine Mentalitätsfrage. Wer immer nur denkt "lass mich mit der alten Technologie noch irgendwie bis an einen bestimmten Lebensabschnitt kommen", der wird den Herausforderungen der neuen Zeit nicht entsprechen. Also ist Neugierde für das ganze Land etwas, das notwendig ist. Aber ich glaube, wenn wir uns die jungen Studenten und Auszubildenden anschauen, dass ein hohes Maß an solcher Neugierde auch vorhanden ist.
Wir brauchen natürlich Fachkräfte, weil wir in Forschung und Innovation besser sein wollen. Aber wir können diesen Fachkräftemangel nicht immer als erstes mit dem Ruf nach Zuwanderung aus dem Ausland beantworten. Man kann schwer erklären, dass wir ein angeblich gutes Schulsystem haben, dass uns die Betriebe sagen, dass viele junge Leute nicht für die Ausbildung bereit sind und dass es nicht möglich ist, die jeweilige Berufsausbildung durchzuführen, dass es dann Warteschleifen für viele junge Menschen gibt, obwohl wir heute wissen, dass junge Menschen in fünf Jahren in Deutschland gesucht werden, dass wir die, die keinen Beruf haben, im Grunde mit einem hohen Risiko in Gruppen fallen lassen, die jahrelang, wenn nicht sogar jahrzehntelang, auf Transferzahlungen angewiesen sein werden. Deshalb setzt unsere "Nationale Qualifizierungsoffensive" auch gerade für diejenigen, die einen ausländischen Hintergrund haben, beim Erlernen der Sprache an. Dabei haben wir ja endlich Fortschritte gemacht.
Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass die Schnittstelle zwischen Schule und Berufsausbildung besser behandelt wird. Dazu ist die Bundesagentur für Arbeit gemeinsam mit den Ministerpräsidenten inzwischen bereit. Ich verhehle bei aller Selbständigkeit der Länder in der Schulausbildung auch nicht, dass gemeinsame Standards bei dem, was erreicht werden muss, schon irgendwie messbar sein müssen. Der Gedanke an eine Zentralprüfung in Mathematik in Deutschland erschüttert mich also zumindest nicht so wie manch anderen. Manch einem, der umziehen muss, würde es wahrscheinlich helfen, wenn er die Sicherheit hätte, dass die Kinder dann gut mitkommen können. Ich habe das gestern auch vor Bundeswehrangehörigen angesprochen.
Damit wir Ausbildung forcieren, haben wir einen "Hochschulpakt" geschlossen. Das war eigentlich eine großzügige Geste des Bundes, weil wir gerade die Föderalismusreform beschlossen hatten und die Länder allein für die Hochschulausbildung zuständig sind. Aber ihnen ist dann noch eingefallen, dass bei der Umstellung des Abiturs von 13 auf zwölf Jahre eine höhere Zahl von jungen Menschen studieren wird, und sie haben es dann auch nicht versäumt, den Bund um finanzielle Unterstützung zu bitten. Die Bundesforschungsministerin ist dem auch nachgekommen, wie wir uns selbstverständlich nicht dem Gedanken verschlossen haben, bei der Betreuung der Unter-Dreijährigen auch eine klassische Zuständigkeit der Länder als Bund hilfreich zur Seite zu stehen einfach aufgrund der gesellschaftlichen Notwendigkeit und weil kein Mensch im Lande Verständnis hätte, wenn wir uns jetzt um irgendwelche Mehrwertsteueranteile streiten würden. Die Leute erwarten zu Recht Resultate.
Wir werden in diesem Jahr das BAföG verbessern. Wir werden auch versuchen, dafür zu werben, dass in den verschiedenen Bereichen immer wieder Qualifizierungen im Sinne eines lebenslangen Lernens durchgeführt werden. Ein Land wie Deutschland wird es sich nicht leisten können, dass mit jeder neuen Software-Generation oder Programmiersprache sozusagen auch neue Menschen an den Arbeitsplatz kommen müssen, sondern es muss möglich sein, dass man auch bis ins höhere Alter noch Neues lernt und dafür im Zweifelsfall auch noch irgendeine Prüfung ablegt. Die Idee, ein Land wie Deutschland könnte sich gut entwickeln, wenn es auf alle Erfahrung und Routine von 50-Jährigen oder 55-Jährigen verzichtet, wird nicht aufgehen. Ich bin davon zutiefst überzeugt. Wir sind jetzt endlich wieder an der Stelle, an der wenigstens noch 50Prozent der über 50-Jährigen im Erwerbsleben stehen. Es waren schon einmal nur 40Prozent. Man kann sich das überhaupt nicht vorstellen angesichts der Tatsache, dass wir über die Rente mit 67 und über immer längere Lebenserwartungen sprechen müssen. Deshalb muss sich in diesem Bereich etwas tun.
Wenn wir dem eigenen Qualifizierungsbedarf nicht entsprechen können, dann werden wir uns natürlich auch der Zuwanderung von Hochqualifizierten und Fachkräften nicht verschließen. Wir machen jetzt in zwei Ingenieursberufen einen ersten Schritt. Wir werden sehen, ob noch Ingenieure aus den mittel- und osteuropäischen Staaten darauf warten, nach Deutschland zu kommen, oder ob sie bereits alle in Großbritannien oder woanders sind. Diese Erfahrung werden wir machen und sie uns dann auch genau anschauen.
Wir werden außerdem ein so genanntes "Wissenschaftsfreiheitsgesetz" erarbeiten. Das heißt, wir wollen sicherstellen, dass die nationale und internationale Vernetzung von Forschungseinrichtungen in Deutschland wirklich klappen kann. Das kann mit dem herkömmlichen Tarifsystem ab und an nur ungenügend erfolgen. Sie alle kennen sich damit wahrscheinlich viel besser aus als ich. Wir brauchen etwas mehr Flexibilität. Das wird kein einfacher Gang sein, aber ich glaube, das muss versucht werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen abschließend dafür danken, dass Sie etwas tun, und zwar sehr viel, um denen, die helle Köpfe sind, aber sich noch nicht für Wissenschaft und Technik entschieden haben, nämlich den jungen Menschen, Mut zu machen, in diese Berufe hineinzugehen. Wir haben hierbei in Deutschland einen Nachholbedarf. Wir wissen aber gleichzeitig, dass man Kinder und Jugendliche in ungleich höherem Maße begeistern kann. Die Studienfächer der Technik und der Naturwissenschaften gelten ja gemeinhin als schwer. Um dieser Schwere etwas Leichtigkeit zu verleihen, braucht man Begeisterung und Freude, die man vor allem dann hat, wenn man noch jung ist.
Wir wissen alle: Exzellenz ohne wissenschaftlichen Nachwuchs wird es nicht geben. Deshalb möchte ich Ihnen abschließend dafür danken, dass Sie die nächste Generation immer fest im Blick haben und mit einer Vielzahl von Aktivitäten, die weit über das Notwendige hinaus gehen, Ihren Beitrag dazu leisten. Ich glaube, die Zeiten sind recht günstig dafür. Seitens der Bundesregierung versuchen wir auch im Gespräch mit Ihnen vernünftige Strukturen herauszubilden, in denen sich Forscher, Entwickler, Techniker und Ingenieure in Deutschland wohl fühlen können. Wenn uns das gemeinsam gelingt, dann wird das das Antlitz unseres Landes auch ein Stück weit prägen.
Ich wünsche Ihnen gute Beratungen. Haben Sie Spaß, seien Sie leuchtende, helle Köpfe und gönnen Sie sich ab und zu vielleicht noch ein Helles am Abend. Dann kann es eine gute Tagung werden. Herzlichen Dank, dass ich hier sein kann.