Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 26.09.2007

Untertitel: Zur Verleihung des Kulturgroschens 2007 des Deutschen Kulturrates andenfrüheren Intendant des Westdeutschen Rundfunks und heutige Geschäftsführer der Ruhr 2010 GmbH Fritz Pleitgenhielt Staatsminister Bernd Neumann die nachfolgende Laudatio.
Anrede: Lieber Fritz Pleitgen, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/09/2007-09-26-rede-neumann-kulturgroschen-pleitgen,layoutVariant=Druckansicht.html


als ich hörte, dass sich der diesjährige Preisträger des "Kulturgroschens" mich als Laudator wünscht, habe ich mich geehrt gefühlt und mit Freude zugesagt. Denn eine Rede auf den "Alten Fritz" zu halten, so nennt man ihn inzwischen beim WDR, ist allemal erfreulicher und heiterer, als manche Debatte im Deutschen Bundestag. Es ist aber auch eine Herausforderung: Denn Fritz Pleitgen ist in jeder Hinsicht unübertrefflich auch bei der Würdigung der eigenen Person. Sie sollen ja schon mit 14 Jahren im westfälischen Bünde als Reporter für die "Freie Presse" geschrieben und dabei vor allem Ihre eigenen genialen Spielzüge beim FC Bünde gelobt haben.

Und weil sich dieses Prinzip offenbar bewährt hat, haben Sie es auch mehr als ein halbes Jahrhundert später wieder angewandt. Als der WDR den Abschiedsfilm über Sie machte erzählten Sie der Süddeutschen: "Wir drehen meinen Nachruf. Schließlich muss von jeder Person der Öffentlichkeit ein sendefähiger Nachruf vorliegen, für alle Fälle. Da will ich bei dem meinem selber mitmachen, da hat man im Griff, was später über einen erzählt wird." la Bonheur: selbst zu bestimmen, was über einen erzählt und geschrieben wird davon können Politiker nur träumen. Ich meinerseits rede gerne Gutes über Fritz Pleitgen. Wir hatten er als Medienmanager, ich als Medienpolitiker im Lauf der Jahrzehnte mehrfach miteinander zu tun. Daher weiß ich, dass uns bei aller Unterschiedlichkeit unserer Biografien und unseres beruflichen Weges einige Grundüberzeugungen verbinden.

Erstens glauben wir, dass Kultur und Medien kein x-beliebiges Wirtschaftsgut sind, mit dem man handelt wie mit Autos oder Waschmaschinen.

Zweitens wissen wir, dass "kulturelle Vielfalt" genauso geschützt werden muss, wie das Klima oder die Artenvielfalt, dass sie nicht dem Spiel freier Marktkräfte überlassen werden darf und dass die Förderung auch scheinbar unwirtschaftlicher kultureller Dienstleistungen eine öffentliche Aufgabe ist.

Drittens sind wir uns darin einig, dass das Privileg öffentlich-rechtlicher Medien, sich über Gebühren zu finanzieren, die Verpflichtung einschließt, qualitativ hochwertige Programme anzubieten.

Fritz Pleitgen hat diese Prinzipien auf allen Stationen seines beruflichen Lebens im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nur beachtet, sondern gelebt und praktiziert. Deshalb ehrt ihn der Deutsche Kulturrat heute mit der Verleihung des "Kulturgroschens". Der Preis soll aber auch die Verdienste würdigen, die Sie sich als führender Kopf der ARD und als Präsident der Europäischen Rundfunk Union im europäischen und internationalen Rahmen schon erworben haben. Mit dieser Auszeichnung, lieber Herr Pleitgen, werden Sie in einer Reihe von Politikern, Kunst- und Kulturschaffenden zu nennen sein wie Daniel Barenboim, Johannes Rau oder William Forsythe. Herzlichen Glückwunsch dazu.

Sie waren Korrespondent, Chefredakteur, Hörfunkdirektor, Intendant des WDR, 44 Jahre lang, das prägt."Ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk", sagten Sie einmal,"gäbe es in Deutschland eine empfindliche Informations- und Kulturstörung" eine Einschätzung, die auch von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe geteilt wird, wie sich gerade vor wenigen Tagen erst zeigte. Freilich haben Sie ebenso darauf bestanden, dass sich der gebührenfinanzierte Rundfunk immer wieder durch die Qualität seiner Programme legitimieren muss.

Politik, Medien und Kultur: Es sind diese drei Pfeiler, auf denen Sie Ihren beruflichen Erfolg gründeten. Sie pflegten Umgang mit den Großen der Welt und hielten doch immer Distanz zu ihnen.

Ihre Reportagen aus der Sowjetunion, der DDR und den USA brachten uns die Weltpolitik zu Zeiten des Kalten Krieges ins Haus, aber es gab von Ihnen auch wunderbare Berichte über das kulturelle Leben in New York und schließlich nach dem Einsturz der Mauer spannende Interviews und Filme aus der untergehenden DDR und dem zerfallenden Sowjetimperium.

Ihre WDR-Kollegen haben Sie als durchsetzungsstarkes Arbeitstier in Erinnerung: "Dieser Kraftprotz bolzte mit ruppiger Durchsetzungsfähigkeit, die vor nichts zurückschreckte. Er stampfte durch dick und dünn, auch wenn es darum ging, den eigenen Beitrag, der wegen aktueller Themenverlagerung auf der Kippe stand, ins Programm zu boxen." So beschrieb Sie Ihr Kollege Werner Filmer. Und so habe auch ich Sie erlebt: Als einen zielstrebigen und geradlinigen, aber auch taktisch versierten und nie um eine Antwort verlegenen Medienprofi.

Unvergessen die Berichte und Interviews mit literarischen Persönlichkeiten wie Lew Kopelew oder Günter Grass, die Sie geschickt dazu nutzten, politisch brennende Fragen anzusprechen, ohne den Künstler und sein Werk aus den Augen zu verlieren. Ohne Sie wäre aber auch die Sendung mit der Maus nicht das geworden, was sie ist: Ein hervorragendes Beispiel für qualitätsvolles Kinderfernsehen, das bekanntlich auch ganz viele Erwachsene fasziniert, zum Beispielauch die Bundeskanzlerin, wie kürzlich zu lesen war. Wer von uns könnte sich dem Charme von Käpt " n Blaubär entziehen!

Kulturelle Vielfalt, ich sagte es bereits, ist unser gemeinsames Ziel. Sie, lieber Herr Pleitgen, haben es schon als WDR-Hörfunkchef und später auch als Intendant umgesetzt. Mit der Regionalisierung des Senders sorgten Sie dafür, dass sich die Vielfalt der Regionen und deren Interessen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärker widerspiegeln.

Besonders freut mich als zuständigen Staatsminister natürlich Ihr Engagement für die Deutsche Welle. Sie sind der Spiritus rector jener Verwaltungsvereinbarung, mit der wir die Zusammenarbeit des Auslandssender mit ARD und ZDF auf eine neue Grundlage gestellt haben, und man kann ohne Übertreibung sagen, dass es ohne Ihren Einsatz nicht zu dieser Kooperation gekommen wäre. Dafür möchte ich Ihnen herzlich danken. Um dieses zügig zu realisieren, habe ich vorgesehen, dass die Deutsche Welle im Haushalt 2008 die Globale Minderausgabe vonsechs MillionenEuro nicht erbringen muss, im Gegenteil sogar eine Erhöhung vonvier Millionen Euro erfolgt.

Die Kultur zu den Menschen zu bringen, lieber Herr Pleitgen, das

war immer Ihr Anliegen. Für vermeintlich schwer vermittelbare Kunst sogar in der so genannten Provinz ein interessiertes Publikum zu finden: das war Ihre Idee. Sie erfanden die "Kulturpartnerschaften" des WDR mit Kultureinrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Und dies ist einer der ausdrücklich genannten Gründe, warum Ihnen der Deutsche Kulturrat heute den Kulturgroschen verleiht.

Die etwa 50 "Kulturpartnerschaften" des WDR haben gezeigt, dass qualitativ hochwertige und manchmal auch schwierige Kultur nicht nur in den großen Metropolen stattfindet. Ich verweise hier nur beispielhaft auf die Tage "Alter Musik" in Herne oder die "Wittener Tage" für neue Kammermusik. Das Prinzip ist einfach: das Kulturradio des WDR ruft die Theater, Konzerthäuser und Museen das Landes auf, ihre Projekte vorzustellen. Aber auch andere Kultur-Organisatoren können sich bewerben. Die besten Projekte werden ausgesucht, und im WDR publik gemacht. Im Gegenzug weisen die lokalen Veranstalter mit Logos auf das Programm des WDR hin.

Die Kultureinrichtungen freuen sich über messbar gestiegene Besucherzahlen; der WDR über mehr Hörer und mehr Präsenz in Nordrhein-Westfalen und das Publikum über mehr Information über Kultur und Kulturveranstaltungen. Eine klassische win-win-Situation, für die Sie, Herr Pleitgen, den Grundstein gelegt haben, herzlichen Glückwunsch.

Auch mein Haus hat hiervon schon profitiert. Als wir zum ersten Mal die "TRIDEM 2005" veranstalteten, eine Kulturrallye von polnischen, französischen und deutschen Jugendlichen durch drei Länder, haben uns der WDR und besonders Sie, Herr Pleitgen, tatkräftig unterstützt. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass sich über 1000 Jugendliche in der Zeche Zollverein zu einem spektakulären Fest treffen konnten. Wieder ein Beispiel für Ihre Gabe, die Menschen in Europa durch Kultur zu begeistern.

Ich sprach eingangs bereits von unserer gemeinsamen Grundüberzeugung, dass Kunst und Kultur nicht auf ihre Wirtschaftlichkeit reduziert werden können. Die Bewahrung der kulturellen Vielfalt ist eine öffentliche Aufgabe und auch mein zentrales, politisches Anliegen. Sie waren allzeit dafür ein unermüdlicher Mitstreiter.

Die Kundigen unter uns wissen, was das Kürzel GATS bedeutet: "Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen." In Verhandlungen mit der EU will die World Trade Organization die globalen Märkte liberalisieren. Das ist an sich wünschenswert. Aber die WTO und vor allem die Amerikaner betrachten auch kulturelle Dienstleistungen wie Radio, Fernsehen, Film und Musik als normale Wirtschaftsgüter und bedrängen die EU, ihre Märkte zu liberalisieren, Subventionen zu streichen und den gesamten Kulturbetrieb dem freien Spiel des kommerziellen Wettbewerbs zu überlassen eben das, was für den deutschen und den europäischen Kulturbetrieb unannehmbar wäre. Denn wenn Kultur nicht mehr nach Qualität, sondern nur noch nach Rendite fragt, wäre dies das Ende der "kulturellen Vielfalt".

Sie, lieber Herr Pleitgen, haben als überzeugter Anhänger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sehr früh diese Risiken erkannt und sind in die Offensive gegangen. Als 2003 im mexikanischen Cancún über GATS verhandelt wurde, sind Sie unermüdlich mit einem Rucksack voller Argumente durch die mexikanische Stadt gezogen und haben für den Erhalt der "kulturellen Vielfalt" geworben. Die brauche, so argumentierten Sie, genauso unseren Schutz, wie die Umwelt und das Klima.

Die EU hat sich der eindimensionalen WTO-Sichtweise widersetzt hat und das ist auch Ihr Verdienst. Unsere gemeinsamen Bemühungen haben schließlich dazu geführt, dass die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen verabschiedet wurde, die im Frühjahr dieses Jahres in Kraft trat. Damit hat sich die internationale Staatengemeinschaft erstmals auf ein rechtsverbindliches Instrument geeinigt, das diesen Schutz garantiert und die GATS-Philosophie durchkreuzt. Außerdem sichert das UNESCO-Übereinkommen beispielsweise die Filmförderung in Deutschland, wie auch den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Über beides freue ich mich, wie Sie sich sicherlich vorstellen können, besonders. Auf Ihren Anteil an diesem Meilenstein der Kulturpolitik, lieber Fritz Pleitgen, können Sie zu Recht stolz sein.

Von der internationalen Kultur- und Medienpolitik in Cancún und Brüssel zurück in Ihre Heimat, ins Ruhrgebiet: Seit Kurzem laufen bei Ihnen die Fäden für ein kulturelles europäischen Großprojekt zusammen. Ich rede von der europäischen Kulturhauptstadt Essen beziehungsweise der Ruhr 2010 GmbH, deren Geschäftsführer Sie seit dem 1. April sind. Mit diesem Posten haben Sie sich viel vorgenommen. Es ist eine ganz besondere "Agenda 2010." Und einen besseren Organisator hätte man dafür nicht finden können. Ihr Team kann sich über einen visionären und mutigen Entscheider freuen und wird sich auch sicher bald an das ganz eigene Tempo eines Fritz Pleitgen gewöhnen: die "fritzmäßige" Erledigung von Aufgaben ist im WDR längst ein geflügeltes Wort geworden.

Meine Damen und Herren: Bei einem Mann, der die Rastlosigkeit selbst als seinen Hauptcharakterzug bezeichnet, dürfen wir sicher noch mit einigen Überraschungen rechnen. Vielleicht baut Fritz Pleitgen ja noch sein schauspielerisches Talent aus, das er anlässlich des 50 jährigen Jubiläums des WDR mit einem Auftritt in der "Lindenstraße" bereits unter Beweis gestellt hat. Ich glaube nicht, dass wir noch lange auf ein neues Buch oder wunderbare Filme von Ihnen warten müssen: Ich jedenfalls freue mich schon jetzt darauf.

Herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des "Kulturgroschens".