Redner(in): k.A.
Datum: 16.10.2007

Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/10/2007-10-18-rede-boehmer-symposium-integration-durch-bildung,layoutVariant=Druckansicht.html


liebe Gäste,

vor einem Jahr standen zehn junge Menschen strahlend vor mir. Ihre Herkunft: Iran, Türkei, Georgien, Kasachstan, Korea, Russland, China. Was sie auszeichnet, sind ein hohes soziales Engagement und Bestnoten im deutschen Abitur.

Es war der erste Jahrgang des Vodafone Chancen Programms. Ich habe die neuen Stipendiaten von Herzen beglückwünscht, im sicheren Wissen: So kommen wir voran. Wir haben große Talente in unseren Ländern. Wir müssen sie nur entdecken und fördern! Dann können sie Teil der gesellschaftliche Elite von morgen werden und Vorbilder für andere sein.

Denn Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Bildung heißt Teilhabe eröffnen: Kulturell, wirtschaftlich, sozial und politisch. Das gilt vor allem dort, wo Bildung die wichtigste Ressource ist. Und das ist sie in der ganzen OECD-Welt.

Aber Studien zur Situation in den OECD-Staaten belegen:

Zu viele Zuwanderer sind nicht genügend qualifiziert, auch noch in der 2. und 3. Generation. Sie haben weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Bildungserfolg ist abhängig von der sozialen Herkunft. Das haben die PISA-Ergebnisse erneut verdeutlicht.

Wir haben in den OECD-Ländern zum Teil vergleichbare Probleme. Deswegen ist es sinnvoll, bei den Lösungen intensiv zuzusamenzuarbeiten. Wir wollen voneinander lernen, und deshalb sind wir heute hier.

Die Bundesregierung hat in der Integrationspolitik umgesteuert. Wir begreifen Integration als eine der Zukunftsfragen überhaupt. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie kann nur gemeinsam bewältigt werden. Daraus hat die Bundesregierung zwei Konsequenzen gezogen:

Erstens. Wir haben einen ständigen Dialog mit allen Beteiligten begonnen Wir reden nicht mehr übereinander, sondern miteinander. Zweitens. Wir nehmen uns der Integration in allen ihren Facetten an, in Schule und Beruf, in der Kultur, in den Medien, dem Sport. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei den Sprachkenntnissen, der Bildung und der Integration in den Arbeitsmarkt zu. Und selbstverständlich gehört die Gleichberechtigung der Frau dazu.

Die Integrationspolitik der Bundesregierung folgt dem Leitgedanken: Fördern und Fordern.

Das konkrete Ergebnis dieser neuen Integrationspolitik ist der Nationale Integrationsplan. Wir haben ihn im Dialog mit Vertretern aller staatlichen Ebenen, Vertreter von Verbänden, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Kirchen, der Wissenschaft, des Sports, der Medien, der Kultur und vor allem der Migranten selbst erarbeitet.

Kennzeichen des Nationalen Integrationsplans sind die Selbstverpflichtungen.

Alle Beteiligten haben Selbstverpflichtungen eingebracht, insgesamt 400. Damit tragen alle dazu bei, dass Talente erkannt und Potenziale ausgeschöpft werden! Damit tragen alle Beteiligten zur Zukunft unseres Landes bei!

Stiftungen waren für mich von Anfang an besonders wichtige Partner im Nationalen Integrationsplan. Sie stehen für gesellschaftliches Engagement und Bürgersinn. Beide sind in unserer freiheitlichen Gesellschaft unverzichtbar. Denn Integration kann nicht allein vom Staat geleistet werden! Wenn Integration wirklich gelingen soll, brauchen wir eine aktive Bürgergesellschaft.

Viele Stiftungen leisten seit Jahren Pionierarbeit für die Integration durch Bildung. Die Stiftungen haben die Bedeutung des Themas Integration für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes früher erkannt als die Politik. Sie haben vielfältige Vorhaben initiiert. Und sie sind offen für Dialog und Ko-operation. Das zeigt unser heutiges Symposium. Mehr und mehr Stiftungen wollen an der Integration mitwirken. Das ist hilfreich! Denn es bedeutet, bürgerschaftliches Engagement zu mobilisieren. Es bedeutet zugleich, mehr finanzielle Mittel zu mobilisieren. Das Gesamtfördervolumen der Stiftungen in Deutschland lag 2006 bei der beeindruckenden Summe von 7 Milliarden Euro. Jeder Euro davon, der in Integrationsmaßnahmen investiert wird, bringt gesellsschaftspolitisch eine hohe RenditeHinzu kommt: Die Stiftungen sind an Dialog und Kooperation ebenso interessiert wie wir. Das beweist Ihr Kommen. Das beweist das große Engagement der Vodafone-Stiftung für dieses Symposium: Herzlichen Dank!

Stiftungen bringen sich in nahezu allen Bereichen der Integration durch Bildung ein. Ich möchte drei entscheidende Bereiche herausgreifen.

1. Integration durch Sprache Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt ", hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein gesagt. Lassen Sie uns gemeinsam Welten eröffnen! Denn die Sprache des Aufnahmelandes ist Voraussetzung für eine gute Bildung und damit die Grundlage für Integration. Viele Jugendliche aus Zuwandererfamilien sprechen aber schlecht Deutsch, auch wenn sie hier geboren wurden. Im Nationalen Integrationsplan haben wir deshalb einen Schwerpunkt auf die frühe Sprachförderung gelegt. Drei Stiftungen sind hier vorangegangen:

Die Hertie-Stiftung, die Quandt-Stiftung unddie Türkisch-Deutsche Gesundheitsstiftung

Ihr gemeinsames Projekt heißt "Frühstart". Erzieherinnen und Erzieher erwerben dabei die notwendigen Kenntnisse für die systematische Sprachförderung im Kindergarten.

2. Integration durch schulische Bildung.

Der Schulerfolg entscheidet über Lebensperspektiven. Aber zu viele Jugendliche aus Zuwandererfamilien verlassen die Schule ohne Abschluss, und zu wenige machen Abitur. Wir müssen deshalb Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Schichten gezielt fördern. Und wir müssen zugleich Lehrerinnen und Lehrer besser für diese Aufgabe qualifizieren. Der Nationale Integrationsplan wird hier spürbare Verbesserungen bringen.

Erneut sind Stiftungen vorangegangen: Die Mercator-Stiftung ermöglicht mit ihrem Programm "Förderunterricht" die Vorbereitung von mehr als 1000 Lehramtsstudenten. Diese haben in den letzten Jahren sage und schreibe 6000 Schülerinnen und Schüler aus Zuwandererfamilien beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt.

Die Bosch-Stiftung und die Hertie-Stiftung fördern seit Jahren hochbegabte Schülerinnen und Schüler aus Zuwandererfamilien. Dazu haben sie sich auf völlig neue Weise vernetzt. Beim START-Programm von Hertie sind 40 Stiftungen beteiligt. Hier werden Talente entdeckt und entwickelt und wenn alles gut läuft, werden sie dann Vodafone-Stipendiaten!

3."Integration in Selbst-Verantwortung".

Institutionen besonders Kindergarten und Schule können nicht alles auffangen, was im Elternhaus versäumt wird. Es gibt Eltern, die ihre Verantwortung nicht voll wahrnehmen können: Sie sprechen unsere Sprache nicht oder ungenügend, sie kennen unser Bildungssystem nicht. Wir müssen sie unterstützen, und zwar als "Hilfe zur Selbsthilfe". Hier werden vor allem kleine Stiftungen und Initiativen vor Ort tätig. Viele von Ihnen sind wenig bekannt und wenig vernetzt.

In der Bildungsbegleitung junger Menschen sehe ich ein großes Potential für Public Private Partnerships. Ich baue darauf für mein Projekt eines "Netzwerks Bildungs- und Ausbildungspaten" Die Resonanz ist außerordentlich groß. Viele wollen mitmachen. Ich setze dabei an drei Punkten an: 1. Kinder beim Übergang vom Kindergarten zur Schule und2. beim Übergang von der Schule in die Ausbildung zu begleiten. Dabei müssen die Eltern miteinbezogen werden. 3. Die Begleitung und Beratung von Betriebsinhabern ausländischer Herkunft, wenn sie zum ersten Mal einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen.

Dieses Netzwerk soll viele Menschen in dem Anliegen "Integration durch Bildung" zusammenführen. Es macht deutlich: Staatliches Handeln und freiwilliges bürgerschaftliches Engagement ergänzen sich.

Stiftungen fördern Deutschkenntnisse, sie fördern Schüler aus bildungsfernen Schichten ebenso wie Hochbegabte, sie wenden sich den Eltern zu.

Was folgt daraus für die Rolle von Staat und Stiftungen? Was folgt daraus für unsere Kooperation?

Stiftungen haben die Möglichkeit, schnell zu reagieren oder besser gesagt: zu agieren. Bundespräsident Horst Köhler hat die Stiftungen als "Denkfabriken" gekennzeichnet, die "mit Phantasie und Ideenreichtum drängende Fragen unserer Gesellschaft" aufgreifen. Viele Stiftungen gehen noch einen Schritt weiter, probieren Neues aus, sammeln Erfahrungen in einem überschaubaren Feld. Sie können dies alles tun, ohne gleich in die Fläche gehen zu müssen.

Stiftungen können und sollen staatliche Verantwortung und staatliches Handeln nicht ersetzen. Aber sie regen an, stellen ihre Erfahrung zur Verfügung, lösen Veränderungsprozesse aus. Daraus kann ein für alle gewinnbringender Wettbewerb um die besten Lösungen entstehen.

Der Staat trägt Verantwortung für das Wohlergehen der Menschen. Wie ein großes Schiff hat er Platz für alle Passagiere und viel Fracht, aber es braucht Zeit zum Beschleunigen und zum Wenden. Die Stiftungen gleichen eher Schnellbooten, die wendig und mit kleiner Besatzung in unbekannte Gewässer vorstoßen und Unbekanntes erforschen. Wenn keine Riffs die Fahrt behindern, kann auch das große Schifff diese Route befahren.

Lassen Sie mich das auf einen einfachen Nenner bringen:

Der Staat kann nicht, was Stiftungen könnenund Stiftungen nicht, was der Staat kann.

Das heißt aber nicht: Wir müssen die Sphären feinsäuberlich voneinander trennen. Im Gegenteil! Wir können uns ergänzen! Ja, wir müssen uns ergänzen, denn das Umsteuern für eine bessere Integration der Menschen aus Zuwandererfamilien gelingt nur gemeinsam.

Gemeinsam wollen wir Verantwortung und Teilhabe stärken. Denn beides zeichnet eine starke Bürgergesellschaft aus. Stiftungen sind ihr vornehmster Ausdruck.

Das Potenzial der Zusammenarbeit zwischen Stiftungen und Staat ist noch lange nicht ausgeschöpft!

Bislang ist Deutschland im Integrationsbereich das Land der Projekte. Wir müssen stärker zum Land dauerhafter Programme und einer nachhaltigen Integration werden.

Nicht um die Schaffung gemeinsamer Institutionen von Staat und Stiftungen geht es, nein: Lassen Sie uns neue strategische Partnerschaften eingehen. Wie könnten diese aussehen? Am Anfang dieses Symposiums will ich bewusst nur drei Impulse geben:

ERSTER IMPULS. Eigenständigkeit wahren, Kräfte bündeln. Eine Stiftung ist ihrem gemeinnützigen Stiftungszweck verpflichtet. Der Staat ist allen seinen Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Das Gemeinwohl führt uns zusammen und läßt uns gemeinsame Ziele wie Integration durch Bildung definieren und ausfüllen. Aber die Stärke der Stiftungen besteht gerade in ihrer Eigenständigkeit und die Stärke des demokratischen Staates in der Legitimation durch die Bürgerinnen und Bürger. Die Partnerschaft Staat Stiftungen ist immer ein: "Ich will" zum beiderseitigen Vorteil. ·

ZWEITER IMPULS. Nachhaltigkeit durch frühe Kooperation stärken. Die Chancen, das gemeinsame Ziel zu erreichen, sind dann besonders gut, wenn Staat und Stiftung von Anfang an zusammenkommen. Das war zum Beispiel bei dem Projekt "Frühstart" der Fall. Hier bestand von Anfang an eine Kooperation mit der Hessischen Landesregierung. Keine Seite kommt mit einem fertigen Projekt, beide können ihr Know-how einbringen; und wenn die staatliche Seite dabei ist, steigen die Chancen, dass der schwierige Schritt zum Programm gelingt. ·

DRITTER IMPULS. Offen sein für Veränderungen. Stiftungen haben das berechtigte Interesse, aus der Laborsituation in die Anwendung zu kommen. Sie wollen nachhaltig wirken. Wir wissen aber: Ein Produkt, das in Serie geht, ist nicht in jeder Einzelheit identisch mit dem Prototyp. Für die Produkte von Stiftungen stellt sich die Frage:

Unter welchen Bedingungen bewähren sie sich auch in der Fläche? Wie müssen sie sich dafür ggf. verändern? Und: Sind die Institutionen und die betroffenen Personen für neue Wege offen? Auch die staatliche Seite muss beweglich und attraktiv sein!

Integration durch Bildung eignet sich in hervorragender Weise für das Ausloten neuer strategische Partnerschaften.

Denn Bildung ist der Schlüssel für Integration. Stiftungen bringen Innovationskraft, Erfahrung und die Bereitschaft mit, in diesem Feld noch aktiver zu werden. Die OECD-Ländern können voneinander lernen, weil sie vergleichbare Probleme lösen müssen und zum Teil innovative Lösungen bereits existieren. Voraussetzung ist, dass die Politik das Thema in seiner Breite in den Blick nimmt. In Deutschland haben wir das mit dem Nationalen Integrationsplan getan, an dem Stiftungen maßgeblich beteiligt waren.

Auch unser Symposium belegt: Wir haben uns bereits gemeinsam auf den Weg gemacht.

Heute und morgen lernen wir voneinander. Ich wünsche mir, dass wir heute und morgen bereits einen Teil der künftigen Marschroute klären.

Wir schauen uns an, wie Integration in vier Ländern gestaltet wird und wie Public Private Partnership für Bildung durch Integration dort gelingt: In Kanada, Australien, Schweden und Deutschland.

Und wir vertiefen die Kernthemen von Public Private Partnership für Bildung durch Integration, wie sie heute morgen bereits genannt wurden: Frühe Förderung, Patenmodelle, Schule, Begabtenförderung und Berufliche Integration.

Steht uns nicht das selbe Ziel vor Augen? Eine Gesellschaft gleichberechtigter Teilhabe und gerechter Chancen. Eine Gesellschaft, die Vielfalt ebenso anerkennt wie Leistung, die Selbst-Verantwortung fordert und fördert. Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen!

Ludwig Wittgenstein schrieb in seiner berühmten Logisch-Philosophischen Abhandlung von 1918: "Ich bin also der Meinung, die Probleme im wesentlichen endgültig gelöst zu haben."

So weit werden wir hier nicht kommen. Ich wünsche uns aber, dass das Symposium Lösungen befördert und zur Vernetzung beiträgt!

Vielen Dank