Redner(in): Angela Merkel
Datum: 25.10.2007
Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident, lieber Norbert Lammert, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Helmut Kohl, sehr geehrter, lieber Rudolf Seiters, liebe Frau Seiters, liebe Rotkreuzgemeinde, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/10/2007-10-25-rede-bkin-laudatio-rudolf-seiters,layoutVariant=Druckansicht.html
ich bin heute wirklich sehr gerne hierher gekommen, um noch einmal von ganzem Herzen zu diesem runden bei männlichen Wesen darf man es ja aussprechen 70. Geburtstag zu gratulieren. Ich glaube, die Zahl derer, die heute hierher gekommen sind, zeigt, dass es viele Menschen gibt, die gerne mit dir, lieber Rudolf Seiters, bzw. mit Ihnen, Herr DRK-Präsident, feiern. Ich glaube, die Tatsache, dass die Familie heute auch hier ist, spricht Bände darüber, dass der Familienzusammenhalt sowie die Gemeinsamkeit hinsichtlich der Aufgabenteilung immer wieder Kraft für sehr viele Erlebnisse und Ergebnisse des Lebens von Rudolf Seiters gegeben haben.
Eine Laudatio auf ihn zu halten, ist einfach und schwierig zugleich. Es ist einfach, weil es Spaß macht, einen Menschen zu würdigen, der wirklich über Parteigrenzen hinweg und in der Bevölkerung ein hohes Ansehen genießt. Schwierig ist es, weil natürlich im Unklaren bleibt, wo man anfangen und wo man enden soll. Man soll natürlich auch nicht zu viel aus dem Nähkästchen plaudern.
Ich beginne erst einmal mit der Gegenwart, nämlich mit dem Wirken von Rudolf Seiters an der Spitze des Deutschen Roten Kreuzes. Dieses Amt hat Ihr Präsident in einem Alter übernommen, in dem andere in den Ruhestand gehen. Aber von einem "Ruhestand" kann nun wirklich nicht die Rede sein. Präsident eines der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zu sein das kann man nicht nebenher erledigen. Ich glaube, es war Rudolf Seiters auch klar, dass man das nicht nebenher erledigen kann. Es ist eine Vollzeitaufgabe, zumindest bei dem Amtsverständnis, das Rudolf Seiters hat.
Vielleicht ist einer der Gründe, aus denen er sich entschlossen hat, diese führende Aufgabe zu übernehmen, ein Leitfaden, der ihn durch das ganze Leben begleitet hat: Der Leitfaden, das ehrenamtliche Engagement in unserer Gesellschaft voranzubringen, die Überzeugung, dass die Politik manches kann und der Staat einiges kann, aber dass ohne die Bereitschaft zum Ehrenamt vieles in unserer Gesellschaft nicht menschlich sein würde; jedenfalls nicht so, wie es heute ist. Das Deutsche Rote Kreuz lebt von seinen 400.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Ohne dieses Engagement könnte das Deutsche Rote Kreuz seine Arbeit weder im In- noch im Ausland wahrnehmen.
Ich weiß, dass die Erkenntnis, dass die ehrenamtliche Tätigkeit von Rudolf Seiters auch eine feste Grundlage in seiner Verwurzelung im christlichen Glauben hat, für viele Menschen spürbar ist. Rudolf Seiters steht für eine klare Werteorientierung, die aus dem christlichen Verständnis vom Menschen erwächst. Sie als Christlicher Demokrat, der Sie sind, wissen: Auch in einer Gesellschaft, die stark individualisiert ist, bleiben wir Menschen auf das Miteinander in der Gemeinschaft angewiesen. Dies kommt in Ihrer Arbeit zum Ausdruck. Im christlichen Verständnis vom Menschen stehen seine Freiheit und Eigenverantwortung nie allein, sondern sie sind stets in das Zusammenleben mit anderen eingebunden Freiheit in Verantwortung für Solidarität und Gerechtigkeit.
Jeder Mensch kann sehr schnell in eine Lage kommen, in der er unmittelbar spürt, dass er auf Solidarität angewiesen ist. Ich glaube, jeder Mensch ist sowieso auf Solidarität angewiesen. Manchmal neigt man dazu, das zu vergessen, aber es ist so. Deshalb kann kein Sozialstaat das bürgerschaftliche Engagement einer Gesellschaft ersetzen. Deshalb muss es gepflegt und durch Persönlichkeiten wie Rudolf Seiters vorgelebt werden.
Ich glaube, gerade für junge Menschen ist es wichtig, dass sie frühzeitig die Erfahrung machen, Verantwortung für andere zu übernehmen. Das Vorbild der Erwachsenen ist hierbei natürlich von entscheidender Bedeutung. Im Jugendrotkreuz gibt es dazu eine hervorragende Gelegenheit. Deshalb fange ich auch damit an, diese junge Organisation im Roten Kreuz hier noch einmal zu würdigen. Rudolf Seiters hat immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir in jeder Generation für das Ehrenamt werben und eintreten müssen und dass wir an das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen appellieren müssen.
Ich finde es ganz bezeichnend für Rudolf Seiters, dass er beim Werben um Spendenbereitschaft auch immer wieder an so genannte vergessene Notlagen erinnert hat, wie man das heute nennt in einer Zeit, die sehr schnelllebig ist und die auf die aktuellen Dinge sehr klar reagiert. Aber wenn die Medienberichterstattung zurückgeht, ist das Problem in der Welt häufig noch nicht gelöst. Deshalb ist es so wichtig, dass wir an die lang anhaltenden Bürgerkriege denken, an die Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern, die dort zum Teil jahrzehntelang sind, an jahrelange Dürreperioden, die die Lebensgrundlagen von Menschen zerstören, und an vieles andere mehr.
Natürlich ist die Akuthilfe ein genauso wichtiges Standbein des Deutschen Rotes Kreuzes, wenn ganz aktuell in schrecklichen Situationen wie in Kriegen Verletzte versorgt werden müssen, wenn die Frage nach Hilfsgüter, nach sauberem Trinkwasser und nach medizinischer Hilfe auf der Tagesordnung steht oder wenn, wie im Sommer, ganz in unserer Nähe, wie man sagen kann, nämlich in Griechenland, Krankenhäuser von Waldbränden betroffen wurden und unterstützt werden mussten. Es gibt also so viele hilfsbedürftige Menschen, die unsere Solidarität brauchen.
Deshalb versucht das Deutsche Rote Kreuz in Kooperation und Zusammenarbeit mit den Rotkreuzgesellschaften anderer Länder und den Rothalbmondgesellschaften eine internationale, weltumspannende Hilfe zu organisieren. Deshalb möchte ich ich denke, das ist im Interesse von Rudolf Seiters denjenigen, die das jeden Tag tun, ein ganz herzliches Dankeschön sagen, den Ärzten, den Sanitätern und den Schwestern der Rotkreuzschwesternschaft, die ich durch eine Einladung von Rudolf Seiters kennen lernen durfte. Ich danke allen, die ehrenamtlich mitwirken und mit kleinen und großen Beträgen dazu beitragen, dass geholfen werden kann.
Sie, lieber Rudolf Seiters, setzen sich auch immer wieder für die Bereitschaft von Menschen ein, für Menschen zu spenden, die selbst keinen Beitrag leisten können. So war im Januar 2005 nach den zerstörerischen Auswirkungen des Tsunamis im Indischen Ozean Rudolf Seiters selbst mit einer Spendensammelbüchse auf einer Straße anzutreffen. Das ist, glaube ich, typisch für ihn: Nicht viel reden, sondern einfach anpacken. Dann kommt etwas weiteres Typisches: Als er gefragt wurde, warum er nicht in die Katastrophengebiete reise, hat er geantwortet: "Jeder Techniker und jeder Arzt ist dort jetzt wichtiger als ich."
Bei der Verwendung von Spendengeldern setzt sich Rudolf Seiters dafür ein, dass das transparent geschieht. Das ist, glaube ich, ganz wichtig für die Glaubwürdigkeit. Deshalb auch hierfür ein herzliches Dankeschön. Der gespendete Euro soll dort ankommen, wo er auch wirklich von Menschen gebraucht wird.
Es wäre aber falsch diese Tendenz gibt es vielleicht manchmal, das Deutsche Rote Kreuz nur mit Katastrophen und Ereignissen in Verbindung zu bringen, die viel Leid mit sich bringen. Wenn man einmal über die Straßen gehen und die Menschen fragen würde, was ihnen zum Namen Deutsches Rotes Kreuz einfällt, dann, vermute ich, würden viele "Erste Hilfe" und manche "Blutspende" sagen. Ich glaube, das wäre auch nicht aus der Luft gegriffen, denn 80Prozent des Blutes, das deutsche Krankenhäuser erhalten, stammen aus Spenden, die das Deutsche Rote Kreuz in freiwilligen Aktionen organisiert. Dazu muss immer wieder motiviert werden. Und auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Deshalb ist es ein ganz wichtiger Bestandteil der Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes.
Dies gilt genauso für die Erste Hilfe. Viele Menschen haben schon einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht und viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, wenn man einen Rettungsdienst braucht, wenn Berg- und Wasserrettung gerufen werden oder wenn Menschen mit Behinderung transportiert werden müssen, dass es eine wunderbare Erfahrung ist, dass wir das Deutsche Rote Kreuz in Deutschland haben.
Vergessen wir nicht die vielen Großveranstaltungen, die überhaupt nur aufgrund der Unterstützung durch das Deutsche Rote Kreuz so ablaufen können, wie sie ablaufen. Ich will beispielsweise einmal an die Fußballweltmeisterschaft erinnern. Die Helferinnen und Helfer des Deutschen Roten Kreuzes waren während der Weltmeisterschaft fast 900.000 Stunden in den Stadien und auf den Fanmeilen freiwillig im Einsatz. Das war eine ganz großartige Sache.
Neulich, beim 50. Jubiläum des BdV, haben wir eine ganz andere Facette der Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes gesehen, nämlich den "Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes", der seit 1945 Unglaubliches geleistet hat. Mittlerweile haben 16Millionen Menschen durch diesen Suchdienst einen Verwandten oder Freund wieder gefunden. Man stelle sich die Schicksale vor, die daran hängen.
Ich spreche natürlich auch davon, dass dieser Suchdienst auch noch in jüngster Zeit von allergrößter Bedeutung ist, wenn wir zum Beispielan diejenigen denken, die von der Roten Armee und dem sowjetischen Geheimdienst NKWD zwischen 1945 und 1950 gefangen genommen und in Speziallager gebracht wurden. Viele waren einfach verschwunden, die Angehörigen wussten nichts. Nachdem Russland 1992 die betreffenden Archive der ehemaligen Sowjetunion geöffnet hatte, konnte der Suchdienst des DRK viele dieser Schicksale klären. In jedem Fall ist es eine unglaubliche Befriedigung für die Familie, wenn aus schrecklicher Ungewissheit wenigstens ein Stück mehr Gewissheit wird. Rudolf Seiters hat in einer bewegenden Feierstunde Anfang dieses Jahres dem Mauermuseum am Checkpoint
Charlie die Namensliste der in den NKWD-Lagern Verstorbenen übergeben und damit, glaube ich, einen ganz wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung von Geschichte geleistet.
Was bleibt mir zu sagen, wenn ich auf die Rotkreuz-Zeit von Rudolf Seiters blicke? Ich kann dem Deutschen Roten Kreuz nur gratulieren. Es hat eine kluge Wahl gefällt, Rudolf Seiters zu seinem Präsidenten zu wählen. Ich glaube, Sie beim Deutschen Roten Kreuz wissen das auch, ansonsten wären Sie hier heute nicht so zahlreich erschienen.
Nun haben Sie sich einen Präsidenten gewählt, der natürlich über eine beachtliche politische Biografie verfügt. 33Jahre war er Mitglied des Deutschen Bundestages. 2002 hat Rudolf Seiters das Parlament verlassen. Damals war er der Dienstälteste und einer der angesehensten Abgeordneten. Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, dass wir heute auch diesen Tag in einem parlamentarischen Gebäude begehen.
Sie haben viele Funktionen in der Fraktion und in der Bundesregierung unter Helmut Kohl übernommen. Sie waren auch Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Immer haben Sie Politik mitgestaltet. Ein Markenzeichen von Rudolf Seiters war immer wieder erkennbar: Die Kraft zum Konsens. In all diesen Funktionen hat er diese Fähigkeit gut ausgelebt, Fäden gesponnen, auseinanderlaufende Fäden immer fair als Verhandler wieder zusammengebracht und im Interesse des Ganzen unterschiedliche Interessen gebündelt. Ich glaube, das Ganze gelang nur, weil letztlich ein Blick für das Wesentliche, für das Wesentliche eines Menschen, für jeden einzelnen, ein Charakterzug von Rudolf Seiters ist und daraus auch gerade die Fairness im Umgang erwuchs.
Ich sollte ja aus dem Nähkästchen plaudern: Als ich junge Bundesministerin wurde, wurde eine zweite, Hannelore Rönsch, die heute auch hier ist, ebenfalls Bundesministerin. Helmut Kohl hatte das "Drei-Mädel-Haus" geteilt und in drei Ministerien umgewandelt. Ich hatte keinerlei Ahnung von roten, grünen, braunen und schwarzen Stiften und kannte mich in der Verwaltung nicht aus. In meinem neuen "Drittel-Ministerium" hatten mir die Beamten gesagt: "Wissen Sie, den AbteilungsleiterZ nimmt eine der anderen Ministerinnen," es war Gerda Hasselfeldt; darum brauchen wir keinen weiteren Terz zu machen "und den können Sie entlassen. Hier ist die Entlassungsurkunde." Ich unterschrieb und bekam am nächsten Tag einen Anruf vom Chef des Kanzleramtes mit der Bemerkung, die Entlassung von Abteilungsleitern erfordere die Rücksprache mit dem Kanzleramt.
Daraufhin wurde ich zu einem Gespräch eingeladen, das damals noch in den Katakomben des Wasserwerks stattfand. Man hatte mir ein "Bleib hart!" mit auf den Weg gegeben. Ich war mir aber nicht ganz sicher, wie das enden würde. Nun kommt es: Rudolf Seiters hat meine Not erkannt und er hat andere Lösungen gefunden. Ich musste jedenfalls keine große Niederlage erleiden. Von da an wusste ich, dass ich mich als Ministerin bei Sorgen an ihn wenden konnte. Er hat das in einer feinen Art gemacht. Ich wusste allerdings auch, dass ich nie wieder eine Entlassungsurkunde unterschreiben würde, bevor ich den Chef des Kanzleramtes gefragt hatte. Ich konnte damals aber Unwissen vorgeben; das war wirklich vorhanden.
Meine Damen und Herren,
Rudolf Seiters ist, glaube ich, in seinem Wahlkreis eine Legende. Das kann ich nicht im Einzelnen nacherzählen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es so ist. Heute sind auch Gäste aus diesem Wahlkreis hier. Rudolf Seiters hat auf jedem Wahlparteitag der Christlich Demokratischen Union Traumergebnisse erzielt, weil er eben diese Fähigkeit zum Konsens besaß und damals jemand war, der eine Partei, die viele Flügel und viele unterschiedliche Strömungen hat, auch immer ein Stück zusammengehalten hat.
Nun komme ich zu der spannendsten Zeit. Unser Bundeskanzler Helmut Kohl ist heute hier, weil diese spannendste Zeit natürlich eng mit ihm verbunden ist, nämlich die Zeit der deutschen Wiedervereinigung und dessen, was sich im Vorfeld abspielte. Es begann der Anfang vom Ende der Diktatur des SED-Staates und Rudolf Seiters bekam wieder einen der spannenderen Verhandlungsaufträge, nämlich den, mit der DDR-Führung über Ausreisewillige zu verhandeln, die in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin Zuflucht gesucht hatten. Die Entschlossenheit dieser Flüchtlinge machte natürlich deutlich: Hier war etwas im Gange. In Budapest, Warschau und Prag hatten viele DDR-Bürgerinnen und Bürger Zuflucht in den Botschaften der Bundesrepublik Deutschland gesucht. All diese Botschaften mussten im August und September 1989 wegen Überfüllung geschlossen werden.
Rudolf Seiters hat diese Verhandlungen mit großem Geschick geführt. Die Stunden am Abend des 30. September, als die Ausreise gewährt werden konnte, sind im Leben des Rudolf Seiters jedenfalls im politischen Leben wahrscheinlich einige der bewegendsten. Ich bin emotional immer noch sehr, sehr stark berührt, wenn ich die Bilder dieses Balkons, dieser Menschen und der puren, großen Freude sehe, die sich dann auf vielfache Weise auch bei anderen durchgesetzt hat.
Helmut Kohl hat damals mit Augenmaß und großem Mut durch die Westbindung und die Einbettung in das transatlantische Bündnis in Freundschaft mit unseren Nachbarn etwas, was wir Deutschen nicht zu jedem Zeitpunkt erwarten konnten den Weg zur Deutschen Einheit geebnet. Während die Ostdeutschen damals mit mutigem Gang auf den Straßen gezeigt haben, wohin sie wollten, gab es in der Bundesregierung mit Helmut Kohl, Rudolf Seiters, Wolfgang Schäuble und Hans-Dietrich Genscher Menschen, die dafür gesorgt haben, dass Deutschland wieder zusammenkommen konnte. Deshalb können wir sagen: Helmut Kohl ist der Kanzler der Deutschen Einheit. Aber diese Deutsche Einheit musste aufgebaut und strukturiert werden. Lieber Rudolf Seiters, ein herzliches Dankeschön für die Arbeit, die dabei geleistet wurde.
Dann herrschte eine unglaublich arbeitsreiche Zeit. Als stellvertretende Regierungssprecherin der Regierung unter Lothar de Maizière hatte ich Gelegenheit, das mitzuverfolgen und manchmal auch mitzugestalten. Es war aber, glaube ich, mit uns auch nicht immer einfach. Ich erinnere mich an einen Tag, als das Bundeskanzleramt gegen 9. 30Uhr unentwegt anzurufen versuchte. Ich glaube, Herr Krause war am Vorabend bei Helmut Kohl gewesen und dachte, wenn man so spät nach Hause gekommen ist, könne man ein bisschen später ins Büro gehen. Es waren aber schon wieder bestimmte Dinge vorgefallen und es gab auf der Seite des Kanzleramtes überhaupt kein Verständnis dafür, dass man nicht bereits zwei Morgenlagen hinter sich hatte. Aber wir waren ansonsten ganz fleißig. Insofern bitte ich nachträglich um Verständnis. Ich hörte jedenfalls immer nur aufgeregte Stimmen, die fragten, warum immer noch niemand da sei.
Dann gab es die schwierige Arbeit, die Parteien CDU, DSU und Demokratischer Aufbruch zusammenzubringen. Da ich in einer der Gruppierungen tätig war und meine Distanz zu den anderen relativ groß war, weiß ich, welchen Wortreichtum sowohl Volker Rühe als auch Rudolf Seiters aufbringen mussten, um uns irgendwie zusammenzubringen. Sie wollten einfach nicht verstehen, was uns trennte. Im Nachhinein haben wir verstanden, dass es besser war, dass wir zusammengegangen sind. Aber gut Ding will Weile haben.
Auf jeden Fall ist dann im Zuge der deutschen Wiedervereinigung, in einer unglaublich arbeitsreichen Zeit, vieles geschehen, auch mit der Hilfe von Rudolf Seiters, zumBeispielin den Sitzungen des Kabinettsausschusses "Neue Länder". Ich weiß nicht, wann wir immer getagt haben. Irgendwann zwischen 7Uhr und 7. 15Uhr begann es. Er war darin als Kanzleramtsminister geübt und wir im Osten hatten sowieso so früh zu arbeiten angefangen, so dass uns nichts auffiel. Heute wäre ich über diese frühen Sitzungstermine nicht mehr so richtig glücklich. In dieser Hinsicht bin ich also doch gesamtdeutsch geworden.
Lieber Rudolf Seiters, die Zeit im Innenministerium war dann Asylgesetzgebung, Bad Kleinen sicherlich keine einfache Zeit. Sie sind damals als Bundesminister zurückgetreten. Das war sicherlich ein tief greifender Entschluss. Sie haben gesagt, dass Sie ohne Bitterkeit auf diesen Abschied zurückblicken. Aber das Wesen von Rudolf Seiters zeigt sich darin, dass er sich nicht in eine Ecke verkrochen hat, sondern heute an anderer Stelle wieder für unsere Gemeinschaft tätig ist.
Lieber Rudolf Seiters, was darf ich zu dem beisteuern, was dich umtreibt? Ich glaube, als Vorsitzende einer großen Volkspartei darf ich deutlich machen, dass wir die Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes unterstützen wollen. Als Bundeskanzlerin möchte ich sagen, dass die Bundesregierung darum weiß, dass unser Land ohne ehrenamtliches Engagement und ohne die Wohlfahrtsverbände nicht so aussehen würde, wie es aussieht, und dass unser Ansehen in der Welt auch nicht so wäre, wie es das ist.
Deshalb verbleibt mir, Kraft zu wünschen, Spaß an der Arbeit, Glück in der Familie und einfach den guten Mut und die große Ruhe, auch komplizierte Probleme anzugehen und dabei viele Lösungen zu finden. Herzlichen Dank für alles, was du diesem Land in deinem Leben gegeben hast.