Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 26.10.2007

Untertitel: Kulturstaatsminister Bernd Neumann wies zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2007 in Darmstadt an Martin Mosebach auf die Bedeutung der deutschsprachigen Literatur für die kulturelle Entwicklung in Deutschland hin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/10/2007-10-29-rede-neumann-buechner-preis,layoutVariant=Druckansicht.html


ein besonders herausragendes Ereignis für die Kultur war in dieser Woche die Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck einer Feierstunde, die neben Lob und Dank vor allem auch noch einmal die Bedeutung der Literatur nicht nur für Weimar und die Weimarer Klassik, sondern für die deutsche Kulturnation eindrucksvoll hervorgehoben hat. Die Formel vom Volk der Dichter und Denker mag man heute nicht mehr ohne weiteres im Munde führen.

Es bleibt aber eine Tatsache, dass wir Deutschen ein besonderes Verhältnis zu dem haben, was dichten und denken erst möglich macht zur deutschen Sprache. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass wir Meisterwerke deutscher Sprache gerade auch Dichtern und Denker verdanken, die nicht Deutsche waren oder sind.

Der Träger des diesjährigen Georg-Büchner-Preises hat erst vor wenigen Tagen in Weimar im Gespräch mit zwei anderen Akademiemitgliedern, Manfred Osten und Durs Grünbein, folgendes geäußert ich zitiere sinngemäß - : Wer heute als Richter, als Arzt, als Leserbriefschreiber oder gar als Politiker gut schreibe, der verdanke seine Formulierungs- und Sprachfähigkeit der Neuformung der deutschen Sprache in Weimar um 1800, eine der für unser Land epochalen kulturellen Leistungen überhaupt. Ich hoffe, lieber Herr Mosebach, ich habe einigermaßen korrekt referiert; im Übrigen freue ich mich, dass wir uns nach einem langen Gespräch anlässlich der Verleihung des Friedenspreises in Frankfurt heute zum zweiten Mal begegnen.

An Sprach- und Literaturpreisen herrscht in unserem Land wahrlich kein Mangel. Sie alle wissen das. Wollte ich sie aufzählen, wäre die mir zugestandene Redezeit mühelos ausgefüllt. Und doch gibt es darunter eine Handvoll, die den Preisträgern und deren Kunst höchste Weihen verleihen und auf ein internationales Echo stoßen. Der Georg-Büchner-Preis ist eine solche Auszeichnung. Er gilt seit langem als der bedeutendste deutsche Literaturpreis. Ich betone dies auch deswegen und wünsche mir, dass es so bleibt, weil genau diese Bedeutung der Grund dafür ist, dass sich der Bund an seiner Finanzierung im Rahmen der Förderung der Akademie beteiligt.

Diese Förderung gemeinsam mit dem Sitzland Hessen und der Gemeinschaft aller übrigen Bundesländer ist im Übrigen eines von zahlreichen gelungenen Beispielen eines praktizierten Kulturföderalismus auch wenn dies dem Bundesrechnungshof ein Dorn im Auge ist.

Der Georg-Büchner-Preis blickt auf über ein halbes Jahrhundert zurück. Damit ist er sowohl ein alter, als auch hinsichtlich der langen Reihe seiner namhaften Träger, ein ehrwürdiger Preis. Mein Respekt gilt noch vor dem diesjährigen Preisträger dem Preis selbst und der Institution, die ihn alljährlich verleiht. Man darf wohl sagen, dass 56 Jahre eine Tradition begründen. Wer von jedem der mit dem Preis bedachten Autoren auch nur eines ihrer Werke lesen würde, der hätte einen guten, einen repräsentativen Überblick über die deutschsprachige Literatur der letzten 60, 70 Jahre.

Und nicht nur das: er hätte einen wahrhaft umfassenden Eindruck von der Vielfalt der Formen und dem Reichtum der Ausdrucksmöglichkeiten, von der Fülle und Vielfalt unserer Sprache.

Es wäre wahrscheinlich übertrieben zu sagen, es habe über die diesjährige Entscheidung der Jury des Büchner-Preises eine Kontroverse gegeben. Aber es gab doch kritische Stimmen, die eigentlich erst vernehmbar wurden, als nach der öffentlichen Verkündung des diesjährigen Preisträgers die Töne der Zustimmung verklungen waren. Vielleicht am deutlichsten hat erst vor kurzem eine durchaus namhafte Literaturkritikerin geurteilt; die befand, die Darmstädter Jury habe diesmal eher eine Gesinnung als ein originelles literarisches Oeuvre ausgezeichnet. Von "Traditionalismus" war die Rede, von "ornamentalen Sprach-Antiquitäten", überhaupt von der "Unzeitgemäßheit" des Preisträgers. Wenn ich den Tenor einiger Kommentare zur Wahl der Jury richtig verstanden habe, ehrt die Darmstädter Akademie nach deren Meinung diesmal einen konservativen Antimodernisten oder einen antimodernen Konservativen, je nachdem.

Es ist heute nicht die dem Kulturstaatsminister zugedachte Aufgabe, den Schriftsteller Martin Mosebach zu würdigen, das wird gleich der Laudator tun. Ich kann mich hier auch nicht, so interessant das für einen Politiker meiner Partei wäre, mit dem Phänomen eines Zeitgeistes auseinandersetzen, der angeblich oder tatsächlich "auf der konservativen Welle surfe". Wenn es so wäre, würde mich das nicht stören ganz im Gegenteil das werden Sie verstehen.

Der Georg-Büchner- Preis ist der Literaturpreis einer Akademie für Sprache und Dichtung. Die Akademie hat sich schon vor über 10 Jahren in einer Frühjahrstagung

mit der "täglichen Sprachschändung" und der "Gedankenlosigkeit öffentlichen Redens" beschäftigt. Wenn es denn Zeichen eines Sprachkonservatismus ist, die Fülle und Differenzierungsmöglichkeiten unserer Sprache, bis hin zum gelegentlichen Gebrauch von aus der Mode gekommenen Wörtern und Wendungen, wenigstens in der Literatur zu pflegen, und wenn die Literatur der Rückzugsort für den Reichtum der Ausdrucksmöglichkeiten unserer Sprache ist, und sei es als Gegenwelt zur so genannten "tagtäglichen Sprachschändung", dann bin ich selbst gerne ein konservativer Traditionalist. Ich gratuliere der Akademie für Sprache und Dichtung zu ihrer diesjährigen Entscheidung.

Gratulieren möchte ich sehr herzlich nicht nur dem Träger des diesjährigen Büchner-Preises, Martin Mosebach, sondern auch den Trägern des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa, Josef Reichholf und dem Träger des Johann-Heinrich-Merck-Preises für literarische Kritik und Essay, Günther Rühle. Beide bringen uns ihre Welt, die Welt der Natur und die Welt des Theaters, mit hoher sprachlicher Sensibilität und Präzision nahe.

Als Kulturstaatsminister danke ich der Darmstädter Akademie, dass sie es als ihre wesentliche Aufgabe begreift, die deutsche Sprache und die Literatur deutscher Sprache dadurch zu pflegen, dass sie jeweils diejenigen in ihre Mitte aufnimmt, die sich in diesem Sinne besondere Verdienste erworben haben.

Lassen Sie mich deshalb zum Abschluss sagen, dass ich mich ganz besonders freue, dass in diesem Jahr mit Emine Özdamar eine in der Türkei geborene Schriftstellerin in die Akademie aufgenommen worden ist und mit Navid Kermani ein Perser und Deutscher die diesjährige Laudatio auf den Büchner-Preisträger hält.