Redner(in): Angela Merkel
Datum: 30.10.2007
Untertitel: in Neu-Delhi
Anrede: Sehr geehrter Herr Minister, lieber Kamal Nath, sehr geehrter Herr Mittal, sehr geehrter Herr Hambrecht, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/10/2007-10-30-rede-merkel-wirtschaftsforum,layoutVariant=Druckansicht.html
wir freuen uns das sage ich im Namen der gesamten Delegation, dass wir heute hier in Indien zu Gast sein können. Unsere Delegation besteht aus Mitgliedern des Deutschen Bundestages, aus meiner Kollegin, der Wissenschafts- und Forschungsministerin Annette Schavan, der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Kortmann aus dem Entwicklungsministerium, aus vielen Vertretern der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Entwicklungspolitik. Das heißt, wir zeigen mit unserer Anwesenheit hier, dass die deutsch-indische Kooperation nicht eine Schmalspurstrecke ist, sondern dass wir wirklich auf der gesamten Bandbreite intensiv mit Indien zusammenarbeiten wollen.
Ich bin natürlich gerne der Einladung des indischen Premierministers aus dem vorigen Jahr gefolgt, nach Indien zu kommen. Dass schon 14Jahre lang eine Einladung existierte, hätte ich lieber verschwiegen, aber nun ist es öffentlich geworden. Wir haben damals Indien als Partnerland in Deutschland sehr herzlich willkommen geheißen. Wir wollen die strategische Partnerschaft zwischen Indien und Deutschland ausbauen und intensivieren, und das auf allen Ebenen.
Wir haben sehr, sehr viele Gemeinsamkeiten, die auf einem ähnlichen Verständnis von Werten und von demokratischen Strukturen basieren. Wir haben einen multilateralen außenpolitischen Ansatz. Ich habe gerade eben mit dem Außenminister gesprochen. Wir haben uns zum Beispiel über die Situation in Myanmar ausgetauscht und waren gemeinsam der Ansicht, dass politische Gefangene freigelassen werden sollten, dass vorbehaltlos mit der UNO zusammengearbeitet werden sollte und dass ein ernsthafter friedlicher Reformweg eingeschlagen werden sollte.
Ich glaube, dass wir im Rahmen unserer umfassenden Kooperation die Zusammenarbeit der Wirtschaft in das Zentrum unserer gemeinsamen Anstrengungen, was das bilaterale Engagement angeht, stellen sollten. Deshalb sind 30Unternehmerinnen und Unternehmer hier mit dabei übrigens auch aus mittelständischen Unternehmen. Ich unterstütze ausdrücklich, dass neben Vertretern großer deutscher Unternehmen auch der Mittelstand in die indische Welt eingeführt wird. Dafür ist allerdings sehr wichtig, dass wir auch bei Vereinbarungen, die jenseits der Zölle die Standards vereinfachen, vorankommen. Denn Mittelständler haben eben keine große Rechtsabteilung und für jedes Land einen Extra-Ausbilder. Das heißt, je niedriger die Barrieren sind und je mehr Gemeinsamkeiten wir finden, umso besser wäre es.
Da hier nun ein kleiner Wettkampf über die Frage "Wer ist bürokratischer?" bzw."Wer ist weniger bürokratisch?" ausgebrochen ist, möchte ich nur darauf verweisen: In der Europäischen Union dauert in der Tat vieles sehr lange. Wir sind immerhin 27souveräne Staaten. Ich würde aber einmal sagen: Wenn in Indien etwas nicht nur auf der Ebene der zentralen Regierung ratifiziert werden muss, sondern auch in allen Bundesstaaten, dann ist das auch kompliziert. Damit sind wir wieder patt. Aber das heißt nicht, dass wir damit zufrieden sein dürfen. Vielmehr haben wir überall daran zu arbeiten, Bürokratie abzubauen in der EU und in Indien gleichermaßen.
Was den Handel anbelangt, haben wir in der Tat unsere Zielsetzung schon erreicht: Die Exporte von Indien nach Deutschland sind im letzten Jahr um 20Prozent gestiegen, die Exporte von Deutschland nach Indien sogar um 50Prozent. Das sind dramatische Wachstumsraten. Ich glaube, dass das Volkswagen-Engagement jetzt auch ein Highlight im Ausbau ist. Wir wissen auch, dass es ein großes Feld von attraktiven Projekten gibt. Immer wieder wird das Wort "Infrastruktur" genannt. Hier sind wir bereit. Der Chef der Deutschen BahnAG ist heute auf der Reise mit dabei, die Lufthansa ist hier in unserer Delegation vertreten, wir haben mit EADS und Airbus wunderbare Angebote zu machen, sowohl im zivilen als auch im militärischen Kooperationsbereich. Wir sind auch bereit, Straßen und Schienenwege zu bauen. Wir sind auch bereit, in die finanzielle Infrastruktur zu investieren, sowohl was die Versicherungswirtschaft als auch was die Bankwirtschaft anbelangt. Auch hier ist eine große Bereitschaft in Deutschland vorhanden.
Wir sind ich denke, das ist ein sehr kohärenter Ansatz auch zur Entwicklungszusammenarbeit bereit. Aus den Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit heraus wollen wir gerade auch für kleine und mittelständische Kooperationen im ländlichen Bereich die Türen öffnen. Ich glaube, das kann sehr wichtig für die Gründung von kleinen und mittelständischen Unternehmen in der gesamten Fläche Indiens sein. Die vielen Träger unserer Entwicklungszusammenarbeit haben eine große Erfahrung und auch eine große Kenntnis lokaler Gegebenheiten. Damit können sie wiederum für die Mittelständler interessante Einstiegsmöglichkeiten aufzeigen.
Wir haben auf dieser Reise mit der Wissenschaftskooperation einen zweiten sehr großen Schwerpunkt gelegt. Wir haben heute den Wissenschafts-Express verabschiedet. Ich möchte noch einmal allen von der indischen und von der deutschen Seite, die daran mitgewirkt haben, danken. Es wird sehr schön sein, wenn Schülerinnen und Schüler im Waggon von BASF lernen, warum Chemie wichtig ist.
Ich glaube, unsere beiden Länder bekommen ein gemeinsames Problem bzw. haben es zum Teil schon: Wenn man eine moderne Industrie haben und auf höchstem Niveau produzieren will, dann braucht man gute Forschung. Und für gute Forschung braucht man gute Forscher. Dazu braucht man Menschen, die sich für Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften interessieren. Unser Ansatz sollte sein, in beiden Ländern Menschen dafür zu begeistern und die Herausforderungen hier anzunehmen.
Wir haben in verschiedenen Bereichen sehr konkrete Ergebnisse in der deutsch-indischen Kooperation, etwa was das Deutsch-Indische Wissenschaftszentrum und was ein Abkommen zwischen den Energieagenturen anbelangt. Wir können natürlich auch im Energiebereich intensiv zusammenarbeiten. Das ist aber keine Einbahnstraße mehr, denn es gibt auch indische Unternehmen, die sich in Deutschland engagieren wollen, zum Beispiel in der Windenergie. Ich will ausdrücklich sagen: Uns sind indische Investitionen in Deutschland herzlich willkommen. Dafür gibt es noch eine Menge Raum.
Nächste Woche finden wieder Verhandlungen bezüglich unserer Entwicklungszusammenarbeit statt. In dem Maße, wie sich Indien entwickelt, verändert sich natürlich auch die Entwicklungszusammenarbeit. Wir werden zum Beispiel Themen wie Energieeffizienz und erneuerbare Energien sehr viel stärker in den Vordergrund rücken und andere Dinge wieder anderen Bereichen überlassen. Ich denke, dass zum Beispiel die berufliche Ausbildung inzwischen auch von Unternehmen durchgeführt werden kann. Die Erfahrungen aus Deutschland sind an diesen Stellen weitergegeben worden. Deutsche Unternehmen, die in Indien produzieren, werden bereit sein, auch sehr praktisch die Möglichkeiten der Berufsausbildung deutlich zu machen. Auch über den Weg des Austauschs können wir sehr viel erreichen.
Was die Forschungskooperation anbelangt, an die sich eine wirtschaftliche Kooperation anschließen kann, sind Zukunftsfelder wie Gesundheitsforschung, Biotechnologie, Klimaforschung, Raumfahrttechnik und viele andere von allergrößter Bedeutung. Die Tatsache, dass es unserer Forschungsministerin zusammen mit dem indischen Kollegen zum Beispiel gelungen ist, die indische Seite an einem der Großprojekte der Forschung, nämlich "FAIR", zu beteiligen, zeigt, dass wir jetzt wirklich in Partnerschaften auf gleicher Augenhöhe hineingehen. Davon werden wir auch jeweils lernen.
Wir haben unter der deutschen G8 -Präsidentschaft etwas, wie ich glaube, sehr Wichtiges erreicht unser Sherpa ist ja auch hier, nämlich den so genannten Heiligendamm-Prozess. Dieser ist vor lauter Diskussionen über die klimapolitischen Erfolge beim Heiligendamm-Treffen noch gar nicht so deutlich herausgetreten, ist aber etwas qualitativ völlig Neues. Es wird oft darüber geredet, ob die G8 erweitert werden soll, also ob sich die Gruppe vergrößern soll. Wir haben einen anderen Ansatz gewählt. Wir haben gesagt: Es gibt die aufstrebenden Ökonomien, die O5 bzw. G5, wie sie sich selbst nennen Indien, Brasilien, China, Mexiko und Südafrika, und es gibt die G8; lasst uns doch nicht nur einmal im Jahr bei den großen politischen Treffen zusammenkommen, sondern lasst uns doch einmal über die verschiedenen Themen über den Schutz des geistigen Eigentums, über Standardisierung, über verschiedene Forschungsfelder in einem strukturierten Dialog reden. Dieser Dialog wird auf der Plattform der OECD durchgeführt, erst einmal zwei Jahre lang. Ich gehe davon aus, dass wir das fortsetzen werden, wenn das gut läuft. Daraus könnte eine permanente Kooperation werden, von der ich glaube, dass sie für unsere Länder wichtig ist und dass sie sich dann auch sehr gut in die bilateralen Beziehungen einfügt.
Was die Doha-Runde anbelangt, so arbeiten wir daran. Ich bedanke mich noch einmal für das Versprechen, weiter an der Sache zu bleiben. Ich glaube, dass Indien in der Tat eine konstruktive Rolle spielt. Wir sehen natürlich, dass es kein vernachlässigbares Problem ist, wenn ein Land 600Millionen Bauern hat, sondern dass man auch schauen muss, wie eine vernünftige Entwicklung zu erreichen ist. Aber ein offenes multilaterales Handelssystem ist allemal besser, als wenn jeder in der Welt mit jedem anderen über Kreuz Abkommen aushandelt. Deshalb freue ich mich, dass wir diesen multilateralen Ansatz teilen. Bitte arbeitet weiter auf dieser Strecke. Es ist noch ein kurzer Weg zu gehen. Er muss in einer endlichen Zeit gegangen werden, denn wenn wir nach den amerikanischen Wahlen wieder von vorne anfangen, dann wird das nichts werden. Aber ich glaube, Kamal Nath wird hier seinen Beitrag zum Gelingen leisten.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns überlegen, inwieweit wir eine faire Zusammenarbeit zwischen den aufstrebenden Ländern, den Entwicklungsländern und den entwickelten Ländern erreichen. Das Thema Klimaschutz ist aus meiner Sicht ein sehr gutes Thema, um gemeinsame Verantwortung zu erlernen. Wir haben ja die schöne Überschrift "gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten". Diese Überschrift ist richtig, aber sie sagt natürlich über den Gang der Dinge noch nichts aus. Deshalb, so glaube ich, ist die Frage, wie wir zu multilateralen Abkommen im Klimabereich kommen, von allergrößter Wichtigkeit. Indien gehört heute angesichts seiner Bevölkerungszahl noch zu den Ländern, die eine geringe Pro-Kopf-Emission haben. Aber was das Gesamtvolumen anbelangt, ist Indien auch schon nicht mehr zu vernachlässigen. Ich glaube, wir sollten hier gemeinsam beweisen, dass wir willens sind, ein faires Abkommen für die Zeit nach 2012 zu schließen.
Der indische Premierminister hat mich darin bestärkt bzw. hat selber den Gedanken ausgesprochen, dass eine gerechte Entwicklung auf der Welt langfristig nur möglich ist, wenn jedem Menschen das gleiche Recht auf Emission zugestanden wird. Anders werden wir uns nicht einigen können. Wie wir aber auf einem vernünftigen Pfad zu dieser Entwicklung kommen, darüber müssen wir sprechen. Da werden die Themen Technologietransfer, Verbesserung der Energieeffizienz und Vermeidung von Fehlern, die wir in den entwickelten Industrieländern gemacht haben, natürlich von allergrößter Wichtigkeit sein. Das ist auch einer der Gründe, warum sowohl die wissenschaftliche Kooperation als auch die Entwicklungskooperation als auch viele Wirtschaftsprojekte jetzt genau in diese Richtung gehen. Wenn Sie BASF im Lande haben, werden Sie etwas über Prozesstechnologie auf Weltspitzenniveau lernen können. Auch wenn Sie im Energiebereich, bei den erneuerbaren Energien, mit uns zusammenarbeiten, haben wir viele Erfahrungen beizusteuern. Insofern glaube ich, dass wir hier auf einem guten Weg sind.
Ich darf, glaube ich, auch im Namen der deutschen Wirtschaft sagen, dass wir die Einschätzung haben, dass die Potenziale der deutsch-indischen Kooperation noch nicht voll ausgeschöpft sind. Wir sehen, dass wir hier nicht alleine auf dem Markt sind und dass durchaus auch viele andere Länder Indien entdeckt haben. Im Übrigen ist sehr interessant: Wir haben gerade in Berlin eine Ausstellung über die portugiesischen Seefahrer eröffnet. Auch damals haben die Deutschen schon eine ganz wichtige Rolle gespielt, etwa in der Kartografie und beim Schiffbau. Auch die Handelsströme der Fugger haben damals eine Rolle gespielt. Es gibt also eine alte deutsch-portugiesische Relation, die sich dann in der Entdeckung des Seewegs nach Indien widerspiegelt. Insofern hat die deutsch-indische Kooperation wirklich lange Wurzeln.
Wir wissen also, wir haben hier Wettbewerber. Wir bitten um faire Chancen. Wir sagen, dass wir engagiert sind und dass wir dabei sein wollen, und zwar in der gesamten Breite der Entwicklung. So, wie ich die Dinge hier einschätze, stehen uns die Türen durchaus offen. Ich sage ganz einfach: Wenn es an einer Stelle einmal nicht so klappen sollte, dann kennen wir genügend tapfere und kräftige Leute in Indien, die uns den Weg sicherlich ebnen werden. Unser heutiger Partner hier, der Handelsminister, gehört sicherlich zu denen, die immer offen sind, wenn es um deutsch-indische Kooperationen geht.
Herzlichen Dank, dass Sie alle da sind. Ich sage abschließend noch: So wie wir glauben, dass wir in Indien willkommen sind, können sich auch die indischen Partner in Deutschland willkommen fühlen. Wenn Sie Klagen haben, dürfen Sie sich bei uns auch beschweren. Aber im Grundsatz sind wir ein wirklich offenes Land und freuen uns über Ihre Investitionen.