Redner(in): Angela Merkel
Datum: 19.11.2007

Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Holbrooke, sehr geehrter Herr Pearlstine, lieber Herr Bundespräsident, lieber Richard von Weizsäcker, sehr geehrte Frau von Maltzahn, lieber Gary Smith, liebe Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/11/2007-11-19-rede-merkel-american-academy,layoutVariant=Druckansicht.html


Gast der American Academy zu sein, ist mir eine besondere Freude, erst recht, wenn wir uns hier gemeinsam an George Marshall erinnern einen Mann, von dem man mit Fug und Recht sagen kann: Er war ein Außenminister mit großer Weitsicht.

In Berlin finden sich zahlreiche Berührungspunkte mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber dank Ihnen Richard Holbrooke, Norman Pearlstine und Gary Smith hat die American Academy in den wenigen Jahren seit ihrer Gründung, seit 1994, bereits eine ganz besondere, spezielle Rolle gefunden. Dafür möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen. Denn dieses Haus ist ein zentraler Ort für offene Diskussionen geworden, für offene Diskussionen über den Sinn, den Zweck und den Wert des transatlantischen Miteinanders in all seinen Bereichen, in all seinen Facetten, ohne Tabus und ausgerichtet auf die Tatsache, dass neue Generationen heranwachsen, mit denen immer wieder auch über die Bedeutung des transatlantischen Verhältnisses gesprochen werden muss.

Wenn wir von Miteinander sprechen, dann erinnern wir uns, dass das auch das Wesen des Marshall-Plans war. Die unvergessene Rede des amerikanischen Außenministers in Harvard vor 60Jahren bleibt ein beispielhaftes Aushängeschild für den Erfolg amerikanischer Politik und amerikanischer Werte. Im Sommer 1947, nach dem Grauen des Holocaust, nach dem Zweiten Weltkrieg, lag ganz Europa am Boden. Marshall erkannte, dass es eines massiven Anschubs bedurfte, um ich zitiere ihn aus seiner Rede "die Wiederkehr normaler, gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse in der Welt herbeizuführen, ohne die eine politische Stabilität und ein gesicherter Friede nicht bestehen können".

Der Marshall-Plan war eine praktische materielle Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika, die es Europa ermöglichte, wieder zu gesunden. Zugleich war er weit mehr als das. Das zeigt zum einen sein eigentlicher Name "European Recovery Program". Zum anderen wird dies vor allem durch die Organisation deutlich, die zur Umsetzung des Programms gegründet wurde, die OEEC "Organisation for European Economic Cooperation". Der Marshall-Plan war also schon ein wesentlicher Schritt in Richtung europäischer Zusammenarbeit.

Zu betonen ist: Als Zielrichtung war die gesamteuropäische Zusammenarbeit gedacht, denn auch Mittel- und Osteuropa wären nach dem Plan von George Marshall eingebunden gewesen. Diese Weitsicht zeigt mir, dass er eines verstanden hatte: Auch über die Nachkriegszeit hinaus gehören wirtschaftliche Gesundung, Frieden und Sicherheit eng zusammen. Das leitet uns auch immer wieder bei der Bewältigung heutiger Konflikte. Dies alles kann nur in einem gemeinsamen europäischen Ansatz dauerhaft gewahrt werden. Das war auch seine Überzeugung.

Ich möchte persönlich hinzufügen: Dass wir Deutsche so rasch wieder die Chance bekamen, zu geachteten Partnern in der Welt zu werden, hatte wesentlich mit dem Marshall-Plan zu tun. Es hatte auch etwas mit der inneren Haltung unserer amerikanischen Freunde zu tun: Mit Standfestigkeit, mit Opferbereitschaft und mit der Entschlossenheit, trotz allem Deutschland wieder eine Chance zu geben. Dafür sind wir dankbar.

Wir hatten über viele Jahre immer wieder Anlass, diese Dankbarkeit zu zeigen, zum Beispiel für die Unterstützung im Zusammenhang mit der Luftbrücke wir werden nächstes Jahr an 60Jahre Luftbrücke denken und nicht zuletzt bei der Gestaltung der Deutschen Einheit. Manches wäre so nicht möglich gewesen, wenn wir nicht unsere weitsichtigen amerikanischen Partner gehabt hätten. Andere waren der Meinung, zwei Deutschlands wären besser. Die Amerikaner teilten sie nicht. Ein herzliches Dankeschön dafür.

Als Deutsche und als Europäer sollte uns im Bewusstsein bleiben: Die europäische Integration und die Einigung unseres Kontinents konnten gelingen, gerade weil Amerika nach 1945 in Europa engagiert geblieben ist. Der Marshall-Plan war ein Bekenntnis zu einem einheitlichen und auf Freiheit gegründeten Europa.

Herr Bundespräsident, lieber Herr von Weizsäcker, vor 20Jahren haben Sie als Bundespräsident in Harvard eine Rede über den Marshall-Plan gehalten. Sie haben dabei die Frage nach dem Kern der transatlantischen Partnerschaft aufgeworfen. Ihre Antwort war: "Es ist der Gedanke der Freiheit." Sie sagten damals, wir hätten die Verpflichtung, diese Freiheit "ernsthaft als Verantwortung zu begreifen". Ich glaube, Sie hatten sehr Recht. Ihr Wort von der Freiheit und Verantwortung, die untrennbar zusammengehören, galt damals genauso wie heute. Jede Generation seit George Marshall steht genau in diesem Sinne vor ihren eigenen transatlantischen Möglichkeiten und Herausforderungen das ist eben auch von Richard Holbrooke gesagt worden.

Wie sehen nun die Herausforderungen nach dem Ende des Kalten Krieges, am Anfang des 21. Jahrhunderts aus? Das Ende des Kalten Krieges ging zunehmend mit dem einher, was wir heute Globalisierung nennen hervorgerufen durch technische Revolutionen wie die elektronische Datenverarbeitung und das Internet. Informationen sind heute weltweit verfügbar. Der Wettbewerb verstärkt sich. Immer mehr Menschen nehmen am volkswirtschaftlichen Wachstum teil und nutzen ihre Chancen. Beim Blick auf die Schwellenländer zeigt sich das in ganz besonderer Weise. Auch wenn Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika heute 40Prozent des weltweiten Handels abdecken, wachsen die Volkswirtschaften in China, in Indien und in anderen Teilen der Welt rasant. Die internationalen Kapitalmärkte sind aufs Engste miteinander verflochten. Die Rohstoffmärkte unterliegen einer wachsenden Nachfrage.

Der Abschreckung im Kalten Krieg mit klar definierten Interessenzonen folgt eine Welt vieler Kraftzentren mit einer Supermacht, den Vereinigten Staaten von Amerika, einem sich immer stärker integrierenden Europa und wachsenden Kontinenten um uns herum. Die Sicherheit ist durch neuartige asymmetrische Bedrohungen gefährdet. Der 11. September ist dafür sozusagen das Symbol. Wir sind immer wieder mit terroristischen Anschlägen konfrontiert.

Im transatlantischen Raum leben etwa 850Millionen Menschen. Auf der Welt werden es bald 8, 5Milliarden Menschen sein. Am Anfang des 20. Jahrhunderts konnten wir in etwa davon ausgehen, dass jeder zweite Mensch auf der Welt im transatlantischen Bereich lebt. Am Ende des 21. Jahrhunderts wird es nur noch jeder zehnte sein. Wer da nicht sieht, dass es gilt, die Kräfte zu bündeln, um unsere Interessen, um unsere Vorstellungen von Werten leben zu können, der, würde ich sagen, versteht die Aufgabe des transatlantischen Verhältnisses nicht. Deshalb sollten wir wieder anknüpfen an das, was Richard von Weizsäcker gesagt hat: an den Gedanken der Freiheit in Verantwortung.

Meine Damen und Herren,

dafür sehe ich vier Aufgabenbereiche, die ich hier heute Abend erwähnen möchte: Das ist erstens die Gestaltung unserer Wirtschaftsbeziehungen in einer globalisierten Welt, das ist zweitens die gemeinsame Sorge um unsere natürlichen Lebensgrundlagen, das ist drittens die gemeinsame Gestaltung unserer Sicherheitspolitik und das ist viertens die Entwicklung einer gemeinsamen Architektur unserer Welt.

Ich freue mich, dass die American Academy heute bedeutende Persönlichkeiten deutscher und amerikanischer Unternehmen hier zusammengeführt hat, so wie sie das oft tut. Sie alle wissen: Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union sind die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt jedenfalls heute ist das so. Ich habe es schon gesagt: 40Prozent des weltweiten Handels wickeln wir untereinander ab. Durch Investitionen in Höhe von 1, 5Billionen Euro sind wir miteinander aufs Engste verflochten. Tag für Tag werden zwischen der Europäischen Union und den USA Waren im Wert von weit mehr als einerMilliarde Euro gehandelt.

Ich bin dennoch überzeugt, dass wir damit unser Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft haben. In unseren Wirtschaftsbeziehungen steckt noch mehr. Wenn wir uns fragen, was uns hindert, dann sind das aus meiner Sicht eine Vielzahl von Barrieren, insbesondere wie man fachsprachlich sagt im nichttarifären Bereich, das heißt, bei Normen, Standards, Testverfahren, Zulassungsvorschriften und Abrechnungsvorschriften. All das ist auf einer ähnlichen Wertebasis gegründet, aber im Detail doch immer so unterschiedlich, dass man alles doppelt machen muss. Das kostet Kraft, das kostet Zeit, das kostet Geld. Es kostet vor allen Dingen Kraft, die für Innovation und Kreativität nötig ist, die ihrerseits doch so wichtig sind, wenn wir im 21. Jahrhundert mithalten wollen.

Ich glaube, dass die Integration der Europäischen Union, nunmehr auch unter Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Länder wir müssen das noch lernen, aber es ist unter dem Strich eine riesige Freude, dass die Vision von Marshall wahr wurde, ganz Europa einbeziehen zu können, unter der Maßgabe der so genannten Lissabon-Strategie, das heißt, der auf Wachstum ausgerichteten Strategie der Europäischen Union, eine hervorragende Ausgangsposition bietet, um die Wirtschaftsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu intensivieren. Deshalb haben wir im ersten halben Jahr während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen mit Bedacht einen neuen Schub gegeben. Denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dies eine Dimension sein kann, auf der wir aufbauen können und aufbauen werden.

Es ist uns gelungen, wichtige Schritte zu gehen. Beim EU-USA-Gipfel haben wir im April eine Rahmenvereinbarung zur Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsintegration unterzeichnet. Einer der Kernpunkte war die Einrichtung eines "Transatlantischen Wirtschaftsrates". Er soll die gesamte Regulierungskooperation steuern. Kürzlich hat sich dieser Rat zu seiner ersten offiziellen Sitzung in Washington zusammengefunden. Am Ende der Beratungen standen wirklich greifbare Fortschritte, etwa zu den Themen sicherer Handel, Rechnungslegungsstandards und Investitionsvoraussetzungen. Ich hoffe, dass auch die weiteren Treffen Fortschritte bringen. Ich sehe die Möglichkeiten dazu vor allen Dingen auch in allen neuen Bereichen, die noch nicht der Normung unterliegen ob wir an Nanotechnologie, an Biokraftstoffe oder an vieles andere denken. Da sollten wir die Normen gleich gemeinsam erarbeiten, um uns weitere Doppelregelungen und lange Prozeduren zu ersparen.

Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Wirtschaft sagen, insbesondere an die, die am Transatlantic Business Roundtable seit Jahr und Tag auf dieses Ziel hinarbeiten. Ich glaube, wir hatten eine günstige Fügung von politischer Anstrengung und wirtschaftlicher Vorarbeit. Insofern ist man selbst in der City of London davon überzeugt, dass es sich hier um ein günstiges europäisches Vorhaben handelt, was nicht jeden Tag der Fall ist.

Unser Ziel einer Stärkung des transatlantischen Handels das will ich hier noch einmal betonen richtet sich nicht gegen Dritte. Die tarifären Hemmnisse, also die Zollhemmnisse, besprechen wir in der WTO und in der Doha-Runde. Wir wollen einen Abschluss der Doha-Runde. Das eint die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union. Trotz aller Schwierigkeiten glaube ich, dass wir hier eine echte Chance haben, dies voranzubringen.

Meine Damen und Herren,

wir können ich kann es mir jedenfalls vorstellen die Frage der Freiheit und Verantwortung in den transatlantischen Beziehungen auch über den rein wirtschaftlichen Rahmen hinaus denken. Wir wissen: Entscheidend für die Erhaltung unseres Wohlstands sowohl in den Vereinigten Staaten von Amerika als auch in Europa sind die Fragen der Forschung, der Innovation und der Kreativität. Wenn wir in unserem Wirtschaftsraum in Zukunft nicht in der Lage sind, weltweit eine große Zahl neuer Produkte zuerst zu schaffen und die Entwicklungen der Zukunft zu bestimmen, dann werden wir auch unseren Wohlstand nicht halten können.

Deshalb haben wir uns auch entschlossen, in der Europäischen Union dreiProzent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir aus dem einheitlichen europäischen Forschungsraum zusammen mit dem amerikanischen auch an einem gemeinsamen transatlantischen Forschungsraum arbeiten. Viele große Projekte sind heute mit einzelner Kraft gar nicht mehr zu bewältigen. Neben der wirtschaftlichen Kooperation sollte man also auch diese Dimension beachten.

Meine Damen und Herren,

wir wissen: All das kann natürlich nur geleistet werden, wenn jeder zu Hause seine Hausaufgaben macht. Das gilt für Europa, das gilt für Deutschland, das gilt für die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir in Deutschland sind gerade in einer spannenden Diskussion darüber, wie die Schritte aussehen müssen, nachdem wir in unseren Reformen doch ein ganzes Stück vorangekommen sind. Angesichts der demografischen Lage heißt das für uns natürlich: Sanierung der öffentlichen Haushalte. Wenn wir uns jedes Jahr mehr verschulden, werden wir keine Spielräume mehr haben, um unseren jungen Leuten bessere Lebensmöglichkeiten zu eröffnen. Wir müssen die Lohnzusatzkosten senken und wir müssen bei den Unternehmenssteuern wettbewerbsfähig sein. Dazu haben wir Reformen durchgeführt. Wir müssen diesen Kurs aber auch fortsetzen und werden das auch tun. Ansonsten werden wir auch kein attraktiver Partner für die Vereinigten Staaten von Amerika sein.

Ein zweiter großer Bereich, in dem ich eine zentrale Zukunftsaufgabe für die transatlantischen Partner sehe, ist die gemeinsame Sorge um unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Hier ist noch nicht alles harmonisiert, aber wir sind auf einem guten Weg. Als Beispiel möchte ich das Thema Klimapolitik nennen. Es ist jetzt wichtig, dass wir anerkennen, dass es sich um eine globale Herausforderung handelt. Es ist aber noch nicht entschieden, wie wir dieser globalen Herausforderung begegnen. Wenn wir es im Geist von Freiheit und Verantwortung tun, dann das ist meine große Überzeugung werden wir den sichersten und günstigsten Pfad finden, um in der transatlantischen Gemeinschaft auch einen Weg für die Welt zu weisen, diese globale Herausforderung zu bewältigen.

Es ist natürlich ganz wichtig, dass wir Wege finden, auf denen wir auf der einen Seite der Aufgabe gerecht werden, aber auf der anderen Seite unser wirtschaftliches Wachstum nicht infrage stellen. Ich sage es oft ich will es hier nur ganz kurz sagen: Es ist eben so, dass wir nicht vor der Wahl stehen, nichts zu tun oder viel zu tun, sondern vor der Wahl, entweder großen ökonomischen Schaden anzurichten, wenn wir nichts tun, oder durch Klugheit mit einem geringeren ökonomischen Aufwand einen günstigeren Pfad zu finden. Ich plädiere dafür, sich klug zu verhalten. Ich sage voraus, dass unsere Akzeptanz in der Welt sehr davon abhängen wird, ob wir uns diesen Fragen stellen oder nicht.

Wir haben in Europa recht ambitionierte Vorschläge gemacht. Wenn wir uns das in Amerika nicht so geschätzte Kyoto-Abkommen anschauen, sehen wir allerdings, dass wir der Erfüllung der einfachen Reduktionsverpflichtungen, die darin vereinbart sind, hinterherhinken. Ich will das gar nicht verschweigen, das wird uns von amerikanischer Seite auch immer wieder vorgehalten. Aber ich glaube, wir haben in diesem Jahr während unserer G8 -Präsidentschaft doch einen wichtigen Schritt gemacht. Wir haben gesagt: Der Klimawandel ist ein Thema, dessen wir uns annehmen müssen, denn er ist von Menschen verursacht. Wir wollen die Zeit nach dem Kyoto-Abkommen unter dem Dach der Vereinten Nationen gestalten.

Es ist für mich unabdingbar, dass die führenden Industrieländer hier eine wichtige Rolle haben nicht, weil sie dem Klimawandel alleine wirksam begegnen könnten, sondern weil sie, wenn sie nichts tun, die Schwellenländer nicht überzeugen werden können. Europa hat heute durchschnittliche CO2 -Emissionen in Höhe von etwa neunTonnen pro Mensch und Jahr, die USA 20Tonnen, China 3, 5Tonnen und Indien unter einerTonne. Wir werden Indien und China trotz ihrer großen Einwohnerzahl mit Sicherheit nicht überzeugen, Reduktionsverpflichtungen zu übernehmen, wenn wir nicht in der Lage sind, selber ambitionierte Reduktionen vorzunehmen.

Meine Damen und Herren,

ich glaube, dass wir an diesem Beispiel zeigen können, wie wir uns mit innovativen technischen Antworten durch das Einsparen von CO2 -Emissionen und damit auch das Einsparen von fossilen Rohstoffen ein Stück weit unabhängiger von Rohstoffkrisen und vielem anderen mehr machen und wie wir gleichzeitig Exportchancen in die Schwellenländer nutzen können, die für unseren Wohlstand von größter Bedeutung sind.

Die Bedrohung der Menschheit und die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen führen mich zum dritten Bereich der Herausforderungen für die transatlantische Partnerschaft, nämlich zur Sicherheitspolitik im klassischen Sinne. Die Sicherheitslage hat sich seit der Zeit des Kalten Krieges dramatisch verändert. Wir haben völlig neue Konflikte. Die Zahl der Nuklearstaaten ist gewachsen ich denke hier an Indien und Pakistan. Die Gefahr von Nuklearproliferation hat zugenommen. Wir haben asymmetrische Bedrohungen durch transnationalen fundamentalistischen Terrorismus. Die Vernichtung des eigenen Lebens ist für Terroristen sozusagen die Aufgabe, die sie annehmen, um Demokratien zu vernichten. Die Herausforderung, dem Terrorismus zu begegnen, ist ungleich schwerer als die Herausforderung des Kalten Krieges, der wir mit Abschreckung begegnen konnten. Wir haben regionale Konflikte, denen wir uns in der globalen Vernetzung überhaupt nicht mehr entziehen können ich denke an Darfur und auch an die Erfahrungen in Ruanda. Außerdem haben wir Konflikte um Ressourcen, die sich noch dramatisch verstärken können, wenn wir nicht reagieren.

Ich glaube, dass die Europäer und die Amerikaner gemeinsam eine gute Chance haben, solche Probleme zu lösen. Einer alleine wird es in dieser Welt selten schaffen. Wir sind hier auf gemeinsame Lösungen angewiesen. So sind wir an vielen Stellen gemeinsam engagiert ich will das sehr ausdrücklich sagen: Auf dem Balkan, in Afghanistan, mit intensiven diplomatischen Bemühungen in der iranischen Nuklearfrage und in den nächsten Tagen wieder einmal in der Frage, wie wir die Lösung des Nahostkonflikts ein Stück weit voranbringen können. Ich habe mich gemeinsam mit unserem Außenminister sehr dafür eingesetzt, dass das Nahostquartett und damit auch die Europäische Union wieder eine Aufgabe in der Lösung dieses Konfliktes bekommen, denn dieser Konflikt ist so kompliziert, dass man auf einem möglichst breiten Fundament stehen muss, um überhaupt eine Chance auf Lösung zu haben.

Ich bin davon überzeugt: Stark sind wir dann, wenn wir, wo immer möglich, gemeinsam agieren. Dies ist das Gebot unserer gemeinsamen Sicherheit. Diese Sicherheit ist auch nicht teilbar, sondern sie muss gemeinsam verteidigt werden.

Wenn wir über die Bündnisgegebenheiten sprechen, dann darf man vielleicht an einem solchen Tag wie diesem sagen, dass wir trotz allen Zögerns in Deutschland dennoch einen beachtlichen Weg seit der Wiedervereinigung zurückgelegt haben. Deutschland ist sich bewusst, dass wir nach der Wiedervereinigung neue Aufgaben, neue Pflichten bekommen haben. Dies ist eine sehr schöne Botschaft, weil man uns auch vertraut.

Wenn wir einmal zurückblicken, wie wir die Liberalen und die Union uns damals vor dem Bundesverfassungsgericht über die Frage gestritten haben, ob auf der Adria Boote Beobachtungsmissionen durchführen können, und wenn wir unsere heutigen Engagements auf dem westlichen Balkan, in Afghanistan und bei UNIFIL im Nahen Osten sehen, dann will ich sagen: 17Jahre sind eine kurze historische Zeit. Deutschland ist ein weites Stück in seine Verantwortung hineingewachsen. Ich bin dafür sehr dankbar und möchte an dieser Stelle auch unseren Soldaten bei der Bundeswehr für ihren Einsatz danken.

Kehren wir wieder zum Ausgangsgedanken zurück: Die Sorge um unsere gemeinsame Sicherheit bedeutet, Verantwortung zur Wahrung von Freiheit zu übernehmen. Unsere Sicherheit und unsere Freiheit sind heute nicht einfach mehr im Bündnisgebiet zu schützen, sondern wir müssen darüber hinausgehen.

Wenn wir eine wirkliche transatlantische Partnerschaft wollen, dann müssen wir allerdings auch intensiv weiter über den Grundansatz dafür diskutieren. Ich glaube, wir teilen im transatlantischen Verhältnis den Gesamtansatz, dass militärische und zivile Maßnahmen zusammengehören, dass politische, zivile und militärische Maßnahmen nie voneinander getrennt werden sollten und dass wir uns nicht allein auf das militärisch Machbare konzentrieren dürfen. Es gibt hier durchaus zum Teil unterschiedliche Richtungen. Aber ich glaube, wir können uns darauf einigen, dass Stabilisierungsmaßnahmen erst richtig wirken, wenn sie in ein stringentes politisches Konzept eingebunden sind. Sinn und Ziel des Engagements müssen definiert sein. Das heißt, wir müssen uns vor Interventionen über die Zeit danach möglichst weitgehend klar sein. Wir müssen in Bezug auf zivile Maßnahmen nicht Maßnahmen einer anderen Qualität akzeptieren, sondern wir müssen die Arbeit der Diplomaten, der Polizisten, der Richter und der Aufbauhelfer auf die gleiche Stufe mit dem stellen, was unsere Soldaten tun. Dies ist zumindest meine Überzeugung.

Wir in der Bundesregierung sagen: Ohne Sicherheit kein Wiederaufbau, ohne Wiederaufbau keine Sicherheit. Das ist das Konzept der "vernetzten Sicherheit". Ich denke, dieses Konzept sollte zum Standard unseres Engagements werden in Afghanistan wie auch andernorts. Ich sehe eine große Aufgabe für uns als transatlantische Partner darin, unsere militärischen Kapazitäten das können wir recht gut innerhalb der NATO, aber auch unsere zivilen Kapazitäten aufeinander abzustimmen. Das gestaltet sich manchmal sehr viel schwieriger, weil wir durchaus auch unterschiedliche Vorstellungen haben.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch lernen müssen auch das wäre einmal eine transatlantische Diskussion wert, wie sich denn die Empfängerländer unserer Maßnahmen ihre eigene Zukunft vorstellen. Am Beispiel Afghanistan wird mir immer wieder deutlich, dass wir in ein Land kommen, das eine bestimmte Entwicklung hinter sich hat, an die es anknüpfen muss und will, die aber weit von dem entfernt ist, was wir in Europa und in den Vereinigten Staaten als das Normale ansehen. Bevor man die Polizei aufbaut, muss man einmal mit den Afghanen gesprochen haben, wie sie sich Polizeiarbeit eigentlich vorstellen, wenn sie sich ihr Land malen könnten. Diesen Ansatz sollten wir miteinander auch stärker diskutieren.

Bei all den schwierigen Herausforderungen, vor denen wir stehen, bleibt für mich die NATO der Anker für transatlantisch verantwortete Sicherheitspolitik. Die Aufgabe der NATO hat sich nach dem Kalten Krieg gewandelt. Aber die NATO bleibt das politisch-militärische Bündnis, das auf gemeinsamen Wertvorstellungen aufgebaut ist und deshalb auch eine große Kraft entfaltet.

Die europäische Einigung bringt nun mit sich, dass wir natürlich eigene europäische Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen aufbauen und stärken. Diese müssen aber mit den Strukturen der NATO kompatibel sein, sie dürfen ihnen nicht entgegenstehen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir darauf achten, dass nicht etwa die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine Konkurrenzveranstaltung zu unserem Engagement in der NATO wird.

Meine Damen und Herren, es ist natürlich so, dass wir noch ein Stück zu lernen haben, wenn wir uns die Situation im Kosovo oder in Afghanistan ganz nüchtern ansehen. Wann immer die Europäer eine Polizeimission aufbauen wollen und von der NATO militärische Kapazitäten gestellt werden, kommen wir im Augenblick in ziemlich schwierige Konflikte, die auch zum Teil mit Konflikten innerhalb von Mitgliedstaaten des jeweiligen Bündnisses zusammenhängen. Das ist kein Zustand, mit dem wir uns zufrieden geben dürfen, denn die Aufgaben sind so schwierig. Ich hoffe, dass wir eine Stärkung der europäischen Position durch den Reformvertrag und durch die Stärkung des Hohen Repräsentanten erreichen, der auch für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zuständig ist.

Ich finde, dass es positive Signale gibt, wenn zumBeispielder französische Präsident Nicolas Sarkozy sagt, dass er sein Land wieder in die Strukturen der NATO zurückführen will. Wir werden dies aufmerksam und unterstützend begleiten, genauso wie wir an jeder Effizienzverbesserung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik interessiert sind. Ich glaube nicht, dass wir einen neuen theoretischen Überbau brauchen, sondern ich glaube, dass wir praktische Einführungen und Umsetzungen des Gewollten in Europa brauchen.

Meine Damen und Herren,

gerade aus dem Blickwinkel der Europäer kommt natürlich der Kooperation der NATO mit Russland eine besondere Bedeutung zu. Der NATO-Russland-Rat muss als politisch-militärisches Instrument genutzt werden. Er ist es auch in letzter Zeit zum Teil wieder stärker, wenn wir zum Beispielüber die "Missile-Defense" -Strukturen gesprochen haben. Wir brauchen Russland das muss man schon so sagen, wenn wir uns nur allein die Konflikte auf dem Balkan anschauen Kosovo, Serbien, Bosnien-Herzegowina mit allen Implikationen auf andere Länder in der Region. Deshalb ist die Frage einer stabilen Partnerschaft mit Russland von allergrößter Bedeutung.

Ich möchte deshalb ausdrücklich sagen, dass die Konsultationen über die Raketenabwehrsysteme sowohl im NATO-Russland-Rat als auch die bilateralen Konsultationen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland von uns außerordentlich positiv bewertet werden. Wenn wir zu einer Kooperation kommen, kann Russland nach dem Kalten Krieg Schritt für Schritt in die Rolle eines Partners hineinwachsen. Die Zeiten haben sich geändert. Aber die Bereitschaft zur Anpassung muss natürlich auch auf allen Seiten vorhanden sein.

Wir brauchen einander, auch über die NATO, über das transatlantische Bündnis hinweg, wenn ich an eine unserer größten gemeinsamen Sorgen in diesen Tagen denke. Das ist das iranische Nuklearprogramm. Wie entschlossen und wie geschlossen wir sind, wenn der iranische Präsident weiter keinen Hehl daraus macht, Israel vernichten zu wollen, wird eine der entscheidenden Fragen für die Zukunft sein. Wie entschlossen und geschlossen sind wir, den Iran von einem militärischen Nuklearprogramm abzuhalten? Dass dieses Programm nicht nur für die dortige Region eine Bedrohung ist, sondern auch weit darüber hinaus höchste Brisanz besitzt, brauche ich hier, wie ich glaube, nicht zu sagen.

Die europäischen und amerikanischen Partner sind sich einig: Wir müssen gemeinsam mit Russland und genauso mit China als Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat alles daransetzen, um Teheran dazu zu bringen, seine vom Weltsicherheitsrat gesetzten Verpflichtungen auch wirklich zu erfüllen und die Urananreicherung zu suspendieren. Wir wollen eine diplomatische Lösung. Gerade weil wir sie wollen, müssen wir auch sagen: Der Sanktionsprozess wird fortgesetzt, wenn die Bedingungen, die dem Iran gestellt werden, nicht umgesetzt werden.

Ich wiederhole heute an dieser Stelle noch einmal das, was ich vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesagt habe: Die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Sie zu schützen ist Teil der Staatsräson meines Landes. Ich glaube, jetzt ist eine der Stunden der Bewährung gekommen, in der wir auch zeigen müssen, dass wir zu diesen Worten stehen. Deshalb führen wir unser wirtschaftliches Engagement im Iran zurück. Ich glaube, dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir müssen alles daransetzen, dass die Handelswege nicht über Umwege doch wieder zum Iran führen. Es muss also ganz klar von der gesamten Weltgemeinschaft und vom transatlantischen Bündnis allemal gesagt werden, dass wir ein gemeinsames vitales Interesse daran haben, einen nuklear aufgerüsteten Iran zu verhindern.

Damit komme ich zu meinem letzten, dem vierten Punkt. Vielleicht ist es einer der umstrittensten im transatlantischen Verhältnis. Der Umgang mit dem Iran weist uns noch einmal darauf hin, dass akzeptierte Entscheidungen im UN-Sicherheitsrat, in der UNO stattfinden. Die Frage, wie wir zu schnellen, weltweit akzeptierten Entscheidungen kommen, führt uns zu der Frage der Bedeutung der Vereinten Nationen. Ich glaube, sie sind in der globalisierten Welt von entscheidender Bedeutung. Der Platz für Entscheidungen der Art, wie wir sie im Zusammenhang mit dem Iran zu treffen haben, ist die UNO.

Damit die UNO dieser Aufgabe gerecht werden kann, braucht sie eine Reform. An dieser wird nun schon seit 25Jahren gearbeitet. Das ist länger, als der Kalte Krieg vorbei ist. Wenn wir diese Reform wollen, insbesondere auch eine Reform des UN-Sicherheitsrats, dann wird daraus nur etwas werden, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika genauso wie die Europäer ein Interesse daran haben, das Ganze ziemlich hoch auf die Prioritätenliste zu setzen. Ich plädiere dafür, das zu tun. Wenn wir als transatlantische Gemeinschaft dazu in der Lage wären, könnten wir natürlich eine wichtige Furche auf dem Weg hin zu einer friedlichen und freiheitlichen internationalen Ordnung ziehen.

Eines ist sicher: Gemeinsam können wir vieles erreichen und gegeneinander mit ganz großer Sicherheit nichts. Deutschland ist bereit das ist bekannt, mehr Verantwortung im UN-Sicherheitsrat zu übernehmen. Wir sind aber auch bereit, über innovative Lösungen zu sprechen, weil aus meiner Sicht der Stillstand die allerschlechteste von allen Möglichkeiten ist.

Nach meiner Überzeugung müssen wir den von uns gelebten Gedanken der Freiheit in multilaterale internationale Strukturen einführen und ihm genügend Spielraum eröffnen. Ich weiß, dass das zwischen den Bezeichnungen "utopistisch" und "visionär" unterschiedlich bewertet werden kann. Aber wer sich nicht der Mühe unterzieht, versündigt sich aus meiner Sicht an den Aufgaben unserer Zeit. Vieles, was die, die vor uns waren, angestrebt und geglaubt haben, ist zwischenzeitlich Wirklichkeit geworden. Wenn sie es nicht schon Ende der 1940er Jahre gemacht hätten, wäre mit Sicherheit gar nichts geworden.

Deshalb fände ich es wunderbar, wenn man in 50Jahren sagen könnte: Die transatlantische Gemeinschaft hat sich um die Sicherheitsarchitektur einer zusammenwachsenden Welt verdient gemacht. Wir brauchen Standards. Wir brauchen internationale Abkommen über den Handel, den Umweltschutz, die Umsetzung der Millenniumsziele zur Armutsbekämpfung, über die Transparenz der internationalen Finanzmärkte bis hin zum Schutz des geistigen Eigentums. Aus meiner Sicht führt an all dem gar kein Weg vorbei.

Wir müssen klären, in welchem Verhältnis sich WTO, UNO, Internationaler Währungsfonds und Weltbank zueinander befinden sollen. Wir können dies ein großes Stück weit zwischen den G8 -Partnern besprechen und die Ergebnisse dann als Gedankengut in die internationalen Organisationen einbringen. Ich will darauf hinweisen, dass wir qualitativ einen riesigen Schritt gemacht haben, der seine Wirkung während der G8 -Präsidentschaft Deutschlands noch nicht richtig entfaltet hat. Das ist ein permanenter strukturierter Dialog, der von der OECD mit den O5 -Ländern also den Schwellenländern Indien, China, Mexiko, Südafrika und Brasilien geführt wird. Er wird eine neue Form der Kooperation auf internationaler Ebene ermöglichen, wenn er gut geführt wird.

Wenn wir das alles tun, dann haben wir eine Chance, mit unseren Werten prägend für das 21. Jahrhundert zu sein und dem Gedanken von Freiheit und Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen.

Meine Damen und Herren,

wir wissen, dass die freundschaftlichen Verbindungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten und Kanada einzigartig und alternativlos sind. An gemeinsamen Herausforderungen ich habe einige genannt mangelt es nicht. Ich glaube, sie werden eher zu- als abnehmen. Wir wissen aber: Gemeinsam als Partner sind wir stark. Dazu haben wir so viel Gutes erlebt. Wir haben gemeinsam die Freiheit zur Verantwortung und die Verantwortung zur Freiheit. In diesem Sinne lassen Sie uns handeln. Herzlichen Dank.