Redner(in): Angela Merkel
Datum: 11.12.2007
Untertitel: in Berlin
Anrede: Lieber Herr Hundt, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/12/2007-12-11-arbeitgebertag,layoutVariant=Druckansicht.html
ich möchte nicht versäumen, Ihnen, Herr Hundt, zunächst ganz herzlich zu Ihrer gestrigen Wiederwahl zu gratulieren. Ich setze auf eine weitere gute Zusammenarbeit nicht immer unendlich harmonisch, aber immer konstruktiv. In diesem Sinne freue ich mich darauf. Wir werden nächste Woche unser erstes Gespräch haben.
Meine Damen und Herren,
ich komme in diesem Jahr zu Ihnen zu einem Arbeitgebertag, bei dem wir gemeinsam erfreut konstatieren können, dass es zum ersten Mal über 40Millionen Beschäftigte, über 40Millionen Menschen gibt, die in Deutschland erwerbstätig sind. Es passiert nicht mehr, was jahrelang passiert ist, nämlich dass jeden Tag im Durchschnitt über 1.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verloren gegangen sind, sondern es passiert das Gegenteil: Derzeit werden per Saldo jeden Tag 1.200 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Es gibt weniger Arbeitslose, nämlich 1, 2Millionen weniger als noch vor zwei Jahren.
Ich glaube, man sollte zwar nicht in Lobeshymnen ausbrechen. Aber wir können miteinander Sie haben das auch gemacht, Erfolge verzeichnen. Diese Erfolge haben natürlich viele Väter und vielleicht auch Mütter. Das sind zuerst die Unternehmer in Deutschland, die an vielen Stellen Mut, Innovationskraft aufgebracht und Investitionen durchgeführt haben. Das sind tüchtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, die über viele Jahre hinweg durch Lohnverzicht und Einschränkungen dazu beigetragen haben, dass sich Unternehmen am Markt behaupten können. Ich danke Ihnen, dass Sie gesagt haben, dass auch die Politik sowohl die der Vorgängerregierung als auch die unserer Regierung ihren Anteil daran hat. Es ist letztlich das Kennzeichen unseres Gemeinwesens, dass nicht einer allein für sich einen Erfolg verbuchen kann, sondern dass es am besten funktioniert, wenn jeder seinen Beitrag leistet.
Veränderungen und Reformen und das ist auch unsere politische Botschaft lohnen sich. Sie können etwas bewirken. Wenn heute über eine Million mehr Menschen einen Arbeitsplatz haben, dann ist das für die Menschen, für die Familien ein riesiger Erfolg. Wenn weniger Menschen Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, dann gilt das gleiche.
Insofern ist es auch aus meiner Sicht sehr kritisch zu sehen, wenn behauptet wird, die Reformen seien nur Zumutungen. Nein, Veränderungen sind notwendige Schritte, um Menschen wieder in eine bessere Zukunft zu führen. Ich glaube, das muss unsere Botschaft sein, weil wir nur so auch auf unserem Weg weitergehen können. Denn 3, 5Millionen Arbeitslose sind natürlich viel zu viele Arbeitslose. Deshalb dürfen wir jetzt nicht etwa rasten und ruhen, sondern wir müssen weitermachen, die Rahmenbedingungen in einer sich ändernden Welt immer in den Blick nehmen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.
Wir als Bundesregierung haben uns mit dem Dreiklang aus Sanieren, Investieren und Reformieren immer dem Ziel untergeordnet, dass wir Arbeitsplätze schaffen wollen, dass wir Vorfahrt für Arbeit geben wollen. Wir haben einige wichtige Schritte dazu geleistet.
Sie haben eben gesagt, die Strukturreformen der sozialen Sicherungssysteme seien nicht angegangen worden. Wenn die Rente mit 67 nicht eine Strukturreform in Sachen Rente ist, dann weiß ich nicht, was noch eine Strukturreform bezüglich der Rente sein soll. Sie müssen sehen, dass es so ist, dass es im Augenblick in Deutschland glücklicherweise bei den über 55-Jährigen wieder eine Beschäftigungsrate von über 55Prozent gibt. Das ist ein Erfolg. Denn sie lag einmal bei 40Prozent.
Aber knapp 50Prozent der Menschen über 55Jahre haben immer noch den Eindruck, dass sie keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt haben. Wenn sie davon hören, dass das Renteneintrittsalter in wenigen Jahren erhöht wird, dann heißt das für sie natürlich nichts anderes, als noch eine längere Zeit zu haben, die für sie kompliziert ist. Deshalb müssen wir alles daransetzen, die Älteren wieder in Arbeit zu bringen.
Ich weiß, dass intensive Diskussionen darüber geführt werden, was die Verlängerung des ArbeitslosengeldesI für Ältere bedeutet. Ich bitte Sie, die Sache einmal sehr nüchtern zu betrachten. Früher gab es für ältere Arbeitslose Bezugszeiten von bis zu 32Monaten. Was haben wir jetzt gemacht? Nach der früheren Rechtslage hat der 55-Jährige bereits 18Monate Arbeitslosengeld beziehen können. Das bleibt nach unserer Reform genauso, wie es nach den Hartz-Reformen war.
Es gibt zwei Änderungen: Über 50-Jährige können ArbeitslosengeldI nicht mehr nur 12Monate, sondern 15Monate lang beziehen; über 58-Jährige nicht mehr 18Monate, sondern bis zu 24Monate lang. Das ist mit einer Verpflichtung der Bundesagentur verknüpft, ein Einarbeitungsangebot dem räume ich mehr Präferenzen als einer Qualifizierung ein zu machen. Ich schlage Ihnen vor, dass wir uns in geraumer Zeit wieder treffen und schauen, ob sich das negativ auf die Einstellungsmöglichkeiten der Älteren ausgewirkt hat.
Ältere haben erwiesenermaßen eine längere Vermittlungsdauer und Jüngere eine kürzere. Wenn das mit Qualifizierung verbunden wird es gab viele 58-Jährige, die von der Bundesagentur überhaupt nicht mehr beachtet worden sind, dann kann ich nur sagen, dass wir alle Chancen haben, daraus etwas Vernünftiges zu machen. Das ist alles andere als die endgültige Abkehr von irgendeinem Reformweg. Dafür stehe ich jedenfalls ein, meine Damen und Herren.
Zur Arbeitslosenversicherung. Der Beitragssatz sinkt auf 3, 3Prozent, und zwar nicht nur, weil gerade die Arbeitsmarktlage so gut ist, sondern auch, weil Herr Weise mit der Bundesagentur Strukturreformen in der Bundesagentur durchgeführt hat. Deshalb glaube ich, dass man dafür auch einmal ein gutes Wort finden muss.
Bei der Pflegeversicherung haben Sie Recht: Wir hätten uns sicherlich einer Kapitaldeckung zuwenden müssen. Das wäre eine notwendige strukturelle Sache gewesen. Wir haben uns nicht darauf einigen können, weil das dann auch wieder Auswirkungen auf die private Pflegeversicherung gehabt hätte. Das wäre Ihnen auch nicht so recht gewesen mir übrigens auch nicht. Deshalb haben wir es nicht machen können.
Dass wir etwas für Demenzkranke tun, meine Damen und Herren, ist ein Gebot der Stunde. Wir hatten uns, weil wir in der Arbeitslosenversicherung Spielräume zur Beitragssenkung hatten, dazu entschlossen, dies durch Beitragserhöhungen zu finanzieren. Jetzt sage ich Ihnen eines: Diese Beitragserhöhungen werden von den Rentnerinnen und Rentnern voll getragen, die nichts von den Senkungen der Arbeitslosenversicherungsbeiträge haben. Aber per Saldo senken wir die Lohnzusatzkosten insgesamt. Damit gehen wir einen Schritt, der immer noch die Möglichkeit bietet, die Arbeitslosigkeit weiter zu senken und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir liegen bei unter 40Prozent. Wir können Ihnen garantieren, dass die Beitragsbelastung der Arbeitgeberseite auch im Jahre 2008 deutlich unter 20Prozent bleibt. Das ist ein Riesenerfolg, auf den wir ich hoffe, zusammen mit Ihnen ein bisschen stolz sind.
Meine Damen und Herren,
wir haben eine Gesundheitsreform verabschiedet, von der Sie nicht gerne etwas hören. Wenn Sie aber in diesen Tagen die Zeitungen lesen, dann können Sie sehr interessante Entwicklungen mitverfolgen. Krankenkassen schließen direkt mit den Ärzten Verträge ab. Es gibt Bewegung im System. Wir werden im nächsten Jahr den Fonds einzuführen haben und werden sehen, wie er wirkt. Meine Meinung ist hier eine relativ dezidierte. Aber auch hier haben wir eine Strukturreform vorgenommen, die Sie nicht besonders belobigt haben, die aber aus meiner Sicht in eine richtige Richtung führt.
Meine Damen und Herren,
wir haben natürlich bei der Frage der Aktivierung von Arbeitslosen noch einige Schritte vor uns. Wir haben uns entschieden, noch einmal darüber nachzudenken, was eigentlich mit den Empfängern von ArbeitslosengeldII geschieht und wie wir Anreize schaffen können, damit sie wieder Arbeit bekommen.
Hier können wir als Koalition ein Gesamtkonzept vorlegen, und zwar auf der einen Seite mit Kinderzuschlag und Erwerbstätigenzuschuss. Es muss allerdings deutlich gemacht werden, dass es darum geht, Menschen nicht in den Bezug von ArbeitslosengeldII hineinfallen zu lassen, sondern sie auf dem regulären Arbeitsmarkt zu halten, ohne dass sie unter die Bedürftigkeitsprüfung fallen. Auf der anderen Seite sollten wir die Zuverdienstmöglichkeiten von 0 bis 800Euro neu gestalten, weil wir bei den heutigen Zuverdienstmöglichkeiten eine Tendenz haben, dass der einzelne 100 oder 130Euro dazuverdient und dann sagt: Mehr darf ich ja nicht, weil von da an Anrechnungen auf das ArbeitslosengeldII stattfinden. Das ist natürlich eine vollkommen falsche Denkweise.
Unser Ziel muss es sein, Menschen dazu anzuregen, möglichst viel hinzuzuverdienen. Das könnten wir erreichen, wenn wir schon vom ersten Euro an einen bestimmten Anteil anrechnen, so dass Menschen einen Anreiz haben, mehr hinzuzuverdienen. Das könnte ein weiterer Beitrag sein, um aus der Schwarzarbeit herauszukommen, um die Tendenz zu überwinden, kleinere Minijobs anzunehmen, und um wirklich den Zugang zum gesamten Arbeitsmarkt zu verbessern.
Nun hat heute das ist angesichts der aktuellen Diskussion auch verständlich in Ihrer Rede auch das gesamte Thema Mindestlohn einen breiten Raum eingenommen. Ich möchte bei diesem Thema erst einmal etwas weiter ausholen. Wir erleben ja seit einigen Jahren, dass die Globalisierung für Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer das Betätigungsfeld vollkommen verändert. Die Wettbewerbssituation schlägt sich natürlich auch auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nieder. Daraus sind viele Chancen für Deutschland erwachsen, aber auch ein großes Maß an Verunsicherung.
Was bedeutet das für unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft, die nicht nur ein ökonomisches Modell ist, sondern die sich zu einem erfolgreichen Gesellschaftsmodell in Deutschland ausgeweitet hat?
Jahrzehntelang hat für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegolten, dass, wenn es ihrem Unternehmen gut geht, es dann auch ihnen gut geht. Unsicherheit erwächst nun daraus, dass diese Erfahrung aus objektiven Gründen ins Wanken geraten ist. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen lernen, mit völlig neuen Wettbewerbskonstellationen klarzukommen. Es kann einem Unternehmen gut gehen, es kann ihm aber auch in anderen Teilen der Welt gut gehen. Die Unternehmen mussten und müssen lernen sie tun es auch in einem unglaublichen Maße, sich jenseits der Grenzen Deutschlands zu engagieren.
Was sind die Säulen der Sozialen Marktwirtschaft? Die Säulen der Sozialen Marktwirtschaft sind natürlich die Politik, aber genauso die Wirtschaft und die Gewerkschaften. Ich will gerne zugeben: Wir als Politiker haben uns vielleicht manchmal nur zögerlich der Sorgen angenommen, die Sie im internationalen Wettbewerb haben. Aber ich sage auch: Wir müssen wieder zu einer Gemeinschaft in unserem Land finden, bei der nicht allein die Politiker für die Verunsicherung verantwortlich gemacht werden und die Unternehmen nur international denken. Das muss zusammengebracht werden.
Deshalb möchte ich hier über zwei Themen sprechen. Das eine ist die Diskussion über Managergehälter, das zweite ist die Debatte über Mindestlöhne. Ich werde dann noch etwas über den Investivlohn anfügen.
Meine Damen und Herren,
es muss ganz deutlich sein: Es geht nicht um gesetzliche Obergrenzen für Managergehälter. Aber es gibt in Deutschland eine Haltung, die besagt: Wenn man zu einem bestimmten Problem kein Gesetz machen kann, dann macht man am besten gar nichts und beendet die Debatte wieder. Ich sage Ihnen: Diese Haltung halte ich für falsch. Die Spanne zwischen Nichtstun, nicht darüber sprechen und der Verabschiedung eines Gesetzes ist ziemlich groß.
Deshalb ist meine Bitte Herr Hundt hat das heute ein Stück weit getan: Nehmen Sie diese Debatte ernst. Tun Sie sie nicht einfach als Neiddebatte ab und legen Sie sie nicht wieder unter den Tisch, sondern nehmen Sie sie ernst. Meine zweite Bitte ist: Sehen Sie die Chancen darin, die wir haben, wenn wir miteinander darüber sprechen, was Gerechtigkeit in unserem Lande bedeutet. Es hat niemand etwas dagegen, dass erfolgreich verdient wird, wenn erfolgreich gewirtschaftet wird. Aber es gibt ein großes Gefühl von Unwohlsein, wenn man eigentlich ohne öffentliche Diskussion erhebliche Risiken heraufbeschwört und anschließend anders als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne persönliches Risiko davonkommt.
Ein solches Gefühl dürfen wir nicht ignorieren. Denn es hat es in dieser Spannbreite früher nicht gegeben. Das hat sich verändert. Deshalb glaube ich, dass wir es austarieren müssen, wenn wir unseren Standort mit den Vorteilen, vor allem Stabilität, die die Soziale Marktwirtschaft gebracht hat, aufrechterhalten wollen. Weil wir eine mitbestimmte Wirtschaft haben, gilt das, was ich sage, im Übrigen für Gewerkschaften und Unternehmen gleichermaßen. Es muss die zugestandene Verantwortung wahrgenommen werden.
Deshalb kann ich mir viele Dinge vorstellen, so zum Beispieldie Weiterentwicklung der Cromme-Kommission. Aber lassen Sie uns vorurteilsfrei und sensibel vorgehen. Je offener die Wirtschaft das Thema annimmt ich danke für manchen Beitrag, umso besser ist es insgesamt für unser gesellschaftliches Klima.
Meine Damen und Herren,
im Übrigen gehen die Wünsche nach Grenzen gegen einen freien Fall der Einkommen mit den Wünschen nach gerechter Entlohnung von Unternehmern und Managern einher. Auch das muss man sehen, weil das alles die gesamte Diskussionsspanne ausmacht.
Die Diskussion geht sehr stark in die Richtung und das unterscheidet Deutschland von anderen europäischen Ländern, die in großer Zahl Mindestlöhne haben und die an den Mindestlöhnen nicht zugrunde gegangen sind, dass gesagt wird, dass ein gesetzlicher Mindestlohn zu Unterbeschäftigung führt. Das ist, pauschal betrachtet, nicht richtig. Der Mindestlohn darf aber nicht zu hoch sein. Ich bin gegen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn, um das ganz klar zu machen. Aber ich sage Ihnen auch: Ich bin deshalb dagegen, weil es in Deutschland eine Tarifautonomie gibt, die nicht nur verfassungsrechtlich geschützt, sondern auch wirklich gewollt ist, und weil im Rahmen dieser Tarifautonomie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zwischen den Tarifpartnern geklärt werden sollen.
Jetzt muss man sich fragen: In welchem Maße geschieht das in Deutschland? Wo liegt eigentlich das Minimum, an dem die Tarifautonomie greifen muss, damit wir davon sprechen können, dass die Tarifautonomie eine bestimmende Säule unseres Systems der Sozialen Marktwirtschaft ist? Wenn die Zahlen des IAB stimmen, muss ich konstatieren, dass die Tarifautonomie in Deutschland unter Druck ist. Es gab 1996 im Westen Deutschlands eine Tarifbindung von 69Prozent der Beschäftigten, im letzten Jahr nur noch eine von 57Prozent. Im Osten Deutschlands gab es 1996 eine Tarifbindung von 56Prozent, 2006 bestand nur noch eine von 41Prozent.
Jetzt müssen Sie sehen und das gilt insbesondere im Dienstleistungsbereich, dass diese Entwicklung natürlich Fragen aufwirft, dass sie nicht völlig unbeschadet an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorbeigeht und dass daraus auch eine Diskussion entsteht. Ob wir sie wollen oder nicht, ob wir sie ordnungspolitisch für richtig oder falsch halten, ist vollkommen egal. Deshalb sage ich: Die weitere Diskussion wird ganz wesentlich davon abhängen, inwieweit die Tarifpartner auch in der Lage sind, Tarifautonomie in Deutschland als eine mehrheitlich gelebte Realität erkennen zu lassen.
Ich weiß im Übrigen, dass neben den Flächentarifverträgen auch noch Anlehnungen an Tarifverträge bestehen und dass es Betriebsverträge gibt. Das ist alles richtig. Wenn es aber für eine Branche gar keinen Flächentarifvertrag mehr gibt, dann gibt es auch keinen mehr, der sich daran anlehnen kann. Ich werde mir die Tariflandschaft noch einmal sehr genau anschauen. Ich mache mir um die Dienstleistungsbereiche allergrößte Sorgen.
Deshalb glaube ich, dass in dieser ganzen Diskussion auch für Sie die Chance liegt deshalb haben wir uns im Übrigen auch so viel Zeit gelassen, dass Sie sich als Tarifpartner einmal darauf verständigen, wo eigentlich die großen Lücken bestehen und wo es vielleicht gut wäre, wieder Flächentarifverträge oder regionale Tarifverträge abzuschließen. Ich bin überhaupt nicht für einheitliche Lösungen. Aber es ist politisch nicht ganz einfach, mit Blick auf das gesamte Bundesgebiet, in dem in ganzen Bereichen und ganzen Branchen tariflich nichts mehr existiert, einfach zu sagen: Über Sonstiges reden wir nicht.
Jetzt kommen wir einmal zum Sonderfall des Postmindestlohns. Ich habe Herrn Zumwinkel hier heute noch nicht entdeckt. Ich sage einmal: Man hätte sich natürlich als Politiker gewünscht, dass sich die relevanten Vertreter der Arbeitgeber einfach einmal an einen Tisch gesetzt hätten. Sie haben es nicht getan. Ich will das jetzt auch gar nicht weiter kommentieren. Ich sage nur: Das sind unsere Betrachtungsweisen hinsichtlich dessen, was Tarifautonomie auch noch ermöglicht hätte. Das ist nicht geschehen. Ob die Gewerkschaften finden, dass sie sich damit einen Gefallen getan haben, will ich auch einmal dahingestellt lassen. Tatsache ist, dass jetzt, nach mehreren Verhandlungen, wegen der besonderen Situation der Post mehr als 50Prozent der Beschäftigten vom Tarifvertrag erfasst sind.
Ich möchte nur auf einen Punkt hinweisen, der die Postbranche massiv von anderen Branchen unterschiedet. Das ist die Tatsache, dass es ein Postgesetz gibt, das sich mit der Privatisierung der Post befasst. Das ist so ähnlich, wie wir es auch bezüglich der Bahn gemacht haben. Es ist Ende 1997 verabschiedet worden. Dieses Postgesetz wäre in Deutschland nie realisiert worden, wenn man bei den Bundesratsberatungen zum Schluss nicht noch eine Sozialklausel eingefügt hätte, weil man nämlich gesehen hat, dass im Bereich der Post der Lohn, weil er rund 70Prozent der Kosten ausmacht, der relevante Wettbewerbsfaktor sein wird. Deshalb hat man damals darauf Wert gelegt, dass die Arbeitsbedingungen bei Postdienstleistungen vergleichbar sein müssen.
Jetzt kann man eine lange juristische Debatte darüber führen, ob zehn, 20 oder 30Prozent an Abweichungen vergleichbar sind; mehr sind es mit Sicherheit nicht. Das heißt also, die Postkonkurrenten sind in ihrer Lohnzahlung auch nicht völlig frei, wenn sie sich nach dem Postgesetz richten wollen. Ich will das bei all dem, was wir jetzt in diesem Zusammenhang erleben, hier nur noch einmal erwähnen, weil es für meine politische Entscheidungsfindung und auch für die Entscheidungsfindung anderer durchaus von Relevanz ist.
Wir kommen in eine entscheidende Phase. Ich will keine Arbeitsplätze vernichten, niemand will das. Aber ich glaube, dass sich die Tarifautonomie in den nächsten Monaten wirklich bewähren muss. Sie ist ein Recht, sie ist eine Möglichkeit, aber sie muss auch genutzt werden, wenn sie wirklich eine Zukunft haben soll.
Meine Damen und Herren,
es gibt einen dritten Teil, den ich für die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft für außerordentlich wichtig halte und der indirekt auch etwas mit der Lohnpolitik zu tun hat. Das ist die Frage: Wie können wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wachsenden Produktivvermögen besser beteiligen? Ich glaube, dass wir hier eine Chance haben, das Gefühl von zu wenig Gerechtigkeit doch ein Stück weit aufzubrechen. Die relativ unverdächtige "FAZ" veröffentlicht heute eine Umfrage, laut der im Augenblick nur noch 15Prozent der Meinung sind, dass es in Deutschland gerecht zugeht. Glauben Sie nicht, dass die Politik an so etwas einfach wortlos vorbeigehen kann. Das müssen wir gemeinsam ändern.
Deshalb glaube ich, dass das Investivlohnkonzept, wenn wir es vernünftig hinbekommen die Koalitionspartner sind willens, es vernünftig hinzubekommen, ein Beitrag dazu sein könnte, den jeweiligen unternehmerischen Erfolg des eigenen Unternehmens wieder stärker sichtbar werden zu lassen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir dabei auf Freiwilligkeit setzen, dass wir die Mehrkosten begrenzt halten und dass wir die Rückbindung an das eigene Unternehmen darüber werden jetzt die intensivsten Diskussionen geführt noch erkennbar sein lassen. Das halte ich für ausgesprochen wichtig. Unter dieser Maßgabe wird jetzt miteinander verhandelt. Ich glaube, dass wir hierbei noch einen strukturellen Fortschritt erreichen können, der das Bewusstsein für den Kapitalgewinn, den Vermögensgewinn des eigenen Unternehmens stärken kann.
Meine Damen und Herren,
Herr Hundt hat schon über das Thema Bildung und Unternehmen gesprochen. Ich sage an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön. Die Investitionen, die in Bezug auf Bildung geleistet werden, sind wichtige, unabdingbare Investitionen. Beim Thema Berufsausbildung sind wir vorangekommen. Es sind jetzt zum ersten Mal wieder mehr als 600.000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Ich finde, der Ausbildungspakt hat sich bewährt. Wir jedenfalls ich werden auch nicht nachlassen, auch die Gewerkschaften zu bitten, dass sie sich dem öffnen.
Wir haben noch das Problem, dass manche in den vergangenen Jahren keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Wir werden jetzt sehr stark darüber nachdenken müssen, wie wir es hinbekommen, auch ihnen eine Chance zu geben. In wenigen Jahren Sie spüren es ja heute schon wird das Thema Nachwuchskräftemangel bzw. Fachkräftemangel immer mehr an Bedeutung gewinnen. Je stärker und besser die Wirtschaftslage ist, umso schneller geht das.
Ich glaube, dass wir Kommunen, Länder und Bund mit dem "Nationalen Integrationsplan" einen ganz wichtigen Schritt gegangen sind. Zum ersten Mal nehmen wir ins Visier, dass die Integration der jungen Menschen mit Migrationshintergrund eine der entscheidenden Aufgaben auch hinsichtlich der Deckung des Facharbeiterbedarfs der nächsten Jahre ist. Wenn man heute sieht, dass in vielen deutschen Großstädten etwa 50Prozent der Einschulungen Kinder mit Migrationshintergrund betreffen, dann ist es völlig ausgeschlossen, dass man an dieser Stelle nicht viel mehr Kraft investiert und diesen jungen Menschen auch eine Chance zur Ausbildung gibt.
Wir haben uns der Schnittstelle wir sind da auch mit den Ländern im Gespräch zwischen Schule und Berufsausbildung angenommen. Die Bundesagentur leistet hier eine hervorragende Arbeit. Wir sind uns alle einig: Es kann nicht sein, dass jedes Jahr 80. 000Schüler deutsche Schulen verlassen und nicht ausbildungsfähig sind, dass sie keinen Schulabschluss haben und von den Betrieben nicht genommen werden. Das kann sich Deutschland nicht leisten. Ich glaube aber, dass die Verantwortlichen hier durchaus vieles in Angriff nehmen, um die Situation zu verbessern.
Wir haben eine "Nationale Qualifizierungsinitiative" aufgelegt. Das Exzellenzdenken in unserem Land ist durch die Exzellenzinitiative der Hochschulen gestärkt worden. Wir wollen dreiProzent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben. Der Bund leistet hierzu seine Beiträge und verbessert somit sehr deutlich die Möglichkeiten für Forschung und Entwicklung.
Ich glaube außerdem, dass die Forschungsministerin mit Hilfe der Wissenschaftsunion, also durch die Zusammenarbeit von Wissenschaftsinstitutionen mit Unternehmen, gerade auch mit mittelständischen Betrieben, neue Instrumente gefunden hat, um das Geld bei denen in den Betrieben ankommen zu lassen, die innovative marktfähige Produkte entwickeln. Das heißt, Grundlagenforschung ist das eine, aber Ausweitung dieser Grundlagenforschung in Richtung marktfähiger Produkte ist noch eine der großen Schwachstellen in Deutschland. Deshalb ist es richtig, dass wir das ins Visier nehmen.
Wir haben uns gesagt, wir müssen zuerst im inländischen Bereich qualifizieren. Wir sind aber auch erste Schritte gegangen, um ausländischen Studenten bessere Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland zu geben und in ausgewählten Berufssparten auch EU-Ausländern der neuen Mitgliedstaaten den Zugang zu Deutschland zu erleichtern. Wir werden das genau beobachten und wir schließen nicht aus, dass wir hier in den nächsten Jahren auch noch weitergehen. Aber die nationale Qualifizierung hat für uns das werden Sie verstehen bei 3, 5Millionen Arbeitslosen durchaus Vorrang.
Ich glaube, für die Unternehmen in Deutschland und für die Arbeitgeber war es eine gute Botschaft, dass wir beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtige Schritte gegangen sind, insbesondere bei der Betreuung der unter Dreijährigen. Das hat zwei Effekte: Zum einen werden wir, was die Berufstätigkeit der Frauen anbelangt, eine viel bessere Infrastruktur haben. Einer der Gründe, warum Frauen sich sehr schwer tun, zum Beispieltechnische Berufe oder Ingenieurberufe zu erlernen, ist natürlich auch die Tatsache, dass diese Berufe sehr innovationsorientiert sind. Nach einigen Jahren Kinderpause finden daher nur schwer wieder in solche Berufe zurück. Das heißt, die Verbesserung der Infrastruktur für Kleinkinderbetreuung wird vielleicht auch dazu führen, dass sich wieder mehr Frauen technischen Berufen zuwenden. Dafür müssen wir gemeinsam werben.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei der BDA, dass Sie bei der "Allianz für die Familie" mitmachen. Das ist eine sehr gute Initiative. Gerade viele mittelständische Betriebe, aber auch große Unternehmen leisten zur Harmonisierung von Beruf und Familie einen ganz wesentlichen Beitrag. Die Vereinbarkeit des Arbeitslebens mit dem Familienleben ist eine der ganz großen Aufgaben in Deutschland, die sehr viel mit Mentalitäten zu tun hat und deren Wahrnehmung uns wirklich sehr gut ansteht.
Meine Damen und Herren,
wir haben zwei Reformen beschlossen die eine ist fertig, die andere ist in der Arbeit, die für Sie natürlich von großer Bedeutung sind: die Unternehmensteuerreform und die Erbschaftsteuerreform.
Die Unternehmensteuerreform entlastet Unternehmen in Deutschland. Wie es immer so ist, gibt es bei solchen Reformen selten nur Gewinner. Denn wie es auch immer so ist, sind die, die sich beschwert fühlen, etwas lautstärker als die, die sich begünstigt fühlen. Dadurch ist die Diskussionslage vielleicht manchmal etwas verzerrt. Ich bin dennoch überzeugt: Der Investitionsstandort Deutschland wird attraktiver. Auch die Familienunternehmen werden durch die Unternehmensteuerreform bessergestellt.
Wir gehen jetzt das Thema Erbschaftsteuer an, das dadurch, dass uns das Bundesverfassungsgericht bei der Bewertung der Grundstücke noch eine große Aufgabe dazugegeben hat, ein sehr schwieriges Thema ist. Wir haben das Thema heute im Kabinett diskutiert und Neuerungen beschlossen. Dabei ist deutlich geworden, dass im parlamentarischen Verfahren sicherlich noch Gespräche stattfinden werden. Aber eines ist schon heute vollkommen klar: Die Betriebsnachfolge wird für Familienbetriebe deutlich erleichtert.
Bei allem, was Sie im Detail beschweren mag, ist dies, glaube ich, eine ganz wichtige Botschaft, die wir auch aus Überzeugung gegeben haben. Denn das sage ich wieder, Herr Hundt wir sind uns sicher und wissen in der Globalisierung noch mehr als früher: Wenn Politik, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für dieses Land nicht gemeinsam Verantwortung übernehmen und wenn die Rahmenbedingungen so sind, dass Unternehmen immer wieder überlegen, möglichst viel im Ausland zu tun und möglichst wenig im Inland, dann werden wir dieses Land nicht erfolgreich in die Zukunft führen können.
Aus diesem Grund kann Politik nicht immer für eine Gruppe gestaltet werden. Aber wir wissen auch, dass Unternehmerinnen und Unternehmer diejenigen sind, die in Deutschland Arbeitsplätze schaffen, dass sie diejenigen sind, die das Risiko und die Kraft aufbringen, Ideen in verkaufbare Produkte umzusetzen.
Deshalb an letzter Stelle ein ganz herzliches Dankeschön für das, was Sie für dieses Land leisten. Wir werden weiter manchmal auch kontroverse Debatten führen. Aber wir sollten Debatten haben, die uns in dem Ziel einen: Deutschland muss ein menschlicher, erfolgreicher Standort sein, ein Standort, der die Tradition der Sozialen Marktwirtschaft nicht vergisst, sondern sie in der Globalisierung als ein exzellentes Modell auch für andere darstellt.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank und weiter gute Beratungen.