Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 16.01.2008

Untertitel: In seiner Rede anlässlich des Neujahrsempfangs der Stiftung Aufarbeitung unterstreicht Kulturstaatsminister Bernd Neumann, dass der Bund seine Verantwortung wahrnehmen wird, die Schrecken des Stasi-Terrors nicht in Vergessenheit geraten zulassen und der Verklärung des DDR-Alltags entgegenzuwirken.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/01/2008-01-16-rede-neumann-stiftung-aufarbeitung,layoutVariant=Druckansicht.html


heute vor zwanzig Jahren legte im Ostteil Berlins eine kleine Gruppe von Frauen und Männern letzte Hand an ein paar selbst gefertigte Transparente."Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden Rosa Luxemburg" stand darauf zu lesen. Mit diesen Transparenten wollten sie Tags darauf an der staatlich verordneten Schauveranstaltung im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg teilnehmen, mit der alljährlich im Januar in der DDR der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Jahre 1919 gedacht wurde.

Was Nachgeborenen im Rückblick harmlos vorkommen mag, war damals eine politische Provokation sondergleichen. Die Demonstranten, entlarvten die Verlogenheit des SED-Staates ausgerechnet mit einem Zitat seiner Säulenheiligen. Kein Wunder, dass die allgegenwärtige Staatsmacht sie sofort verhaftete und alsbald des Landes verwies.

Im kommenden Jahr wird die friedliche Revolution zwei Jahrzehnte zurückliegen, die die kommunistischen Diktaturen in der DDR und Ostmitteleuropa überwanden. Fragt man nach den Vorboten der demokratischen Umwälzung in der DDR, wird stets an diese, nur auf den ersten Blick anekdotenhafte Geschichte von Bürgermut in der Diktatur erinnert.

Es ist eine der Aufgaben der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Kenntnis über die Ursachen, die Geschichte und die Folgen der zweiten Diktatur in Deutschland zu fördern. Sie tut dies durch die Vergabe von Promotions- und Habilitationsstipendien, durch eigene Publikationen und Veranstaltungen sowie durch Förderung von Projekten: In den fast zehn Jahren ihres Bestehens hat die Stiftung bundesweit über 1500 Projekte Dritter mit mehr als 20 Millionen Euro ermöglicht. So entfaltet diese was die Zahl ihrer Beschäftigten betrifft kleine Einrichtung große öffentliche Wirkung.

Meine Damen und Herren, gerne bin ich der Einladung gefolgt, heute Abend auf dem Neujahrsempfang der Stiftung Aufarbeitung im neuen Domizil in der Kronenstraße zu sprechen. Die 1998 gegründete Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die rechtlich meinem Haus zugeordnet ist, hat sich in den zehn Jahren ihres Bestehens zu einer allseits anerkannten, bestens vernetzten Institution zur Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und der deutschen Teilung entwickelt.

Mit ihrer Wissenschaftsförderung trägt sie dazu bei, dass das Thema SED-Diktatur auch an den Universitäten nicht aus dem Blick gerät. Die Stiftung dokumentiert, ergänzt und berät Sammlungen, Privatarchive und Erinnerungsorte zur DDR-Opposition und zur Deutschen Teilung, die vielerorts seit den 90er Jahren entstanden sind. Sie nimmt jedoch nicht nur einen deutschen Blickwinkel ein, sondern blickt stets über die deutschen Grenzen hinaus. Ihr Engagement gilt auch dem Ungarn-Aufstand 1956 oder wie jüngst der Erinnerung an die großen Säuberungen in der Sowjetunion 1937. Auch die zahlreichen Veranstaltungen, mit denen in den Jahren 2009 und 2010 der friedlichen Revolutionen gedacht werden soll, sind in den Kontext der europäischen Geschichte gestellt.

Der Entwurf einer Neufassung der Gedenkstättenkonzeption der Bundesregierung, den ich im Juli vergangenen Jahres zur Diskussion gestellt habe, zeigt meine Überzeugung, dass es die Aufgabe von Staat und Gesellschaft ist, an das Unrecht der SED-Diktatur zu erinnern und so das Gedenken an die Opfer des Kommunismus in Deutschland zu bewahren.

Der Bund wird seine Verantwortung wahrnehmen, die Schrecken des Stasi-Terrors nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und der Verklärung des DDR-Alltags entgegenzuwirken. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist ebenso Sache des Bundes wie auch der Länder und Kommunen. Ohne zusätzliches bürgerschaftliches Engagement wäre sie nicht zu erfüllen. Es sind jedoch nicht nur die neuen Bundesländer angesprochen; in Zukunft sollten auch mehr Projekte in den alten Bundesländern stattfinden.

Wenn ich die Gelegenheit dieses Abends nutze und einige Wünsche an die Stiftung Aufarbeitung herantrage, dann steht an erster Stelle der Wunsch, die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur mehr denn je auch zu einer gesamtdeutschen Sache zu machen.

Dazu gehört auch die vermehrte schulische und außerschulische Aufklärung über die DDR. Kulturelle Bildung ist einer meiner Arbeitsschwerpunkte für die kommenden beiden Jahre. Zur Kultur gehört die Kenntnis der eigenen Geschichte das klassische Feld der politischen Bildung also. Angesichts der alarmierenden Umfrage-Ergebnisse, die bei Kindern und Jugendlichen allergrößte Unkenntnis der DDR-Geschichte zutage förderten, wird es eine zentrale Aufgabe der Stiftung Aufarbeitung sein, ihre Angebote in diesem Bereich auszubauen.

Lehrer müssen motiviert und qualifiziert werden, die deutsche Teilung und die SED-Diktatur mehr als bisher im Unterricht zu behandeln. Dazu müssen neue Schulbücher und Lehrmaterialien konzipiert werden, dazu bedarf es auch des kontinuierlichen Gesprächs mit den Kultusverwaltungen, den Schulbuchverlagen und den Lehrerverbänden. Ich freue mich, Rainer Eppelmanns Worten entnehmen zu können, dass die Stiftung Aufarbeitung ihre diesbezüglichen Anstrengungen verstärken will.

Wichtig ist mir bei der Aufarbeitung der kommunistischen Diktaturen auch der Ausbau der internationalen Zusammenarbeit. Dies ist eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Herausbildung eines europäischen Geschichtsbewusstseins. Die europäische Integration kann nur gelingen, wenn eine Verständigung über die Geschichte von Demokratie und Diktatur im Europa des 20. Jahrhunderts erfolgt.

Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit des heutigen Abends nutzen, drei Vertretern dieser Stiftung namentlich und stellvertretend zu danken. Ich danke dem Kollegen Abgeordneten Markus Meckel und Rainer Eppelmann, die als Vorsitzende von Rat und Vorstand die Geschicke der Stiftung Aufarbeitung im letzten Jahrzehnt lenkten und die Stiftung vor mancher Untiefe bewahrten. Und ich danke Dr. Anna Kaminsky, die als Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung einmal mehr unter Beweis gestellt hat, dass hinter den Männern im Rampenlicht fast immer eine große Frau steht. Ihnen Dreien und Ihren Mitarbeitern sei hier heute Abend herzlich gedankt.

Ich wünsche der Stiftung Aufarbeitung und Ihnen allen ein erfolgreiches und gutes Jahr 2008!