Redner(in): Michael Naumann
Datum: 10.06.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/13/12813/multi.htm


DIE WELT: Warum wurde für den Filmpreis nicht der beste Moderator engagiert? Wäre er zu teuer gewesen?

Michael Naumann: Wen meinen Sie?

Alle waren bei der Nominierungs-Gala im März einig: Das Beste daran war der Staatsminister, der den Text seines Redenschreibers vortrug, bis er darüber ins Kichern geriet und nicht weiterkonnte.

Es war wirklich sehr lustig. Alle lachten, und am Ende hatte ich das Gefühl, es wird hysterisch. Lachen am Abgrund... Davon abgesehen: Ich bin nicht der Staats-Conférencier.

Pro7 zeigt den Filmpreis in einer Aufzeichnung um 22.00 Uhr. Warum verkauft sich der deutsche Oscar so schlecht?

Der Sender Freies Berlin ist vor vier Jahren ausgestiegen; es fehlten wohl einige finanzielle Mittel. Ich halte dies für eine Fehlentscheidung, die nur getroffen werden konnte von Programmdirektoren, die nicht anerkennen, dass beim Filmpreis deren Stars, die Säulen ihrer eigenen Unterhaltungskunst, auftreten. Es ist nicht mein Job, Sender zu kritisieren. Ich kann nur eines sagen: Sie täuschen sich. Aber ich bin der Letzte, der über Pro7 schimpft; ich bin dankbar, dass es überhaupt jemand zeigt.

Mitte der Neunziger war der Filmpreis ja schon einmal live in der ARD zu sehen... und die Quoten müssen so schlecht gewesen sein, dass sie ihn nicht noch einmal ausgestrahlt haben. Nun, langweiliger als die Oscar-Verleihung wird es auf keinen Fall. Trotzdem wird dieses Argument mit einer religiösen Inbrunst wiederholt, dass man sich fragen muss, warum. Meine Antwort lautet: Entscheidungen in den Anstalten werden offensichtlich in zunehmendem Maße von Kaufleuten getroffen.

Es gibt zwei große Schaufenster für das deutsche Kino: den Filmpreis und die Berlinale. Unter den Preis-Nominierungen 2000 findet man wirklich alles, was diesem Filmland zur Ehre gereicht. Anders die Berlinale. Die wollte Roehlers "Unberührbare" nicht, Karmakars "Manila" nicht...

Die Berlinale ist kein rein deutsches, sondern ein internationales Fest und man sollte nicht nach dem Reisepass des Films schauen. Aber dass sie sich nicht aus politischen, ästhetischen oder persönlichen Gründen a priori gegenüber deutschen Produktionen verschließt, versteht sich von selbst.

In Frankreich ist es selbstverständlich, dass der neue Film eines heimischen Regisseurs in Cannes läuft, wenn er rechtzeitig fertig wird. Warum ist das mit Deutschland und Berlin anders?

Sie fragen damit letztlich nach meinem Einfluss auf das Auswahlgremium, und den habe ich nicht, und den will ich auch nicht haben.

Was erwarten Sie denn vom neuen Berlinale-Chef, dessen Ernennung Sie entscheiden?

Nicht allein, sondern mit Berlin. Zum Beispiel ein kontinuierliches Gespräch mit den Direktoren der Festivals in Cannes und Venedig. Was in anderen Kunst-Branchen gang und gäbe ist - dass nämlich zwischen den Leitern solcher Großveranstaltungen Hinweise ausgetauscht werden und über die Vermeidung von Konkurrenz geredet wird - hat es in den letzten Jahren zwischen den Filmfesten nicht mehr ausreichend gegeben.

Die Berlinale steht auch vor Veränderungen in der Trägerschaft. Wenn der Bund die gesamte Finanzierung übernimmt, bleibt dann das Kuratorium aus Vertretern des Bundes ( vier ) , des Lands Berlin ( drei ) und der Filmwirtschaft ( einer ) bestehen?

Ja, das ist völlig in Ordnung. Aber bei Stichentscheidungen wird der Bund im Kuratorium die Stichstimme beanspruchen.

In Cannes gibt es auch eine Art Kuratorium, aber anders zusammengesetzt: eine Hälfte Politik, die andere Filmwirtschaft. Wäre das ein Vorbild?

Die Politikvertreter bei der Berlinale haben die Funktion eines Aufsichtsrats. Wenn Sie aber sämtliche politischen und filmwirtschaftlichen Entscheidungen in einer Hand konzentrierten, erhielten Entscheidungen ein enormes Gewicht. Das ist undenkbar.

Warum undenkbar?

Ich stelle mir die Berlinale so vor, dass sie zuvörderst vom cineastischen Impuls getrieben werden sollte. Und der kommt desto besser zur Wirkung, je weiter das Festival von den wirtschaftlichen und finanziellen Machtkämpfen des Alltags entfernt ist.

Im Moment geistern alle möglichen Berlinale-Reformideen herum: Verlegung des Forums in den Sommer, Abschaffung des Panorama etc. Würden Sie diese Ideen verfolgen?

Nein. Das wesentliche Problem, das ich sehe, lautet: Es ist zu viel. Die Fülle zu reduzieren, hielte ich für sinnvoll. Aber ich werde keine Vorgaben machen. Das muss vom künftigen Berlinale-Leiter entschieden werden.

Wenn Berlin mit Cannes konkurrieren soll, hat das auch mit dem Budget der Festspiele zu tun, das - grob geschätzt - an der Côte d'Azur doppelt so hoch ist wie an der Spree. Wird der Bund die Berlinale besser ausstatten?

Sie ist gut ausgestattet. Aber sie ist organisatorisch so mit der Festspiel GmbH verzahnt, dass man als Außenstehender nie genau wusste, ob ihr Budget eingehalten wird. Nach meiner Kenntnis hat die GmbH immer Mittel zugeschossen. Die Haushaltsführung muss nach dem Prinzip von Wahrheit und Klarheit verbessert werden. Und die Lottogesellschaft wird bei Löchern in Zukunft wahrscheinlich nicht immer zur Rettung bereit stehen.