Redner(in): Angela Merkel
Datum: 14.02.2008

Anrede: Sehr geehrter Herr Bundesminister, lieber Michael Glos, sehr geehrter Herr Dordain, sehr geehrter Herr Professor Wörner, sehr geehrter Herr Herr Dudok, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/02/2008-02-14-iss-columbus-rede-bk,layoutVariant=Druckansicht.html


wir haben es gesehen: "Columbus" hat sein Ziel, was die Arbeitsfähigkeit anbelangt, erst einmal erreicht. Es ist wunderschön, dass Thomas Reiter heute hier dabei ist. Er war auch damals dabei, als wir "Columbus" verabschiedet haben. Dies ist ein Stück Neuland für Deutschland und natürlich auch ein Ereignis im europäischen Rahmen. Ich bin hier heute sehr gerne mit dabei, wenn dieser großartige Moment der Raumfahrt für uns auch ein Stück weit erlebbar wird. Mit so einem Gespräch mit der ISS wird das natürlich persönlich fassbarer, auch wenn es immer noch unfassbar ist, was es an technischen Möglichkeiten gibt. Man muss sich ja einfach nur einmal überlegen, wie das Signal aufgebaut wird und was das letztlich an technischer Akkuratesse bedeutet, wie Herr Reiter erzählt hat. Das läuft 24 Stunden und viele Tage und Monate hintereinander. Jeder Fehler wirkt sich unangenehm aus. Insofern können wir auch schon ein bisschen Ehrfurcht vor dem haben, was die Techniker und die Ingenieure zustande bringen. Ich will das auch gleich nutzen, um ein wenig dafür zu werben, dass sich junge Leute von dieser Technik faszinieren lassen und sich dafür entscheiden, Ingenieure zu werden und technische Berufe zu ergreifen. Die Zusammensetzung dieser Missionen ins All ist inzwischen so international, dass sie auch ein Stück zur Verständigung, zur normalen Gemeinsamkeit unserer Völker beiträgt. Ich glaube,"Columbus" wird auch in seiner eigentlichen Funktion zeigen, dass es ein Glanzstück wissenschaftlicher Kooperation ist, gerade auch europäischer Kooperation. Der französische Präsident hat aus weiter Ferne ein gutes Wort für die Raumfahrt eingelegt. Ich will das hier sozusagen vom Heimatboden aus tun. Ich glaube, wir sollten Raumfahrt auch in Europa als eine Zukunftsmission begreifen und begreifen, dass die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung immer auch ein Stück weit Visionen benötigen und nicht nur nach dem alltäglichen Nutzen beurteilt werden können, der am Abend schon abrechenbar ist, wenn die Forschung am Morgen stattgefunden hat. Dieser Glaube an Visionen muss etwas sein, das uns in Europa neugierig hält und damit auch etwas, was uns jung erhält. Denn wer nicht mehr neugierig ist, hat auch den Blick auf die Zukunft verloren. Ich sage das deshalb, weil Europa langsam als alternder Kontinent, als ein Kontinent mit einem demografischen Problem in die Geschichte eingeht. Wir sind umgeben von Kontinenten, die ein Bevölkerungswachstum zu verzeichnen haben. Wenn wir über unsere Interessen und über das sprechen, was wir auf der Welt durchsetzen wollen, dann sage ich oft, dass wir uns vor Augen halten müssen, dass am Anfang des 20. Jahrhunderts jeder vierte Mensch auf der Welt ein Europäer war. Zusammen mit den Amerikanern war jeder zweite Mensch ein Amerikaner oder Europäer. Am Ende des 21. Jahrhunderts wird nur noch jeder 14. Mensch ein Europäer sein. Wenn wir zu dieser Welt etwas beitragen wollen, wenn wir weiter Standards setzen wollen, wenn wir weiter unsere Werte leben können wollen, dann werden wir neugierig bleiben müssen, dann werden wir Freude an Innovation, an Kreativität, an Forschung und Entwicklung haben müssen. Ansonsten werden wir ein schönes Museum sein, aber keinen Beitrag für die Zukunft leisten können. Ich sage das nicht, weil ich Pessimismus verbreiten will. Ich glaube, wir haben allen Grund, Hoffnung zu haben, dass wir die Kraft haben, uns neue Möglichkeiten zu schaffen. Das ist aber nicht selbstverständlich. Andere auf der Welt werden sich nicht darum kümmern, dass wir es tun, sondern wir müssen es aus eigenem Antrieb schaffen. Dafür steht die Raumfahrt und all das Drumherum. Sie haben heute bereits von fachkundigen Leuten gehört, wie sich die Situation am Standort Bremen und am Kontrollzentrum Oberpfaffenhofen gestaltet, die wesentliche Beiträge geleistet haben. Mit 41Prozent des europäischen Beitrags zum Aufbau der ISS hat Deutschland in Europa wieder einmal eine wichtige Rolle übernommen. Wir müssen das aber nicht jeden Tag wie eine Monstranz vor uns hertragen. Wenn es aber wieder einmal darum geht, dass wir mehr tun sollen, können wir das, was wir tun, auch gut vorzeigen. Das Raumtransportsystem "Automated Transfer Vehicle", das ebenfalls in Bremen gebaut wurde, wartet schon auf seinen Einsatz. Insofern ist Bremen weiterhin in der Raumfahrt präsent. Und die ISS wird weiterhin mit Wasser, Lebensmitteln, Treibstoff und Forschungsgeräten beliefert. Meines Erachtens ist deutlich sichtbar geworden, dass es in der Raumfahrt ohne internationale Zusammenarbeit überhaupt nicht mehr geht. Wir reden viel von der Globalisierung und darüber, wie wir sie leben und wie wir sie durchsetzen. In einigen Bereichen ist es inzwischen selbstverständlich, dass es für einen allein überhaupt nicht mehr möglich ist, seine Dinge umzusetzen. Es gibt natürlich weiterhin einzelne Interessen, die aber zu einem guten Nutzen gebündelt werden. Deshalb bin ich der Auffassung, dass es eine schöne Erfahrung ist, dass es heute auch eine gute Zusammenarbeit mit russischen Astronauten gibt. Ich weiß gar nicht, ob sie sich noch Kosmonauten nennen. Gehen wir einmal von russischen Raumfahrern aus. Wir leiden ohnehin darunter, dass wir für neue Entwicklungen kaum noch deutsche Worte finden. Das ist meines Erachtens eine sehr bedenkliche Entwicklung. Ich schaffe es auch nicht mehr, zu allem ein deutsches Äquivalent zu finden. Jedenfalls gibt es den Kalten Krieg nicht mehr und somit gibt es auch keinen Wettlauf mehr, wer die nächste Sojus-Rakete oder wer den nächsten Shuttle in den Weltraum schickt; vielmehr ist daraus eine Kooperation geworden. Auch das ist ein Kennzeichen der heutigen Zeit. Ich finde es auch spannend, dass unsere Astronauten inzwischen sehr gut Russisch sprechen wenn ich es richtig verstanden habe, ist das keine einfache Sprache, wenn man sie in einem bestimmten Alter erlernen muss, ebenso wie natürlich auch die Kosmonauten heute der englischen Sprache mächtig sind. Es wird manchmal vergessen, was uns die Raumfahrt an täglichen Verbesserungen gebracht hat, zum Beispiel den CD-Spieler. In der gesamten Werkstoffkunde hat die Raumfahrt erhebliche Erkenntnisse gebracht. Ohne die Raumfahrt wäre manches heute noch nicht da oder hätte zumindest länger auf sich warten lassen. Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt nicht die gesamten guten europäischen Taten aufzählen. Ich möchte nur einen Punkt erwähnen, und das ist "Galileo"."Galileo" ist nach wie vor eine Herausforderung, weil wir noch nicht bewiesen haben, dass wir dieses Projekt verwirklichen können. Wir sind aber wieder einen wichtigen Schritt vorangekommen. Aber "Galileo" ist auch darum darf man nicht herumreden Ausdruck dessen, wie kompliziert es manchmal ist, unter den europäischen Mitgliedstaaten für ein allgemein für richtig befundenes Projekt die richtigen Strukturen und Konstruktionen zu finden. Wir haben zusammen mit allen anderen europäischen Ländern gesagt: Wir müssen das hinbekommen. Neben allem, was technisch notwendig ist, ist damit auch ein Stück Stolz und Ehre verbunden. Mit dieser Einstellung werden wir auch den weiteren Verlauf von "Galileo" begleiten. Ich bitte aber alle Verantwortlichen, die an diesem Projekt beteiligt sind: Machen Sie uns, die Politiker, beizeiten auf eventuell aufkommende Schwierigkeiten aufmerksam. Es hat keinen Sinn, weiter Zeit verstreichen zu lassen. Mir wäre es eigentlich schon ganz recht, wenn wir in Europa nicht die letzten auf der Welt sind, die das schaffen. Wenn dann schon alle Satellitenlaufbahnen vergeben wären und wir keinen Platz mehr bekämen, wäre das auch nicht gut. Wir müssen uns also anstrengen, wir müssen uns beeilen. Andere schlafen nicht, sondern sind auch feste dabei. Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie die Gemeinde derer, die sich in Europa für die Raumfahrt interessieren und einsetzen, wachsen. Ein solcher Tag, an dem man direkten Kontakt mit den Produkten der Raumfahrt aufnehmen kann, ist mit Sicherheit ein guter Tag für die Raumfahrt. Ich bin heute sehr, sehr gerne dabei gewesen und möchte allen, die dafür gesorgt haben, dass es zu einem solchen Tag kommen konnte, ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Denn dahinter stecken unendlich viel Feinarbeit und Kleinarbeit, unendlich viel Sachverstand, unendlich viel Beharrungsvermögen und das Bohren dicker Bretter. Dankeschön Sie haben unsere Unterstützung.