Redner(in): Angela Merkel
Datum: 17.04.2008

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/04/2008-04-17-merkel-ard-themenwoche,layoutVariant=Druckansicht.html


sehr geehrte Frau Piel, sehr geehrter Herr Deppendorf, sehr geehrte Frau Maischberger, Herr Ministerpräsident, lieber Matthias Platzeck, Frau Bundesministerin, liebe Ursula von der Leyen, meine Damen und Herren, ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie, wie es scheint, immer passend zu unseren politischen Beschlüssen Ihre Themenwochen langfristig planen. Aber es gibt auch Zufälle. Auf jeden Fall haben Sie sich eines Themas angenommen, das von außerordentlicher Bedeutung ist. Daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen. Ich bin bereit, der Maus zu erklären, wie man im Alter abgesichert ist, aber nicht zu erklären, dass die Rente sicher ist. Dafür müssten Sie Norbert Blüm einladen. Vielleicht erklärt er das noch einmal. Aber ich kann mit der Maus darüber sprechen, wie wir ein vernünftiges Lebensniveau im Alter sichern können, wenn sie die komplizierten Finanzmarktprodukte einfach erklären kann. Meine Damen und Herren, vielleicht sitzen jetzt auch jüngere Menschen vor dem Radio oder dem Fernseher, hören und sehen uns zu und fragen: Warum ausgerechnet die alternde Gesellschaft? Ist das etwas, was mich und uns anspricht? Ich glaube, dass wir es zunächst einmal schaffen müssen, das Thema als ein Thema unserer gesamten Gesellschaft wahrzunehmen. Es geht nicht darum, der einen oder der anderen Gruppe etwas zu geben oder zu nehmen, sondern es geht darum, unsere Gesellschaft von morgen zu beschreiben eine Gesellschaft, die nach Zusammenhalt sucht, die national denkt und auf Deutschland bezogen ist, aber auch eine Gesellschaft, die im globalen Umfeld lebt. Vielleicht ist einer der ganz großen Unterschiede zu früher, dass sich heute junge Leute, die eine hohe Mobilität besitzen, jederzeit entscheiden können, ihr Leben in einem anderen europäischen Land oder außerhalb Europas zu gestalten. Es geht beim demografischen Wandel also um eine Änderung unserer Gesellschaft, noch dazu in einem Umfeld, in dem es viele Angebote gibt, diese Gesellschaft zu verlassen. Da wir versuchen wollen, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gestalten, müssen wir das im Blick haben. Es geht um ein Thema, das nicht überall das gleiche ist, wenn wir uns die Welt anschauen. Es gibt viele Gesellschaften, in denen es sehr, sehr viele junge Leute gibt. Wenn Sie nach Afrika fahren, dann sehen Sie, dass ein Großteil der Länder dort so gestaltet ist, dass über 50Prozent der Bevölkerung aus 20-Jährigen und Jüngeren besteht. Es gab einen Beitrag in der ARD über Asylbewerber, der mich sehr berührt hat. Dort wurde über ein Callcenter berichtet, von dem aus ein junger Asylbewerber aus Äthiopien seine Mutter anrief und der, nachdem sie das Wetter abgehandelt hatten und sich das nicht als großes Problem darstellte, sagte: "Mama, hierher kannst du gut kommen. Hier sitzen überall alte Menschen auf den Bänken. Hier fällst du gar nicht auf." Das war der Eindruck dieses Menschen von unserer Gesellschaft. Auf der anderen Seite gibt es Länder, in denen es das gleiche Problem einer alternden Gesellschaft gibt. Das sind unsere europäischen Nachbarstaaten, in ganz besonderer Weise Russland, aber zum Beispiel auf absehbare Zeit auch China. Unsere Familienministerin, von Haus aus eine Optimistin, sagt immer: "Wenn wir dieses Problem bei uns erkannt haben, wenn wir wissen, dass wir es gestalten müssen, dann lasst es uns als eine menschliche Gesellschaft gestalten, so wie wir es mit der Sozialen Marktwirtschaft und in Bezug auf andere Herangehensweisen geschafft haben." Das ist ein guter Ansatz, um diesen wirklich tiefgreifenden Wandel in Angriff zu nehmen. Matthias Platzeck ist hier als Ministerpräsident eines neuen Bundeslandes. Er wird sicherlich nachher darüber sprechen, in welcher Abruptheit dieser demografische Wandel gerade in den neuen Bundesländern stattfindet. Ich habe mich gestern mit Generälen der Bundeswehr unterhalten. Sie haben darauf hingewiesen, dass 40Prozent des Bundeswehrnachwuchses aus den neuen Bundesländern kommen, was auch etwas mit der Arbeitsmarktsituation zu tun hat, und dass sich im nächsten Jahr die Zahl der Schulabgänger ungefähr halbieren wird. Das heißt, von einem Jahr auf das andere werden nur noch halb so viele junge Leute aus der Schule entlassen und in die Berufe hineingehen. Was das für die Planungen in Sachen Schule und vieles andere bedeutet, erlebt man in den neuen Bundesländern, erahnt man auch im Saarland und wird man auch in den prosperierenden Ländern wie Baden-Württemberg und Bayern erleben, wo im Augenblick sogar noch ein Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen ist. Wenn der Wandel der Gesellschaft so tiefgreifend ist, dann wird das alle Bereiche beeinflussen. Dann ist das eine Frage der politischen Rahmenbedingungen, eine Frage an Bund, Länder, Kommunen, aber auch an die gesellschaftlichen Organisationen und die Medien. Sie haben das Thema beim Schopf gepackt. Wie Frau Piel eben dargestellt hat, werden Sie es auch in den unterschiedlichsten Facetten bearbeiten. Das wird auf großes Interesse stoßen. Wir müssen davon ausgehen, dass die spezifischen Interessen der einzelnen Generationen gleichrangig nebeneinander stehen. Wir wissen und wir bemerken es auch, dass der demografische Wandel nahezu alle Politikbereiche berührt. Es gibt zwar eine Ministerin, die gleichermaßen für Jugend, Familie, Senioren und im Besonderen für Frauen zuständig ist, aber Familien- und Seniorenpolitik, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik sowie Wirtschaftspolitik greifen ineinander. Wenn wir allein an das Thema Arbeitsmarkt und Fachkräftemangel denken, kommen wir zum Beispiel bei der Frage, wie wir den Fachkräftemangel beheben können, immer wieder auf Familienpolitik und Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sprechen. Insofern sehen Sie schon die Querverbindung. Was kann Politik bewirken? Politik kann direkt gar nichts bewirken, wenn es um die Frage von Lebensentscheidungen der Menschen geht. Ich glaube, dass die eindimensionale Frage nach der Entscheidung für das Leben mit Kindern nie zu einem Ziel führt, sondern dass es insgesamt um eine optimistische Haltung und einen Kampf gegen den Pessimismus in unserer Gesellschaft geht, um die Probleme zu lösen. Aber Politik kann unterstützen. Sie kann Rahmenbedingungen setzen. Mit Recht erwarten die Menschen, dass wir dieses Problem sehen und in Angriff nehmen. Wir müssen auf der einen Seite dazu beitragen, dass die Menschen neue Chancen erhalten, und zwar unabhängig davon, wie alt sie sind. Das sind Chancen zur persönlichen Entfaltung, zur gesellschaftlichen Teilhabe. Ich glaube, das ist ein Schlüsselbegriff, obwohl in den verschiedenen Generationen Teilhabe unterschiedlich aussieht. Damit das Ganze nicht im ideellen luftleeren Raum steht, müssen wir auf der anderen Seite fragen, wie wir unsere sozialen Sicherungssysteme, die sich über Jahrzehnte bewährt haben, an diese neue Herausforderung anpassen, sie auf sie ausrichten und für einen fairen und gerechten Ausgleich zwischen Jüngeren und Älteren sorgen. Zum ersten Punkt möchte ich zuerst Stellung nehmen. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir, wenn wir Chancen und Teilhabe eröffnen, und zwar beginnend bei den jungen Menschen, die weniger werden, aufpassen müssen, dass sie in die Lage versetzt werden, ihre Chancen wirklich zu nutzen. Wir haben zum Beispiel nach dem Berufsbildungsbericht Sorge dafür zu tragen, dass die jungen Leute nach der Schule auf den sehr verschlungenen Pfaden hin zu einer Berufsausbildung nicht verloren gehen. Wir haben darauf zu achten, dass sie überhaupt in die Schule kommen und die Chance haben, einen Schulabschluss zu erhalten. Deshalb ist das Thema "Integration von Migrantinnen und Migranten" ein Schlüsselthema für die Gestaltung unserer Zukunft, insbesondere wenn wir daran denken, dass heute in vielen deutschen Großstädten zwischen 40 und 50Prozent der einzuschulenden Kinder einen Migrationshintergrund haben. Das heißt, zusätzlich zu dem Problem, dass wir eine alternde Gesellschaft mit weniger jungen Menschen sind, gibt es unter den jungen Menschen eine Verschiebung der Bevölkerungsstruktur. Wenn es uns nicht gelingt, das Integrationsproblem zu bewältigen, wenn es uns nicht gelingt, die Integration zu verbessern, werden wir ein riesiges zusätzliches Problem bekommen. Wir wissen, dass in einem Land wie Deutschland die Chancen ohne Berufsabschluss erheblich geringer sind und sehr viel kritischer gesehen werden müssen als mit einem Abschluss. Es geht also auch um das Erlernen eines Berufs. Es geht auch darum, dass man sich entscheiden kann, eine Familie zu gründen und Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. In diesem Bereich hat die Familienministerin in dem außergewöhnlichen Jahr der zusätzlichen Steuereinnahmen ihre Chance sehr beherzt genutzt und zugunsten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtige Entscheidungen vorangetrieben, die wir dann alle gemeinsam gefällt haben. Wir werden endlich aus der Ausnahmesituation in Europa herauskommen und auch für unter Dreijährige in Zukunft mehr Möglichkeiten der Kinderbetreuung haben. Wir standen hier relativ allein. Wenn wir von einem Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung für unter Dreijährige sprechen, dann sprechen wir immerhin von über einem Drittel der Betreuungsplätze. Es ist keineswegs so, dass eine völlige Uniformität der Lebensentwürfe hergestellt werden wird. Wir treiben das Thema gemeinsam voran. Ein gutes Beispiel dafür ist übrigens und das wird öfter der Fall sein müssen, dass Bund, Länder und Kommunen nicht nur nach Zuständigkeiten fragen, sondern sich ab und zu auch die Aufgaben ansehen. Der Bund hätte sich hier auf der Grundlage der Föderalismusreform zurückziehen und sagen können, dass gerade alles neu geregelt worden ist. Das haben wir nicht getan. Der Ministerpräsident nickt leicht. Ich glaube, dass das richtig war, weil die Menschen sowieso nicht auf die Politik schauen und feststellen, wer gerade wofür zuständig ist, sondern sie wollen letztlich, dass das Problem gelöst wird. Es gibt eine zweite Situation, die, wie ich finde, bedrückend ist. Wir schauen auf Jahre zurück, in denen der Vorruhestand das Instrument der Arbeitsmarktplanung war. Gestern Abend fiel wieder in einem Gespräch mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund dieses wunderschöne Wort "Blockregelung" im Rahmen der Altersteilzeit. Im ersten Block wird selbstverständlich voll gearbeitet und im zweiten Block ist man zu Hause. Auch das wird so nicht mehr funktionieren. Bei besseren Wachstumsraten hat es sich heute ergeben, dass viele Betriebe klagen und sagen: "Hätten wir doch noch die Älteren mit ihrem Erfahrungswissen, mit ihrer Routine und mit dem, was sie einbringen könnten. Dann könnten wir auch Jüngere besser anlernen. Dann könnten wir bei der Berufsausbildung mehr erreichen. Dann könnten wir unsere Werke im Ausland besser installieren." Wir haben Jahre mit bestimmten Fehlentwicklungen oder scheinbar effizienten Lösungen hinter uns, die uns auf der einen Seite volkswirtschaftlich gar nicht gedient haben, weil neben der Schnelligkeit auch der knappe Schwung der Routine ein Wert an sich ist. Lebenserfahrung und Menschenkenntnis brauchen ein bestimmtes Lebensalter. Auf der anderen Seite gibt es viele Ältere, die das Gefühl haben, nicht mehr so richtig gebraucht zu werden, obwohl sie gerne noch etwas zur Gesellschaft beitragen würden. Ein Teil des Pessimismus, der zum Teil auch in den neuen Bundesländern vorherrscht, hängt genau damit zusammen, dass Menschen, die gerne nach 1990 ihren Beitrag zum Aufbau Ost geleistet hätten, diese Chance nicht erhalten haben, obwohl sie sich darum bemüht haben. Auch das sollte man immer im Hinterkopf haben. Wir haben glücklicherweise den Trend, immer früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, gestoppt. Vor wenigen Jahren man kann sich das gar nicht mehr vorstellen waren nicht einmal mehr 40Prozent der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig. Inzwischen sind es wieder etwas mehr als 50Prozent. Aber wir können uns damit überhaupt nicht zufrieden geben. So sehr wie ich zum Thema "Rente mit 67" stehe, weil es eine völlig unabweisbare Entscheidung war und ist, um die Rentenversicherung nicht völlig aus dem Ruder laufen zu lassen, so sehr muss man auch betrachten, wie es bei den Menschen aussieht, die wissen, dass jeder zweite der über 55-jährigen außerhalb des Arbeitslebens steht, und die sagen: "Wie soll es weitergehen, wenn wir in Zukunft bis 67 arbeiten müssen?" Das heißt, es muss in den nächsten Jahren politisch alles darangesetzt werden, deutlich über die Marke von 50Prozent hinauszukommen und die Arbeitskraft der Älteren zu nutzen. Wir haben mit vielen Fördermaßnahmen eine Trendumkehr ermöglicht. Wir sollten noch weiter vorankommen. Die geburtenschwachen Jahrgänge treten jetzt erst in das Berufsleben ein. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Übergänge vernünftig gestalten. Wenn das gelingen soll, ist das Thema lebenslanges Lernen nicht mehr nur ein theoretisches Thema, von dem jeder einmal gehört hat man lernt auch im privaten, praktischen Leben immer einmal etwas Neues, sondern das wird Teil der gelebten Berufserfahrung sein. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass bei den verschiedensten Tarifabschlüssen dieses Thema inzwischen auch ein wichtiges Thema war und dass man sich in den Tarifverträgen dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung angenommen hat. Lebenslanges Lernen bedeutet eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft. Man darf nicht vergessen: Früher hat man eine Berufsausbildung abgeschlossen und hat eine Meisterprüfung abgelegt oder ein Diplom erhalten, dann hat man einen unaufhaltsamen Karriereaufstieg genommen und hat im Grunde im Wesentlichen immer anderen etwas beigebracht. Eine Erfahrung im Zuge der Deutschen Einheit war, dass viele Umschulungen und Berufsweiterbildungen in Bereichen absolviert haben, in denen 28- bis 32-Jährige aus den alten Bundesländern im Brustton der vollen Überzeugung erklärt haben, wie die Welt aussieht. Das ist für jemanden, der älter ist, nicht ganz einfach. Man ist nicht gewöhnt, dass Jüngere Älteren etwas beibringen. Daran muss sich aber die Gesellschaft gewöhnen. Das muss normal werden. Dabei muss trotzdem der Respekt vor dem Alter deutlich werden. All das sind völlige Umkehrungen, die wir in unserem gelebten Leben sehr, sehr lange nicht gekannt haben. Dennoch ist es bei den technischen Verbesserungen und dem hohen Niveau unserer Berufsausbildung und Berufsausübung unabdingbar, dass wir die Menschen auf ihrem Weg immer wieder gut ausbilden. Wenn wir uns vor Augen führen, welche technischen Innovationen allein im Bereich des Maschinenbaus in den letzten 15 bis 20Jahren stattgefunden haben, dann ist das ganz, ganz wichtig. Die Bundesregierung führt jedes Jahr einen IT-Gipfel durch, in dessen Rahmen wir mit der IT-Branche sprechen. Je nach Konjunkturzyklus werden Menschen entlassen. Im Augenblick werden wieder Arbeitskräfte gesucht. Ich habe zum Beispiel einmal angesprochen, was wir eigentlich einem jungen Menschen sagen sollen, der sich im IT-Bereich beruflich engagieren möchte. Gemeinhin ist die Erfahrung: Wenn du 40Jahre alt bist und eine neue Programmiersprache, eine neue Chip-Generation aufkommt, dann hast du eigentlich in diesem Beruf kaum noch eine Chance, eine zweite Runde mitzumachen. So lange das so ist, kann ich es jungen Menschen noch nicht einmal verübeln, dass sie sagen: "Bei diesem Berufsbild bin ich ausgesprochen vorsichtig. Wer weiß, ob ich als Programmierer irgendwann noch gebraucht werde, denn die Berufsperspektive ist nicht gut." Deshalb sind wir mit der IT-Branche im Gespräch, dass nur dann über bestimmte Zuwanderungen oder Arbeitserlaubnisse aus anderen Ländern gesprochen werden kann, wenn wirklich die Bereitschaft vorhanden ist, auch Menschen jenseits von 40Jahren wir sprechen nicht über 55-Jährige in die nächste Generation von Computerentwicklungen einzubinden. Ansonsten hat das gar keinen Sinn. Ich glaube, dass der Gedanke der Altersteilzeit ein gelebter Gedanke werden sollte. Er sollte eben nicht in Form von Blockzeiten ausgestaltet werden, in denen man abrupt aus dem Arbeitsleben in ein Leben ohne Arbeit hinübergeht. Wir müssen uns dem dritten Lebensabschnitt widmen, der heute nicht mehr von dem Rentner, dem Älteren, dem nicht mehr Erwerbstätigen geprägt ist, der keine eigenen Ideen, Ziele, keine eigenen Vorstellungen der Lebensverwirklichung mehr hat. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, diesem dritten Lebensabschnitt von Rentnerinnen und Rentnern, von Seniorinnen und Senioren, wie man heute sagt, Aufmerksamkeit zu schenken, da sie sehr muntere und klare Vorstellungen von der Gesellschaft haben, sich einbringen und trotzdem nicht mehr in solchen Zwängen leben wollen. Ich habe mich oft mit Medienvertretern besprochen, die etwas weiter ausgeprägte Werbemöglichkeiten als die ARD haben, warum eigentlich der Kundenkreis, den man als Werbepublikum betrachtet, schlagartig mit 50Jahren endet. Ich glaube, dass Großeltern ihren Kindern und Enkeln gerne etwas schenken. Auch die Menschen in diesem dritten Lebensabschnitt haben aber durchaus noch eigene Wünsche. Ich halte das für eine sehr verengte und in der Vergangenheit angesiedelte Werbe- und Konsumphilosophie. Ich habe mit Freude gesehen, dass die kleinen japanischen Spielgeräte im Jahr der Mathematik wie gut kann ich noch rechnen, wie fit bin ich? auch für Ältere auf den Markt kommen und dass in diesem Bereich viel gemacht wird. Wir müssen umdenken und in einer älter werdenden Gesellschaft nicht nur an Kinderspielzeug denken, obwohl das auch wichtig ist. Ältere sind das Bindeglied zu den Jüngeren. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, dass sich die Bundesfamilienministerin vehement für das Modell der Mehrgenerationenhäuser einsetzt, dass Generationen in einer Gesellschaft, wo nicht mehr jeder in einem Verbund angesiedelt ist, zusammenkommen, Orte der Gemeinsamkeit finden, sich gegenseitig kennenlernen und die Generationen voneinander profitieren. Der Bund gibt an dieser Stelle durch Projekte, die sich nur an einzelnen Stellen befinden können, Anstöße für die Kommunen, die natürlich als erste erleben werden, wie sich das Leben in ihrer Stadt oder ihrem Dorf verändert. Das werden massive Veränderungen sein. Wie halte ich zum Beispiel Leben in einer ländlichen Gemeinde, wenn die Schule nicht mehr da ist, wenn das Krankenhaus regional konzentriert wird, wenn die Kirche nicht mehr in jedem Dorf finanziert werden kann? Wie schaffe ich es, dass sich ländliche Gebiete nicht entvölkern? Wie ist es in einer Großstadt, wenn die Kindergärten plötzlich alle eher für Pflegestationen gebraucht werden? Wie stelle ich mich darauf ein? Was bedeutet das? Was bedeutet das in Zukunft für die bauliche Gestaltung der Städte? Ich habe zum ersten Mal von diesem so genannten "Age-Anzug" gehört. Ich glaube, wer die 50 überschritten hat, muss sich das nicht antun und diesen Anzug tragen. Wer glaubt, dass er zum hohen Alter noch lange hin hat, kann ihn vielleicht tragen. Der demografische Wandel birgt natürlich Implikationen, und zwar vom Straßenbahndesign bis hin zur Gestaltung von Häusern und Wohnungen. Ich kenne viele Vertreter großer deutscher Kommunen, die sich sehr viel mehr Gedanken darüber machen, als man meint, und die das Thema auch sehr mutig angehen. Neben der Rolle der Medien, die hier deutlich zum Ausdruck kommt, wird es um das bürgerschaftliche Engagement in unserem Land gehen. Die Bundesregierung hat die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements durch ein entsprechendes Gesetz vorgenommen, und zwar sowohl für Menschen, die Stiftungen gründen wollen, als auch für Menschen, die in bestimmten Organisationen ehrenamtlich tätig sind. Wir sollten Menschen die Brücke in das Ehrenamt bauen, und zwar nicht durch eine Art Pflicht, sondern durch Freiwilligendienste, die wir anbieten, und vielleicht auch durch die Entwicklung der Tradition, dass Betriebe und auch der öffentliche Dienst den Menschen, die aus dem Berufsleben ausscheiden, Angebote und Informationen zukommen lassen, wo sie sich ehrenamtlich engagieren können und wo sie hierfür Ansprechpartner finden. Auch das wird eine neue Infrastruktur des Ehrenamtes erfordern, denn ehrenamtliche Arbeit funktioniert nicht ohne professionelle Infrastruktur. Wenn ich mir vorstelle, was in einer Großstadt wie Berlin oder in anderen Großstädten zu tun ist, wie viele Menschen sich freuen würden, wenn vorgelesen, bei den Schularbeiten geholfen würde, wenn miteinander gespielt würde und vieles andere mehr angegangen würde, dann sollten wir zur ehrenamtlichen Tätigkeit ermuntern und damit Menschen ein sinnvolles Angebot eröffnen. Ich glaube auch, dass wir die Stiftungen in unserer Gesellschaft auffordern sollten, durchaus öffentlicher und selbstbewusster aufzutreten. Es gibt in Deutschland die Tradition "Tue Gutes und sprich nicht darüber". Das ist vornehm. Aber das sollte gar nicht unbedingt der Geist der Zeit sein, sondern der Geist sollte sein, dass wir das, was wir anzubieten haben, wirklich voranbringen, weil das wieder andere ermutigt. Vor allen Dingen auch kleine Stiftungen mit begrenzten Projekten können sehr beispielgebend sein. Meine Erfahrung im Gespräch mit Menschen ist oft, dass man alle Probleme kennt, sie auch beschreiben kann, aber unter der Vielzahl der notwendig zu erledigenden Aufgaben nicht den Ansatz findet, eine für sich herauszusuchen und zu sagen, dass man sich dem widmet. Natürlich muss ich dann vieles andere vergessen. Aber ich habe eine ganz andere Erfüllung bei dem, was ich tue und wofür ich mich entschieden habe. Das sollte noch mehr Schule machen. Ich möchte hier nicht vom Platz gehen, ohne ein Wort zu der schon angekündigten Rentenerhöhung zu sagen. Wir sind in Deutschland in einer Situation, in der wir im europäischen Vergleich ziemlich präzise den demografischen Wandel in unserem Alterssicherungssystem wiedergeben. Mit der so genannten Riester-Rente haben wir ein gutes System der privaten zusätzlichen Förderung kapitalgedeckter Rente. Es gibt eine gute Tradition betrieblicher Renten. In diesem Dreiklang mit der gesetzlichen Rente sehen wir die einzige Möglichkeit, im Alter eine Sicherung des Lebensstandards zu schaffen. Die Bundesregierung hat sich entschieden, in diesem Jahr die Sozialversicherungsfreiheit der Beträge zu erhalten, die man zur so genannten Entgeltumwandlung verwendet, das heißt also der Gehaltsbestandteile, die man für die private Rentenversicherung anlegt. Wir haben für Berufseinsteiger besondere Konditionen geschaffen, um die Auszubildenden an diesen Schritt zu gewöhnen und das voranzutreiben. Wir haben in der Großen Koalition im Bereich der Riester-Rente eine Komponente eingeführt, dass man diese private Altersvorsorge auch für Wohneigentum nutzen kann. Dazu finden gerade die Gesetzesberatungen statt. Eine Vielzahl von Maßnahmen zielt darauf ab, den Jüngeren die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Alterssicherung zu verbessern. Wir haben uns dazu entschieden, diesen Schritt freiwillig anzubieten und niemanden in ein neues Sozialsystem zu zwingen. Aber wir sind der Überzeugung, dass wir jedem Anreize bieten sollten, dies auch in Anspruch zu nehmen. Auf der anderen Seite war die Situation so, dass die Rentner in dieser Legislaturperiode von der Mehrwertsteuererhöhung betroffen waren, aber in keiner Weise von der Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 auf 3, 3Prozent entlastet wurden. Die Rentner müssen den vollen Pflegeversicherungsbeitrag zahlen, weil sie keinen Arbeitgeber haben, der die Hälfte trägt. Nach Abzug des Pflegeversicherungsbeitrags wäre eine Rentenerhöhung von 0, 2Prozent bei einer Inflationsrate von 3, 1Prozent herausgekommen. Demgegenüber waren in diesem Jahr hohe Tarifabschlüsse die Folge des wirtschaftlichen Wachstums. Ein Faktor in der Rentenformel besagt: Weil die Jüngeren Altersvorsorge betreiben, darf auch die Rente nicht so stark wie das Lohnniveau steigen, weil der steigende Lohn für die Jüngeren nicht voll verfügbar ist. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit und nicht der Mathematik. Da ich weiß, was Mathematik ist, habe ich gesagt, dass man immer streiten und fragen kann, ob das richtig ist. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass wir diesen Schritt für die Rentner tun. Sie werden eine Rentenerhöhung von 1, 1Prozent minus 0, 25Prozent für den Pflegeversicherungsbeitrag erhalten. Ich glaube, dass das richtig war. Ich halte es politisch für richtig, weil wir gezeigt haben, dass wir auch diese Generation nicht aus dem Blick verlieren. Die Einkommenssteigerung im letzten Jahr betrug 1, 4Prozent. Die Rentensteigerung wird 1, 1Prozent betragen, sie fällt also geringer als die Einkommenssteigerung aus. Damit verlassen wir unseren Pfad der demografischen Angleichung nicht. Das war also die Antwort auf die Frage in Sachen Rente. Sie können weiter darüber streiten. Ich halte jedenfalls nichts davon das will ich hier ausdrücklich sagen, Jung gegen Alt aufzuscheuchen und aufzuhetzen. Es ist auch nicht der Wunsch der Menschen. Die Jüngeren wollen, dass es den Alten vernünftig und gut geht. Die Älteren wollen nicht auf Kosten der Jüngeren leben. Dennoch muss man im Blick behalten, dass die Älteren an ihrer Lebenssituation weniger ändern können als die Jüngeren. Sie haben nicht mehr die Möglichkeit, mit 65Jahren eine private Vorsorge zu betreiben oder auf den Arbeitsmarkt zu treten und zu sagen, dass sie noch arbeiten möchten, obwohl auch die Rede davon war, dass viele Rentner diesen Schritt gehen. Meine Damen und Herren, ich habe versucht natürlich nicht in der großen ordnungspolitischen Systematik, einige Aspekte zu benennen. Ich hoffe, ich habe das in einem Ton gemacht, der deutlich macht: Es kann gelingen, eine Gesellschaft, die sich verändert, zu einer menschlichen Gesellschaft zu machen. Wenn wir das schaffen, wird das ein Beispiel für viele andere Länder sein. Der wichtigste Punkt wird sein, dass wir es schaffen, dass auch die Älteren eine längere Zeit als die Zeit ihres eigenen Lebens im Blickwinkel haben. Nur so wird unser Land innovationsfreudig und kreativ bleiben. Deshalb legen wir bei unserer Politik so viel Wert darauf, Forschung, Entwicklung und Innovation nach vorne zu bringen. Diese Themenwoche ist auch eine Form der Innovation. Deshalb herzlichen Dank, dass ich hier sein durfte. Viel Erfolg für Ihre Themenwoche! Sehr geehrter Herr Raff,