Redner(in): Angela Merkel
Datum: 15.06.2008

Untertitel: gehalten in Mainz
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/06/2008-06-15-rede-merkel-kfd,layoutVariant=Druckansicht.html


Liebe Frau Bogner,

liebe Frau Opladen,

lieber Herr Kardinal Lehmann,

lieber Herr Professor Meyer,

liebe Frau Bischöfin Jepsen,

liebe Maria Böhmer

und vor allen Dingen alle liebe Frauen Damen und Herren sagt man normalerweise und die vereinzelt anwesenden Männer sind in diese Begrüßung mit eingeschlossen!

Mein Gruß gilt natürlich auch denjenigen, die so schön musizieren!

Dankeschön für den wirklich freundlichen Empfang! Ich bin heute sehr gern zu Ihnen nach Mainz gekommen, um gemeinsam mit Ihnen den 80. Geburtstag der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands zu feiern. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Jubiläum! Herzlichen Glückwunsch zu dem neuen Leitbild, das einen Start in die Zukunft zeigt! Der Slogan "leidenschaftlich glauben und leben" gefällt mir sehr gut.

Im Laufe der Jahrzehnte mögen sich die Herausforderungen, vor denen Frauen stehen, gewandelt haben. Man kann aber sagen, dass Sie eine starke Gemeinschaft geblieben sind stark nicht nur deshalb, weil Sie über 600. 000Mitglieder haben, sondern auch stark wegen eines festen Fundaments im Glauben und eines festen Fundaments gemeinsamer Werte sowie stark wenn ich die Beifallsbekundungen wahrnehme wegen klarer Vorstellungen von der Rolle der Frauen in der Zukunft.

Das hat etwas mit meiner Entscheidung zu tun, heute Morgen hier bei Ihnen zu sein. Denn durch meine Anwesenheit möchte ich Ihnen auch ein herzliches Dankeschön für Ihre Arbeit sagen, ein Dankeschön aus der Welt der Politik, ein Dankeschön aus einer Welt, in der wir wissen, dass wir ganz arm dran wären, wenn wir nur noch Gesetze verabschieden würden, aber keine Menschen mehr hätten, die diese Gesellschaft menschlich gestalten.

Wir wissen, auf welche Weise Sie unsere Welt lebendig halten. Mir ist heute bei den Worten, die ich schon gehört habe, ein kleines Stück aus Richard Wagners "Meistersingern" eingefallen. Dort heißt es: "Verachtet mir die Meister nicht!" Ich möchte der katholischen Kirche, aber auch unserer gesamten Gesellschaft zurufen: Verachtet mir die Frauen nicht! Verachtet mir das Ehrenamt nicht! Verachtet mir vor allen Dingen die kfd nicht!

Es kommt nicht von ungefähr, dass Ihre Wahl für den Ort Ihrer Geburtstagsfeier auf Mainz gefallen ist. Denn Mainz spielt in Ihren historischen Wurzeln eine ganz besondere Rolle. Vor mehr als 150Jahren kamen aus Frankreich die Müttervereine. Sie haben in Deutschland hier Fuß gefasst. Dies ist eine Vorläuferbewegung der katholischen Frauenbewegung. Es war ein Mainzer Bischof, nämlich Wilhelm Emmanuel von Ketteler, der den Anstoß dazu gab, auf deutschem Boden Müttervereine als Gebetsgemeinschaften zu gründen. Er folgte damit der Überzeugung, dass das gemeinsame Gebet aus der Quelle des christlichen Glaubens die Kräfte weckt, die im Einsatz für Gerechtigkeit und Solidarität gebraucht werden.

Aus diesen Gebetsgemeinschaften christlicher Mütter entstanden schon bald gemeinnützige Vereine. Dies war eine Zeit, in der Deutschland und Europa im Umbruch waren. Das war die Zeit der Industrialisierung. Technische Entwicklungen, zum Beispiel Dampfmaschinen, hatten dazu geführt, dass sich das Leben völlig veränderte. Von 70 bis 80Prozent der Menschen, die auf dem Lande lebten, gingen über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg Bewegungen in die Städte aus. Es kam nicht von ungefähr, dass dies verbunden war mit einer Welle von Gründungen von sozialen, kirchlichen und konfessionell gebundenen Vereinigungen, die sich um Solidarität, um Menschlichkeit und um Hilfe praktischer Art bemüht hatten.

Im vergangenen Jahr war ich beim 125. Jubiläum der Rotkreuz-Schwesternschaften. In diesem Jahr feiert die evangelische Kirche den 200. Geburtstag von Johann Hinrich Wichern. Sein Wirken als Theologe und Sozialreformer trägt noch heute Früchte. Es war also sehr zeitgemäß, dass auch katholische Müttervereine gegründet wurden. Sie hießen man erkennt, dass sich im Laufe der Zeit doch etwas bewegt "Bruderschaften der christlichen Mütter". Das finden wir heute in gewisser Weise paradox. Man darf die Hoffnung also nicht aufgeben, dass sich andere Paradoxien auch überleben. Sie brauchen aber keine Sorge zu haben: Den ökumenischen Part überlasse ich voll und ganz Frau Bischöfin Jepsen, denn dabei kann ich mich nur vergaloppieren.

Das Aufgabenspektrum der katholischen Frauenbewegung wurde im Laufe der Zeit immer vielfältiger. Es kamen auch Bildungsfragen hinzu.

Wenn wir in die Geschichte schauen, dann stellt sich die Frage: In welcher Zeit leben wir heute, im 80. Jahr der kfd? Die Lebenssituation der Einzelnen und des Einzelnen hat sich massiv geändert gemessen an dem Leid, an den Konflikten, an der schwierigen materiellen Situation in den frühen Jahren der Industrialisierung, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können.

Aus all den Bewegungen wie den Bewegungen der kfd und anderen ist letztlich das entstanden, bei dem wir im Übrigen in diesen Tagen auch ein Jubiläum feiern können, nämlich den 60. Geburtstag der Sozialen Marktwirtschaft. Sie hat es geschafft, den massiven Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital zu überwinden und damit viele soziale Konflikte einer Lösung zuzuführen, weil es in unserer Gesellschaft gelang, aus verschiedenen Gründen ein Bündnis der Starken mit den Schwächeren zu bilden.

Man könnte sagen: Eigentlich ist die Arbeit heute leicht geworden. Sie ist es aber gerade nicht. Es geht uns zwar im Durchschnitt materiell besser trotz aller Gegensätze, die unsere Gesellschaft aufzuweisen hat. Wir leben aber wieder in einer spannenden Zeit. Ich persönlich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in einer etwa so spannenden Zeit leben wie zur Zeit der Industrialisierung. Wir beschreiben das heute so schön mit dem Wort Globalisierung.

Bischöfin Jepsen sprach von der einen Welt. Ich finde es sehr schön, dass Sie in Ihrem Leitbild auch den Dialog mit der Ökumene und in der Ökumene und mit anderen Religionen angeführt haben. Das Leben in dieser einen Welt ist natürlich nicht so einfach. Keine Generation vor uns war so darauf angewiesen, diese Welt fast umfassend zu verstehen. Sie können heute mit Hilfe des Internet und der Informationstechnologien im Prinzip jede Information von jedem Ort der Welt jederzeit zur Verfügung haben.

Was bedeutet das aber? Das bedeutet nicht automatisch ein Mehr an Sicherheit, nicht automatisch ein Mehr an Festigkeit. Das bedeutet zunächst einmal eine scheinbar unendliche Vielfalt, in der man sich zurechtfinden muss. Unsere Gesellschaft ist toleranter geworden. Damit ist aber die Vielfalt der Lebensentwürfe zum Teil schwieriger zu bewältigen. Was gilt noch? Was sind Konstanten? Was wird es mit uns mit Sicherheit nie geben? Das sind Fragen, mit denen sich Menschen heute auseinander setzen müssen und die in den nächsten Jahren mehr und mehr diskutiert werden.

Das, was als Aufgabe eines sozialen Ausgleichs innerhalb unseres Landes zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten weiter bleiben wird, wird ergänzt durch die zusätzliche Aufgabe einer gerechten Entwicklung auf der gesamten Welt. Das ist natürlich schwierig. Wir sind zurzeit zum Beispiel steigenden Energiepreisen ausgesetzt, die uns unglaublich belasten. Gewinne kommen nicht mehr bei uns an. Sie kommen auch nicht mehr in der Europäischen Union an, sondern sie kommen in den Golfregionen, in Saudi Arabien und in Russland an und geben Menschen damit Entwicklungschancen, die diese früher nicht gekannt haben.

Es gibt Schwellenländer wie zum Beispiel China mit 1, 3Milliarden Einwohnern und Indien mit einerMilliarde Einwohnern. Diese haben natürlich das gleiche Recht, gemäß der Würde des Menschen ihre Lebenswelt zu gestalten. Sie wollen essen, sie wollen sich kleiden. Wir merken plötzlich: Wenn in Indien 500Millionen Menschen eine zweite Mahlzeit am Tag essen, dann hat das Auswirkungen auf unsere Milchpreise und vieles andere mehr. Das sind die Aufgaben unserer Zeit.

Wie sieht eine gerechte Gesellschaft, eine wertegebundene Gesellschaft heute aus? Jeder Einzelne muss sich diesen Aufgaben stellen. Deshalb glaube ich, dass Organisationen wie die kfd aktueller denn je sind, weil sie viele Fragen beantworten müssen und beantworten wollen und weil sie Menschen Gemeinschaft und Halt in einer Zeit geben, die so viele Fragen aufwirft.

Wir müssen mit der Vielfalt des Lebens umgehen. Gerade Frauen haben eine hohe Bereitschaft, sich diesen Fragen zu stellen, miteinander darüber zu reden und sich für Lösungen von konkreten Lebensproblemen zu engagieren. Was ich allgemein gesagt habe, findet zwar Niederschlag in jedem einzelnen Familienleben. Damit ist das Problem aber bestenfalls beschrieben, aber keinesfalls schon gelöst.

So müssen wir miteinander ringen. Ich fand es sehr schön, dass vorhin gesagt wurde: Wenn alle in eine Richtung ziehen, dann fällt die Welt um. Deshalb müssen wir gerade in einer Zeit gravierender Veränderungen miteinander darum ringen, wie der richtige Weg aussieht und welche Kraft wir aus unserer Geschichte, aus unserem Glauben, aus unseren politischen Überzeugungen ziehen können und zu welchen neuen Aussagen wir kommen können.

Ein Punkt, der uns in das Leben der Politik zurückführt, ist natürlich, dass wir heute sagen: Wir wollen den Menschen die Möglichkeit einer eigenen Lebensgestaltung überlassen. Wir wollen sie ermuntern, ihr Leben zu führen. Für den Bereich der Frauenpolitik heißt das dann: Wir wollen die Wahlfreiheit für jeden Einzelnen.

Bei den Männern spricht man nicht so viel über Wahlfreiheit. Das wird aber zunehmen, denn sie müssen sich im Zusammenhang mit den Elternmonaten entscheiden, wie sie ihre Vaterrolle gestalten wollen. Ich glaube, eine Gesellschaft kann sich nicht nur im Blick auf das Leben von Frauen verändern, sondern das bedingt immer auch eine Veränderung des Lebens der Männer. Deshalb muss man das gesamtheitlich sehen, meine Damen und Herren. Die Industriegesellschaft, aus der wir kommen, hat sehr klassische Männerbilder hervorgebracht und zementiert. Wenn es um Rollenverhalten in der Gesellschaft geht, dann sind sicherlich Diskussionen in beiden Geschlechtergruppen notwendig.

Wahlfreiheit für Frauen sorgt regelmäßig ich vermute, dass dies auch für die kfd gilt für ziemlich virulente Diskussionen. Was heißt Wahlfreiheit? Welches ist das optimale und in der Gesellschaft anerkannte Modell? Hierzu sage ich als erstes: Wenn wir uns vermeintlich zur Vielfalt bekennen und ich will das, dann müssen wir die Vielfalt gleichermaßen gelten lassen. Dann darf es nicht ein Gegeneinander geben zwischen den Frauen, die sich für eine Zeit lang oder ihr Leben lang für eine Rolle als Mutter, Großmutter und Ehrenamtliche entscheiden, und den Frauen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen.

Ich glaube, wir sind noch nicht ganz an diesem Punkt angelangt. Die gesellschaftliche Diskussion wogt immer hin und her. So wird vermeintlich mal die eine Gruppe und mal die andere Gruppe zu viel unterstützt. Schauen Sie sich einmal die Auseinandersetzungen um die Fragen des Elterngeldes, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Kleinkindbetreuung und des Betreuungsgeldes an. Allein in vier oder fünf politischen Maßnahmen wird das gesamte Spannungsfeld vereint, das unser tägliches Leben ausmacht.

Ich bin dafür, die Betreuung der unter Dreijährigen auszubauen, damit Wahlfreiheit gelebt werden kann. Wenn wir von einem Rechtsanspruch sprechen, dann sprechen wir davon, dass 35Prozent der Kinder unter drei Jahren einen Platz bekommen können. Es ist ziemlich klar, dass die allermeisten Kleinkinder im ersten Lebensjahr zu Hause sind, dass im zweiten Lebensjahr mehr von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Gebrauch gemacht wird und dass im dritten Lebensjahr der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz quasi umgesetzt werden will.

Ich erinnere mich noch an die Diskussionen über den Kindergarten, als ich von 1991 bis 1994 Frauenministerin war. Es ging darum, ob das Mittagessen in der Betreuung enthalten sein könne und ob es richtig sei, wenn das Kind im Kindergarten zu Mittag isst. Darüber sind wir heute schon ein Stück hinweg.

Im Übrigen sind wir bei manchen Kindern mit Migrationshintergrund froh, wenn sie im Kindergarten Gemeinschaft erleben und die Sprache erlernen, die sie woanders gar nicht erlernen könnten. In unseren großen Städten sind 40 bis 50Prozent der eingeschulten Kinder heute Kinder mit Migrationshintergrund. Wenn diese nicht in einen Kindergarten gehen und dort früh deutsch lernen, dann ist sowieso alles sehr schwierig.

Gilt nun noch die Wahlfreiheit oder ist die Mutter, die sich für die Erziehung des Kindes zu Hause entscheidet, abgeschrieben? Deshalb haben wir uns für das Betreuungsgeld ausgesprochen. So, wie bei den Elternmonaten sofort das Wickelvolontariat als Schimpfwort aufkam, kam beim Betreuungsgeld sofort das Schimpfwort der Herdprämie auf. Was sind wir eigentlich für ein Volk, das jede politische Maßnahme sofort kritisiert, infrage stellt, herunterspielt und karikiert, bevor man versucht, das Gute zu sehen? Bei der Herdprämie sage ich immer: Man sollte froh sein, wenn manche noch etwas mit einem Herd anzufangen wissen im Gegensatz zu denjenigen, die nur noch Fastfood an der Tankstelle kaufen und sich wundern, dass sie mit dem Geld nicht auskommen.

Wir haben uns ganz bewusst entschieden, das in einem nächsten Schritt Betreuungsgeld einzuführen, um Wahlfreiheit zu ermöglichen. Wie wir das genau ausgestalten, darüber können wir noch reden. Ich bin aber immer wieder überrascht, mit welchem Reflex sofort gesagt wird: Wer weiß, was die Leute mit dem Elterngeld machen; ob sie es wohl den Kindern zugute kommen lassen? Wir müssen ich glaube, bei der kfd befinde ich mich im richtigen Umfeld davon ausgehen davon muss sich unsere Politik leiten lassen, dass die Menschen von Haus aus in der Lage sind wenn sie dazu nicht in der Lage sind, muss man ihnen helfen, ihr Leben eigenständig zu gestalten. Diese Kräfte müssen wir wecken und entfalten.

In der Politik arbeiten wir immer in dem Spannungsfeld, wie wir die Soziale Marktwirtschaft ganz konkret ausgestalten. Zurzeit wird über steuerliche Erleichterungen und über eine Erhöhung des Kindergeldes diskutiert. Das werden wir tun, wenn sich die Kinderfreibeträge erhöhen. Es geht also um Leistungen für Familien. Dabei wird gesagt, es müsse zuerst denen geholfen werden, die es am schwersten haben, die vielleicht ArbeitslosengeldII bekommen, die sich kein Schulessen für die Kinder leisten können. Ich sage: Eine gerechte Politik darf die Mitte der Gesellschaft nicht außer Betracht lassen. Sicherlich müssen wir den Schwachen helfen. Sicherlich müssen die Starken mehr beitragen. Die Mitte muss aber auch erkennen können, dass sich ihre Anstrengungen lohnen.

Wenn wir über Armut in unserer Gesellschaft sprechen, dann sind dies zurzeit immer noch zumeist die Familien, die in einer sehr schwierigen Lage sind und alles auf einmal schaffen sollen, nämlich die Vorsorge für das eigene Alter, die Erziehung und die Karriereplanung. Deshalb bedarf die Familie der besonderen politischen Aufmerksamkeit. Daher haben wir eine Vielzahl von Maßnahmen durchgesetzt wie zum Beispiel die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten neben dem Elterngeld, die von mir bereits angesprochenen Vätermonate und die Erhöhung des Kindergeldes, die wir in diesem Jahr in den Mittelpunkt stellen wollen.

Ich bitte um Verständnis, dass wir das ist mit Blick auf die Familienpolitik kein konkurrierendes Ziel auch sagen: In einer Welt, in der die Herausforderungen immer größer werden, brauchen wir in unserem Land ein Leben, das sich nicht immer wieder auf Pump gründet. Wir haben es uns angewöhnt, so zu leben, wie es sich keine Familie leisten kann. Wir haben jedes Jahr über unsere Verhältnisse gelebt.

Das hat dazu geführt, dass wir heute rund 15Prozent unseres gesamten Bundeshaushalts für Schuldzinsen ausgeben. Das heißt, von jedem Euro sind 15 Cent allein für Zinszahlungen weg, während in den 1970er Jahren rund dreiProzent des Bundeshaushalts für Zinsen ausgegeben wurden. In den 1970er Jahren standen noch fast zwei Drittel des Bundeshaushalts zur Verfügung, um Aufgaben jenseits der sozialen Aufgaben zu bewältigen, sprich in die Zukunft zu investieren. Heute steht uns nur noch ein Drittel dafür zur Verfügung. Der Rest geht in Zinszahlungen sowie soziale Leistungen wie Rente, ArbeitslosengeldII und vieles andere mehr.

Wenn man Familien betrachtet, ist dies immer ein Blick in die Zukunft dieser Gesellschaft. Wir dürfen im Jahr2050 natürlich nicht ein Drittel für Schuldzahlungen ausgeben. Dann stünden vielleicht nur noch 15 oder 20Prozent für Zukunftsaufgaben zur Verfügung. Das wäre in höchstem Maße ungerecht. Deshalb ist Haushaltskonsolidierung nicht irgendetwas für fantasielose Finanzpolitiker oder Bundeskanzlerinnen, die Physik studiert haben und nichts anderes als Zahlen kennen, sondern wirkliche Zukunftspolitik im Sinne einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaftspolitik für die zukünftigen Generationen.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns über die Zukunft unseres Landes Gedanken machen, dann werden die Fähigkeiten und Fertigkeiten der verschiedenen Menschen stärker in unser gesamtes gesellschaftliches Leben einbezogen werden müssen. Ich glaube aber, dass viele Fähigkeiten von Frauen in unserer modernen Gesellschaft auch im Blick auf das Berufsleben nach wie vor brachliegen.

Die Industriegesellschaft hatte uns in eine Situation gezwängt, in der es einerseits große Wohnräume gab, zum Teil in sehr elenden Zuständen, und andererseits eine Arbeitswelt mit zum Teil auch sehr harten Arbeitsbedingungen. An beidem haben wir gearbeitet. Es gibt heute bessere Wohnbedingungen und bessere Arbeitsbedingungen. Das Zusammenführen aber von nicht-beruflichem Leben und beruflichem Leben gestaltet sich immer noch sehr schwierig. Beides ist oft noch durch eine hohe Barriere voneinander getrennt.

Das zeigt sich zum Beispiel, wenn man sich überlegt, wie Eltern meistens Frauen nach ein paar Jahren der Erziehungstätigkeit wieder ins Berufsleben hineinkommen wollen. Deshalb finde ich es richtig, dass wir alle Anstrengungen darauf richten Familienministerin Ursula von der Leyen tut dies auch, die Barrieren zwischen Beruf und Familie ein Stück weit einzureißen im Sinne von berufsbegleitender Qualifizierung.

Wenn sich Frauen für technische Berufe entscheiden wir brauchen mehr von diesen Frauen und dies nicht damit verbunden sein soll, dass man auf Kinder verzichtet oder sie immer später bekommt, dann muss sich in unserer Gesellschaft eine Normalität entwickeln, dass man auch dann, wenn man einen technischen Beruf erlernt hat, nicht sofort mit einem glatten Aus in der weiteren beruflichen Entwicklung zusammengebracht wird.

Der Informations- und Kommunikationsbranche, die uns in Wellen alle fünf Jahre darüber informiert, dass sie leider nicht genügend Fachkräfte hat, sage ich: Wie wollen Sie erreichen, dass Menschen diesen Beruf erlernen, wenn man weiß, dass man spätestens im Alter von 45Jahren, wenn man die nächste Programmiersprache nicht mehr versteht, gleich zum alten Eisen gezählt wird? Wenn eine Frau, die sich vielleicht für Kinder entscheiden möchte, die vielleicht bis 28 studieren muss, um anschließend wenige Jahre zu arbeiten und dann Kinder zu haben, dann irgendwann einmal in den Beruf zurückkehren will, gehört der Mann schon zum alten Eisen, während sie keine Chance hat, in den Beruf zurückzukehren.

Wenn wir so weitermachen und immer wieder nach internationalen Fachkräften suchen, die sowieso nicht sehr zahlreich zu uns kommen, weil wir eine harte Sprachbarriere haben und weil wir nicht ganz so begehrt sind, wie wir manchmal glauben zu sein, dann müssen wir uns darum bemühen, Barrieren aufzuheben und den Menschen eine Chance zu geben.

Aus anderen Ländern können wir lernen. Verschiedene Talente und verschiedene Herangehensweisen sind in Ländern, die auf Kreativität, auf Wissen, auf Wissensverbesserung gründen, das allerwichtigste. Das heißt, Frauen und Männer, Jüngere und Ältere, verschieden Ausgebildete, Geisteswissenschaftler und Techniker das wird das Leben sein, in dem wir uns zu bewähren haben. Es wird wichtig sein, die Familienerfahrung Flexibilität, Improvisierfähigkeit, gute Nerven, nicht bei jeder Ausnahmesituation zu verzweifeln und ins Handbuch zu schauen, wie die Vorschrift lautet durch Frauen in diese Gesellschaft einzubringen. Das wird aber noch nicht ausreichend geachtet. Dafür müssen wir uns einsetzen.

In der Politik stehen wir vor einer Situation, in der wir wissen ich finde, das zeigt sich am Anfang des 21. Jahrhunderts in ganz besonderer Weise, dass Politik von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht schaffen kann. Wir können einen guten Binnenmarkt organisieren. Wir können uns zu den Marktkräften bekennen. Wir können einen geordneten Markt wie die Soziale Marktwirtschaft konstruieren. Die Werte aber, die dahinterstecken, können wir nicht aus den politischen Rechtsetzungsakten heraus erzwingen.

Eine der interessanten Fragen, vor denen wir heute stehen, ist, dass wir heute auch Marktwirtschaften auf der Welt haben, die keinesfalls mit Demokratien und schon gar nicht mit Demokratien, wie wir sie kennen, automatisch verknüpft sind. Für einen wie Ludwig Erhard war es möglich, eine Marktwirtschaft zu konstruieren, die einen sozialen Ausgleich schafft und die ganz selbstverständlich auf einem Wertebewusstsein gründet, demnach die Würde jedes einzelnen Menschen unteilbar ist, jeder Mensch die gleichen Rechte und die gleichen Chancen hat. Wir haben aber heute Regionen in der Welt, in denen das nicht so ist. Dennoch wirken Marktkräfte. Deshalb werden wir in eine Phase kommen, in der wir uns als Gesellschaft unserer Werte wieder besinnen müssen oder sie kräftigen müssen, wenn wir im Wettbewerb mit anderen mithalten und überlegen wollen, wofür wir uns einsetzen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit unserer Art der Demokratie, mit unserem Werteverständnis der unteilbaren Würde jedes einzelnen Menschen auf lange Zeit unschlagbar sind im Zusammenleben auf der großen Welt. Im Augenblick sind wir jedoch in einer Situation, in der wir uns mit Wettbewerbsbedingungen auseinander zu setzen haben, in der wir nicht genau wissen, wie wir unsere politische Strategie anlegen.

Deshalb glaube ich, dass man Innen- und Außenpolitik heute nicht mehr trennen kann. Wenn man in der Welt nicht dafür sorgt, dass bestimmte Standards im Arbeitsbereich selbstverständlich sind, dass Kinderarbeit nicht erlaubt ist, dass die Ausbeutung natürlicher Ressourcen um den Preis, dass morgen nichts mehr verfügbar ist, nicht mehr erlaubt ist, dann können wir manchen Wettbewerb nicht gewinnen. Umso mehr müssen wir uns für die Stärkung internationaler Organisationen einsetzen. Umso mehr bin ich Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Aspekt in Ihre Arbeit einbringen.

Wenn wir nicht bereit sind, uns mit aller Entschiedenheit für jeden einzelnen Menschen auf der Welt, dem es schlecht geht, der ungerecht behandelt wird, einzusetzen, wenn wir den wirtschaftlichen Auftrag wie selbstverständlich vor den Erhalt der Menschenrechte setzen, wenn wir einen Gegensatz daraus machen und uns zwar zu Hause um die Rechte der Menschen kümmern, aber woanders die Augen verschließen, weil es für uns gerade von gutem Ausgang ist, dann werden wir nicht überzeugend auf diejenigen wirken, die bestimmte demokratische Grundregeln nicht einhalten.

Deshalb haben wird diese internationale Dimension. Wir haben sie natürlich aber auch im eigenen Land. Denn was früher selbstverständlich war, dass neben die eigene Arbeitsanstrengung die Entlohnung und das Einhalten der Gesetze einer Gesellschaft gehört, dass neben diesem immer eine eigene innere tiefe Glaubensüberzeugung gegeben war, das ist heute nicht mehr in der Breite gegeben.

Die Trennung von Staat und Kirche, die ich für richtig halte und die ich nicht infrage stellen möchte, hat dazu geführt, dass christliche Werte nicht mehr automatisch jeden Arbeitgeber, jeden Arbeitnehmer und jeden Beteiligten in unserer Gesellschaft prägen. Das heißt, die Werte, die wir brauchen, damit wir die Voraussetzungen haben, unter denen wir Politik betreiben können, müssen heute wieder erarbeitet werden. Das geschieht mit Sicherheit nicht allein in der Politik, sondern das muss in breiten Bereichen der Gesellschaft geschehen. Für mich sind Kirchen die tragenden Institutionen, die dies leisten müssen.

Deshalb ist Ihre Arbeit nicht nur ein schönes Sahnehäubchen auf dem gesellschaftlichen Leben, das sonst auch prima funktionieren würde. Deshalb sind Ihre Arbeit und die Arbeit vieler anderer existenziell dafür, dass der Zusammenhalt und das Gemeinsame in unserer Gesellschaft gelebt werden kann.

Wir brauchen natürlich eine Begründung dafür, weshalb wir Solidarität üben. Weshalb haben wir nach der deutschen Wiedervereinigung Solidarität zwischen Ost und West geübt? Rein materiell hätte man auch sagen können: Wir lehnen uns zurück, wir haben genug gebuckelt, die Frauen in der DDR haben sowieso eine höhere Rente bekommen.

Meine erste Pleite bezog sich auf meine Antwort auf die Frage, weshalb die Frauen in der DDR eine höhere Rente bekommen als die Frauen im Westen. Darauf habe ich gesagt, dass die Frauen im Osten auch gearbeitet haben. Damit bin ich ganz groß rausgekommen. Seitdem habe ich mir angewöhnt zu sagen, dass sie erwerbstätig waren. Damit ist aber das Grundproblem, welche Arbeit in unserer Gesellschaft wie zählt, auch noch nicht gelöst. Deshalb haben wir bezogen auf die Rentenregelungen eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um Kindererziehung im Rentenrecht anzuerkennen. Ich vermute, die kfd ist mit der heutigen Situation noch nicht ganz zufrieden.

Um Solidarität, um Gerechtigkeit und um Freiheit zu leben, bedarf es eines Fundaments von Werten. Das kommt in vielen Fällen zumindest für mich aus dem christlichen Glauben. Dann kommt man nicht zu dem rudimentären Freiheitsverständnis, dass man frei von allem ist, was einem irgendwie Mühsal bereiten könnte. Vielmehr ist uns die Freiheit so gegeben, dass wir frei zu etwas sind: Zu einer Bindung, zur Gemeinschaft, zum Engagement, zum Leben in einer Gemeinschaft, die möglichst viel Gerechtigkeit erzeugen und erleben will.

In diesem Sinne glaube ich, dass wir Ihre Arbeit, die Arbeit der kfd und die Arbeit vieler anderer Gruppen und Institutionen in unserer Gesellschaft dringender denn je brauchen. In diesem Sinne glaube ich, dass diese Arbeit Anerkennung erfahren muss Anerkennung, die auch darin bestehen kann und muss, dass die Kirchen Sie in den nächsten Jahrzehnten mindestens so viel achten wie bisher. Ich wollte mich nicht weiter einmischen. Den Rest müssen Sie selbst erledigen.

In diesem Sinne ist Ihre Arbeit aktueller denn je. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Ihre Arbeit nicht einfacher werden wird. Sie wird anders werden. Aber die Fragen, nach welchen Werten man in unserer einen und sehr komplizierten und vielfältigen Welt lebt, wie man teilen muss, wie man an die Zukunft denken muss, all diese Fragen bleiben spannend.

Deshalb möchte ich zum Schluss Frau Bogner ein ganz herzliches Dankeschön sagen für ihre Arbeit der vergangenen Jahre. Sie haben mit Diplomatie und Fingerspitzengefühl die Geschicke der kfd gelenkt. Sie haben Frauen ermutigt und sind auch manchem Konflikt mit der Kirche nicht aus dem Weg gegangen. Sie haben dennoch immer wieder den Weg der Gemeinsamkeit gefunden. Sie haben mit der Gründung von "Andante" ein richtiges Zeichen gesetzt, wie wir uns mit gemeinsamen Wertvorstellungen in unserer Welt besser einbringen können. Sie haben die Bewegung der Frauen in Europa vorangetrieben. Für all das ein ganz herzliches Dankeschön!

Liebe Frau Opladen, Sie haben auch eine Menge zu tun. Das deutet sich bereits an. Wir kennen uns schon seit längerem. Deshalb freue ich mich, dass wir gute Diskussionen miteinander haben werden über all die Aufgaben und über die Frage, wie Politik Ihre Arbeit in gewissem Maße unterstützen kann. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Gottes Segen!

Ich danke Ihnen allen noch einmal für Ihre Arbeit! Machen Sie frohen Mutes weiter! Es ist eine Bereicherung nicht nur Ihres Lebens, sondern für uns alle, für unser ganzes Land.

Herzlichen Dank!