Redner(in): k.A.
Datum: 19.06.2008

Untertitel: Rede der Staatsministerin und Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer, im Deutschen Bundestag zum 7. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/06/2008-06-19-rede-boehmer-integrationspolitik,layoutVariant=Druckansicht.html


Anrede )

Diese Bundesregierung hat drei entscheidende integrationspolitische Weichenstellungen vorgenommen:

Integration wird aus dem Kanzleramt heraus gestaltet. Das ist Ausdruck der politischen Bedeutung, die wir dem Thema zumessen. Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir erstmals ein integrationspolitisches Gesamtkonzept vorgelegt. Der Innenminister hat die Deutsche Islamkonferenz ins Leben gerufen und damit den Dialog mit dem Islam in Deutschland auf eine neue Grundlage gestellt.

Wir haben in der Integrationspolitik umgesteuert: Wir führen den Dialog mit und nicht über die Migrantinnen und Migranten. Wir setzen auf echte Partnerschaft, nicht - wie früher oft - auf falsche Freundschaft, die in Wirklichkeit Betreuung und Bevormundung war.

Unser Ziel heißt gleichberechtigte Teilhabe der 15 Millionen Menschen aus Zuwandererfamilien. Es geht um die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen: Bildung, Arbeit, Wohlstand, soziale Anerkennung, politische Teilhabe - darauf kommt es an. Der Weg besteht darin, Integration nachhaltig zu fördern, aber Integration in unserem Land auch zu fordern, mit klaren Regeln, auf der Grundlage gemeinsamer Werte.

Wir gestalten wertorientierte Integrationspolitik. Und wir können mit Fug und Recht sagen: So viel Integration war nie. Migrantinnen und Migranten bestätigen mir das immer wieder.

Jedes Jahr stellt der Bund für die Schlüsselaufgabe Integration rund eine Dreiviertelmilliarde Euro bereit: Allein für die Integrationskurse 155 Millionen Euro. Diese Mittel sind eine gute Investition in die Zukunft!

Wir haben ein Umdenken in Gang gebracht: Schluß mit der Ideologie, keine Schönfärberei, wo Probleme existieren; aber auch keine Probleme konstruieren, die es nicht gibt.

Ehrlich sein, sachlich und warmherzig zugleich, das ist unsere Maxime. Es geht um ein gutes Zusammenleben in unserem Land. Wir benennen nicht nur die Defizite und tun alles dafür, sie zu beseitigen; wir rücken die Chancen in den Blick! Wir machen Mut!

Die vielen positiven Entwicklungen müssen wir aufgreifen, verstärken und nachhaltig gestalten!

Ich nenne die 600.000 Unternehmerinnen und Unternehmer ausländischer Herkunft in Deutschland. Sie haben 2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen! Sie haben den Gemüseladen der Eltern zur Supermarktkette ausgebaut, sie haben Werbeagenturen gegründet, sie führen Unternehmen mit Millionen-Umsätzen. Sie sind Vorbilder und Brückenbauer!

Erfolgreiche Integration kommt allen zu Gute: wirtschaftlich und sozial.

Unterlassene Integration kommt uns alle teuer zu stehen. Sie kostet uns jährlich 16 Milliarden Euro, so eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Das sind 16 Milliarden zu viel!

Was die Bertelsmann-Studie in Euro beziffert, macht mein Lagebericht anschaulich. Er ist im Kern ein Bericht zur Lage der Integration. Schwerpunkte sind Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt. Denn daran entscheidet sich, ob jeder einzelne die Chancen wahrnehmen kann, die unser Land bietet, ob Deutschland ökonomisch Spitze bleibt und letztlich auch, ob das friedliche Zusammenleben gelingt.

Die Zahlen des Lageberichts beziehen sich im Wesentlichen auf die Daten aus dem Mikrozensus von 2005 - und sie sind alarmierend.

40 % der Schülerinnen und Schüler ohne deutschen Paß besuchen die Hauptschule. 18 % brechen die Schule ab. Nur 8 % schaffen das das Abitur

Allein diese Zahlen belegen: Es war und es ist dringend geboten, in der Integrationspolitik neue Wege zu gehen.

Noch immer hängt der Bildungserfolg in Deutschland von der ethnischen und der sozialen Herkunft ab. Der Bundespräsident hat dies in seiner Berliner Rede zu Recht beschämend genannt. Jugendliche aus Zuwandererfamilien stammen häufig aus sozial schwachen Schichten und sind deshalb doppelt betroffen! Aber entscheidend ist auch, ob zu Hause Deutsch gesprochen wird und wie Eltern ihre Kinder unterstützen.

Die schlechten Bildungsergebnisse schlagen voll auf die Ausbildung und die Jobsituation durch:

40 % aller Jugendlichen ohne deutschen Paß bleiben ohne jede berufliche Qualifizierung. Deshalb ist ihr Risiko, arbeitslos zu werden, doppelt so hoch wie bei den Deutschen.

Schlussfolgerungen

Die erste Schlussfolgerung für die Integrationspolitik lautet deshalb: Alle Kraft in Bildung!

Deshalb haben wir im Nationalen Integrationsplan gemeinsam mit den Ländern hier einen Schwerpunkt gesetzt.

Alle Kraft in Bildung heißt: Elternarbeit stärken. Denn was im Elternhaus versäumt wird, kann später nur schwer aufgeholt werden. Umgekehrt gilt: Wenn das Fundament stimmt, lässt sich gut darauf aufbauen. Am Mittwoch habe ich deshalb mit der Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Migrantenverbänden beraten, wie wir die Selbstverpflichtungen aus dem Nationalen Integrationsplan mit Leben erfüllen können:

Wie vermitteln wir Eltern die überragende Bedeutung von Bildung in unserem Land und die Chancen, die es bietet? Wie schaffen wir in Schulen bessere Voraussetzungen für eine aktivierende Elternarbeit? Wir holen wir die Mütter aus der Sprachlosigkeit, und wie erreichen wir die Väter?

Alle Kraft in Bildung heißt: Die individuelle Förderung muß ausgebaut werden. Deshalb habe ich die "aktion zusammen wachsen" gestartet. Sie stärkt Bildungspatenschaften. Denn das bürgerschaftliche Engagement für besser Bildung und Integration ist unverzichtbar!

Alle Kraft in Bildung heißt zugleich: Den Kindergarten zur Bildungseinrichtung weiterentwickeln: Systematische Sprachförderung von Anfang an, Sprachstandstest, Verständnis für anderen Kulturen. Dazu müssen wir die Erzieherinnen besser qualifizieren. Das unterstützen wir mit der Qualifizierungsinitiative.

Alle Kraft in Bildung heißt: Lehrerinnen und Lehrer auf die neue Schul-Wirklichkeit vorbereiten. Wenn der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund 80 bis 90 % ausmacht, ist das für die Schule nicht besser oder schlechter, es ist nur etwas völlig anderes!

Vor zwei Jahren verständigten sich die Schüler der Hoover-Realschule in Berlin, die aus mehr als 13 Nationen stammen, auf Deutsch als Schulsprache. Damals brach ein Sturm der Entrüstung los. Heute ist das kein Thema mehr. Auch der letzte Ideologe hat begriffen: Deutsch als gemeinsame Sprache ist unverzichtbar!

An dieser Stelle appelliere ich mit Nachdruck an die Länder, Ihre Selbstverpflichtungen aus dem Nationalen Integrationsplan zu erfüllen und ihre Kompetenzen gezielt für mehr Bildung und bessere Integration zu nutzen. Einiges ist erreicht. Aber PISA und der jüngste Bildungsbericht zeigen uns: Die Länder müssen mit Hochdruck weiterarbeiten. Gemeinsam müssen wir noch mehr tun. Wir müssen noch besser werden.

Dazu brauchen wir auch die Wirtschaft! Die Potenziale, Kenntnisse und Fähigkeiten von Zuwanderern müssen stärker anerkannt und genutzt werden! Das ist ökonomische Notwendigkeit, aber auch moralische Pflicht! Und immer mehr Unternehmen handeln danach! Sie verpflichten sich mit ihrer Unterschrift unter die Charta der Vielfalt, der Vielfalt der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Sie erschließen sich so neue Kunden und neue Märkte. Und es lohnt sich: Allein die Kaufkraft der türkischstämmigen Menschen in Deutschland liegt bei 17 Mrd Euro.

Ich unterstütze die Charta mit der Kampagne "Vielfalt als Chance" und bin stolz, dass mehr als 350 Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber mit mehr als drei Millionen Beschäftigten dem Charta-Gedanken folgen!

Grundlage des Erfolges in Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt ist die gute Beherrschung der deutschen Sprache. Diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Integrationspolitik.

Aus gutem Grund haben wir vor einem Jahr im Aufenthaltsgesetz geregelt: Wer im Rahmen des Ehegattennachzugs nach Deutschland kommen möchte, muss einfache Sprachkenntnisse nachweisen. Und im Staatsangehörigkeitsgesetz haben wir festgelegt: Wer Deutsche oder Deutscher werden möchte, muss ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache haben.

Beide Gesetzesänderungen haben sich bewährt. Sie helfen im buchstäblichen Sinn, Missverständnisse zu vermeiden. Wir brauchen nicht nur die nachholende, wir brauchen auch die vorbereitende Integration!

Die zweite Schlussfolgerung für die Integrationspolitik lautet: Wir müssen Integration messbar machen. Wir wollen wissen, was erfolgreich ist, und was nicht.

Die meisten Statistiken unterscheiden nur zwischen Ausländern und Deutschen. Das wird der sozialen Wirklichkeit in Deutschland nicht mehr gerecht. Deshalb wertet mein Lagebericht erstmals so weit als möglich Daten aus, die an den Migrationshintergrund anknüpfen und nicht mehr an die Staatsangehörigkeit. Ich möchte, dass diese Daten für alle amtlichen Statistiken erhoben werden.

Aber mit Statistiken allein ist es nicht getan. Wir brauchen objektive Kriterien, anhand derer wir das Gelingen von Integration nachvollziehen können. Deshalb habe ich im Bundeskabinett Anfang Juni ein System aus 100 Indikatoren vorgelegt. Sie machen Integrationspolitik transparent und dienen gleichzeitig als Steuerungsinstrument. Erste Ergebnisse werden wir noch in dieser Wahlperiode vorlegen. Damit beenden wir den Blindflug früherer Jahre.

Die dritte Schlussfolgerung für die Integrationspolitik lautet:

Chancen geben, Teilhabe ermöglichen.

Das bedeutet, die volle Gleichberechtigung für Mädchen und Frauen aus Zuwandererfamilien durchsetzen! Das bedeutet: Fremdenfeindlichkeit bekämpfen, Vorurteile abbauen: Immer wieder höre ich, dass jemand wegen seines fremd klingenden Namens nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Das ist nicht hinnehmbar!

Teilhabe ermöglichen heißt auch: Für Einbürgerung werben!

Wer seit Jahren hier lebt, wem Deutschland Heimat geworden ist, dem sage ich: Werde Deutsche, werde Deutscher, mit allen Rechten und mit allen Pflichten! Grundvoraussetzung für die volle politische Teilhabe sind Kenntnisse über unsere Gesellschaft und über die eigenen Rechte! Und genau darum geht es bei den Einbürgerungskursen und dem Einbürgerungstest.

Wenn jetzt kritisiert wird: Deutsche könnten die Fragen nicht beantworten - dann ist das kein Argument gegen den Einbürgerungstest! Dann ist das ein Argument dafür, die Qualität der politischen Bildung zu verbessern!

Ideologen, Schönredner und Schwarzmaler: Sie alle haben nicht verstanden: Deutschland ist Integrationsland! Wir gehen den Weg einer nachhaltigen Integrationspolitik

konsequent weiter.

Vielen Dank.