Redner(in): Michael Naumann
Datum: 24.02.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/67/11767/multi.htm


Staatsminister Dr. Michael Naumann, Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien - Rede in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages am 24. Februar 1999 Anrede )

Seit sechs Monaten bereichert eine engagierte Debatte um Deutschlands und Europas Kulturpolitik den politischen Diskurs unseres Landes. Diese neue, bisweilen konfliktreiche Form des gesellschaftlichen Selbstgesprächs mit vielen Stimmen - und dazu zähle ich natürlich auch diejenigen der Opposition - erweitert die politische Kultur unseres Landes. Das war und bleibt die Absicht der Bundesregierung: Der Innovationskraft und Phantasie, die den Künsten vor aller anderen menschlicher Tätigkeit zu eigen ist, genau jenen freien und freiheitlichen Raum zu öffnen, der in der grundgesetzlichen Idee des "Kulturstaates" beschlossen ist. Das setzt allerdings voraus, daß die politische Klasse bereit ist, zuzuhören, zuzuschauen, zu verstehen. Es setzt auch jene Geduld voraus, die der parlamentarische Prozeß gerade im Bereich der Kulturpolitik benötigt.

Die neue Bundesregierung hat einen kulturpolitischen Etat vorgefunden, der die allgemeinen Haushaltsnöte der vorigen Jahre getreulich widerspiegelte. Sie will ihn an entscheidenden Stellen erhöhen, nämlich in der Kulturförderung der neuen Länder und Berlins. Sie hat aber auch traditionelle Subventionsstrukturen übernehmen müssen, die sich in den nächsten Monaten einer politischen Überprüfung stellen werden: Zwischen der Förderung von Nähkursen zur Herstellung von ostpreußischen Trachten auf der einen Seite und der subventionierten Erforschung des Lebens und Werkes von Johann Sebastian Bach auf der anderen Seite klafft ein Plausibilitäts-Abgrund, der nur schwer zu überbrücken ist.

Bundeskulturpolitik hat sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was wesentlich in der Kultur ist, bestimmen die Künstler, die Autoren, Schriftsteller und Musiker, die Schauspieler, Regisseure und ihre berufenen Kritiker. Niemals wird dieser Staatsminister der oft gestellten Forderung nachkommen, persönliche Kultur-Visionen erst öffentlich zu entfalten, dann gar machtvoll zu realisieren. Demokratische Kulturpolitik zeichnet sich aus durch Kritikfähigkeit und Zurückhaltung. Parlament und Regierung sind nicht die künstlerische Chefintendanz des Landes. Das betrifft auch die unantastbare Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wenn gleichwohl Investitionsvorhaben der Deutschen Welle zur Debatte gestellt werden, so darf dies nicht als Anschlag auf die Unabhängigkeit des Senders interpretiert werden, sondern als allfälliger Hinweis auf sinnvolle Strukturreformen, die zu erarbeiten sind - im offenen Dialog zwischen allen Beteiligten.

Zu den schönsten Kulturinstitutionen Deutschlands zählt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie bildet das Kernstück der kulturellen Identität der Hauptstadt. Ich habe mich für eine zügige Nachfolge an der Spitze der Stiftung eingesetzt; der neue Präsident hat bereits zum 1. Februar sein Amt angetreten. Die Bundesregierung wird ihn bei der Wahrnehmung seiner komplexen Aufgaben unterstützen. Zumal der Auf- und Ausbau der im Krieg zerstörten, stadtarchitektonisch einmaligen Museumsinsel im Herzen der Stadt Berlin muß endlich zügig begonnen werden. Der Bund wird gemeinsam mit Berlin seinen Anteil an den hierfür erforderlichen Mitteln zur Verfügung stellen; wenn wir es gemeinsam nicht anders lösen, notfalls auch außerplanmäßig. Kostensenkende Effekten könnten, nein, müssen sich aus einer beschleunigten Bauplanung ergeben.

Was hat die Regierung in vier Monaten kulturpolitisch angestoßen und bewegt? Auf europäischer Ebene kämpfen wir, unterstützt von den Kulturministern Frankreichs, Spaniens, Italiens und anderer um die Beibehaltung des gebundenen Ladenpreises für Bücher. Die medienpolitische Interessensvertretung des Bundes wird, in Zusammenarbeit mit den Ländern, allfälligen Angriffen auf die Strukturen zumal des öffentlich rechtlichen Fernsehens aus Brüssel gestärkt widerstehen. Die Ausgestaltung unserer Medienordnung ist ein nationales kulturelles Anliegen; es darf nicht unter dem Gesichtspunkt des europäischen Wettbewerbsrechts mit ordoliberalen Argumenten und europäischer Gleichmacherei zerstört werden. Es gilt vielmehr, die Einheit Europas in der Vielfalt ihrer Kulturen, auch ihren medialen Eigenheiten einzubetten. Hier weiß ich mich ebenfalls einig mit meinen anderen europäischen Kollegen.

Mit unseren osteuropäischen Nachbarn, zumal mit Polen, intensivieren wir auf freundschaftlicher Basis die Gespräche um die Rückführung sogenannter Beutekunst. Mit Frankreich wollen wir den Austausch junger, musisch interessierter Schüler zwischen den Hauptstädten fördern.

Noch vor der Sommerpause wollen wir die Reform des Stiftungsrechts in Angriff nehmen - nicht, um den Staat aus seiner kulturpolitischen Verantwortung zu entlassen, sondern um die Idee einer Zivilgesellschaft, die ihrem eigenen kulturellen Anspruch gerecht wird, zu befördern. Ebenfalls vor der Sommerpause wollen wir in einem Gespräch mit den wichtigsten Partnern der deutschen Filmindustrie neue Wege beratschlagen, die durchaus substantiellen Summen der Bundes- und Landesfilmförderung effektiver einzusetzen und zumal den binneneuropäischen Filmmarkt durchlässiger zu machen für Produktionen des deutschen Films - aber auch derjenigen unserer Nachbarn.

Meine Damen und Herren, wir sprechen über den Haushalt der Bundesregierung. Der Bundestag wird in seinen Ausschüssen bisweilen schmerzhaft mit der Wahrheit konfrontiert, daß die kulturpolitische Spitzweg-Vision des armen Poeten eine haltlose Idylle ist. Kostenlos ist Kultur nicht zu haben. Daß jedoch ihr Angebot an den seelischen Zustand unserer Nation vielversprechender ist, als viele andere Subventionen, ist für mich nicht zu bezweifeln. Es sind die Künste, die jedermann helfen, uns selbst zu verstehen, zu trösten, zu erheitern und bisweilen auch - uns selbst zu überwinden.

Kultur ist darüber hinaus der Inbegriff unserer Fähigkeit, unsere eigene Geschichte zu erinnern. Ich werde noch in diesem Jahr eine neue Konzeption vorlegen zur Pflege der Gedenkstätten in Deutschland, die an die Verbrechen des NS-Regimes und des Stalinismus erinnern. Dies wird in Zusammenarbeit mit den Ländern geschehen - wie überhaupt der Vorwurf, es strebe unsere Regierung eine zentralistische Kulturpolitik an, nicht nur kraft der vorhandenen föderalen Strukturen haltlos ist, sondern nichts zu tun hat mit meinen grundsätzlichen föderalistischen Überzeugungen.

Gestatten Sie mir abschließend einige Worte zum zentralen kulturpolitischen Thema der letzten Wochen und Monate: Das Holocaust-Mahnmal. Ich stehe nicht an, darauf hinzuweisen, daß wir es waren, die vorgeschlagen haben, daß der Bundestag die Mahnmaldebatte an sich zieht. Das Abgeordnetenhaus der Stadt Berlin hat inzwischen seine Entscheidungskompetenz in dieser Sache an den Bundestag delegiert. Der Senat der Stadt Berlin hat sich kürzlich, soviel ich weiß, mehrheitlich für den Bau eines Mahnmals ausgesprochen. Der Kulturausschuß des Bundestags wird, davon gehe ich aus, in wenigen Wochen tragfähige Grundlagen für diese Entscheidung vorlegen können. Sie wird nicht von der Bundesregierung präjudiziert werden. Daß ich für eine erweiterte Konzeption eintreten werde, mag nicht als unbillige Einflußnahme mißverstanden werden. Einer Gefahr, dessen bin ich gewiß, wird das Hohe Haus, auf alle Fälle widerstehen: Einer ernsthaften Debatte unter dem Hinweis auf die Kosten zu entgehen. Unser Land hat seine moralische und kulturelle Verpflichtung, sich im Prozeß des Erinnerns seiner eigenen Geschichte zu stellen und ihrer ungezählten Opfer zu gedenken, mit großem Ernst angenommen.

Kluge Kulturpolitik wird helfen, die Brücke in eine glücklichere Zukunft zu schlagen. Für Erlösung von allem gesellschaftlichen Übel ist sie allerdings nicht zuständig. Sie gedeiht in einer sozial gerechten, freien Gesellschaft und ist zugleich deren Bedingung. Im übrigen, so sieht es aus, hat sie sich zu bescheiden, bisweilen auch auf zehn Minuten Redezeit, selbst wenn es schwer fällt.