Redner(in): Michael Naumann
Datum: 01.03.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/10/11810/multi.htm


kulturSPIEGEL: Mit 17 hat man noch Träume. Erinnern Sie sich, welche?

Naumann: Ich wollte erstens so gut werden wie Frank Rüsak, das war der Torhüter unserer Klasse. Und zweitens wie der Nationaltorwart Fritz Herkenrath. Schließlich wurde ich linker Verteidiger. Das Leben hielt dann noch einige solcher Überraschungen für mich bereit.

kulturSPIEGEL: Sie sind damals für ein Highschool-Stipendium in die USA gegangen. Warum?

Naumann: Ich wäre auch nach Indien gefahren. Ich war einfach neugierig und reiselustig.

kulturSPIEGEL: Ihr Traum kann sich in den damals fast fußballfreien USA kaum erfüllt haben.

Naumann: Dafür habe ich Basketball gespielt, und als ich 1960 nach Deutschland zurückkehrte, wurde ich für ein paar Monate der jüngste Spieler in der Basketball-Oberliga.

kulturSPIEGEL: Wie wurde aus dem Sportler Naumann ein politischer Mensch?

Naumann: Mit 17 Jahren habe ich ein Buch gelesen, das Walther Hofer herausgegeben hatte, mit Dokumenten zum Nationalsozialismus. Darin gab es die Schilderung eines Vernichtungslagers, das sogenannte Gerstein-Protokoll. Eine der fürchterlichsten Passagen, die man sich vorstellen kann. Das hat mich tief schockiert und einen politischen Menschen aus mir gemacht.

kulturSPIEGEL: Hatte der Schock Konsequenzen?

Naumann: Wie meine ganze Generation war ich beschäftigt mit der noch immer ungelösten Frage: warum? Die Suche nach der Antwort hat mich zum Studium der politischen Wissenschaften geführt, in die Apo und in den Journalismus.

kulturSPIEGEL: Wie sehr beeinflußt diese Phase Ihres Lebens heute Ihren Standpunkt zum Holocaust-Mahnmal?

Naumann: Wenn das Thema des Holocaust, des Totalitarismus und des Völkermords im 20. Jahrhundert eine so zentrale Rolle in der politischen Sozialisation eines Menschen und seiner Generation spielt, dann wird die Auseinandersetzung um das Mahnmal mit einem gewissen Fundus an Erfahrungen und Sachkenntnissen geführt.

kulturSPIEGEL: Kann ein Achtundsechziger beurteilen, welches Mahnmal für künftige Generationen das richtige ist?

Naumann: Ich glaube, daß die Generationen nach uns denselben Zugang zu der moralisch und ethisch schockierenden Katastrophe haben werden wie meine. Worauf es ankommt, ist rationale Aufklärung über die tödlichen Mechanismen der Xenophobie, des Antisemitismus, der Intoleranz und des politischen Terrors. Sicher ist: Ich arbeite heute nicht meine persönlichen Jugenderfahrungen auf. Politik ist nicht Selbstverwirklichung als Selbsttherapie.

kulturSPIEGEL: Was hat Sie bewogen, sich als Staatsminister für Kultur zur Verfügung zu stellen?

Naumann: Ich bin seinerzeit nicht zur Bundeswehr eingezogen worden und hole jetzt meinen Wehrdienst nach.

kulturSPIEGEL: Klingt nach Pflichterfüllung.

Naumann: Für mich ist Deutschland viel besser als die Vorstellung, die es von sich selbst hat. Es gibt gute Gründe für einen Mann in meinem Alter zu sagen: So, jetzt leiste ich meine Arbeit für das Land. Das klingt vielleicht pathetisch, aber ich kann es nur so sagen.

kulturSPIEGEL: Wie sehr hat Sie die Macht gereizt?

Naumann: Der Machtinstinkt ist bei mir unterentwickelt. Außerdem: Die Macht ist immer woanders.

kulturSPIEGEL: Auch in Ihrem neuen Job?

Naumann: Selbstverständlich. Da ich sie aber auch nicht an meinem Schreibtisch vermutet habe, war das keine Überraschung.

kulturSPIEGEL: Seit kurzem sind Sie offiziell Staatsminister. Was empfinden Sie, wenn jemand Sie so anredet?

Naumann: Das finde ich im Augenblick noch ein bißchen peinlich. Die Titelfrage ist mir schnurzpiepegal.