Redner(in): Michael Naumann
Datum: 01.03.1999
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/11/11811/multi.htm
Frage: Ihre Ernennung zum ersten Staatsminister für Kultur hat so große Erwartungen geweckt, daß Sie eigentlich mehr als einen 24-Stunden-Tag benötigen, um die Wünsche der Kulturschaffenden einigermaßen erfüllen zu können. Wie gehen Sie mit diesem Erwartungsdruck um?
Naumann: Mir war von vorneherein klar, daß ich mit diesem Amt eine große Verpflichtung eingehen würde. Natürlich kann die Arbeit manchmal kräftezehrend sein, doch läßt sich auch viel aus ihr gewinnen. Über die hohen Erwartungen habe ich mich gefreut; sie waren und sind eine große Herausforderung für mich. Übrigens stehen mir mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in meiner Behörde hervorragende Kräfte zu Seite.
Frage: Die Musik ist eine der besten Investitionen, um dem Kulturstandort Deutschland eine hohe Attraktivität zu verleihen. Trotzdem wird in den Haushalten der Kommunen, der Länder, aber auch des Bundes und in den öffentlich-rechtlichen Anstalten kräftig gestrichen. Es bedeutet, daß immer mehr Angebote auf dem deutschen Musikmarkt nicht mehr stattfinden können. Beunruhigt Sie das auch?
Naumann: Ich sehe die Sache weniger pessimistisch. Zunächst einmal ist der öffentlichen Hand das Geld für die Kultur nicht ausgegangen. Jahr für Jahr werden immerhin rund 18 Milliarden DM für kulturelle Zwecke investiert; dabei kommt das meiste Geld von den Kommunen und das wenigste vom Bund. Außerdem gibt es viel privates Engagement, zum Beispiel Initiativen von privaten Unternehmen. Auch wenn es also in diesen Zeiten des allgemeinen Sparzwangs bisweilen schmerzhafte Kürzungen im Kulturbereich gibt - ich bin immer noch davon überzeugt, daß das Musikleben in Deutschland eine hohe Attraktivität besitzen.
Frage: Es gibt mittlerweile die ersten Anzeichen dafür, daß Länder eifersüchtig auf ihre Kulturhoheit achten und Ihnen kaum Handlungsspielraum geben wollen. Das gilt vielleicht auch für das Außenministerium. Wie wollen Sie hier Eifersüchteleien verhindern?
Naumann: Eifersucht ist gar nicht notwendig. Die jeweiligen Zuständigkeiten sind sowohl gesetzlich als auch durch gegenseitige Absprachen geregelt. Selbstverständlich respektiert der Staatsminister für Kultur und Medien die Kulturhoheit der Länder; und die Bündelung der kulturpolitischen Zuständigkeiten und Kompetenzen auf Bundesebene steht keineswegs in einem Konkurrenzverhältnis zur Kulturhoheit der Länder und Kommunen. Im Gegenteil: Wo es möglich ist, sollte die Kulturhoheit der Länder gestärkt werden. Gerade wenn man bedenkt, daß es in der deutschen Geschichte die unheilvolle Verbindung von machtbesessenem politischen Zentralismus mit den Herrschaftsträumen von Diktatoren gegeben hat, kann man die Vorzüge unseres föderalen Systems nicht genug rühmen
Die auswärtige Kulturpolitik ist weiterhin Aufgabe des Auswärtigen Amts. Es besteht indes Einigkeit zwischen dem Außenminister und mir, daß wir uns in allen wichtigen Fragen, die die Kultur betreffen, vertrauensvoll abstimmen.
Frage: Sie haben sich mit aller Entschiedenheit zur Freude des Musikmarktes und des Buchhandels für die Beibehaltung der Buchpreisbindung eingesetzt. In Brüssel ist man sehr skeptisch, droht und versucht, das Ende der Buchpreisbindung durchzusetzen. Welche Instrumente bleiben Ihnen, um dieses zu verhindern?
Naumann: Ich habe im Einvernehmen mit den betroffenen Buchhandelsorganisationen in Brüssel mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß das Buch nicht nur ein Wirtschafts- sondern auch ein Kulturgut ist und deshalb nicht nur die geltenden wettbewerbsrechtlichen Regelungen, sondern auch die Regelungen über die Berücksichtigung der kulturellen Aspekte beachtet werden müssen. Bei meinem letzten Gespräch gewann ich den Eindruck, daß die zuständige Generaldirektion IV kompromißbereit ist und eine einvernehmliche Regelung nicht mehr grundsätzlich abgelehnt wird. Die notwendigen Gespräche sind also eingeleitet worden. Die Ergebnisse müssen wir abwarten.
Frage: In den deutschen Schulen wird der Musikunterricht immer mehr reduziert. Orchester müssen sich auflösen wegen fehlender Finanzmittel. Auch die Musikalienhändler haben Existenzprobleme. Wird es auch in Ihrem Ministerium Initiativen geben können, um den Musikmarkt vor dem Zusammenbruch zu bewahren?
Naumann: Da ich die musikalische Erziehung und Bildung unserer Kinder für äußerst wichtig halte, verfolge ich den Rückgang des Musikunterrichtes an den Schulen mit Sorge. Wo sich mir Gelegenheit bietet, gebe ich dieser Sorge auch Ausdruck, wenngleich dies in den Kompetenzbereich der Länder fällt.
Die Probleme des Musikhandels sind vielschichtig. Zu einem großen Teil können sie jedoch von der Industrie selbst gelöst werden. Ich sehe meine Aufgabe als Staatsminister für Kultur vor allem darin, die notwendigen Rahmenbedingungen für Komponisten, Interpreten und für die Musikindustrie zu sichern und weiter zu entwickeln.
Frage: Multimedia ist in aller Munde. Das Angebot im Internet nicht mehr überschaubar. Doch für die Komponisten, Texter, Produzenten, Musikverlage und Tonträgerfirmen gibt es eine große Gefahr. Mit der Technologie ist die Mentalität "Musik zum Nulltarif" eingerissen. Das muß unbedingt verhindert werden. Sehen Sie Chancen auch auf europäischer Ebene, das Urheberrecht so zu verstärken, daß Musik nicht zum Opfer der Multimedia-Euphorie wird?
Naumann: Die Koalition möchte mit einer Novellierung des Urheberrechts eine Anpassung an die Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik erreichen. Die sogenannten WIPO ( Weltorganisation für geistiges Eigentum ) - Verträge zum Urheberrecht und über Darbietungen und Tonträger sollen ratifiziert werden. In der europäischen Union wird derzeit der Vorschlag einer Harmonisierungsrichtlinie zum Urheberrecht beraten.
Ich halte es für sehr wichtig, daß das hohe Schutzniveau des geltenden Urheberrechts in einem veränderten technischen Umfeld auch für Komponisten, Autoren und Interpreten auf der europäischen Ebene gewährleistet wird. Deshalb setze ich mich dafür ein, daß die Richtlinie nach ihrem Inkrafttreten - voraussichtlich noch in diesem Jahr - rasch in nationales Recht umgesetzt wird. Eine "Musik zum Nulltarif" darf es auch künftig nicht geben. Ob dies allerdings allein durch gesetzliche Bestimmungen sichergestellt werden kann, mag zweifelhaft sein; hier sind auch die Gerätehersteller mit ihren technischen Möglichkeiten herausgefordert.
Frage: Was werden die ersten Projekte sein, die Sie anpacken wollen?
Naumann: Schwerpunktthemen sind die kulturelle Förderung der Hauptstadt Berlin, die Förderung kultureller Projekte in den neuen Ländern, die Novellierung des Stiftungsrechts, die Erhaltung der Buchpreisbindung, die Novellierungen im Bereich des Medien- und Urheberrechts, die Förderung des europäischen Films und nicht zuletzt, da alle Kulturpolitik direkt oder indirekt vom Erinnern handelt, die Förderung der Gedenkstättenarbeit in Deutschland. Wir sind gerade dabei, in Abstimmung mit den Ländern eine neue Gedenkstättenkonzeption zu erarbeiten. Auf allen genannten Gebieten wurden bereits wichtige Schritte unternommen.