Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 24.06.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/52/11952/multi.htm


Herr Präsident Schäuble,

liebe Feuerwehrleute,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

Am heutigen Samstag, dem Tag der Viertelfinalspiele bei der Europameisterschaft, im Fußballstadion zu sein - das geht nicht ohne ein bisschen Wehmut. Ich bin sicher, wir alle hätten heute lieber ein schönes, spannendes Spiel der deutschen Mannschaft gesehen. Es hat nicht sollen sein. Vielleicht fehlte es ja der aktuellen Nationalmannschaft ein wenig an Herz und Leidenschaft, wie wir es an einem der Großen des deutschen Fußballs immer so bewundert haben: Ich meine natürlich Helmut Haller. Er hat hier in der Augsburger Rosenau seine Karriere begonnen. Und übrigens: Mit der Feuerwehr über Fußball zu reden, finde ich gar nicht so abwegig. Schließlich geht es bei beiden um Engagement und Können, um kluge Verteidigung und beherzten Einsatz "nach vorn". Und wie der Fußball brauchen auch die Feuerwehren beides: die leidenschaftlichen Amateure und die hochqualifizierten Profis.

Sie sind alle hier beim 27. Deutschen Feuerwehrtag in Augsburg vertreten: die Berufswehren, die Werksfeuerwehren und natürlich die Freiwilligen Feuerwehren. Sie alle haben sich im Deutschen Feuerwehrverband zusammen geschlossen, um wirksam ihre Interessen gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit wahrzunehmen. Natürlich ist es etwas anderes, ob Sie ihren Dienst in der Feuerwehr hauptberuflich oder ehrenamtlich leisten. Aber bei allen Gegensätzen, die es geben mag, überwiegt am Ende doch die Gemeinsamkeit - die Gemeinsamkeit der Tradition und der Pflichtauffassung. An welcher Stelle auch immer sie als Feuerwehrleute ihren Dienst leisten, es ist ein Dienst für eine gute Sache. Ein Dienst, auf den unsere Gesellschaft nicht verzichten kann.

Die Förderung des Gemeinsinns und die Orientierung am Gemeinwohl zeichnen die Arbeit der Feuerwehren aus. Und das nicht erst seit wenigen Jahren, sondern seit die Feuerwehren entstanden sind und sich entwickelt haben. Die Ursprünge der Feuerwehren lassen sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Mittelalter waren Feuersbrünste mit ihren verheerenden Folgen so häufig, dass die Kulturgeschichte sehr vieler europäischer Städte zu Teilen auch eine Geschichte der großen Feuer ist. In jedem Reiseführer lässt sich nachlesen, wie viele Kirchen, Paläste oder andere Baudenkmäler - und vor allem Hunderte und Tausende von Bewohnern - in einem jeweiligen Ort schrecklichen Bränden zum Opfer gefallen sind. Die Menschen nahmen diese Feuerkatastrophen als schicksalhafte Naturereignisse, oder als "eine von Gott verhängte Strafe", wie es zum Beispiel in Berichten über die "grauenhafte Feuersbrunst" im Januar 1620 in Augsburg heißt.

Ab dem 17. Jahrhundert gingen die Obrigkeiten dazu über, die Einwohner von Städten und Flecken zu Brandschutzmaßnahmen zu verpflichten. Es wurden sogenannte "Feuergeschworene" ernannt oder "Brandkassenpflicht-Verordnungen" erlassen. Doch die Menschen fanden rasch heraus, dass diese Maßnahmen zwar für die Bürger kostspielig waren, aber häufig nur zu Korruption und Verschärfung obrigkeitsstaatlicher Willkür führten. Da wäre es doch günstiger und nutzbringender - heute würden wir wohl sagen: effizienter, wenn wir Brandschutz und Brandbekämpfung selber in die Hand nehmen, sagten sich einige Bürger.

Der Gedanke fand schnell Zustimmung und Verbreitung, und das ist im Grunde die Entstehungsgeschichte der Freiwilligen Feuerwehren. Wenn man sich nun vor Augen führt, wie erfolgreich der Feuerwehr-Gedanke in der Gesellschaft Wurzeln geschlagen hat, dann kann man mit Fug und Recht sagen, dass die Feuerwehren zu den bedeutenden historischen Vorbildern der modernen Selbsthilfebewegung gehören.

Meine Damen und Herren,

ich will Sie hier nicht mit historischen oder politischen Exkursen langweilen. Und natürlich ist unser sozialer Rechtsstaat nicht mit den Fürsten und Herzögen des 17. Jahrhunderts vergleichbar. Aber dass auch unsere moderne Gesellschaft großen Bedarf an zivilgesellschaftlichem Engagement hat, dass gerade in unserer komplexen Welt gerade der Staat gut beraten ist, der seinen Bürgern möglichst großen Raum zur Eigenverantwortung verschafft, das liegt wohl auf der Hand. Natürlich darf sich der Staat nicht aus seinen elementaren Pflichten, seinen Schutz- und Garantiefunktionen zurückziehen. Doch was die Zivilgesellschaft in Eigenregie besser lösen kann, das soll der Staat unterstützen, aber ihr keineswegs wegnehmen. Der demokratische Staat und die zivile Bürgergesellschaft stehen nicht gegeneinander sie müssen sich ergänzen. Und auch dafür sind die Feuerwehren ein hervorragendes Beispiel.

Gerade den Freiwilligen Feuerwehren, die in fast allen Dörfern und Städten in Deutschland organisiert sind, ist es gelungen, die wichtigsten Tugenden und Traditionen zu bewahren. Freiwilligkeit und Ehrenamtlichkeit, das zeichnet bis zum heutigen Tag die Arbeit in den Freiwilligen Feuerwehren aus. Sich für andere einzusetzen und in der Not zur Stelle zu sein, das ist noch immer das Wesen der Feuerwehren. Dabei weiß ich sehr wohl, dass es keinesfalls selbstverständlich ist, sich selbstlos und idealistisch dafür einzusetzen, Hab und Gut der Nachbarn und vor allem Leben und Unversehrtheit der Mitmenschen zu schützen. Für ihren Dienst leisten sie so manchen Verzicht und opfern viel Freizeit. Dafür möchte ich Ihnen allen an dieser Stelle den Dank der Bundesregierung und meinen ganz persönlichen Dank aussprechen.

Meine Damen und Herren,

wenn wir von Feuerwehren reden, dann denken wir nicht nur an Brandbekämpfung. Die Aufgaben der Feuerwehren haben sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert sie sind ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen. Wer sich einmal die Jahresberichte von Feuerwehren anschaut, der wird sehr oft feststellen, dass Einsätze zur Brandbekämpfung fast schon die Ausnahme sind. Macht das die Feuerwehren überflüssig? Ganz und gar nicht. Sie haben längst neue Wirkungsfelder gefunden. Im sogenannten vorbeugenden Brandschutz oder auch in der allgemeinen Gefahrenabwehr leisten die Feuerwehren ihren unverzichtbaren Beitrag zur öffentlichen Sicherheit.

Wir Deutsche können stolz sein auf unser Rettungssystem und die Leistung unserer Hilfsorganisationen. Darum werden wir in der ganzen Welt beneidet. Die Qualität dieses Rettungssystems ist auch deswegen so hoch, weil die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen und Organisationen so ausgezeichnet funktioniert.

Diese Zusammenarbeit bleibt nicht dem Zufall überlassen, sondern sie wird immer wieder geprobt, so dass im Ernstfall auf jeden einzelnen Verlass ist. Ohne die Feuerwehren wäre unser Rettungssystem in seiner Mischung aus freiwilligen und professionellen Einsatzkräften nicht vorstellbar.

Ihrem Auftrag können die Feuerwehren aber nur deshalb so hervorragend gerecht werden, weil sie sich immer wieder auf neue Anforderungen eingestellt haben. Dazu gehören die beständige Anpassung und Erneuerung der technischen Ausstattung ebenso wie die regelmäßige Weiterbildung und Zusatz-Qualifizierung der aktiven Feuerwehrleute. Schulungen und Lehrgänge aller Art waren bei den Feuerwehren schon regelmäßige Selbstverständlichkeit, als den meisten von uns das "lebenslange Lernen" höchstens als eine etwas übertriebene philosophische Forderung erschien, aber nicht als das, was es heute ist: eine ökonomische und kulturelle Notwendigkeit. In diesem Bereich, das kann man ruhig sagen, waren die Feuerwehren der Mehrheit der Gesellschaft schon immer etwas voraus. Es heißt ja nicht zu Unrecht: "Schnell wie die Feuerwehr".

Sie haben eben den Gedanken der Vorbeugung, der Vorsicht und Voraussicht stets sehr ernst und sehr wörtlich genommen. Und die Gesellschaft kann ihnen dafür nur danken.

Übrigens: Dass die Feuerwehren bei Ausbildung und Ausstattung heute so vergleichsweise gut dastehen, ist nicht dem Bund zu verdanken. Das ist vor allem ein Verdienst der Kommunen, der Städte und Gemeinden, und der Länder, die wirklich Beachtliches geleistet haben. Das hat sich bewährt und sollte daher auch nicht geändert werden.

Meine Damen und Herren,

Sie alle kennen den Alltag und die Praxis der Feuerwehren viel besser als ich. Daher werden Sie mir sicherlich zustimmen, wenn ich feststelle, dass ich einen ganz wesentlichen Aspekt noch gar nicht angesprochen habe.

Ich meine die Geselligkeit, die Pflege von Gemeinschaft und Kameradschaft. Ob hier in Schwaben, in Brandenburg, im Saarland, in Niedersachsen oder wo auch immer die Freiwilligen Feuerwehren bereichern mit ihrer langen Geschichte und Tradition der Gemeinschaft und der Solidarität das Leben, wie es so schön heißt: "auf dem Lande". Was wir so gern als Dorfgemeinschaft bezeichnen, das wäre ohne Feuerwehren gewiss um vieles ärmer. Und dabei denke ich nicht nur an ihre engagierte Jugendarbeit.

Wenn heute nachmittag dieser Deutsche Feuerwehrtag zu Ende geht, dann werden sie hoffentlich alle auch genügend Augenblicke der Geselligkeit hier in Augsburg verlebt haben. Und wenn sie sich nach Abschluss dieser Kundgebung in wenigen Augenblicken zum Festumzug aufstellen, dann bringen sie damit ihr Selbstverständnis für alle sichtbar zum Ausdruck: miteinander Dienst leisten und füreinander einstehen. Wenn sie so wollen, ist das eine Aufforderung zu mehr Gemeinsinn und eine eindeutige Absage an Egoismus und Gleichgültigkeit.

Meine Damen und Herren, ich habe vorhin schon davon gesprochen, dass wir alle gut beraten sind, wenn wir der Eigeninitiative und dem bürgerschaftlichen Engagement der Menschen mehr Raum geben. Eine Vielzahl von Menschen in unserem Land engagiert sich inzwischen ehrenamtlich in Projekten für das Gemeinwesen ‑ von der Kinderbetreuung bis zur Computerschulung. Manche Bereiche sozialer Aufgaben - wie die Betreuung chronisch Kranker oder eben die Feuerwehren - wären ohne dieses zivile Engagement heute gar nicht denkbar. Ich sage es ganz klar: Ich unterstütze dieses Engagement und ich halte es für eine Aufgabe der Politik, die Bürger zu ermutigen, dieses Engagement noch auszuweiten. Wer aber vorbildliche ehrenamtliche Arbeit leistet, der hat auch verdient, dass die Gesellschaft das würdigt und anerkennt. Und damit sind wir bei einem Thema, das mir durch diverse Zuschriften und Veröffentlichungen wohl geläufig ist.

Ich weiß, viele von Ihnen, aber auch ehrenamtlich Tätige in anderen Bereichen, sind unzufrieden, dass die Sozialversicherungen ihr ehrenamtliches Engagement als abhängiges Beschäftigungsverhältnis einstufen. Das hat zur Folge, dass Sie für Ihre Aufwandsentschädigungen, die Sie als Führungskräfte in den Feuerwehren von den Landkreisen und Kommunen erhalten, neben Steuern auch Sozialversicherungsbeiträge abzuführen haben. Nun wissen Sie so gut wie ich, dass die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger sich im November des vergangenen Jahres darauf verständigt haben, dass ehrenamtliche Feuerwehrkräfte in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Seitdem gilt diese Bewertung bundesweit. Und seitdem sind die Aufwandsentschädigungen im Grundsatz auch sozialversicherungspflichtig.

Ich räume gerne ein, dass insbesondere bei geringen Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten das geltende Steuer- und Sozialrecht und die Auslegungspraxis der Sozialversicherungsträger zu Ungereimtheiten führt. Durch diese Praxis wird ehrenamtliches Engagement nicht gefördert, sondern eher blockiert. Und das betrifft nicht nur Führungskräfte in den Feuerwehren, das betrifft viele Bürgerinnen und Bürger, die oft unter schwierigen Umständen ihren Dienst für die Gemeinschaft leisten. Die Bundesregierung aber hat sich zum Ziel gesetzt, ehrenamtliche Tätigkeit umfassend zu fördern. Deshalb möchte ich bei den Aufwandsentschädigungen eine grundsätzliche Lösung erreichen. Eine Lösung, die für alle Betroffenen klar, nachvollziehbar und gerecht ist. Gleichgültig, ob sie ihren Dienst bei der Feuerwehr, im Rettungs- und Katastrophenschutz, bei den Kirchen oder in anderen Bereichen gesellschaftlicher Arbeit verrichten.

Wir wollen das Ehrenamt als solches besser fördern. Wir wollen keine Sonderlösung für einzelne Bereiche. Deswegen brauchen wir eine Regelung, die den ehrenamtlich Tätigen Rechtssicherheit gibt und ihre engagierte und verantwortungsvolle Tätigkeit ausreichend anerkennt. Ich möchte keine Regelung, die in ein oder zwei Jahren schon wieder geändert werden muss. Ich möchte eine schnelle Lösung, aber noch wichtiger ist mir eine solide, tragfähige Lösung.

Die wird es nur geben, wenn wir mit den Interessenverbänden der ehrenamtlich Tätigen, den Sozialversicherungsträgern und den Bundesländern zu einer Einigung kommen. Da alle immer wieder beteuern, wie wichtig ihnen die Förderung des Ehrenamtes ist, müsste es ja mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht gelingen sollte.

Ich erwarte von allen Beteiligten die Bereitschaft zur Verständigung. Es wird doch wohl möglich sein, zwischen einer wirklich ehrenamtlichen Tätigkeit und einer Beschäftigung, die bereits nebenberuflichen Charakter trägt, eindeutig und nachvollziehbar zu unterscheiden. Hohe Zuwendungen, bei denen bereits der gesunde Menschenverstand sagt, dass sie keine bloßen Aufwandsentschädigungen sein können, müssen auch weiterhin der Steuer- und Sozialversicherungspflicht unterliegen. Aber für die große Masse der ehrenamtlich Tätigen, die Aufwandsentschädigungen erhalten, will ich eine Verbesserung der augenblicklichen Situation. Für sie werden wir eindeutig klarstellen, dass Aufwandsentschädigungen bis zu einer bestimmten Höhe künftig steuer- und sozialversicherungsfrei sein werden.

Meine Damen und Herren,

Feuerwehrleute gehören zu den Menschen, denen man eigentlich wünscht, sie möchten möglichst wenig zu tun haben. Wenn es brennt, sollen sie löschen, aber besser ist es allemal, es brennt gar nicht erst. Zu dieser Art von Vorbeugung will ich jetzt auch gern beitragen und zum Ende kommen. Damit wir uns an diesem Sommertag möglichst schnell erfrischen können ‑ bevor gelöscht werden muss.