Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 28.06.2000

Anrede: Sehr geehrter Herr Moreno, sehr geehrter Herr Dr. Hoppenstedt, sehr geehrte Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/73/12773/multi.htm


Ich möchte Sie herzlich zum 19. Weltkongress der Sparkassen in Berlin begrüßen. Ganz besonders heiße ich die Gäste aus dem Ausland willkommen.

Dies ist bereits das zweite Mal nach 1981, dass der Weltkongress der Sparkassen in Berlin stattfindet.

Damals stand die Welt im Zeichen des Ost-West-Konflikts und des Rüstungswettlaufs. Berlin war geteilt.

Heute können Sie sich davon überzeugen, was in zehn Jahren deutscher Einheit aus der ehemals geteilten Stadt geworden ist.

Berlin entwickelt sich zu einer modernen, pulsierenden europäischen Großstadt.

Ganz besonders freue ich mich als deutscher Bundeskanzler und als früherer niedersächsischer Ministerpräsident natürlich, dass Sie Ihren Weltkongress um ein Jahr verschoben haben, damit er zeitgleich mit der Weltausstellung EXPO 2000 stattfindet.

Morgen werden hoffentlich viele von Ihnen die Gelegenheit wahrnehmen und zur EXPO nach Hannover reisen. Ich kann dies nur empfehlen. Es lohnt sich.

Wir sind stolz darauf, dass 172 Länder unserer Einladung gefolgt sind und in Hannover mit einem bunten und vielseitigen Programm einen Blick in die Zukunft unserer Welt wagen.

Genießen Sie Ihren Aufenthalt in Hannover und überzeugen Sie sich von der

Weltoffenheit und Gastfreundschaft unseres Landes.

Meine Damen und Herren, die EXPO ist ein Spiegelbild der rasanten Veränderungen, die sich weltweit vollziehen.

Digitalisierung der Produktion, Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, neue Technologien, grenzüberschreitende Umwelt- und Sicherheitsprobleme - all dies erfordert eine immer engere internationale Zusammenarbeit.

Wer sich der internationalen Kooperation verweigert, wer sich abschottet gegen Fremde und Fremdes, behindert vor allem die Entwicklung seines eigenen Wissens und damit seine eigene Zukunft.

Auf dem Weg in die Wissens- und Informationsgesellschaft können es sich kein Land, keine Organisation und kein Unternehmen leisten, die Erfahrungen anderer zu ignorieren oder nationale Sonderwege in die Zukunft zu beschreiten.

Wir wollen die Chancen der Globalisierung nutzen. Und wir wollen durch politische Gestaltung dafür sorgen, diese Chancen zu maximieren und die Risiken der Globalisierung zu minimieren.

Dabei betrachten wir ein stabiles internationales Finanzsystem als einen wichtigen Faktor für mehr Wachstum und Beschäftigung. Wir halten es für notwendig, Stabilität und Transparenz der Finanzmärkte zu verbessern.

Der Finanzsektor ist stärker als die meisten anderen Wirtschaftsbereiche dem Veränderungsdruck durch Globalisierung und neue Kommunikationstechnologien ausgesetzt.

Eine wachsende Anzahl von Bankkunden nutzt die neuen Medien, um per Internet ihre Geld- und Anlagegeschäfte "online" zu erledigen.

Die privaten Großbanken reagieren hierauf mit der Auslagerung des kostenintensiven Kleinkundengeschäfts in Direktbanken. Und sie versuchen, sich - nicht immer erfolgreich - durch Fusionen und Übernahmen auf den globalen Wettbewerb einzustellen.

Die Sparkassen und ebenso die Genossenschaftsbanken dürfen das Internet-Geschäft gewiss nicht den Privatbanken überlassen.

Aber der kostensenkende Weg der Ausgrenzung kleiner Kunden steht ihnen nicht in gleicher Weise offen. Denn die Sparkassen müssen zugleich ihren öffentlichen Auftrag der Daseinsvorsorge erfüllen.

Mehr als 50 Millionen Menschen in Deutschland wickeln Bankgeschäfte über Sparkassen oder Landesbanken ab. Und über zwei Drittel aller Kredite, die der unternehmerische Mittelstand erhält, kommen von Sparkassen oder Landesbanken.

Viele Privatkunden und Mittelständler sind auf die vertrauten, persönlichen Beratungs- und Serviceleistungen ihrer Sparkasse "um die Ecke" angewiesen. Als Partner von Existenzgründern und mittelständischen Betrieben sind die Sparkassen auch künftig unentbehrlich.

Deshalb kann und wird die Bundesregierung nicht tatenlos zusehen, wenn gewachsene und bewährte Strukturen öffentlicher Daseinsvorsorge im Zuge der europäischen Integration zur Disposition gestellt werden.

Dies betrifft nicht nur die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute, sondern ebenso den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie die kommunalen und regionalen Verkehrs- und Versorgungsunternehmen.

Wir werben bei den anderen Mitgliedstaaten und bei der Europäischen Kommission für die Einsicht, dass ein Vorhalten öffentlich-rechtlicher Strukturen der Daseinsvorsorge nichts mit verbotenen Beihilfen zu tun hat, sondern ausschließlich mit der Notwendigkeit, solche Dienstleistungen auch und gerade in der Fläche sicher zu stellen.

Der Europäische Rat von Lissabon hat auf meine Bitte hin die Kommission aufgefordert, das Verhältnis von Binnenmarkt und öffentlicher Daseinsvorsorge neu zu bestimmen.

Ich glaube, angesichts der Globalisierung und des Rückzugs der Privatbanken aus der Fläche kann es sogar eine Renaissance der Sparkassen und der Genossenschaftsbanken geben.

Denn die Aufgabe, eine flächendeckende Versorgung auch für kleinere Kunden und für Gewerbetreibende anzubieten, verliert in Zukunft nicht an Bedeutung, sondern wird eher noch wichtiger.

Meine Damen und Herren,

der Schlüssel für wachsenden Wohlstand und neue Arbeitsplätze ist Internationalität und Weltoffenheit.

Damit meine ich keineswegs nur Maßnahmen wie die sogenannte "Green Card", mit der wir den derzeitigen IT-Fachkräftemangel überbrücken wollen, bis die verstärkten Ausbildungsanstrengungen der Unternehmen Früchte tragen.

Noch wichtiger als solche Überbrückungsmaßnahmen sind langfristige Rahmenbedingungen, die aktivierend auf die Bürger wirken.

Dabei denke ich insbesondere an Bildung, Ausbildung und lebenslange Qualifizierung. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass hier ein Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit eines Landes liegt.

Politische Gestaltung der Globalisierung heißt für mich auch, den Strukturwandel in der Wirtschaft voranzutreiben und die Innovationskraft der Unternehmen zu stärken.

Über diese Herausforderungen habe ich Anfang Juni mit 13 befreundeten Regierungschefs diskutiert, die ich zur Konferenz "Modernes Regieren im 21. Jahrhundert" nach Berlin eingeladen habe.

Wir waren uns darüber einig, dass die Politik im 21. Jahrhundert unter anderem folgende Prioritäten setzen muss: Den zunehmend enger werdenden internationalen Beziehungen in der Wirtschaft muss mit einer intensiveren internationalen Koordination in der Politik entsprochen werden. Die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme muss erhöht und dem Prinzip des lebenslangen Lernens breite Akzeptanz verschafft werden. Die in vielen Ländern - auch in Deutschland - auf den Weg gebrachten Steuerreformen müssen die Investitionsbereitschaft fördern und gleichzeitig die Leistungsanreize stärken. Die Systeme der Alterssicherung müssen allein schon wegen der demografischen Entwicklung reformiert werden. Die öffentliche Verschuldung muss im Sinne von mehr Generationengerechtigkeit und zur Stärkung der Wachstumskräfte abgebaut werden.

Wir sind in Deutschland dabei, diese wirtschafts- und finanzpolitischen Eckwerte in konkrete Reformpolitik umzusetzen.

Die im Zukunftsprogramm 2000 angelegten steuerlichen Entlastungen und Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung stehen dabei im Mittelpunkt.

Sie zielen auf eine gleichzeitige Verbesserung der Angebots- und Nachfragebedingungen.

Mit dem Steuerentlastungsgesetz haben wir in erster Linie kleine und mittlere Einkommen entlastet und so die gesamtwirtschaftliche Kaufkraft gestärkt.

Mit der Steuerreform folgt jetzt der zweite große Reformschritt mit dem Schwerpunkt auf der Angebotsseite.

Er sorgt dafür, dass die Investitionsanreize in Deutschland international wettbewerbsfähig bleiben.

Die Eckpunkte dieser steuerpolitischen Konzeption, die wir schrittweise bis zum Jahr 2005 umsetzen, sind klar definiert:

Die Entlastung insbesondere kleinerer und mittlerer Einkommen wird fortgeführt.

Die Unternehmensteuersätze werden auf ein international attraktives Niveau gesenkt.

Dabei kommt ein großer Teil der gesamten Steuersenkung gerade dem Mittelstand zugute.

In der Summe ergibt sich für den Mittelstand ein Entlastungsvolumen von netto 20 Milliarden Mark zwischen 1999 und 2005. Meine Damen und Herren,

im Volksmund heißt es gelegentlich: "Eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass der Staat spart oder Schulden abbaut".

Mit der von Hans Eichel initiierten, konsequenten Sparpolitik hat die Bundesregierung diese Volksweisheit nicht nur widerlegt, sondern einen Weg beschritten, der endlich aus der Schuldenfalle herausführt.

Und ich unterstreiche auch hier: Selbst bei einer erfreulichen, konjunkturbedingten Zunahme des Steueraufkommens und zu erwartenden Erlösen aus der Versteigerung von Mobilfunklizenzen werden wir an unserem Ziel festhalten. Die zusätzlichen Einnahmen werden wir zur Rückführung der öffentlichen Verschuldung einsetzen.

Denn der Bund gibt derzeit jährlich rund 82 Milliarden Mark für Zinsen aus.

Deshalb gibt es gar keine sinnvollere Zukunftsvorsorge, als den Haushalt zu konsolidieren.

Damit wird gleichzeitig das Fundament für künftiges Wachstum gefestigt, so dass ein doppelter Beitrag zu mehr Generationengerechtigkeit entsteht:

Erstens sinken die Zinslasten unserer Kinder.

Zweitens wird der gesamtwirtschaftliche "Kuchen" für künftige Generationen größer.

In der vergangenen Woche haben wir den Bundeshaushalt 2001 und die mittelfristige Finanzplanung bis 2004 im Kabinett beschlossen.

Die Neuverschuldung wird Schritt für Schritt weiter zurückgeführt. Wir halten fest an unserem Ziel, bis zum Jahr 2006 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.

Aber die Konsolidierung des Bundeshaushaltes allein genügt noch nicht.

Wir müssen unser Augenmerk auch auf die Haushalte der Sozialversicherungen richten.

Sie stehen angesichts der Bevölkerungsentwicklung vor dem "Spagat", einerseits sozialen Ausgleich zu gewährleisten und andererseits finanzierbar zu bleiben.

Dies betrifft besonders die Gesundheitspolitik und die Alterssicherung.

Wir wollen, dass die Rente für die älteren Menschen sicher und für die jüngeren Menschen bezahlbar bleibt. Dies geht nach unserer festen Überzeugung nur, wenn das bewährte beitragsfinanzierte Umlagesystem der Rentenversicherung um eine kapitalgedeckte Eigenvorsorge ergänzt wird.

Hierüber sind wir uns im Grundsatz über Parteigrenzen hinweg einig, wie die Konsensgespräche hierzu gezeigt haben. Über die konkrete Ausgestaltung der notwendigen Rentenreform wird es weitere Gespräche geben.

Meine Damen und Herren,

die positiven Auswirkungen unserer Politik werden im aktuellen Konjunkturverlauf immer deutlicher sichtbar.

Immer mehr Forschungsinstitute und internationale Organisationen haben ihre Wachstumsprognosen für Deutschland schon nach oben korrigiert.

Mit der günstigen Wachstumsperspektive kommen wir unserem wichtigsten Ziel, dem schrittweisen Abbau der Massenarbeitslosigkeit, ein großes Stück näher.

Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten einen Rückgang der Arbeitslosigkeit auf rund 3,5 Millionen im Jahresdurchschnitt 2001. Ich will daran erinnern: Zu dieser positiven Entwicklung hat das Bündnis für Arbeit entscheidend beigetragen.

Arbeitgeber und Gewerkschaften haben tarifpolitische Weichenstellungen verabredet, die eine neue Qualität bei der Kosten- und Planungssicherheit für die Betriebe bewirkt haben.

Die Anzeichen dafür, dass dieser Weg der beschäftigungspolitischen Vernunft auch künftig Bestand haben wird, sind gut.

Hierfür spricht nicht nur die Vertrauensbasis, die wir im Bündnis für Arbeit mittlerweile geschaffen haben und auf die wir im nächsten Spitzengespräch im Juli aufbauen können.

Auch die von uns durchgesetzten Entlastungen bei den Steuern und Abgaben haben den Tarifpartnern Luft verschafft.

Und schließlich erleichtert es das hohe Maß an Preisstabilität der Tarifpolitik, auf einem beschäftigungsorientierten Kurs zu bleiben.

Die Inflationsrate fiel in Deutschland zuletzt auf 1,4 Prozent und in Euroland auf 1,9 Prozent.

Dies wird sich auch im Außenwert des Euro positiv niederschlagen. Nahezu alle Fachleute bescheinigen dem Euro ein erhebliches Aufwertungspotenzial. Ich teile diese Einschätzung aus drei Gründen:

Erstens spricht das hohe Maß an innerer Stabilität des Euro für eine höhere Bewertung gegenüber anderen Währungen.

Zweitens holt Euroland gegenüber den USA ökonomisch auf und kann im nächsten Jahr sogar auf einen Wachstumsvorsprung hoffen.

Drittens wird sich am Devisenmarkt zunehmend die Erkenntnis verbreiten, dass in Deutschland und in den anderen Volkswirtschaften Eurolands weitreichende Reformen eingeleitet sind.

Meine Damen und Herren,

es gibt begründeten Anlass, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Die wirtschaftlichen Perspektiven sind so gut wie schon seit Jahren nicht mehr.

Und die Sparkassen nehmen als wichtigste Partner des Mittelstands teil am Aufschwung.

Das Motto des diesjährigen Weltkongresses der Sparkassen "Global denken, lokal handeln, international kooperieren" weist den richtigen Weg in die Zukunft - nicht nur für die Sparkassen.

Ich hoffe, Sie hatten schöne Tage hier in Berlin und wünsche Ihnen einen erlebnisreichen Aufenthalt auf der EXPO in Hannover.