Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 18.09.2008

Untertitel: "Faire und gerechte Lösungen: Zur Restitution von NS-Raubkunst"lautete das Thema der Rede von Kulturstaatsminister BerndNeumann.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/09/2008-09-18-neumann-ns-raubkunst,layoutVariant=Druckansicht.html


Anrede

wir eröffnen heute im Jüdischen Museum eine außergewöhnliche Ausstellung. Sie ist außergewöhnlich, weil es weniger um den ästhetischen Reiz oder den künstlerischen Rang der Exponate geht, auch wenn mache Berühmtheit unter den Ausstellungsstücken ist wie zum Beispiel Otto Muellers "Akt im Grünen" aus dem Besitz der Familie Littmann.

Sie ist außergewöhnlich, weil alle wunderbaren Kulturschätze, die hier präsentiert werden, letzten Endes Zeugnisse des schrecklichsten aller Menschheitsverbrechen sind: Zeugnisse der Verfolgung, Entrechtung und millionenfachen Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland.

Die Exponate erinnern daran, wie Menschen in den Nöten von Flucht und Deportation und unter Bedrohung ihres Lebens auf brutalste Art und Weise erpresst, beraubt und ausgeplündert wurden.

Sie bewahren das Andenken an Familien, die zerstört und verstreut wurden, und sie erinnern an die Schuld, die Deutschland mit der Verfolgung und Ermordung der Juden Europas auf sich geladen hat.

Vor zehn Jahren haben sich mit der Washingtoner Erklärung 44 Staaten dazu verpflichtet, NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter, wie es offiziell heißt, unter allen Umständen zurückzugeben, selbst wenn die gesetzlichen Fristen abgelaufen sind. Mehr noch: Die Washingtoner Prinzipien rufen dazu auf, verstärkt nach eben jenen Kulturgütern zu suchen, die den Opfern der Nazibarbarei gestohlen, geraubt und abgepresst wurden. Was dabei zählt, ist nicht nur der materielle Wert von Gemälden, Büchern, Briefe oder Urkunden, sondern auch die unschätzbare emotionale Bedeutung, die diese Dinge für die Erinnerung an das Schicksal von Personen, Familien und Gemeinden besitzen.

1999 einigten sich in Deutschland Bund, Länder und Kommunen auf die so genannte "Gemeinsame Erklärung". Sie fordert alle Einrichtungen wie Museen, Archive und Bibliotheken dazu auf, selbst nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in ihren Beständen zu fahnden mit dem Ziel, faire und gerechte Lösungen für eine Restitution zu finden.

Niemand ahnte vor zehn Jahren, wie schwierig die Suche nach NS-Raubkunst und die Klärung der Entziehungsumstände sein würde.

Die Wege, über die NS-Raubkunst in Museen, Bibliotheken und Archive gelangte, sind verschlungen, kaum ein Fall gleicht einem anderen. Dies zeigt die Ausstellung, die wir heute eröffnen, sehr anschaulich. Da gab es die großen, systematischen Raubzüge der Nazis, die in ganz Europa Kunstschätze ungeheuren Ausmaßes zusammenrafften, entwurzelten und über die ganze Welt verschoben.

Es gab Kunsthändler, Galerien und Museen, die sich aktiv an der materiellen und letztlich auch kulturellen Ausplünderung der europäischen Juden beteiligen. Manchmal aber versuchte ein Museumsdirektor, Kunstwerke eines Verfolgten der nicht selten kurz zuvor noch Mäzen des Hauses war zu retten.

Allzu oft aber haben auch die öffentlichen Museen, Bibliotheken und Archive zwischen 1933 und 1945 bewusst die Not der Verfolgten genutzt, um ihre Bestände zu vergrößern. Diese Schuld wird leider nie vollständig getilgt werden können, auch wenn nach dem Krieg einiges zurückgegeben wurde und Entschädigungen erfolgt sind.

Das Unrecht der NS-Zeit wirft seine langen Schatten bis in die Gegenwart. Da sind einerseits komplexe juristische Fragen, die die Suche nach NS-Raubkunst schwer machen. Andererseits wurde aber in Deutschland über viele Jahrzehnte hinweg zu wenig Zeit, Sorgfalt und Aufwand und auch zu wenig Geld in die Bestandsrecherche investiert. Das dürfen wir nicht hinnehmen!

Ich erinnere nur an die öffentliche Auseinandersetzung um die Restitution des Kirchner-Gemäldes "Berliner Straßenszene" durch das Land Berlin. Restitutionsbefürworter und -gegner sparten dabei nicht mit Vorwürfen, deren zentraler Punkt allerdings immer der gleiche war: Wir wissen in Deutschland zu wenig über die Geschichte des Kunstraubs und über die Provenienz unserer Kulturgüter, die vor 1945 entstanden und seit 1933 in öffentlichen Besitz gelangt sind.

Die Diskussionen um die "Straßenszene" zeigten, wie groß die Unsicherheit im konkreten Fall sein kann.

Deshalb habe ich damals eine Arbeitsgruppe mit Fachleuten und Vertretern von Museen, Bund, Ländern, Kommunalen Spitzenverbänden und Stiftungen einberufen. Ziel der Arbeitsgruppe war es, Vorschläge zur Intensivierung von Provenienzrecherche und -forschung zu unterbreiten und die entsprechenden Verfahren zu verbessern.

Dabei stand von Anfang an fest, dass die "Washingtoner Erklärung" die unumstößliche Ausgangslage darstellt.

Deutschland steht auch mehr als sechzig Jahre nach Kriegsende uneingeschränkt zu seiner moralischen Verantwortung für die Restitution von NS-Raubkunst. Daran gibt es nichts zu deuten.

Zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppe gehört die Einrichtung einer Arbeitsstelle Provenienzrecherche / -forschung, die Museen, Bibliotheken und Archive dabei unterstützen soll, Kulturgüter zu identifizieren, die in der NS-Zeit den rechtmäßigen Eigentümern entzogen wurden. Sie ist beim Institut für Museumsforschung ( Stiftung Preußischer Kulturbesitz ) angesiedelt und für ihre Aufgaben mit jährlich einer Million Euro aus dem Haushalt des BKM und zusätzlich 200.000 Euro durch die Kulturstiftung der Länder ausgestattet. Die Arbeitsstelle hat mit Ihrer Tätigkeit bereits begonnen, in vier Wochen entscheidet der Beirat über die ersten langfristigen Anträge zur Provenienzrecherche.

Um das Verfahren bei der Restitution zu verbessern, wurde die "Handreichung zur Umsetzung der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts" auf Praktikabilität und ihre friedensstiftende Wirkung überprüft und aktualisiert.

Darüber hinaus haben wir die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg gestärkt, deren Aufgabe es ist, Kulturgutverluste in Such- und Fundmeldungen zu dokumentieren. Die Voraussetzungen für eine effiziente Zusammenarbeit der Koordinierungsstelle mit den Museen, Archiven und Bibliotheken wurden verbessert und ein Fachbeirat eingerichtet.

Mit diesen Maßnahmen wollen wir die dezentrale Provenienzrecherche an den Beständen stärken und die Vernetzung zwischen den einzelnen Forscherinnen und Forschern verbessern.

Neben dieser Stärkung bereits vorhandener Strukturen soll aber auch Grundlagenforschung betrieben werden. Internationale Konferenzen schließlich, wie die für den Dezember gemeinsam von der Arbeitsstelle, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Magdeburger Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste geplante internationale Fachkonferenz, sind wichtig für den Erfahrungsaustausch der Einrichtungen untereinander.

Es gilt, das Hauptaugenmerk auf die aktive Recherche und Forschung im Hinblick auf NS-Raubkunst zu richten.

Sie sehen, wir sind dabei ein gutes Stück vorangekommen. Das ist ein wichtiges Signal der Bundesregierung im Hinblick auf den 10. Jahrestag der Washingtoner Erklärung.

Meine Damen und Herren,

es ist meine Überzeugung, dass die Klärung der Provenienz nicht nur der erste, sondern vielmehr der wichtigste Schritt eines jeden Restitutionsverfahrens ist. Der weitaus sensiblere ist der zweite Schritt: die Suche nach fairen und gerechten Lösungen.

Dies kann aus meiner Sicht nur heißen: Jedes Kunstwerk, jedes Kulturgut, das den Opfern der Nazibarbarei geraubt wurde, muss zurückgegeben oder eine andere faire und gerechte Lösung gesucht werden. Verjährung kann es nicht geben. Verfügungsbeschränkungen oder Ausfuhrverbote sind völlig indiskutabel. Die Beweislast liegt auf Seiten der öffentlichen Einrichtung.

Aber gerechte und faire Lösungen können sehr unterschiedlich aussehen:

So verbleibt manches restituierte Werk als ung oder Dauerleihgabe im Museum. Oder das Museum kann ein Werk erwerben, bevor es auf den regulären Kunstmarkt gelangt. Auch der Ankauf von Kunstwerken durch Stiftungen und Mäzene ist eine Möglichkeit, das Kunstwerk in dem jeweiligen Museum zu halten und den Ansprüchen der ehemaligen Eigentümer Rechnung zu tragen.

Allerdings: Gerechtigkeit ohne Gerichte zu finden ist schwer."Fair" und "gerecht" sind dehnbare Begriffe. Mitunter lassen sich die unterschiedlichen Vorstellungen nicht zusammenführen aus welchen Gründen auch immer.

Zur Lösung dieser Fälle hat der Bund in Abstimmung mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden eine "Beratende Kommission" eingesetzt, die unabhängige Empfehlungen von großer moralischer Integrität aussprechen kann. In der "Beratenden Kommission" sind Persönlichkeiten wie Jutta Limbach, Richard von Weizsäcker oder Rita Süssmuth vertreten, und ich werbe aus Erfahrung und Überzeugung dafür, die Kommission so oft es nur geht bei der Suche nach fairen und gerechten Lösungen zu beteiligen. Gerade weil die Kommission kein Gericht ist und nicht einseitig angerufen werden kann, ist sie in der Lage Empfehlungen auszusprechen, die unabhängig von juristischen Detailfragen moralisch begründet und verantwortungsbewusst sind.

Gerade in letzter Zeit gab es Kritik an der Kommission. Kritik, die ich nicht teilen kann. Die Aufgabe der Kommission ist nicht die zweifelsfreie Feststellung der Provenienz. Sie soll unter Abwägung aller Argumente ein Votum treffen, ob auf der Basis der Washingtoner Prinzipien eine Restitution moralisch geboten ist. Deshalb besteht sie nicht aus Provenienzforschern, sondern aus Persönlichkeiten von Rang, denen die Bedeutung und besondere Verantwortung dieses Gremiums sehr wohl bewusst ist. Ich sehe deshalb keine Veranlassung, am Wirken der Limbach-Kommission etwas zu ändern.

Meine Damen und Herren,

die Geschichte geraubter Kunstwerke ist immer auch die Geschichte von Menschen, die verfolgt, gedemütigt, vertrieben und ermordet wurden. Sie ist eine Geschichte der Entrechtung und Enteignung, der Ausplünderung und Bereicherung, von Vernichtung, Vergessen und Verdrängung. All diese Aspekte spielen bei der Suche nach NS-Raubkunst, bei der Erarbeitung fairer und gerechter Lösungen sowie bei der Restitution entzogenen Kulturguts

eine Rolle.

Die Ausstellung, die wir heute eröffnen, führt all diese Facetten anhand von sachlich aussagekräftigen und dennoch bewegenden Fallbeispielen vor Augen. Ich finde diesen realitätsnahen Ansatz außerordentlich überzeugend und begrüßenswert in einer Debatte, die oft in die Höhen der Abstraktion getrieben wird, ohne dass dies allen Beteiligten wirklich weiterhilft oder die Öffentlichkeit besser informiert. Ich wünsche der Ausstellung viele interessierte Besucher und dem hervorragenden Begleitbuch viele Leser!