Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22.09.2008

Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Heinen, sehr geehrte Präsidenten ich weiß nicht genau, ob der Präsident des Weltverbands schon eingetroffen ist; aber der europäische Präsident, Herr Lehari, ist anwesend,werte Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten namentlich nenne ich Sie, lieber Herr Westerwelle,meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/09/2008-09-22-zeitungskongress,layoutVariant=Druckansicht.html


ich bin heute sehr gern zur Eröffnung des diesjährigen Zeitungsverlegerkongresses gekommen, um wieder einmal auf aktuelle Probleme hinzuweisen und Ihnen Rechenschaft über die Haltung der Bundesregierung abzulegen.

Ich denke, dieser Gipfel der Zeigungsbranche hat sich längst als wichtiges Forum für Experten und Praktiker etabliert. Sie analysieren hier Trends, Sie diskutieren über aktuelle medienpolitische Themen und Herausforderungen, von denen es in der Tat eine ganze Reihe gibt, und Sie suchen das ist das Wesen Ihres Verbandes nach konstruktiven Lösungen. Dabei will die Politik ein zumindest verständnisvoller Partner sein. Denn wir sind der tiefen Überzeugung, dass nicht nur Ihr Verband ein Existenzrecht hat, sondern dass vor allen Dingen auch Ihre Produkte mehr als eine Existenzberechtigung haben.

Auch in Zeiten zunehmender Digitalisierung sind Zeitungen aus der Medienlandschaft nicht wegzudenken ich sage das ausdrücklich. Sie sind für Millionen von Bundesbürgern genauso unverzichtbar wie das tägliche Brot. Ich glaube, das liegt in der Tat daran, dass wir in Deutschland eine beachtliche Bandbreite qualitativ hochwertiger Zeitungen haben. Dies kommt den verschiedenen Informationsbedürfnissen entgegen. Sie dürfen davon ausgehen, dass Politik ein interessierter Partner ist; ein Partner, der nicht nur glaubt, dass das für die Bürgerinnen und Bürger gut ist, sondern der auch weiß, dass die Vielfalt der Information die Grundlage dafür ist, dass unsere Arbeit in sachgerechter Art und Weise das kann kritisch, informativ oder auch zustimmend sein ihre Verbreitung findet.

Zu Beginn will ich sagen, dass wir uns der mittelständischen Struktur dieser Branche sehr bewusst sind und im Zuge der Diskussion über die zukünftige Erbschaftsteuer deren Belange auch berücksichtigen werden. Auf gut Deutsch gesagt heißt das: Der Gesetzentwurf, so wie er jetzt auf dem Tisch liegt, muss erhebliche Veränderungen erfahren, damit diese mittelständische Struktur erhalten bleibt.

Ich will jetzt keine langen Abhandlungen darüber vortragen, vor welchen Problemen wir bei der Umsetzung stehen. Der eine Punkt ist die Frage der Entlastung des Mittelstandes insbesondere beim Übergang von einer Generation zur anderen. Der andere Punkt ist die erhebliche Aufgabe, die uns das Bundesverfassungsgericht gestellt hat, was die Bewertung von Immobilien und Kapitalvermögen anbelangt. Über Jahrzehnte hinweg war es eigentlich eine Binsenweisheit, dass das Urteil so kommen musste, wie es kam. Aber die Politik hat auch schon immer gewusst, wie schwer es dann umzusetzen sein wird. Deshalb wurde die Entscheidung auch dem Bundesverfassungsgericht überlassen. Jetzt geht es darum, in den Bewertungsmaßstäben die Verwerfungen so zu minimieren, dass daraus nicht dramatische Folgen für den deutschen Mittelstand erwachsen.

Ich will auch gleich etwas zu den kartellrechtlichen Rahmenbedingungen sagen, die ja die Vielfalt sicherstellen. Ich bin der Meinung, dass hier Veränderungen notwendig sind. Diese herbeizuführen, ist mit dem Koalitionspartner außerordentlich schwierig. Ich sage aber ganz ehrlich: Mit Ihnen ist es auch nicht ganz einfach. Denn wenn man für zwei Drittel der Interessenten eine Lösung gefunden hat, gibt es immer ein Drittel, das aus bestimmten regionalen oder sonstigen, beispielsweise historischen Gründen Einwendungen hat. Kartellrecht ist letztlich auch immer Marktrecht. Aber ich kann nur sagen: Im Sinne wirklich zukunftsfähiger deutscher Branchen brauchen wir Veränderungen. Deshalb werde ich auch weiter dafür werben, dass wir versuchen, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bekommen.

Die Angebotsvielfalt bei Zeitungen ist heutzutage keineswegs mehr selbstverständlich natürlich auch angesichts massenhafter Online-Angebote und einer starken internationalen Konkurrenz. Gerade aus diesem Blickwinkel heraus wird deutlich, wie eminent wichtig die kartellrechtliche Frage ist. Wir müssen vor allen Dingen sehen, dass die europäischen Rahmenbedingungen des Kartellrechts andere sind als die deutschen und dass daraus erhebliche Verwerfungen entstehen können. Deshalb besteht hier Handlungsbedarf.

Wir können sagen, dass sich die Printerzeugnisse, zum Beispiel das gedruckte Buch, trotz elektronischer Konkurrenz sehr gut behaupten konnten. Aber wir müssen auch der Tatsache ins Auge sehen, dass Zeitungen und Zeitschriften zum Teil erhebliche Auflagenrückgänge und Einbußen bei Anzeigenerlösen hinnehmen mussten. Es ist davon auszugehen, dass der Wettbewerbsdruck durch elektronische, insbesondere durch onlinegestützte Medienangebote weiter zunehmen wird. Wir müssen alles dafür tun, dass sich die angespannte wirtschaftliche Lage, jetzt auch hervorgerufen durch die Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten, nicht noch verstärkend hierauf auswirkt. Das liegt nicht zu hundert Prozent in unserer nationalen Hand. Das wissen Sie. Aber zumindest müssen wir versuchen, im umfassenden Rahmen die wirtschaftlichen Bedingungen so zu gestalten, dass wir in Deutschland unsere wirtschaftliche Entwicklung wenigstens einigermaßen entkoppelt von oder nicht zu sehr verkoppelt mit negativen Entwicklungen in anderen Regionen der Welt voranbringen können.

Sie stehen also das ist mir bewusst vor erheblichen Herausforderungen. Die Frage, wie man sich dem Strukturwandel in der Medienwelt stellt, wird von Ihnen sehr mutig angegangen. Ich will das ausdrücklich sagen. Wir wünschen uns natürlich, dass das Ganze auch auf einem qualitativ hochwertigen Niveau stattfindet. Dass Sie dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen brauchen, versteht sich von selbst.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Zeitungen auch in Zukunft fester Bestandteil des Medienangebots sein werden. Mit ihren Berichten, Kommentaren und Reportagen vermitteln sie verlässliches Wissen umfassend, differenziert und sachorientiert. Damit geben sie Lesern Orientierung in komplexen Themenzusammenhängen. Das ist gerade etwas, was Online-Angebote nicht ohne Weiteres schaffen können. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass Zeitungen nach wie vor auch politische Leitmedien bleiben werden, die die öffentliche Diskussion beleben und auch die Vitalität einer Demokratie ausmachen. Das heißt, wir brauchen die Printmedien gerade auch für die politische Kultur in unserem Land. Dabei geht es darum, dass die Leser die vielfältigen Angebote ernst nehmen und gern aufnehmen. Deshalb sind auch wir in der Politik schon sehr gespannt auf Ihre Ausstellung im parlamentarischen Bereich. Wir danken Ihnen dafür, dass es zu einer solchen Ausstellung im Paul-Löbe-Haus kommen wird.

Die Wechselbeziehungen zwischen Politik und Medien sind so, dass wir sagen können: Zum einen sind Demokratien ohne eine freie und der Wahrheit verpflichtete Medienlandschaft undenkbar, zum anderen können Medien natürlich nur in aufgeklärten Gesellschaften und funktionierenden freiheitlichen demokratischen Staatsordnungen gedeihen und sich entfalten. Deshalb möchte ich auch noch einmal auf das Urteil von Albert Camus zurückkommen, der so wunderbar gesagt hat: "Eine freie Presse kann gut oder schlecht sein, aber eine Presse ohne Freiheit kann nur schlecht sein."

Sie können davon ausgehen, dass ich mich auch in Zukunft für die Pressefreiheit einsetzen werde im Ausland genauso wie im Inland. Sie haben zwischen den Zeilen leichte Kritik an Anhörungsverfahren im Innenausschuss geübt, wenn ich das richtig verstanden habe. Wir können gern im Detail noch einmal darauf eingehen, um Verbesserungen im Verfahren oder, wenn das notwendig ist, auch in der Sache zu erreichen. Ich habe kein Interesse daran, dass solche Fragen unter den Tisch gekehrt werden. Pressefreiheit soll sein und muss sein. Wir können anderswo auch nur dafür werben, wenn wir sie bei uns zu Hause in entsprechender Weise leben.

Die Medienpolitik hat genau aus diesen Gründen die Aufgabe, das Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit als einen Grundpfeiler unserer Demokratie zu sichern. Wir brauchen sie auch, um demokratische Ordnungen anderswo auf der Welt weiterzuentwickeln und sie auch dort zu einem elementaren Bestandteil der Gesellschaft zu machen.

In Zeiten der Globalisierung begegnet uns immer wieder die Tatsache, dass fairer Wettbewerb zwischen den Ländern überhaupt nur dann möglich ist, wenn es auch eine bestimmte Minimalstruktur eines gemeinsamen Werteverständnisses gibt. Sehr platt gesagt: Wer Kinderarbeit möglich macht, wer den Ruin der Umwelt möglich macht, wer Patente und geistiges Eigentum nicht achtet, mit dem kann man in keinen fairen Wettbewerb eintreten. Um für unsere Ordnung des Wirtschaftens zu werben, brauchen wir Kommunikation und damit auch Pressefreiheit.

Sie alle, die Sie hier in diesem Saale versammelt sind, wissen um Ihre herausragende gesellschaftliche Verantwortung. Deshalb möchte ich hier ein herzliches Dankeschön dafür sagen, dass Sie nicht nur von Professionalität und Wirtschaftlichkeit geleitet sind, sondern dass zu Ihrer Arbeit immanent auch Berufsethos gehört, dass Sie sich Werten verpflichtet fühlen, dass Sie das Markenzeichen der Pressevielfalt und des Qualitätsjournalismus in unserem Lande leben. Das ist angesichts vieler wirtschaftlicher Herausforderungen keineswegs selbstverständlich. Deshalb möchte ich Ihnen dafür an diesem Tag auch einmal ein herzliches Dankeschön sagen.

Strategien zur Verbindung von traditionellen und neuen Medienangeboten im publizistischen und wirtschaftlichen Bereich sind neue Geschäftsmodelle, denen Sie sich öffnen. Einige von Ihnen praktizieren das schon seit Jahren und im Übrigen mit sehr viel Erfolg. Dazu gehört die von Ihnen, Herr Heinen, angesprochene Verknüpfung von Printangeboten und internetgestützten Dienstleistungsangeboten. Das Zusammenspiel kann nur dann funktionieren, wenn Netzbetreiber mit eigenen Informationsangeboten traditionelle Anbieter nicht an den Rand drängen. Hier haben wir also wieder die Situation, dass Sie sich zwischen den verschiedenen Anbietern positionieren müssen. Da kommt natürlich die Aufgabe der Medienpolitik ins Spiel, sicherzustellen, dass die Verlage nicht diskriminiert werden und dass inhaltlich hochwertige und anspruchsvolle Produkte auch innerhalb neuer Strukturen einen sicheren Platz einnehmen können.

Nun kommen wir dann auch ziemlich schnell zum Thema Gratiszeitungen. Ich denke, da haben Sie untereinander einen gewissen Diskussionsbedarf. Bei der Post sind wir uns, glaube ich, alle einig. Damit ist das Problem allerdings noch nicht völlig aus der Welt geschafft. Aber darüber können Sie nachher noch diskutieren, wenn ich weg bin. Zur Frage Post und Gratiszeitung habe ich eine sehr klare Haltung: Ich glaube, dass das nicht die Aufgabe der Post ist. Ich glaube, dass es auch nicht richtig wäre, einen Verleger zu finden, der dann einen großen Verteiler findet. Man kann ja auch mit der Komponente 1:99 etwas machen. Hier wird die Bundesregierung ihre Haltung sehr deutlich machen. Aber auch Sie müssen immer ein scharfes Auge auf Ihre verschiedenen Anbieter haben.

Ich möchte jetzt nicht noch einmal auf den Postmindestlohn eingehen, sondern nur sagen: Ich danke Ihnen, dass Sie bezüglich des Wegfalls der Mehrwertsteuerbefreiung gesagt haben, dass wir da jetzt einen Schritt in die richtige Richtung gehen. Ich will nur sagen, dass es mit Sicherheit immer noch der bessere Weg war, die Post auf den Weg der Privatisierung zu schicken. Wenn man sich die Stunde der entscheidenden Beratungen im Bundesrat Anfang der 90er Jahre einmal vergegenwärtigt, dann sieht man, dass dort bezüglich des Lohngefüges Verabredungen getroffen wurden, die sich auch im Gesetz wiederfinden, die zumindest die Spielräume einengen. Das war damals die Conditio der SPD-Mehrheit im Bundesrat. Ich empfehle an dieser Stelle, das noch einmal nachzulesen.

Nun brauchen wir funktionierende Vertriebsstrukturen. Ich möchte hier deshalb noch einmal eine Lanze für das Grosso-System brechen, das mit einem Marktanteil von über 50Prozent das bedeutendste Vertriebsnetzwerk ist und das als das effizienteste Vertriebssystem innerhalb der Europäischen Union gilt. Ich denke, dieses Modell ist auch die praktische Seite der verfassungsrechtlich garantierten Pressefreiheit. Denn diese Freiheit würde ins Leere laufen, wenn sich die Verlagsprodukte nicht überall zu erschwinglichen Preisen erwerben ließen. Deshalb glaube ich, dass sich das Presse-Grosso als Garant der Pressevielfalt bewährt hat. Es sollte auch ein wichtiges Instrument zur Wahrung der Informations- und Meinungsfreiheit bleiben.

Wer Vielfalt auf den Märkten will, muss für einen funktionierenden und fairen Wettbewerb sorgen. Deshalb müssen sich die Medien aus Sicht der Bundesregierung in einem freien wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerb behaupten. Dem steht der ermäßigte Umsatzsteuersatz in Höhe von siebenProzent bei Presseprodukten nicht entgegen. Im Gegenteil: Wir zeigen damit, dass das Ganze zum Grundbedarf gehört und auch in Zukunft für die Bürgerinnen und Bürger erschwinglich bleiben muss.

Wir kommen in diesem gesamten Bereich nicht ganz ohne staatliche Regulierung aus trotz allen freien Wettbewerbs. Schon Ludwig Erhard musste sich mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie anlegen, als er das Kartellrecht eingeführt hat. Mittelständische Strukturen können nur in bestimmten wettbewerblichen Rahmenbedingungen dauerhaft existieren. Deshalb ist zum einen wichtig, dass wir uns die Dinge bezüglich der Werbung anschauen Herr Heinen, Sie haben dazu vieles gesagt. Ich will jetzt nicht sagen, dass jede Werbung wichtig ist, aber ich glaube, es hat Gewicht, wenn die Kanzlerin sagt: Ich bin nach wie vor gegen Werbeverbote. Das schließt aber einzelne Abweichungen leider mit ein.

Ich glaube trotzdem, dass Frau Bätzing die grundsätzliche Linie der Bundesregierung mitträgt. Diese Linie steht im Übrigen auch in einer gewissen Kontinuität ich erinnere an das Tabakwerbeverbot. Ich kann Ihnen zusagen: Wir sind gegen Werbeverbote und sehen auch, was von Ihrer Seite an Anstrengungen unternommen wird. Wir sind erst recht gegen wie soll ich es sagen, um noch höflich zu bleiben solche Auswüchse wie etwa im Bereich der Automobilwerbung. Was da im Augenblick in Brüssel herumgeistert, ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel.

Ich sage allerdings auch jetzt kommt der europäische Verbandspräsident ins Spiel: Unsere deutsche Haltung ist ehrenwert, allerdings muss sie auch mehrheitsfähig sein. Da in Brüssel inzwischen sehr viele Entscheidungen nicht mehr einstimmig, sondern mehrheitlich gefällt werden, ist es wichtig, in der Europäischen Union für eine solche Haltung auch Unterstützer zu bekommen. Wenn ich mir anschaue, in welcher Art und Weise von der Lebensmittelkennzeichnung bis zu den Werbefragen Kompetenzen der Europäischen Union nahezu erschlichen werden, die eigentlich gar nicht so richtig vorhanden sind, dann kann ich die europäischen Verbände nur bitten, hier außerordentlich wachsam zu sein und wirklich alles daranzusetzen, auch andere Mitgliedstaaten und andere Presseanbieter von unserer Linie zu überzeugen, denn ansonsten haben wir einen ziemlich schwierigen Stand.

Wenn wir über die Fragen Ihrer Existenz und des fairen Wettbewerbs sprechen, dann kommen wir an den öffentlich-rechtlichen Medien gar nicht vorbei. Die kontroversen Diskussionen um den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag haben gezeigt, wie stark die deutsche Medienpolitik inzwischen in den europäischen Rahmen eingebunden ist. Ich glaube, dass der mit der EU-Kommission gefundene Beihilfekompromiss zur Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein Erfolg war. Die Kommission hat auf der Grundlage dieses Kompromisses das Beihilfeverfahren gegen Deutschland eingestellt. Es wurden wichtige Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Kommission die Umsetzung des Kompromisses im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag akzeptiert.

Nun kommen wir zu dem zentralen Punkt, der für Sie natürlich von allergrößter Bedeutung ist, nämlich dem Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es muss klar definiert werden, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf, um seinen Grundversorgungsauftrag zu erfüllen, und wo seine Grenzen liegen.

Wir sind uns einig das kam bei Herrn Heinen durchaus zum Ausdruck, dass es öffentlich-rechtliche Anstalten geben sollte, dass sie unverzichtbar sind, wenn es um die Vermittlung von Informationen und kulturellen Angeboten geht. Aber es gibt eine Vielzahl von Themenbereichen und Programmelementen, die von privaten Anbietern ebenso gut abgedeckt werden können. Das gilt für Unterhaltungsangebote, wie zum Beispiel Spiele, Kontaktbörsen im Online-Bereich oder nicht-sendebezogene Chat-Räume. Deshalb war es aus unserer Sicht auch wichtig wir haben dazu eine Vielzahl von Gesprächen geführt; auch ich persönlich, uns auf eine Negativliste zu einigen, die solche Angebote für die öffentlich-rechtlichen Anstalten von vornherein ausschließt.

Wir wissen natürlich: Printmedien müssen kostenlose Online-Angebote durch Werbung und Anzeigen refinanzieren. Sie haben nicht die Möglichkeit der Gebührenerhebung, während diese Angebote öffentlich-rechtlicher Anstalten dank der Gebührenfinanzierung werbefrei bleiben können. Wir müssen darauf achten, dass es keine Situation der Wettbewerbsverzerrung einseitig zulasten privater Anbieter gibt. Insofern ist eine klare Trennung der Internet-Angebote vonnöten. Demnach beschränken sich öffentlich-rechtliche Anstalten auf sendungsbezogene Online-Angebote und auf nicht-sendungsbezogene digitale Angebote, die in einem dreistufigen Test auf ihren gesellschaftlichen Nutzen und ihre Auswirkungen auf den Medienmarkt hin geprüft wurden.

Ich weiß, dass die Tücke mit Sicherheit im Detail liegen wird. Das ist überhaupt keine Frage. Deshalb glaube ich, dass weiterhin mit einer gewissen Skepsis verfolgt werden wird, wie sich die Grenzziehungen herausbilden. Hier müssen wir im Gespräch bleiben. Aber ich hoffe, dass wir einem tragfähigen Kompromiss näher gekommen sind. Ich glaube aber auch, dass die Diskussion nicht immer nur zur Freude der öffentlich-rechtlichen Anstalten geführt wurde.

Nun gibt es aber auch eine Reihe von Kooperationsprojekten, die ausgesprochen unterstützenswert sind: ZDF und "Zeit", WAZ-Gruppe und WDR. Alles prima. Aber meine Bitte an Sie ist auch, dass Sie sich trotz aller wirtschaftlichen Pressionen den Herausforderungen der Zeit stellen und nicht sozusagen auf bestimmte Dinge der öffentlich-rechtlichen Anstalten zurückgreifen, was den Eindruck erwecken könnte, aus eigener Kraft gar kein vielfältiges, qualitativ hochwertiges Angebot machen zu können. Ich hoffe, dass Sie erahnen, worüber ich gerade spreche. Ich könnte es auch anders sagen: Die Not im Detail darf zum Schluss nicht die Rechtfertigung für die andere Seite bieten. Sie könnten eigentlich ohne sie gar nicht mehr leben. Das zum Verhältnis von Kooperation und Trennung. Dann werden wir Ihnen auch weiter kräftig zur Seite stehen, ohne die Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu vernachlässigen.

Hier im Raum sind ja wahrscheinlich beide Parteien vertreten, über die ich gerade spreche. Unser gemeinsames Anliegen dürfte sein, dass uns die EU-Kommission den Spielraum der medienpolitischen Gestaltungsvielfalt nicht immer weiter einengt. Ich glaube, manche Dinge kann man besser in den Nationalstaaten regeln, weil es historisch gewachsene Strukturen gibt. Das gilt sowohl für die Zeitungslandschaft als auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Deshalb brauchen wir gewisse Spielräume.

Der Schutz geistigen Eigentums ist ein extrem wichtiger Bereich. Wir wollen effektive Wege finden, um digitale Piraterie zu bekämpfen. Wir brauchen natürlich auch internationale Kooperationsvereinbarungen zwischen Providern, Rechteinhabern und Verbrauchern, um Urheberrechtsschutz und Datenschutz miteinander in Einklang zu bringen.

Der Schutz des geistigen Eigentums ist ein ganz wesentlicher Punkt für die Sicherung der Pressefreiheit. Ich glaube, dass wir mit dem "Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums" einen wichtigen Schritt getan haben. Aber ein umfassender Schutz des geistigen Eigentums wird nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern gelingen können. Deshalb glaube ich, dass eine freiwillige Zusammenarbeit von Diensteanbietern und Rechteinhabern immer wieder ins Auge gefasst werden sollte. Alles, was freiwillig verabredet wird, bedarf dann nicht mehr so stark der gesetzlichen Regelung. Das hat sehr viel Positives.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Selbstkontrolle der Medien im Bereich des Jugendschutzes und vieler anderer Bereiche loben. Auch hier können wir gesetzlich gar nicht so viel tun, was Sie im Rahmen Ihrer Selbstkontrolle durchaus wahrnehmen. Sie haben eben am Beispiel des Alkoholkonsums deutlich gemacht, in welcher Vielfalt Sie dieser Verantwortung nachkommen.

Wir wissen, dass wir, um die Zeitungslandschaft zu erhalten, natürlich einen bestimmten Bildungsstand der Bevölkerung brauchen. Die "Nationale Initiative Printmedien", die Kulturstaatsminister Bernd Neumann im Frühjahr ins Leben gerufen hat, ist von ihm in diesem Zusammenhang schon gelobt worden. Projekte wie "Zeitung in der Schule" und "Zeitschriften in die Schulen" der Stiftung Presse-Grosso und der Stiftung Lesen sind ganz, ganz wichtige Projekte. Ich kann sie alle nur bitten, in diese Richtung weiterzumachen. Wir müssen die Fähigkeit zum Lesen als einen zentralen Beitrag unserer Bildungspolitik stärken.

Ich will an dieser Stelle Frau Prof. Noelle-Neumann zitieren: "Nur eine Gesellschaft, die liest, ist eine Gesellschaft, die denkt." Ich glaube, das kann man trotz des Vorhandenseins von Internet und Online-Angeboten heute immer noch so sagen. Deshalb sollte die Fähigkeit des sofortigen Zugriffs zu allen Informationen im Internet zu der Fähigkeit des Lesens hinzukommen, die mit der Gutenbergschen Buchdruckkunst ihre Verbreitung gefunden hat. Aber sie sollte sie nicht ersetzen. Wir müssen eine Kulturfähigkeit hinzulernen, aber nicht eine andere dafür verlernen.

Da ich der Meinung bin, dass Bildung der Schlüssel zum Wohlstand unserer Gesellschaft ist, ist es ein elementares politisches Interesse egal, ob auf der Bundes- oder Länderebene, dass die Fähigkeit des Verstehens komplexer Zusammenhänge durch das Lesen erhalten bleibt und gestärkt wird. Es gibt hier aber erhebliche Defizite. Das will ich gar nicht verhehlen. Ich glaube, dass die Fähigkeit, völlig neue Sachverhalte allein durch Lesen zu verstehen, in unserer Gesellschaft nicht zugenommen hat ich sage das ganz vorsichtig. Zum Beispiel habe ich auch im Briefverkehr mit meiner Partei manchmal den Eindruck, dass die Fähigkeit, einen völlig neuen politischen Sachverhalt allein aus dem Lesen heraus zu ergründen, nicht unendlich ausgeprägt ist. Da wir eine Volkspartei sind, vermute ich einmal, dass das in anderen Bereichen auch so ist. Herr Westerwelle kann nachher sagen, ob das für die FDP auch so gilt. Da ist es vielleicht noch besser.

Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen versichern, dass wir auch im nächsten Jahr sicherlich viele weitere Gesprächsthemen haben werden. Ich darf Ihnen aber auch versichern, dass wir die Bedeutung Ihrer Branche, wenn ich das so sagen darf, gar nicht hoch genug einschätzen können. Sie vertreten eine Branche im Strukturwandel. In solchen Zeiten des Strukturwandels ist es wichtig, dass Politik nicht überregulierend Leitplanken setzt, in denen die Branche eine Zukunft hat. In diesem Sinne wollen wir uns weiter konstruktiv mit Ihnen um die Zukunft Ihres Bereichs kümmern. Es macht nicht nur Spaß, Zeitungen zu lesen, sondern es macht auch Spaß, vor den Zeitungsverlegern zu sprechen. Ihrem Verband alles Gute.