Redner(in): Angela Merkel
Datum: 30.09.2008

Anrede: Lieber Herr Hirrlinger, liebe Frau Hirrlinger, sehr geehrte Frau Mascher, liebe Kollegen aus dem Kabinett, liebe Ulla Schmidt, lieber Olaf Scholz und Horst Seehofer, liebe Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, hochverehrte Delegierte des außerordentlichen Verbandstages, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/10/2008-09-30-merkel-bundesverbandstages-vdk,layoutVariant=Druckansicht.html


Herr Hirrlinger rief und alle kamen oder zumindest sehr viele. Auch ich bin sehr gerne dieser Einladung gefolgt, um einfach danke zu sagen. Dank Ihnen, Herr Hirrlinger, aber auch Ihnen, Frau Hirrlinger, für den unermüdlichen Einsatz für unser Land in einer ganz bestimmten Arbeit! Was die Ehefrau anbelangt, sicherlich auch eine Menge Verzicht, was den Ehemann betrifft.

Nun habe ich mir überlegt, dass zu viel Lob einer Bundeskanzlerin nicht unbedingt schaden, aber doch Stirnrunzeln hervorrufen könnte. Denn ein Sozialverband und sein Vorsitzender dürfen alles sein, nur nicht bequem. Sie müssen die Finger in offene Wunden legen. Sie müssen den Anliegen der Verbandsmitglieder in der Politik Gehör verschaffen. Deshalb gehört zu einer der herausragenden Eigenschaften, die das ermöglichen, natürlich die Eigenschaft der Beharrlichkeit. Und die haben Sie, Herr Hirrlinger.

Sie haben mit Beiträgen in der Verbandszeitung des VdK begonnen, für die Sie seit 1950 immer wieder Aufsätze zur Sozialpolitik veröffentlicht haben. Deshalb ist eine Unterredung mit Ihnen überhaupt immer nur dann produktiv, wenn man sich in der Materie einigermaßen auskennt. Sie sind, würde ich sagen, schon ziemlich sattelfest in dem, was Sie vertreten. Hartnäckigkeit und Überzeugung haben es dazu kommen lassen, dass Sie Themen in der schnelllebigen Medienlandschaft nicht einfach hochgezogen haben, sondern dass Sie sie vernünftig und richtig platziert, aber auch immer langfristig verfolgt haben. Man darf in diesem Zusammenhang schon sagen: Die Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit ist Ihnen im Laufe Ihrer Arbeit zumindest immer vertrauter geworden. Das ist auch gut so. Manchmal kann man davon sogar etwas lernen.

Es ist vor allen Dingen wichtig, dass Sie die Interessen Ihrer Mitglieder vertreten. Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit würden nicht überzeugen, wenn man nicht aus allem, was Sie tun, die Leidenschaft und Ihre eigene innere Überzeugung spürte, die auch ein Stück weit aus eigenem Erleben erwachsen sind. Durch solche Leidenschaft konnte sich der VdK von einer Interessenvertretung der Kriegsopfer und Kriegsbeschädigten zu einem umfassenden, modernen Sozialverband entwickeln. Sie haben das nicht nur miterlebt, sondern mitgestaltet.

Herr Scholz hat es eben schon gesagt: 1, 4Millionen Mitglieder anwachsend in einer Zeit, in der wir alle um Mitgliederzahlen kämpfen. Das ist etwas, das sich sehen lassen kann. Deshalb dafür ein herzliches Dankeschön! Da ich mich in diesen Tagen viel mit Finanzmärkten beschäftige, wäre mir fast "Milliarde" herausgerutscht. Das mögen Sie mir verzeihen. Sie haben bis 80Millionen noch ein Stück vor sich, aber ich wünsche trotzdem zunehmende Mitgliederzahlen!

Meine Damen und Herren, es geht in unseren Tagen auch das spüren wir; insofern ist der VdK ein moderner Sozialverband um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und natürlich vor allen Dingen um eine verlässliche Stimme der Älteren, der Behinderten in diesem Land, derer, die Opfer geworden sind. Darüber haben wir natürlich immer wieder kontroverse Diskussionen geführt. Ich glaube, Frau Mascher, es wird keiner besonderen Prognosekraft bedürfen, dass das auch in Zukunft so sein kann.

Eine Bundesregierung hat die Aufgabe, an alle Generationen zu denken. Verbände haben die Aufgabe, die Interessen einer bestimmten Gruppe zu vertreten. Durch den leidenschaftlichen Einsatz für die jeweilige Gruppe und durch den Ausgleich der Interessen ist in der Demokratie sichergestellt, dass daraus auch tragfähige Gesetze und Regelungen werden. Ich glaube, uns alle leitet eines, nämlich dass wir den Zusammenhalt der Gesellschaft wollen, dass die Soziale Marktwirtschaft immer ein Bündnis der Schwächeren und der Stärkeren in einer Gesellschaft ist und dass wir dies auch für die Zukunft in einer offenen Welt in einer Welt der offenen Europäischen Union und in einer global zusammenwachsenden Welt schaffen wollen.

Deshalb werden wir leidenschaftlich dafür streiten, dass unsere sozialen Regelungen nicht sozusagen auf dem minimalistischen Niveau europäischer Regelungen vereinheitlicht werden. Deshalb müssen wir aber auch und da beginnen dann eher unsere Kontroversen darüber nachdenken, wie sich unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln wird.

Das hat zu der Regelung der Großen Koalition in Sachen Rente mit 67, schrittweise aufwachsend, geführt. Aber ich habe immer ernst genommen, dass Sie gesagt haben: Das können Sie doch nicht ernsthaft machen, wenn es nicht gelingt, dass diejenigen, die im Erwerbsalter sind, schon mit 55 oder 56Jahren auch wirklich nicht mehr zum alten Eisen erklärt werden. Deshalb sage ich hier ganz deutlich: Wir machen Fortschritte, wenn auch kleine. Aber immerhin machen wir sichtbare Fortschritte. Vor wenigen Jahren waren nicht einmal mehr 40Prozent der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig. Es sind heute wieder 50Prozent. Wir werden uns damit nicht zufrieden geben.

Ich trete genauso leidenschaftlich wie Sie dafür ein, die Fähigkeiten der älteren Menschen genauso zu schätzen wie die Fähigkeiten der jüngeren Menschen. Wenn unsere Gesellschaft nur noch auf Schnelligkeit beruht und Erfahrung überhaupt nicht mehr ins Kalkül gezogen wird, dann ist dies keine menschliche Gesellschaft.

Eine zweite Eigenschaft, die ich schon andeutete, nämlich die Kompetenz, hat Sie bei allen, die ich kenne, zu einem geachteten Gesprächspartner gemacht. Sie haben nie Sozial- und Gesundheitspolitik als ein Feld betrachtet, das nach dem Motto "Wünsch Dir was" beliebig viele Forderungen herauskristallisiert. Das hat uns in der Politik die Arbeit nicht immer einfacher gemacht, weil wir wussten, dass die Wünsche, die Sie unter den vielen denkbaren formuliert haben, natürlich Wünsche und Sehnsüchte von vielen, vielen Menschen sind, die manches in unserem Land nicht verstehen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit Ihnen weiter darüber ringen und streiten.

Sie haben sich immer leidenschaftlich für ein Gesundheitssystem eingesetzt. Sie schätzen nicht jede Gesundheitsreform, obwohl ich Ihnen sagen darf ich tue das aus voller Überzeugung, dass die Gesundheitsreform, die bald in Kraft treten wird die Gesundheitsministerin hat es bescheidenerweise nicht erwähnt, eine gute für das Gesundheitssystem in Deutschland, für die Ärzte, für diejenigen, die pflegen, aber vor allen Dingen auch für die Patienten sein wird. Ich darf Ihnen sagen, dass die Organisation eines Gesundheitssystems in einer entwickelten industriellen Gesellschaft vielleicht der schwierigste Sozialbereich ist, dem wir uns gegenüber sehen. Gerade deshalb wird sich an diesem Bereich für die Zukunft entscheiden, ob wir eine Gesellschaft sind, in der das, was sie sich wünscht, nämlich dass jedem die beste medizinische Versorgung zuteil wird, auch wirklich gelebte Realität ist. Sie dürfen zumindest von der Bundesregierung erwarten, dass wir uns darum nicht nur bemühen, sondern auch ganz konkrete Schritte dazu einleiten und eingeleitet aben.

Lieber Herr Hirrlinger, Sie haben eine dritte Eigenschaft, und zwar die Konzilianz. Immer irgendwie hart in der Sache, aber verbindlich im konkreten Gespräch, außerordentlich offen, freundlich, die Argumente wägend kehren Sie oft dann doch zum eigenen Urteil zurück, vermitteln aber dem Gegenüber immer den Eindruck, dass Sie sich auch in die andere Seite hineinversetzen können. Ich will nicht sagen, dass sich das in jeder Demo und jeder Unterschriftenaktion so widergespiegelt hat, wie man es im persönlichen Gespräch gedacht hat, aber ich darf persönlich sagen, dass ich aus jedem Gespräch bereichert hervorgegangen bin. Sie haben uns Einblick in die Welt von 1, 4Millionen Menschen gegeben, die sich mit ihren Sorgen und ihren Anliegen an Sie wenden und deren Anliegen Sie immer wunderbar vertreten haben.

Deshalb, lieber Herr Hirrlinger, abschließend ein herzliches Dankeschön! Nehmen Sie Ihre Aufgabe als Ehrenvorsitzender ordentlich wahr, wenn ich das so sagen darf also niemals offensichtlich einmischen, aber immer ein wachsames Auge auf das werfen, was stattfindet. Gönnen Sie sich vielleicht ein kleines bisschen mehr Freizeit und Lebenszeit mit Ihrer Frau und Ihrer Familie.

Dass der Staffelstab heute Morgen in die Hände von Frau Mascher weitergegeben wurde, ist, glaube ich, ein Beweis der Kontinuität für den VdK. Wir freuen uns auf Gespräche jedweder Art mit Ihnen, Frau Mascher. Sie sind eine Frau vom Fach. Sie haben das Herz am rechten Fleck. Insofern ist es mir um den VdK nicht bange.

Herzlichen Dank!