Redner(in): Angela Merkel
Datum: 01.10.2008
Anrede: Sehr geehrter Herr Hundt, sehr geehrte, liebe Frau Hundt, liebe Geburtstagsgesellschaft, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/10/2008-10-01-laudatio-merkel-arbeitgeberpraesident,layoutVariant=Druckansicht.html
in diesem Jahr feiern wir mindestens zwei wichtige runde Geburtstage: Zum einen den eines überaus erfolgreichen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells und zum anderen den eines seiner engagiertesten Verfechters. Die Soziale Marktwirtschaft ist 60 geworden. Und Ihnen, lieber Herr Hundt, gratuliere ich auch im Namen der Bundesregierung ganz herzlich zum 70. Geburtstag!
Als ich hier hereinkam, haben wir als erstes über die Podiumsdiskussion gesprochen, die heute Nachmittag zu Ihren Ehren veranstaltet worden ist. Nicht jede Podiumsdiskussion hat innovative Elemente. Die, an der diejenigen teilgenommen haben, die Ihnen heute sozusagen ein Geburtstagsständchen gebracht haben, muss hochspannend gewesen sein. Deshalb bin ich fast ein wenig traurig darüber, sie versäumt zu haben. Aber der Abend verspricht auch interessant zu sein.
Auf jeden Fall haben Sie mit der Themenkombination aus Wirtschaft, Sport und anderem deutlich gemacht, dass Sie ein Mensch sind, der interdisziplinär denkt, vernetzt denkt. Deshalb können wir zum 70. sagen: Innovativ sind Sie immer noch. Herzlichen Glückwunsch!
In diesem Jubiläumsjahr erfährt die Soziale Marktwirtschaft allerdings eine schwere Prüfung. Deshalb will ich am Anfang meiner Rede darauf hinweisen, dass wir durch die Finanzmarktkrise vor allen Dingen ausgehend von den Vereinigten Staaten mit einer Entwicklung konfrontiert sind, die immer weitere Kreise zieht und die sozusagen die Tonalität, in der wir arbeiten und Politik gestalten, doch erheblich verändern kann. Keiner kann jetzt die Folgen absehen.
Bevor ich weiter auf den Jubilar zu sprechen komme, möchte ich doch sagen, dass wir auf jeden Fall eines erleben, was der Sozialen Marktwirtschaft im Grunde immanent ist: Es gibt keine dauerhafte völlige Entkopplung von bestimmten Erscheinungen in Finanzmärkten und von Erscheinungen in der Realwirtschaft. Die Realwirtschaft, in der Herr Hundt im Wesentlichen zu Hause ist, hat gezeigt, dass man mit Maß und Mitte auf Dauer erfolgreich wirtschaften kann. Und genau das werden die Finanzmärkte jetzt, nach dieser Krise, auch lernen. Das ist meine feste Überzeugung. Das heißt, sie existieren nicht außerhalb der Sozialen Marktwirtschaft, sondern sie werden sich in die Regeln der Sozialen Marktwirtschaft hineinbegeben. Das heißt eben, dass es auch für die Finanzmärkte Regeln geben muss.
Es ist Tatsache, dass der Präsident des Arbeitgeberverbandes, jemand, der Erfahrung mit der Übernahme von Verantwortung in unserem Lande hat, jetzt auch wieder vor einer harten Tarifrunde steht. Herr Kannegiesser hat das eben höflich nur angedeutet und Herrn Huber im Kreis begrüßt, aber nicht in der Runde wobei man einmal eine akademische Betrachtung über den Unterschied von Kreis und Runde anstellen müsste. Ich glaube, die Ellipse gehört auch in die Eigenschaft der Runde. Ich hoffe jedenfalls, dass es in der Tarifrunde ohne zu viele Auswuchtungen geht, und möchte mich ansonsten in die Sache nicht einmischen, denn das ist ja das Schöne an Deutschland: Die Verantwortungen sind unterschiedlich verteilt, aber alle tragen wir Verantwortung für das Gemeinwesen. Diese Verantwortung muss zugeordnet sein, sie muss Regeln kennen.
Deshalb haben Sie, lieber Herr Hundt, sich auch immer stark gemacht für die Tarifpartnerschaft und für die konstruktive Zusammenarbeit der Tarifparteien. Sie haben das persönlich stets vorgelebt. Sie haben sich für den Erhalt der Mitbestimmung ausgesprochen. Und ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, dass Mitbestimmung eben kein Irrtum der Geschichte ist. Ich glaube, sie ist ebenso wie die Tarifautonomie unverzichtbar für eine erfolgreich gelebte Soziale Marktwirtschaft.
Neben der Tarifautonomie und der Mitbestimmung nenne ich, weil aller guten Dinge drei sind, ein drittes Element: Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Erfolg der Unternehmen. Ich glaube, auch hier ist es alle Mühe wert, in Zeiten der Globalisierung viel Kraft darauf zu lenken, dass wir die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ausbauen. Die Bundesregierung hat hier einen weiteren Schritt unternommen. Ich werde politisch auch in Zukunft dafür kämpfen, dass das vorangeht.
Sie, lieber Herr Hundt, treten immer wieder mit klaren Worten und pointiert für bessere Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft ein. Das ist richtig aus Ihrer Verantwortung heraus als Arbeitgebervertreter, aber auch aus der Verantwortung im Rahmen der Tarifautonomie für die Arbeitnehmer heraus. Ihr Wort als erfahrener Anwalt der Arbeitgeber hat Gewicht.
Ich glaube, die Tatsache der moderaten Tarifpolitik, die eben auch von Herrn Kannegiesser erwähnt wurde, hat uns auch davon überzeugt, dass Tarifautonomie ihre Chance und nicht nur ihre Chance, sondern auch ihre Wichtigkeit und Bedeutung in unserer Gesellschaft hat. Ich glaube, dass die Ergebnisse der Tarifpolitik der letzten Jahre auch ein wichtiger Beitrag dazu waren, dass die deutsche Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit zugelegt hat.
Dass die Sozialversicherungsbeiträge in den letzten Jahren gesunken sind, war dabei zumindest nicht hinderlich, wie der Norddeutsche sagen würde. In Schwaben heißt es: Nichts gesagt, ist genug gelobt. Ich glaube, aus dem Land kommt Herr Hundt. In manchen Teilen Deutschlands würde man sogar sagen: Es hat geholfen. Wir wissen auch um unsere Verantwortung, die paritätischen Beiträge auch weiterhin unter 40Prozent zu halten.
Ich glaube, dass angesichts der sich verschärfenden Konjunkturlage die Frage wirtschaftlicher Vernunft in den nächsten Jahren weiter von allergrößter Bedeutung sein wird. Es wäre ich hoffe, wir stimmen darin überein ein Fehler, kurzlebige Konjunkturprogramme auf Pump zu finanzieren. Wir müssen auch angesichts der demografischen Veränderungen in unserem Land dafür Sorge tragen, dass wir für die Zukunft und den Wettbewerb der Zukunft gerüstet sind. Deshalb muss es unser Ziel bleiben, 2011 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben eine Sache, die von allerdringlichster Bedeutung ist, wenn wir uns überlegen, dass wir inzwischen 15Prozent unseres Bundeshaushalts nicht etwa für Forschung und Bildung ausgeben, sondern für Zinsen. Wenn wir dies in den nächsten 30, 40 Jahren noch verschärfen, werden kommende Generationen keine Spielräume mehr für Innovationen haben.
Meine Damen und Herren, lieber Herr Hundt, wir sind uns, glaube ich, vollkommen einig, dass, wenn es um die Investitionen in die Zukunft geht, diese nicht nur im technologischen Bereich, sondern z. B. auch im Bereich der Bildung liegen. Ausbildung und Qualifizierung sind Schlüssel für die Zukunft. Ich möchte mich an dieser Stelle bei der deutschen Wirtschaft für das bedanken, was im Ausbildungspakt geleistet wird. Ich möchte darauf hinweisen, dass in wenigen Jahren der Fachkräftemangel eine bestimmende Frage unserer Gesellschaft sein wird und es deshalb vor allen Dingen wichtig ist, die jungen Menschen in den Genuss einer solchen Bildung zu bringen, dass sie ihre Chance nutzen können, dass uns keiner verloren geht.
Wir haben heute eine Veranstaltung im Bundeskanzleramt gehabt, zu der wir die Gastarbeiter der ersten Generation eingeladen und ihnen ein Dankeschön gesagt haben für das, was sie für die deutsche Wirtschaft geleistet haben. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, dass es in der dritten, vierten Generation nicht etwa automatisch besser geworden ist. Ich will an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir heute schon bei den unter 25-Jährigen in den gut industrialisierten Gebieten Deutschlands 40 bis 50Prozent Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund haben. Wenn es uns nicht gelingt, diese jungen Menschen zu Facharbeitern der Zukunft zu machen, dann wird der Fachkräftemangel eines der gravierenden qualitativen Probleme Deutschlands sein. Deshalb müssen wir hier an einem Strang ziehen, wenn es um deren Zukunft geht.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie deshalb auch ermuntern, gemeinsam mit uns auf dem Weg weiterzugehen, das Interesse an technischen, an Ingenieurberufen und an Naturwissenschaften zu wecken und auszubauen. Das ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass die industrielle Struktur Deutschlands erhalten bleiben kann. Ich glaube, dies ist auch eine der wesentlichen Aufgaben der Zukunft.
Lieber Herr Hundt, Sie könnten all die Arbeit als Präsident der BDA nicht leisten, wenn Sie nicht ein zutiefst verwurzelter Unternehmer gewesen und geblieben wären und das mit ganzer Leidenschaft. Ich konnte mich während der 100-Jahr-Feier der Allgaier Werke vor zwei Jahren davon überzeugen. Unter Ihrer Leitung haben sich die Allgaier Werke zu einem innovativen, international starken Maschinenbau- und Automobilzulieferunternehmen entwickelt. Ich vermute, dass all das, was Sie hier in diesem Straßenbahndepot, jetzt mit Autos und Traktoren ausgestattet, sehen, Sie an manches erinnert, was Sie in Ihrem Leben stark begleitet hat. Sie haben die Geschäftsfelder des Unternehmens erweitert, ausländische Märkte erschlossen und damit Integration in die Weltwirtschaft gelebt. Umsätze und Beschäftigtenzahlen sind gestiegen. Und so stehen die Allgaier Werke heute beispielhaft für die Tradition und den Erfolg des deutschen Mittelstandes, für das handwerkliche Können, die Findigkeit der Facharbeiter und der Ingenieure.
Ihr Führungsstil, lieber Herr Hundt, ist nach Ihrer eigenen Einschätzung vom Mannschaftssport geprägt. Das hat auch etwas mit Mitbestimmung und Kameradschaftlichkeit, Fairness und dem Verstehen anderer Interessen zu tun. Dass Mannschaftssport Sie in vielerlei Hinsicht begleitet hat, das weiß man. Fußball ich glaube, Stuttgart; es mögen auch noch andere Vereine sein ist etwas, was Sie immer wieder bewegt hat. Sie verlangen deshalb Einsatz, Teamarbeit und Bereitschaft, schnell mal einzuspringen, wenn gerade Not am Mann ist. Sie wissen, ein Team ist nur so gut, wie seine Zusammenarbeit funktioniert.
Nun haben Sie sich zwar schon aus der operativen Geschäftsführung zurückgezogen, aber Sie haben sich niemals von Ihrer Traditionsfirma verabschiedet. Sie sitzen dem Aufsichtsrat vor und entnehmen den Entwicklungen in Ihrem Betrieb vieles, was Sie dann auch für Ihre Arbeit für unser Gemeinwesen nutzen können.
Seien wir ehrlich: Wir können uns noch nicht vorstellen, dass Sie in den Ruhestand gehen. Wir denken uns ich weiß nicht, liebe Frau Hundt, wie Sie darüber denken, dass das doch eher mit Unruhe zu tun haben wird. Deshalb glaube ich, dass Sie auch die Arbeit der Bundesregierung weiter kritisch, aber doch immer konstruktiv begleiten werden.
Sicherlich, wir sind in nicht wenigen Fragen nicht immer einer Meinung. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich manchen Morgen, wenn ich Ihre Interviews gehört habe, schon fast deprimiert zu meiner Tätigkeit schreite. Ja, so ist das; ich nehme mir das halt zu Herzen. Oftmals lesen Sie mir und der Bundesregierung auch kräftig die Leviten. Aber ich versichere Ihnen, ich verstehe es nach einigem Nachdenken dann immer doch als eines: als Ansporn. Sie mahnen, kritisieren, verwerfen, drängen das ist Ihre Aufgabe, um der Politik Beine zu machen. Wäre es reiner Selbstzweck, dann könnte ich damit nichts anfangen. Aber ich weiß, das ist es nicht. Es ist vielmehr Ausdruck Ihres Einsatzes für ein trotz aller Unterschiede gemeinsames Ziel das Ziel, Deutschlands Attraktivität als Land der Sozialen Marktwirtschaft weiter zu stärken, damit sich unser Land in Sachen Wachstum, Beschäftigung und sozialer Sicherheit auch in der Globalisierung behaupten kann, und das zum Wohle der Menschen.
Deshalb wünsche ich Ihnen und vor allen Dingen auch Ihrer Frau und Ihrer Familie alles Gute, viel Kraft, viel Inspiration, viel Freude am Leben und immer wieder auch gute Ideen für unser Gemeinwesen! Herzlichen Glückwunsch und alles, alles Gute, vor allen Dingen Gesundheit!