Redner(in): k.A.
Datum: 02.10.2008

Untertitel: Rede von Staatsminister Hermann Gröhe auf der Konferenz "Standortvorteil Bürokratieabbau" beim Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerb­lichen Wirtschaft in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Schnappauf, sehr geehrter Herr Dr. Stoiber, sehr geehrter Herr Dr. Ludewig, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/10/2008-10-02-groehe-b_C3_BCrokratieabbau,layoutVariant=Druckansicht.html


für Ihre Einladung, über den Bürokratieabbau in Deutschland zu sprechen, möchte ich Ihnen danken. Sie geben mir damit die Möglichkeit, schon am Tag nach meinem Dienstantritt deutlich zu machen, wie wichtig das Thema Bürokratieabbau für die Bundesregierung und auch für mich ganz persönlich ist.

Den intensiven Meinungs- und Erfahrungsaustausch, den Frau Müller mit vielen von Ihnen gepflegt hat, setze ich damit sehr gerne fort. Von ihr darf ich Ihnen auch die besten Grüße übermitteln.

I. Bürokratieabbau als Aufgabenbereich hat gerade für einen "Koordinator der Bundesregierung" eine ganze Reihe von Vor- aber auch Nachteilen. Am auffallendsten ist, dass fast jeder von uns wenn nicht Experte so doch wenigstens leidtragender Sachverständiger für Bürokratie und ihren Abbau ist.

Wir alle kennen sie, die Beispiele für mehr oder minder geglückte Regelungen: mehrseitig engbedruckte Formulare, die Suche nach dem zuständigen Ansprechpartner in einer Behörde oder auch Auflagen, die zum Beispiel dem Arbeitsschutz dienen sollen, aber von den Praktikern im Betrieb als praxisfern und unsinnig betrachtet werden.

Und allzu oft sind es auch gar nicht die Regelungen selbst, die als ärgerlich empfunden werden. Häufig sind es Folge- oder Nebenwirkungen. So hat neulich ein leitender Mitarbeiter eines großen Bankhauses berichtet, die Pflicht, ein Organisationshandbuch aufzulegen, die sei ja für sich genommen kein Problem. In einem großen Haus wie dem seinen, sei das doch ganz selbstverständlich und absolut notwendig.

Dass allerdings die Detailvorschriften von der zuständigen Behörde sicher in bester Absicht ständig verändert und fortgeschrieben würden, verursache nun doch sehr viel mehr Arbeit als Nutzen.

Ich bin ganz sicher, Ihnen fallen wie mir auch spontan noch sehr viele dieser Beispiele ein.

Auch die Lösungen sind schnell bei der Hand: Vorschriften sollen abgeschafft werden, Grenzwerte angehoben und zum Beispiel auf Statistikpflichten möglichst ganz verzichtet werden.

Allerdings zeigen sich hier schon die ersten Probleme:

Die Abschaffung von Statistikpflichten, kann zum Beispiel dazu führen, dass am Ende nur noch wenig differenzierte Daten zur Verfügung stehen: Wenn wir die Zahl der befragten Unternehmen reduzieren, dann können die Daten unter Umständen eben nicht mehr für jedes Bundesland oder jeden Kreis ausgewertet werden.

Wenn Bundesländer wie das Saarland, Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg ihre Bauordnungen vereinfachen und Genehmigungspflichten reduzieren und ich begrüße dies ausdrücklich, dann kann es unter Umständen sein, dass Architekten und Prüfstatiker mehr Verantwortung zu tragen haben, auch wenn sie das zusätzliche wirtschaftliche Risiko lieber nicht schultern würden.

Doch es gilt: Wer weniger Gängelung will, muss auch den Mut haben, mehr Freiheit und Verantwortung zu wagen.

Und wenn Bundesminister Seehofer anweist, die Verfahren rund um den Rinderpass zu vereinfachen ganz konkret ging es hier um die Pflicht, den Pass körperlich bei einem Transport mitzuführen dann kann es eben auch sein, dass die Fachleute erst mal sagen, gerade diese Pflicht sei doch sehr vernünftig.

Mit einem Wort: Immer dann, wenn es konkret wird und reale Veränderungen bevorstehen, findet sich bestimmt jemand, der erläutern kann, warum gerade diese oder jene Vorschrift unumgänglich, besonders wichtig oder sinnvoll sei. Dabei ist es völlig unerheblich, ob die Gründe in einer politischen Motivation oder in wirtschaftlichem Kalkül liegen. So oder so liegt die Herausforderung des Bürokratieabbaus im Detail.

Das gilt insbesondere, wenn wir uns das Zusammenspiel der verschiedenen Regelungs- und Verwaltungsebenen ansehen: Natürlich können die Verwaltungsebenen vor Ort wichtige Änderungen in eigener Zuständigkeit erreichen.

Ein sehr gutes Beispiel für die Möglichkeiten, den Aufwand auf der Vollzugsebene zu reduzieren, ist die Gütegemeinschaft Mittelstandsorientierte Kommunalverwaltung, die unter anderem vom Rhein-Kreis Neuss initiiert wurde der Heimatstolz sei hier erlaubt. Ihr Ziel ist es, verbindliche Gütekriterien zu schaffen, die die Mittelstandsorientierung einer Kommunalverwaltung bundesweit nachprüfbar und vergleichbar machen.

Heute gehören unter der Schirmherrschaft von Hartmut Schauerte, dem Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung und Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium 36 Kommunen der Gütegemeinschaft an.

13 von ihnen haben das Gütezeichen bisher verliehen bekommen. Unternehmen, die sich in diesen Kommunen an die Verwaltung wenden, können sich darauf verlassen, dass sie sieben Tage nach Eingang eines Antrages einen Zeitplan über das weitere Verfahren erhalten, oder dass Rechnungen binnen 15 Tagen zuverlässig bezahlt werden.

II. Vor diesem Hintergrund hat sich die Bundesregierung mit ihrem Programm Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung selbst verpflichtet, Bürokratiekosten messbar abzubauen und das Entstehen neuer Informationspflichten zu verhindern.

Wir zielen dabei, wie Sie wissen, meine Damen und Herren, auf eine Reduzierung von 25 Prozent der gegenwärtigen Bürokratiekosten bis 2011. Und ganz selbstverständlich kann es dabei nicht darum gehen, mit der einen Hand die bestehenden Bürokratiekosten der Wirtschaft abzubauen und sie mit der anderen im neuen Recht wieder aufzubauen.

Meine Damen und Herren, die Sorge, die Sie in den Stellungnahmen der letzten Monate geäußert haben, will ich Ihnen gerne nehmen: Sowohl das Regierungsprogramm als auch das NKR-Gesetz verpflichten uns eindeutig Be- und Entlastungen gleichermaßen in den Blick zu nehmen.

Damit das aber gelingen kann, ist es wichtig, die Diskussion um die Kosten der Bürokratie auf eine sachliche Ebene zu stellen. Dazu gehört neben einem Verständnis, worum es überhaupt geht, auch die Frage, wie wir "die Bürokratie" und vor allem die Kosten, die sie verursacht, messen können.

Deswegen wurden

neben einer Reihe konkreter Entlastungen durch die Mittelstandsentlastungsgesetze undder Einrichtung eines unabhängigen Nationalen Normenkontrollrates auch beschlossen, das Standardkosten-Modell als Instrument für die Kontrolle der Bürokratiekosten einzuführen unddie Bemühungen auf der EU-Ebene systematisch zu unterstützen.

Über den aktuellen Stand der Dinge in Brüssel und beim Normenkontrollrat wurden Sie, meine Damen und Herren, soeben aus erster Hand informiert. Ich werde mich daher also auf den Stand der Bürokratiekostenmessung und der Vereinfachungsmaßnahmen konzentrieren.

Die Bundesministerien haben auf der Grundlage des Standardkosten-Modells über 9.000 Informationspflichten in deutschen Gesetzen und Verordnungen identifiziert und dem Statistischen Bundesamt zur Messung gemeldet.

Die Kosten, die durch diese Informationspflichten verursacht sind, wurden inzwischen gemessen. Im Augenblick gibt es noch für zwei dieser Pflichten Gespräche zwischen den Fachleuten, wie hoch die Fallzahlen sind und welche Tätigkeiten im betrieblichen Alltag diesen Pflichten zuzuordnen sind.

Ich möchte dem Bericht nicht vorgreifen, kann Ihnen aber schon heute signalisieren, dass sich die Summe der gemessenen Belastungen aus dem Zwischenbericht vom Frühjahr 2008 von rund 30 Mrd. EUR pro Jahr durch die Messung zahlreicher EU-Richtlinien nochmals deutlich erhöht hat.

Zurück nach Deutschland: Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Verbänden und die Befragten in den Unternehmen und Betrieben haben ganz entscheidend zum Erfolg dieser "Nullmessung" des Bestandes der Bürokratiekosten beigetragen: Sie haben sich mit Ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung eingebracht und sie haben uns zahlreiche Vereinfachungsvorschläge und Anregungen für den Prozess des Bürokratieabbaus mit auf den Weg gegeben.

Ich bin sehr dankbar, dass Sie damit Ihre grundsätzlich positiven Stellungnahmen zum Regierungsprogramm auch durch Ihre konkrete Mitwirkung unterstrichen haben.

Die systematische Messung der Bürokratiekosten nach dem Standardkosten-Modell erfüllt dabei drei Zwecke:

1. Sie lenkt unsere Aufmerksamkeit, auf die Pflichten, die die höchsten Kosten verursachen für die Wirtschaft als Ganzes oder auch für einzelne Branchen oder im Einzelfall.

2. Sie hilft uns selbst zu kontrollieren, ob die Veränderungen, die wir einleiten, auch tatsächlich wirken und

3. gibt die Messung uns auch Hinweise, wo im Einzefall weitere Vereinfachungen möglich sind.

So führen einerseits hohe Zeitansätze für das Ausfüllen von Formularen automatisch zu Fragen, ob die erforderlichen Daten nicht auch online übermittelt werden können oder in anderen Quellen zur Verfügung stehen.

Im Bereich der Handwerkszählung gehen wir jetzt zum Beispiel mit dem Entwurf des 3. Mittelstandsentlastungsgesetzes diesen Weg. Anstatt über 460.000 Betriebe vor Ort zu befragen, wollen wir künftig vorhandene Verwaltungsdaten nutzen.

In jedem Falle aber lohnt sich der prüfende Blick, ob die vom Gesetzgeber festgelegten Zwecke nicht auch einfacher erreichen werden können.

Diesen Blick wagen übrigens auch die Träger der Sozialversicherungen: Sie haben sich entschlossen, auch in ihren Zuständigkeitsbereichen das Standardkosten-Modell einzusetzen und arbeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen eng mit dem Normenkontrollrat und dem Bundeskanzleramt zusammen.

Über die richtigen Vereinfachungsmaßnahmen müssen wir also nun innerhalb der Regierung, mit dem Gesetzgeber und nicht zuletzt mit Ihnen als den Betroffenen diskutieren.

Zu der Frage, welche Vereinfachungen im Einzelfall möglich sind, wird es dabei immer verschiedene Ansichten geben. Sie hängen zu einem guten Teil vom Grad der eigenen Betroffenheit ab, zum anderen Teil aber auch von den Grundüberzeugungen, die jeden von uns als Maßstab und Orientierung leiten.

Wir brauchen diese Auseinandersetzung, dieses Ringen um die richtige Balance zwischen Freiheit, Sicherheit und Verwantwortung. Geht es um Freiräume für Unternehmen, die wir uns vom Bürokratieabbau erhoffen, habe ich als Unions-Politiker durchaus Ideen, wie wir hier wirklich spürbar bessere Rahmenbedingungen schaffen könnten. So notwendig der Streit um gesellschaftspolitische leitbilder ist, so gut ist doch auch die Versachlichung.

Bereichert wird diese Diskussion nun durch die Zahlen und Fakten, die die Messung der Bürokratiekosten liefert. Der Normenkontrollrat ist für uns dabei schon nach sehr kurzer Zeit zu einem wichtigen, stets konstruktiv-kritischen Partner geworden.

In der Summe haben wir auch durch Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren, ein gutes Gefühl dafür bekommen, welche Regelungen besonders belastend sind oder doch wenigstens so empfunden werden.

Mit dem Bericht der Bundesregierung werden wir noch im Herbst mehrere hundert Vereinfachungsmaßnahmen der Bundesministerien benennen können.

Die Spannbreite reicht dabei von prominenten Beispielen wie Elena "[Elektronischer Einkommensnachweis] oderder Modernisierung des Bilanzrechts überdie drei Mittelstandsentlastungsgesetze, die ressortübergreifend unter der Federführung des Wirtschaftsministeriums entstanden sind, bis hin zu Maßnahmen, die zwar" nur " kleine Gruppen betreffen, für diese aber besonders wichtig sind.

So sind zum Beispiel die Formvorgaben für den Nachweis der Verwendung von Arzeneien bei Tieren, die Lebensmittel liefern, vereinfacht worden. Jetzt ist es etwa möglich, solche Nachweise elektronisch zu führen. Tierärzte und Betriebe sparen so mehr als 30 Millionen Euro im Jahr ein.

Umgekehrt gibt es Maßnahmen, die sind zwar wirksam, werden in der betrieblichen Praxis nicht ohne weitere auffallen: So hat zum Beispiel der Bundesminister der Finanzen bereits 2.500 Verwaltungsvorschriften ( sogenannten BMF-Schreiben ) aufgehoben und wird damit die Wirtschaft um mehrere hundert Millionen EUR pro Jahr entlasten.

Auffallen wird das jedoch zunächst nur den Fachleuten und viele von denen werden sagen, gerade diese oder jene Regelung sei ja doch irgendwie sinnvoll gewesen.

Ich bin sicher, dass die Vereinfachungsmaßnahmen der Bundesregierung insgesamt ihren Beitrag dazu leisten werden, die Chancen für Wachstum und Beschäftigung in unserem Land weiter zu verbessern so wie wir uns das im Regierungsprogramm vorgenommen haben.

Und durch ein Maximum an Offenheit und Aufklärung wollen wir auch dazu beitragen, dass Wirkung und Wahrnehmung auch im Einklang stehen.

III. Dazu gehört auch, dass Ihnen, meine Damen und Herren, wie auch den Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern und Kommunen unsere Daten umfassend zur Verfügung stehen.

Einerseits dient die Transparenz der Qualität der Daten und der ebenenübergreifenden Zusammenarbeit zwischen EU, Bund, Ländern und Kommunen. Andererseits ist die Offenheit, die bis ins Detail geht, auch als sensibilisierende und vertrauensbildende Maßnahme zu verstehen.

Schon allein die Diskussion über die Häufigkeit, mit der bestimmte Pflichten erfüllt werden müssen, und über den Aufwand, der bei den Betroffenen dafür nötig ist, schärft in den jeweils verantwortlichen Bundesministerien das Verständnis für die "Nebenwirkungen" vieler Regelungen.

Gleichzeit können Sie so sicher sein, dass wir uns hier nicht nur mit Schönwetter-Reden und dem Abbau sogenannten "toten Rechts" beschäftigen, das sowieso nicht mehr zur Anwendung kommt.

Mein Dank gilt dabei den Kolleginnen und Kollegen in den Bundesministerien und im Statistischen Bundesamt, die diese in Deutschland bisher einmalige Erhebung mit großem Engagement und Einsatz durchgeführt haben. Und auch dem Normenkontrollrat, der den Bürokratieabbau mit großer Sorgfalt begleitet.

IV. Ich hoffe auch, dass wir in der Zwischenzeit Ihre Sorgen, die unsere Methodik betreffen, weitgehend zerstreuen konnten, und biete Ihnen gerne an, den begonnen Dialog fortzusetzen.

Die Studien, die Sie heute morgen vorgestellt haben, werden wir dazu sorgfältig auswerten und sehen, was wir in die Weiterentwicklung des Bürokratieabbaus aufnehmen können.

Unser Ziel ist es, den objektiven und selbstkritischen Blick auch auf die Risiken und Nebenwirkungen zu einem selbstverständlichen Teil von Gesetzgebung und der Verwaltungsarbeit zu machen. Ob sich dieser Blick dauerhaft auf die Kosten der Informationspflichten beschränken muss, vermag ich im Moment noch nicht zu beurteilen.

Die aktuelle Konzentration auf diesen bestimmten Teil der Belastungen, betrachte ich dabei jedoch nicht als Beschränkung sondern als Stärke des Programms.

Abschließend möchte ich daran erinnern, dass wir uns dazu verpflichtet haben, neben der Wirtschaft auch Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung zu entlasten.

V. Heute bin ich froh über das Erreichte und freue mich auf die kommenden Monate, in denen wir beim Bürokratieabbau auf nationaler und internationaler Ebene noch deutlich weiter kommen werden.

Das Zwischenziel, dass wir uns in der Bundesregierung vorgenommen haben, liegt in greifbarer Nähe und ich meine auch, immer öfter ein gewisses Aufatmen aus der Wirtschaft zu hören, wenn Vereinfachungen in der Praxis ankommen.

Darüber hinaus sehe ich auch gute Chancen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft in die Politik in Brüssel und in Berlin wieder zu stärken.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich sehr, wenn wir Bundesregierung, Wirtschaft und Sozialpartner weiter gemeinsam daran arbeiten, die Chancen für Wachstum und Beschäftigung auch durch Bürokratieabbau und Bürokratieverhinderung weiter zu verbessern.