Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 16.10.2008

Untertitel: Das Projekt Jedem Kind ein Instrument, die Nationale Initiative Printmeiden, aber auch die Stiftung Genshagen wurden in dieser Rede durch Kulturstaatsminister Bernd Neumann thematisiert.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/10/2008-10-17-rede-neumann-kas-kulturelle-bildung,layoutVariant=Druckansicht.html


Es gilt das gesprochene Wort. -

Über kulturelle Bildung zu reden ist wichtig, denn sie ist die Grundlage dafür, dass sich die Menschen in Deutschland aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft beteiligen können. Kulturelle Bildung ist eine Schule der Toleranz, indem sie Werte vermittelt und Verstehen ermöglicht. Darum begrüße ich die heutige Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung sehr.

Über kulturelle Bildung nur zu reden, ist im gewissen Sinn aber auch müßig, denn wir haben in Deutschland bereits zahlreiche Initiativen, wir haben Gesetze, Richtlinien und Empfehlungen. Die kulturelle Bildung krankt in Deutschland nicht am Mangel an Theorie, sondern schlicht am Mangel an ihrer systematischen Anwendung. Theoretisch haben alle Kinder in deutschen Schulen Kunst- und Musikunterricht, praktisch aber sieht es so aus, dass gerade die künstlerisch-musischen Stunden besonders häufig ausfallen. An vielen Schulen müssen sich die Kinder sogar zwischen Kunst- und Musikunterricht entscheiden oder die Fächer werden nur noch "epochal", also abwechselnd im Jahresturnus unterrichtet. Die bittere, dennoch leider völlig zutreffende Analyse von Professor Hans-Günther Bastian, nachzulesen im Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages "Kultur in Deutschland", lautet denn auch: Die Schüler müssen ästhetisch gesehen wählen zwischen einem Jahr Taubheit und einem Jahr Blindheit ". Die Verkürzung der eit trägt zur Verschärfung der unbefriedigenden Situation zusätzlich bei.

Sicher wird der eine oder andere unter uns seinen Musikunterricht nicht in allerbester Erinnerung haben. Notenlesen, Blockflöte spielen und Singen sind nicht jedermanns Sache. Doch dieser Unterricht hat bei vielen ein Fundament für das Verstehen von Musik gelegt, auf das man aufbauen kann. Dieses Fundament zu legen ist auch das Anliegen des großen Projekts "Jedem Kind ein Instrument", das die von meinem Haus getragene Kulturstiftung des Bundes gemeinsam mit dem Land NRW finanziert. Das große Ziel: Alle 200.000 Grundschulkinder im Ruhrgebiet sollen ein Instrument erlernen können.

Dafür stellen mein Haus und Nordrhein-Westfalen insgesamt jeweils 10 Millionen Euro für den Zeitraum von 2007 bis 2010 zur Verfügung, dazu kommen von Seiten des Landes noch über 5 Millionen für den Pflichtunterricht der Erstklässler. Weitere 15,6 Millionen kommen aus Elternbeiträgen, von den Kommunen und von privaten Spendern. Das Forschungsministerium hat bis zu 4 Millionen Euro für die Erforschung der individuellen und sozialen Auswirkungen des Programms zugesagt. Ende August konnte ich gemeinsam mit dem Bundespräsidenten und mit Ministerpräsident Rüttgers den ersten Grundschülern in Gelsenkirchen ihr Wunschinstrument überreichen. Ein Jahr hatten diese Kinder Noten gelernt und sich theoretisch mit der Musik beschäftigt. Das hat Ängste und Schwellen abgebaut, die jeder kennt, der zum ersten Mal ein Notenblatt sieht oder ein Instrument in Händen hält.

Projekte wie "Jedem Kind ein Instrument" machen Mut aber sie zeigen auch die Lücken auf, die wir leider in Deutschland beklagen müssen. Die Enquete-Kommission hat einen ganzen Katalog an konkreten Handlungsvorschlägen und Maßnahmen zusammengestellt, auf die sicher in der heutigen Podiumsdiskussion detailliert eingegangen wird. Naturgemäß denn Bildung ist Ländersache richten sich die Handlungsempfehlungen in erster Linie an die Länder und Kommunen.

Doch vor dem Hintergrund der offenkundigen Mängel sieht auch der Bund seine nationale Mitverantwortung für die kulturelle Bildung, die wir wahrnehmen. Projekte mir Bundesbeteiligung haben Pilotfunktion und unsere Einrichtungen können Beispiel gebend wirken. Nicht zuletzt kooperieren wir mit den Bundesländern, um die vielfältigen Aktivitäten im Land besser zu vernetzen. Wir benötigen eine fundierte Vermittlungsarbeit schon deshalb, weil wir auch morgen ein Publikum, weil wir auch morgen Künstler und Kreative brauchen. Es ist doch letztendlich so, dass wir für dieses Publikum, dass wir für die Künstler und kreativen Köpfe von morgen unsere Museen und Bibliotheken, unsere Theater und Opernhäuser erhalten. Es ist eine schreckliche Vorstellung, dass uns die nächste Generation fragen könnte, wozu man all " die teuren Einrichtungen braucht, weil ihr der Zugang zu unserem kulturellen Erbe fehlt.

Der Bund kann keine Musikschulen fördern oder Kunstschulen einrichten und unterhalten. Für den Bund sehe ich deshalb im Wesentlichen übergreifende Aufgabenfelder in der kulturellen Bildung. Dabei sind räumlich begrenzte Pilotprojekte wie "Netzwerk Neue Musik" oder "Jedem Kind ein Instrument" von großer Bedeutung, denn sie regen bundesweit zur Nachahmung an.

Ganz zentral sind auch die großen, deutschlandweiten Initiativen wie "Vision Kino". Dieses Netzwerk für Film- und Medienkompetenz organisiert seit 2005 gemeinsam mit den Einrichtungen der Länder Schulkinoprojekte, die in diesem Jahr über 470.000 Schülerinnen und Schüler erreicht haben. Begleitet werden die Veranstaltungen von zahlreichen Fortbildungen und Seminaren für Lehrerinnen und Lehrer, um das Fundament für die Vermittlungsarbeit zu legen.

Dazu dienen auch die zahlreichen Lehrmaterialien die Vision Kino gemeinsam mit Partnern auf Bundes- und Landesebene für einzelne Spielfilme erarbeitet. Vision Kino " ist ein wichtiger Baustein für den Erhalt des Kinos als Kulturort und die Vermittlung von kultureller Filmbildung. Wir unterstützen diese Arbeit mit rund 500.000 € jährlich.

Ohne die Hintergrundinformationen aus Zeitungen und Zeitschriften, ohne Reflexion des eigenen Standorts in der Gesellschaft ist kaum Kulturverständnis möglich. Eine erst kürzlich von Allensbach durchgeführte Studie

zeigt, dass zwischen den Jahren 2000 und 2008 die Quote der Zeitungsleser bei den 14- bis 29-jährigen von 54 auf 41 % zurückgegangen ist. Damit einher geht ein wachsendes Desinteresse an kulturellen und politischen Themen. Das ist symptomatisch.

Die "Nationale Initiative Printmedien" meines Hauses will diesen alarmierenden Tendenzen entgegenwirken. Ich bin überzeugt, dass Zeitunglesen grundlegend für die Entwicklung einer reifen, mündigen Persönlichkeit ist. Um das Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen für die Bedeutung des Zeitungslesens zu schärfen, schreibt die Nationale Initiative Printmedien jährlich einen großen Schulwettbewerb aus. Noch bis zum 31. Januar 2009 können sich Schulklassen oder freie Jugendgruppen mit ihren Arbeiten zum Thema "Mein Land Deutschland 60 Jahre Bundesrepublik" bewerben.

Wir dürfen jedoch auch die digitalen Medien nicht vergessen, die die Welt

der Heranwachsenden heute so stark bestimmen. Es hat keinen Sinn davor die Augen zu verschließen.

Darum haben wir gemeinsam mit großen Medienunternehmen in Deutschland das "Netz für Kinder" geschaffen, das Kindern einen sicheren Surfraum bietet. So können Kinder den Umgang mit dem Internet lernen, ohne durch bedenkliche Inhalte gefährdet zu werden. Auch für die Eltern ist das eine große Entlastung. Der "Computerspielepreis" schließlich, den wir zusammen mit der Spiele-Branche vergeben werden, soll die Entwicklung pädagogisch wertvoller und anspruchsvoller Spiele fördern.

Neben diesen Projekten kann mein Haus aber auch wirksame Hilfe bei der Vernetzung von lokalen und regionalen Akteuren leisten. Wir haben vor knapp einem Jahr dazu eine Veranstaltung im Jüdischen Museum hier in Berlin durchgeführt. Derzeit sind wir mit den Ländern im Gespräch, wie konkrete weitere Pläne aussehen können.

Wir stehen auch mit unseren europäischen Partnern und insbesondere Frankreich und Polen, wo kulturelle Bildung derzeit ebenfalls Priorität hat, im intensiven Dialog. Bereits beim vorletzten Deutsch-Französischen Ministerrat 2007 haben meine französische Amtskollegin Christine Albanel und ich durch den Besuch des Jugend-Kunst- und Kulturzentrums "Schlesische 27" in Berlin deutlich gemacht, wie wichtig uns dieses Anliegen ist. Die Europäische Kommission hat kürzlich eine Arbeitsgruppe eingerichtet, an der mein Haus mitwirkt. Mit dem Ratsarbeitsplan Kultur 2008- 2010 hatten zuvor die europäischen Kulturminister das Thema auch in Brüssel auf die Agenda gebracht. Ich setze mich stark dafür ein, dass dem Informationsaustausch auch konkrete europäische Projekte der kulturellen Bildung folgen. Damit den Worten Taten folgen, arbeiten wir derzeit daran, die durch mein Haus geförderte Stiftung Genshagen verstärkt auf dieses Ziel auszurichten. Die Stiftung, die bereits bislang im Weimarer Dreieck deutsch-französisch-polnische Veranstaltungen durchführt, wird derzeit reformiert. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Mein Wunsch ist, künftig aus Genshagen eine Plattform für kulturelle Bildung und Kulturvermittlung im trilateralen und europäischen Kontext zu machen.

Bewusst nimmt der BKM auch seine Verantwortung als Vorbild wahr, das wir mit unseren eigenen Einrichtungen bundesweit geben können. In die Zuwendungsbescheide an die von uns geförderten Einrichtungen haben wir seit Frühjahr dieses Jahres einen Passus aufgenommen, der die kulturelle Bildung als ein Kriterium für die Mittelvergabe fordert. Dies entspricht auch dem Vorschlag der Enquete-Kommission, Kultureinrichtungen, die öffentliche Mittel erhalten, für die Vermittlung von kultureller Bildung stärker in die Pflicht zu nehmen. Ich hoffe, dass viele weitere Zuwendungsgeber im ganzen Land die Vermittlung als conditio sine qua non bei der Zusage von Fördermitteln aufnehmen. Doch Fördern allein reicht nicht, auch Kontrolle muss sein. Darum setze ich mich dafür ein, dass kulturelle Bildungsarbeit regelmäßig evaluiert wird. Im übrigen denken wir derzeit auch über eine Auszeichnung für vorbildliche kulturelle Vermittlungsarbeit nach.

Die Aktivitäten meines Hauses auf dem Gebiet der kulturellen Bildung sind also vielfältig. Ich denke, dass nur eine solche Vielfalt an Initiativen und konkreten, praktischen Hilfestellungen die Umsetzung der kulturellen Bildung wirklich voranbringt. Denn Theorien zur kulturellen Bildung haben wir schon genug. Darum bin ich auch nicht dafür, einen institutionellen "Supertanker" "Bundeszentrale für kulturelle Bildung" zu schaffen, den die Enquete-Kommission vorgeschlagen hat. Wir müssen die Praxis der kulturellen Bildung in Deutschland stärken und fördern doch nicht zentralisieren. Dies kann auch nicht im Sinne der Länder und Kommunen sein, die nach wie vor die kulturelle Bildung in Deutschland tragen. Wir können nur helfen, indem wir mit unserer Politik und unserer Förderung ein Umfeld schaffen, in dem Kunst Wertschätzung erfährt und sich entfalten kann.

Wir brauchen Kunst und Kultur für die Gestaltung der Zukunft unseres Landes ohne kulturelle Bildung würden wir Gefahr laufen, dieses Potenzial unseres Landes zu verlieren. Kulturelle Bildung geht deshalb uns alle an, sie ist eine klassische Querschnittsaufgabe. Kompetenzrangeleien bringen uns nicht weiter. Darum zähle ich auf die Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen und mit Kultureinrichtungen im ganzen Land. Die überaus positiven Rückmeldungen ermutigen uns, den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten.

Danke.