Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 17.10.2008

Untertitel: "Kulturist nicht mehr länger nurein bedürftiger Zuwendungsempfänger, sondern ein dynamischer Wirtschaftsmotor", erklärte Kulturstaatsminister Neumann in Berlin.Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten stelle die öffentliche Kulturförderung in Deutschland den Kultursektor auf stabile Füße.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/10/2008-10-17-rede-neumann-kultur-und-kreativwirtschaft,layoutVariant=Druckansicht.html


Es giltdas gesprochene Wort. - Neue Wege in der Politik " ist das Thema der diesjährigen Tagung zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Und in der Tat: Die Kulturförderung hat sich in den letzten Jahren verändert. Denn Kultur ist nicht mehr länger nur ein bedürftiger Zuwendungsempfänger, sondern ein dynamischer Wirtschaftsmotor. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten stellt die öffentliche Kulturförderung in Deutschland den Kultursektor auf stabile Füße. Ganz im Gegenteil zu den USA, wo aufgrund der überwiegend privat finanzierten Aktivitäten ganze Kulturbereiche gefährdet sind.

Unser im Wesentlichen öffentlich gefördertes Kultursystem ist auch für die gewerbliche Kultur- und Kreativwirtschaft Deutschlands von großem Vorteil. Derzeit erarbeitet die Bundesregierung neue Fördermodelle in enger Abstimmung mit den Branchen der Kulturwirtschaft.

Europa ist neben Nordamerika und Asien eines der drei globalen Handelszentren der Kulturwirtschaft. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union exportieren wertmäßig mehr Kulturgüter, als sie importieren. Das heißt: Unter dem Strich ist der internationale Handel mit Kulturgütern ein wirtschaftlicher Gewinn für uns in Europa. Insgesamt arbeiten in Europa 4, 7Millionen Erwerbstätige in der Kultur- und Kreativwirtschaft, die so unterschiedliche Bereiche wie die Filmbranche, die Musikwirtschaft, die Design- und Modebranche, den Kunst- und Buchmarkt, die Spiele-Branche, die Werbewirtschaft oder den Veranstaltungssektor umfasst.

Innerhalb Europas verfügt Deutschland über die größte Kultur- und Kreativwirtschaft. Mit etwa 1Million Erwerbstätigen stehen wir noch vor Großbritannien und Frankreich an der Spitze der europäischen Länder. Die deutschen Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft machten 2006 einen Umsatz von etwa 124 Milliarden Euro.

Wir verdanken der Kultur- und Kreativwirtschaft die Entwicklung kulturell anspruchsvoller und international wettbewerbsfähiger Produkte auch in Wirtschaftsbereichen, die nicht zu den Kulturbranchen im engeren Sinne zählen. Der internationale Spitzenplatz der deutschen Automobilindustrie zum Beispiel ist nicht nur auf die ausgefeilte Technik deutscher Autos zurückzuführen.

Deutsche Autos verkaufen sich auch deshalb weltweit hervorragend, weil sie ästhetisch zu überzeugen vermögen. Deutsches Design genießt weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Die Kultur- und Kreativwirtschaft bietet vielen Künstlern und Kulturschaffenden attraktive Arbeitsmöglichkeiten. Damit trägt sie dazu bei, die soziale Situation der Künstler und Kulturschaffenden zu verbessern. Ohne private Galeristen und Sammler wären viele Künstler wirtschaftlich nicht überlebensfähig. Viele Kunstwerke würden dann gar nicht erst entstehen. Allerdings floriert die Kulturwirtschaft nicht ohne eine öffentliche Kulturförderung.

Vor eineinhalb Jahren trat die UNESCO "Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen" in Kraft. Sie schafft die völkerrechtlich verbindliche Grundlage für das Recht aller Staaten auf eine eigenständige Kulturpolitik und vor allem: eine staatliche Kulturförderung, indem sie die Doppelnatur von Kulturgütern als Ware und als Verkörperung von Werten und Traditionen einer Gesellschaft festschreibt und damit von den Regeln des GATS-Abkommens ausnimmt.

Die USA mit ihrem grundsätzlich anderen Verständnis von Kulturförderung, die dort in weiten Teilen Sache von Privaten ist, sind der Konvention nicht beigetreten. Die aktuelle Finanzkrise zeigt jedoch, wie riskant die Auslagerung der Kulturförderung auf den privaten Sektor, auf Firmensponsoring und Spenden ist. In den USA brechen mit den Banken auch die Opernhäuser und die Museen zusammen. Im Vergleich dazu steht der Kultursektor in Deutschland mit seinem hohen öffentlichen Finanzierungsanteil sehr gut da. In Deutschland können Künstler, Kulturschaffende und Kulturinstitutionen, wie Museen oder Bibliotheken, weiterhin zuversichtlich in die Zukunft blicken. Aufgrund der vielfältigen Verflechtungen von öffentlich finanzierter, privat geförderter und gewerblicher Kultur kommt dies auch der hiesigen Kultur- und Kreativwirtschaft zugute.

Ein Paradebeispiel für dieses Zusammenwirken ist die Filmförderung. Filme sind Visitenkarten unseres Landes. Filme lassen uns aber auch unsere Nachbarn besser verstehen und geben Einsichten in die Gegenwart von Gesellschaften, die weit über das Politische hinausreichen. Deshalb sind auch die Filme der jungen EU-Nationen so spannend und wichtig.

Als Kulturpolitiker habe ich ein besonderes Interesse daran, dass der deutsche Film möglichst viele Zuschauer erreicht, denn er ist ein einflussreicher Ausdruck unserer Kultur. Auch deshalb habe ich die Filmförderung zu einem der Schwerpunkte der Politik meines Hauses gemacht. Beim DFFF, den wir im vergangenen Jahr ins Leben gerufen haben und der jährlich 60 Millionen Euro ausschüttet, sind meine Hoffnungen bei weitem übertroffen worden. Bislang haben wir 179 Filme mit rund 111 Millionen Euro gefördert. Von einer Milliarde Gesamtherstellungskosten sind rund dreiviertel in Deutschland geblieben das ist mehr als das sechsfache der eingesetzten Fördermittel! Wir haben dieses Erfolgsmodell um weitere 3 Jahre bis 2012 verlängern können.

Mit der vor einem Jahr angelaufenen "Initiative Musik" haben wir ebenfalls ins Schwarze getroffen. Mit einer Million Euro jährlich fördern wir vor allem junge Musiker. 40 Bands und sechs Infrastrukturprojekte konnten bundesweit in den letzen Monaten auf den Weg gebracht werden. Die Hälfte aller jungen Künstlerinnen und Künstler hat einen Migrationshintergrund. So leisten wir mit der Initiative Musik nicht nur Kulturwirtschaftsförderung, sondern auch einen Beitrag zur Integration als Bestandteil kultureller Bildung.

Auch auf indirektem Weg kann die Kulturwirtschaft einen Beitrag zur ästhetischen Bildung liefern. Qualitativ und ästhetisch hochwertige,"designte" Produkte genießen mittlerweile eine hohe Popularität und sind, dank professionellem Marketing und Vertrieb, überall erhältlich und nicht mehr für eine schmale, kaufkräftige Elite reserviert.

Es liegt also im ureigensten Interesse der Kulturpolitik, den Beitrag der Kultur- und Kreativwirtschaft zur kulturellen Entwicklung unseres Landes im Blick zu behalten nicht nur unter wirtschaftspolitischen Aspekten, sondern auch um, falls nötig, kultur- bzw. gesellschaftspolitischen Einfluss auf den Wirtschaftsprozess zu nehmen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Debatte um den Einfluss von Computerspielen auf Kinder und Jugendliche. Ich denke, es wird der Sache nicht gerecht, wenn diese Debatte nur rechts- oder wirtschaftspolitisch ohne Beteiligung der Kulturpolitik geführt wird. Ich habe im Herbst 2007 dem Deutschen Bundestag einen mit der Spielebranche abgestimmten Bericht vorgelegt, der ein Bündel von Maßnahmen vorsieht, um die Chancen von Computerspielen zu nutzen und die Risiken zu minimieren.

Dazu gehört auch der vom Deutschen Bundestag initiierte und beschlossene "Deutsche Computerspielepreis", der erstmals im nächsten Jahr vergeben werden soll. Der Preis soll Maßstäbe für ein qualitativ hochwertigeres Angebot im Bereich Computerspiele setzen. Schon heute steht bei Computerspielen das "Made in Germany" für anspruchsvolle Strategie- , Sport und Lernspiele sowie für hervorragende technische Qualität. Angeregt durch den Preis für Computerspiele hat die Spielewirtschaft zugesagt, eine Stiftung zur Förderung interaktiver Medien zu gründen. Ich bin sicher: Der kulturpolitische Einsatz für Qualität im Computerspielmarkt wird sich auch wirtschaftlich zugunsten der Unternehmen dieser Branche auswirken.

Meine Damen und Herren,

auch die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" hebt in ihrem Schlussbericht die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft hervor. Unter anderem empfiehlt sie, diese Branche als eigenständiges Politikfeld politisch-administrativ zu verankern. In meinem Haus habe ich ein eigenes Referat zur Kulturwirtschaft eingerichtet, das gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft umsetzt. Mit der Initiative bündeln wir die Kräfte der Bundesregierung zugunsten der Kultur- und Kreativwirtschaft, um diese Zukunftsbranche in Deutschland zu stärken. Wir verfolgen vor allem drei Ziele:

Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft stärken und ihre Beschäftigungspotentiale entwickeln. Wir wollen ihr positive öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen. Dies soll der Branche zur gleichen gesellschaftlichen Anerkennung verhelfen, wie sie den etablierten Wirtschaftsbereichen entgegen gebracht wird. Und wir wollen die Leistungsfähigkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft auf internationaler Ebene herausstellen und stärken.

Denn immer noch verbinden viele mit deutschen Produkten eher technologische Wertarbeit und weniger innovative Kreativität. Dass man in Deutschland beides auf hohem Niveau findet, sollte im In- und Ausland noch bekannter werden. In den kommenden Monaten veranstaltet mein Haus gemeinsam mit dem BMWi insgesamt elf Branchen-Hearings.

Sie finden jeweils dort statt, wo sich ein herausragender Branchencluster der Kultur- und Kreativwirtschaft befindet, so beispielsweise in Düsseldorf das Branchenhearing mit der Werbewirtschaft. Die Unternehmen der Computerspiele-Branche tagen hier in Berlin und mit der Filmwirtschaft treffen wir uns im nahe gelegenen Babelsberg.

Mitte nächsten Jahres, wenn wir alle Branchenhearings durchgeführt haben, werden das Wirtschaftsministerium und mein Haus zum Stand der Umsetzung der Initiative berichten.

In diesem Zwischenbericht werden wir die bis dahin vorliegenden Ergebnisse der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft dokumentieren. Zudem wollen wir für diejenigen Teilbranchen, für die sich ein Handlungsbedarf auf Bundesebene abzeichnet, erste Handlungsempfehlungen formulieren.

In unsere Empfehlungen werden die Ergebnisse eines Forschungsgutachtens zur Kultur- und Kreativwirtschaft einfließen, das im Rahmen der Initiative in Auftrag gegeben wurde. Das Gutachten, dessen Abschlussbericht für das Frühjahr nächsten Jahres geplant ist, soll nicht nur eine aktuelle Lagebeschreibung der Kultur- und Kreativwirtschaft Deutschlands sein, sondern auch praktisch umsetzbare Szenarien und Handlungsoptionen für die Bundesregierung vorlegen.

Bei der Förderung der Kulturwirtschaft sind individuelle Lösungen gefragt, denn viele Betriebe in diesem Wirtschaftszweig bestehen aus "Einzelkämpfern".

Als Kulturstaatsminister liegt mir die Verbesserung der Lage der Künstler und Kulturschaffenden ganz besonders am Herzen, denn sie stehen am Anfang der so genannten Wertschöpfungskette, sie bilden den unternehmerischen Kern der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ich setze mich nicht nur dafür ein, dass optimale Förderprogramme für Klein- und Kleinstunternehmen entwickelt werden. Auch bewährte Einrichtungen wie die Künstlersozialversicherung, die die Urheber absichern, müssen zukunftsfähig gemacht und gestärkt werden. Ich bin froh, dass der widersinnige Vorschlag, die KSK abzuschaffen, von so vielen Verantwortlichen so rasch und unisono zurückgewiesen wurde.

Zu den optimalen Bedingungen gehört auch die Stärkung des Urheberrechts. Ich vertrete da eine kompromisslose Linie: Raubkopieren ist kein Kavaliersdelikt! Auch auf der diesjährigen Popkomm, die ich vor einer Woche in Berlin eröffnet habe, war dies das zentrale Thema. Urheberrecht und Datenschutz miteinender in Einklang zu bringen ist vielleicht das wichtigste Zukunftsthema für eine starke und wettbewerbsfähige Musik- und Filmindustrie. Was mit der Entwicklung von E-Books auf die Verlagsbranche zukommen wird, kann derzeit nur gemutmaßt werden.

Als Anwalt der Kultur steht für mich nicht nur der ökonomische Nutzen der Kultur- und Kreativwirtschaft im Mittelpunkt, sondern vor allem die Künstler und Kulturschaffenden selber.

Ihre Kreativität bildet den eigentlichen Reichtum der Kultur- und Kreativwirtschaft Deutschlands. Auch die öffentliche Kulturförderung und die Erhaltung unseres nationalen kulturellen Erbes, die das eigentliche Kerngeschäft meines Amtes sind, sind wichtig für die Kulturwirtschaft. Denn kreative Köpfe bleiben nur dort, wo sie ein kulturell offenes Klima finden, in dem Traditionen nicht leichtfertig gegen Trends ausgespielt werden. Ich denke, in der guten Mischung von innovativem Potenzial mit Bewusstsein für die eigene Identität liegt ein wichtiger Faktor für die Entwicklung der Kulturwirtschaft in Deutschland.

Danke.