Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 27.10.2008

Untertitel: Zur Eröffnungder Gedenkstätte Stille Helden in Berlinwies Kulturstaatsminister Bernd Neumann darauf hin,dass Hilfe, Unterstützung und Rettung auch in Zeiten der menschenverachtenden Nazidiktatur möglich waren. Die Ausstellung in der neuen Gedenkstätte zeigt eine Vielfalt von Motiven und anhand von Originaldokumenten Lebensgeschichten der Helfer.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/10/2008-10-27-neumann-stille-helden,layoutVariant=Druckansicht.html


am 4. Dezember 2006 haben wir in der Rosenthaler Straße in Berlin das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt eröffnet schon damals mit der Perspektive, binnen zwei Jahren unter der Leitung der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" dort auch eine neue Gedenkstätte einzurichten. Bei der Eröffnung war ich von diesem historischen Ort und vor allem von den mit ihm verknüpften Lebenswegen sehr berührt. Otto Weidt half, wenn andere sich wegduckten. Der Fabrikant war einer von wenigen, die verfolgte Juden retteten, aber er war nicht allein. All den mutigen Menschen, die es auch unter Gefährdung ihres eigenen Lebens gewagt haben, Menschlichkeit gegen das Unrecht zu setzen, ist die Gedenkstätte "Stille Helden" gewidmet, die wir heute einweihen.

Alle noch so authentischen Orte und auch alle überlieferten Dokumente können die Vergangenheit nur unzulänglich widerspiegeln. Es ist darum ein großes Glück, dass es noch Zeitzeugen gibt, Menschen, die geholfen haben und denen geholfen wurde. Erst ihre individuellen Geschichten machen das Unfassbare fassbar. Sie legen über alle unmenschlichen Taten hinweg Zeugnis ab.

Besonders freue ich mich, heute Inge Deutschkron wieder zu sehen. Liebe Frau Deutschkron, Ihrem unermüdlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt eingerichtet wurde. Besser als jeder Historiker es könnte, erzählt ihre Autobiographie, wie es eigentlich gewesen ist. Seit nunmehr fast zwanzig Jahren erreicht diese Autobiographie als Theaterstück "Ab heute heißt du Sara" vor allem junge Menschen. Es ist eine vorbildliche Aufgabe, die Schrecken des Naziterrors gerade der jungen Generation so authentisch und lebendig zu vermitteln.

Seit vielen Jahren stellen auch Sie sich, lieber Herr Eugen Herman-Friede, als Zeitzeuge in den Dienst dieses Ziels. Ich begrüße Sie recht herzlich und freue mich, dass Sie gleich zu uns sprechen werden. Stellvertretend für alle "Stillen Helden" heiße ich auch Herrn Dr. Eugen Kahl herzlich willkommen. Sie wurden im Jahr 2006 für die Unterstützung, die Ihre Familie in Ihrer Heimatstadt Frankfurt für verfolgte Juden geleistet hat, gemeinsam mit Ihrem Bruder Gerhard als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet.

Meine Damen und Herren,

Schätzungen zufolge waren es etwa 20.000 nichtjüdische Deutsche, die vor allem während der Jahre 1941 bis 1945 den von Deportation und Massenmord bedrohten Juden halfen. Sie gaben falsche Papiere, Lebensmittel, Rat und Hilfe; sie stellten Unterkünfte bereit. Ihr Handeln macht deutlich, dass Menschlichkeit auch unter den Bedingungen einer Diktatur möglich ist, auch wenn dazu viel Mut und Zivilcourage gehört. In Berlin konnten mehr als 1.700 Juden im Untergrund überleben, in ganz Deutschland mehr als 3.000. Sicher, dies ist eine kleine Zahl, gemessen an den sechs Millionen Opfern des Holocaust. Aber sie weist uns darauf hin, dass Hilfe, Unterstützung und Rettung auch in Zeiten der menschenverachtenden Nazidiktatur möglich waren.

Die Ausstellung in der neuen Gedenkstätte zeigt eine Vielfalt von Motiven. Manche der Retter waren von Anfang an erklärte Gegner des Nationalsozialismus, andere wurden durch die zunehmende Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden alarmiert. Was sie eint, ist Zivilcourage und solidarisches Handeln. Wer verfolgten Juden half, tat dies spätestens seit 1941 unter der ständigen Drohung des Konzentrationslagers. Die Unterstützung der Verfolgten galt als "Missachtung der staatlichen Maßnahmen", ihr konnte die KZ-Haft folgen. Dieser Drohung und Gefahr stellten sich Menschen wie der Fabrikant Otto Weidt, die Tierärztin Maria von Maltzan, der Industrielle Oskar Schindler und der langjährige Aufsichtsratsvorsitzende des Krupp-Konzerns und Vorsitzende der Krupp-Stiftung Berthold Beitz.

Die Ausstellung zeigt aber auch die entsetzlichen und bedrückenden Lebensumstände der verfolgten Juden, die untertauchen mussten. Eine neue Identität und eine Unterkunft mussten gefunden, Nahrungsmittel besorgt werden. Dabei bestand ständig die Gefahr des Verrats und der Entdeckung.

Die Gedenkstätte "Stille Helden", die gleichermaßen an die Schicksale der Verfolgten und der Helfer erinnert, hat eine lange Vorgeschichte. Ohne die Anregung des ehemaligen Bundespräsidenten es Rau, einen zentralen Ort der Erinnerung an Helfer von verfolgten Juden zu schaffen, ohne die grundlegende Forschungsarbeit von Professor Wolfgang Benz am Institut für Antisemitismusforschung der TU Berlin und ohne die Unterstützung durch Dr. Hans-Jochen Vogel und die Vereinigung "Gegen Vergessen Für Demokratie" stünden wir heute nicht hier.

Aufarbeitung braucht bürgerschaftliches Engagement und Forschung. Auf diesem Fundament kann die Erinnerung aufbauen. Aber, nur wenn wir auch die authentischen Orte der Vergangenheit erhalten, können wir sicherstellen, dass es auch zukünftigen Generationen noch möglich ist, sich von der Vergangenheit ein Bild zu machen. Die bestmögliche Unterstützung und Erhaltung von Gedenkstätten an den authentischen Erinnerungsorten ist darum auch ein wichtiger Bestandteil der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes, die wir in diesem Jahr verabschieden konnten. Wir haben den Etat für die Gedenkstättenarbeit um 50 % erhöht und stellen jährlich bis zu 35 Millionen Euro zur Verfügung.

Die Gedenkstätte "Stille Helden" und das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt sind nicht direkt Teil der Gedenkstättenkonzeption. Dennoch haben wir gemeinsam mit dem Land Berlin den Ausbau finanziert. Der Bund hat 1,8 Millionen Euro über 2/3 der Baukosten beigetragen und finanziert mit jährlich über 800.000 Euro den gesamten laufenden Betrieb.

Otto Weidt und die anderen "Stillen Helden" verdienen im Gedächtnis unserer Gesellschaft einen Ehrenplatz. Doch dies wurde in Deutschland erst spät erkannt im Westen wie im Osten. Erst ein amerikanischer Film, Steven Spielbergs "Schindlers Liste", hat auch in Deutschland ein Bewusstsein dafür geweckt, dass es sie gab, die "stillen Helden".

Vergangene Woche habe ich in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem die so genannte Residentenliste überreicht, ein Verzeichnis von 600.000 jüdischen Einwohnern Deutschlands zwischen 1933 - 1945. Die Liste wurde in den vergangenen Jahren vom Bundesarchiv im Auftrag der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" erstellt. Der Besuch in Yad Vashem, insbesondere in der "Halle der Namen", hat mich tief bewegt.

In dieser Gedenkstätte wird jedoch nicht nur der Ermordeten gedacht, sondern auch der 22.000 "stillen Helden", darunter 400 Deutsche, die Yad Vashem als "Gerechte unter den Völkern" ehrt. Ich habe mit Avner Shalev, dem Direktor von Yad Vashem, darüber gesprochen, dass sich die Gedenkstätte "Stille Helden" in Berlin in Zukunft noch stärker auch der europäischen Dimension der Rettung verfolgter Juden widmen will und dabei eng mit Yad Vashem zusammenarbeiten wird.

Die Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene bei der Erinnerungsarbeit ist wichtig. Wir unterstützen darum auch im Gedenkstättenkonzept die enge Kooperation von Einrichtungen untereinander sowie mit Verbänden und ehrenamtlichen Gruppen.

Ein besonderes Anliegen ist es mir, dass viele Jugendliche die Gedenkstätte "Stille Helden" besuchen, um dort etwas über Zivilcourage und Mut in dunkler Zeit zu lernen. Ich wünsche der Gedenkstätte "Stille Helden" viele Besucher und empfinde tiefe Dankbarkeit für diese mutigen Menschen!