Redner(in): Angela Merkel
Datum: 29.10.2008
Untertitel: gehalten am 29.Oktober in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Börner, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/10/2008-10-29-unternehmertag,layoutVariant=Druckansicht.html
Sie haben für Ihren diesjährigen Unternehmertag ein Motto gewählt, das den eigentlichen Kern unserer Wirtschaftsverfassung zur Sprache bringt: "Unternehmertum und Verantwortung in der Sozialen Marktwirtschaft." Ich glaube, in diesen Tagen könnte das Motto überhaupt nicht besser gewählt sein. Denn damit weisen Sie in einer schwierigen Zeit aus meiner Sicht absolut in die richtige Richtung. Die Soziale Marktwirtschaft ist mit Verantwortung, sie ist mit Werten verbunden anders ausgedrückt: sie gründet auf Werte und sie ist ohne Verantwortung nicht lebbar, nicht gestaltbar. Deshalb ist es sicherlich gerade in diesen Tagen wichtig und sinnvoll, darüber zu diskutieren das haben Sie, Herr Präsident, heute getan, wie wir an der Richtschnur von Werten unser Handeln konkret ausrichten können.
Ich will vorweg sagen: Die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland heute in der Welt da steht, wo sie steht, zeigt, dass sich das wirtschafts- und gesellschaftspolitische Modell der Sozialen Marktwirtschaft bewährt hat. Was wir heute erleben, ist im Grunde Ausdruck dessen, dass sich durch Globalisierung Ihr Verband ist der Globalisierung sozusagen in ganz besonderer Weise ausgesetzt bzw. lebt in ihr vieles auf unserer Welt verändert hat und dass es deshalb eine internationale Dimension der Sozialen Marktwirtschaft gibt, die, so glaube ich, nicht ausreichend ausgestaltet ist, die weiterentwickelt werden muss, wobei gerade wir in Deutschland mit unserer Erfahrung, der gelebten Erfahrung des Erfolgsmodells Soziale Marktwirtschaft, aktiv gestaltend mitwirken sollten und auch mitwirken werden.
Natürlich werden Zweifel an der Sozialen Marktwirtschaft durch das, was wir jetzt in den Finanzmärkten als Krise erleben, in besonderer Weise bestätigt. Wir haben im Grunde seit geraumer Zeit eine Entwicklung, in der Menschen ein Stück Sicherheit verloren haben. Sie fragten sich: War das mit der Sozialen Marktwirtschaft nicht immer so, dass es dann, wenn es meinem Unternehmen gut geht, auch mir als Arbeitnehmer gut geht? Diese Gewissheit ist mit wachsender Globalisierung ein Stück zurückgegangen, weil international agierende Unternehmen einerseits gut dastehen können, was die Bilanzen anbelangt, und trotzdem andererseits, was die Sicherheit der Arbeitsplätze in Deutschland anbelangt, nicht mehr so gut dastehen. Das war im Grunde ein Hinweis darauf, dass sich da etwas verändert hat und dass das Wirtschaften im nationalen Bereich heute längst nicht mehr so unabhängig möglich ist, wie es früher war.
Aber Soziale Marktwirtschaft will eben keine Exzesse auf den Märkten. Soziale Marktwirtschaft meint vielmehr geordneten Wettbewerb. Sie will nicht das Geschäft um jeden Preis, vor allen Dingen nicht das kurzfristige Geschäft um jeden Preis, sondern sie ist moralisch begründet und hat deshalb eine Verantwortung. Deshalb ist, glaube ich, die Mahnung der augenblicklichen Finanzkrise die, dass sich Politik und Wirtschaft da fühle ich mich durch Ihre Worte durchaus ermutigt gemeinsam anstrengen müssen, um das Vertrauen der Menschen in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wieder zu stärken. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe, die im Übrigen keiner von uns alleine schaffen wird. Wir müssen uns dieser Aufgabe gemeinsam stellen.
Nicht zuletzt das meinte ich auch, wenn ich in den letzten Tagen immer wieder davon gesprochen habe, dass am Ende dieses Prozesses eine neue Finanzmarktverfassung stehen muss. Dabei geht es auch, aber eben bei Weitem nicht nur um Krisenmanagement. Es geht auch, aber nicht nur um neue internationale Finanzmarktregeln. Es geht am Ende immer darum, wieder Vertrauen im umfassenden Sinne herzustellen. Vertrauen ist das eigentliche Fundament, das Grundkapital einer funktionierenden Volkswirtschaft.
Das Ziel all unserer Bemühungen ist die menschliche Marktwirtschaft. Dazu muss es immer wieder gelingen, die Balance zwischen ökonomischer Leistungsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit zu halten. Das ist im Grunde eine Balance zwischen Freiheit auf der einen Seite und Ordnung auf der anderen Seite. Freiheit und Ordnung sind in der Sozialen Marktwirtschaft nie Gegensätze; sie haben sich immer einander bedingt. Auch in der politischen Diskussion geht es immer genau um dieses Verhältnis. Der Staat ist in diesem Zusammenhang der Hüter der Ordnung. Das müssen wir jetzt wieder erkennen und in diesem Sinne müssen wir gestalten. Darin liegt auch die Chance dieser Krise.
Welche Aufgabe kommt der Politik in dieser Zeit zu? Der Politik kommt die Aufgabe zu, den Ordnungsrahmen an die sich ändernden Herausforderungen in einer zunehmend globalisierten Welt anzupassen und immer wieder zu schauen: Wie können wir unsere Vorteile in dieser sich ändernden Welt in einem vernünftigen Ordnungsrahmen leben?
Als vordringliche Aufgabe der Wirtschaft sehe ich in diesem Zusammenhang, dass sie durch verantwortungsvolles Handeln auch Beispiele gibt und Vorbild dafür ist, wie in diesem Ordnungsrahmen vernünftig und zum Wohle aller gewirtschaftet werden kann. Die Soziale Marktwirtschaft hat immer und wird das auch weiter tun ihre Kraft aus der Freiheit des Einzelnen geschöpft: des Unternehmers, des Arbeitnehmers, des Verbrauchers. Aber dies ist eben keine absolute Freiheit, sondern es ist immer eine Freiheit in der Verantwortung auch für den anderen. Das heißt, daraus erwächst eine Verantwortung für das Gemeinwohl. Damit ergibt sich also die Verpflichtung, unternehmerische Freiheiten in den Dienst des Unternehmens, der Mitarbeiter und auch des Standortes insgesamt einzubetten.
Die Krise an den Finanzmärkten muss für uns nun Anlass sein, die Diskussion über die Rolle und das Selbstverständnis der Finanzbranche neu zu führen. Ich glaube, dass die Branche insgesamt dazu einen Beitrag liefern sollte. Natürlich ist diese Branche nicht wegzudenken Sie haben das eben eindrücklich dargestellt. Sie erbringt mit der Transformation volkswirtschaftlicher Ersparnis in produktives Kapital eine unabdingbare Dienstleistung für unser gesamtes System. Nur so wird Wertschöpfung ermöglicht, die wiederum die Grundlage für Beschäftigung und Einkommen ist. Aber Dienstleistung das ist die Aufgabe der Finanzbranche hat eben auch etwas mit Dienen zu tun. Auf diese dienenden Funktionen müssen sich die Akteure auf den Finanzmärkten nach meiner festen Überzeugung wieder neu besinnen. Es gab hier eine Abkopplung der verschiedenen Bereiche.
Ich glaube, mehr denn je sind heute Vorbilder gefragt: Unternehmer, die nicht nur dem schnellen Geld nachjagen, sondern mit langfristig angelegten Geschäftsmodellen für das Unternehmen und seine Beschäftigten eine tragfähige Zukunft bauen. Denn kurzfristige Gewinnmaximierung hat mit einer Gewinnoptimierung über einen längeren Zeitraum hinweg nur wenig zu tun.
Das Motto des Unternehmertags zeigt: Es ist auch eine Vorbildfunktion über den eigenen betriebswirtschaftlichen Bereich hinaus gefragt. Ich bin der tiefen Überzeugung: Es kommt zum Schluss dem betriebswirtschaftlichen Bereich wieder zugute, wenn man sich auch seiner Gesamtverantwortung bewusst ist. Das heißt, wir sind dankbar dafür, dass es sie gibt, aber wir brauchen sie auch: die Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung im umfassenden Sinne wahrnehmen. Das ist eine wichtige Grundlage für sozialen Zusammenhalt. Das wird sich auch insgesamt positiv auf die Unternehmen auswirken. Ich glaube, für verantwortungsbewusstes Engagement interessieren sich nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Investoren und auch die Kunden.
Auch auf die Gefahr hin, in der falschen Kirche zu predigen das tue ich jetzt natürlich, möchte ich Sie doch immer wieder bitten, sich in der gesellschaftlichen Diskussion weiterhin offen und laut zu engagieren, denn das ist wichtig. Sie sind im Außenhandel aktiv, Ihre Unternehmen tragen mit Blick auf die sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen bei den importierten Gütern eine große Verantwortung. Gesellschaftliche Verantwortung endet in einer globalisierten Welt eben nicht mehr an Ländergrenzen.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es unter der Maxime "Freiheit und Verantwortung" unsere gemeinsame Aufgabe, die Soziale Marktwirtschaft fit für die Globalisierung zu machen. Ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist. Ich weiß, dass die Ordnung, die wir auf anderen Märkten finden, oft eine andere ist. Ich weiß auch, dass wir nicht einfach sagen können: Es muss überall so sein, wie es bei uns ist. Aber ich glaube schon, dass es ein paar unteilbare Werte gibt so wie wir das im Bereich der Menschenrechte sagen, müssen wir es auch im Bereich des Wirtschaftens sagen, um die wir ringen müssen, für die wir kämpfen müssen und für die wir im Übrigen in Europa lange eingetreten sind; auch mit vielen Irrungen und Wirrungen. Wir müssen heute in unserer Überzeugung aber auch zeigen, dass wir diese Werte für richtig befinden und dass wir sie nicht durch jede Form von Beliebigkeit ersetzen können.
Globalisierung geht naturgemäß das ist ihr Wesen mit zunehmender internationaler Arbeitsteilung einher. In arbeitsteiligen Wirtschaftssystemen ist Groß- und Außenhandel schlichtweg unverzichtbar. Für Deutschland als Exportweltmeister ist es wohl nicht zu hoch gegriffen, wenn ich sage: Der Groß- und Außenhandel ist gleichsam so etwas wie eine Lebensader, eine wichtige Lebensader unseres Landes als Exportnation. Die Zahlen sprechen im Übrigen eine deutliche Sprache: Der Außenhandel trägt zum Bruttoinlandsprodukt rund ein Drittel bei. Im Jahr 2007 wurden insgesamt Waren von fast 970 Milliarden Euro exportiert. Importiert wurden Waren im Wert von über 770 Milliarden Euro. Das zeigt auch die Finanzdimensionen, in denen Sie agieren. Ich glaube, wir haben gute Chancen, auch 2008 wieder Exportweltmeister zu werden.
Wir sind also "Global Player" und wir wissen, dass der weltweite Handel für uns die wichtigste Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung ist. Wenn man sich in diesen Tagen einmal die einzelnen Branchen anschaut zum Beispiel haben wir in der Automobilindustrie Exportraten zwischen 60 und 70 Prozent, im Maschinenbau über 70 Prozent, dann sieht man, wie eng unsere Arbeitsplätze und unser Wohlstand mit der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung verknüpft sind. Jeder fünfte deutsche Arbeitsplatz ist direkt oder indirekt vom Export abhängig. Deutsche Exporteure sind nicht nur auf den längst etablierten Märkten, sondern auch auf den schnell wachsenden Märkten aktiv in Osteuropa und in den großen Schwellenländern Russland, China, Indien und Brasilien, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit, auf die wir stolz sein können, hat viele Ursachen: Die Kraft zur Innovation, die Technologieführerschaft in vielen Bereichen und nicht zuletzt auch die großen Erfahrungen bei der Erschließung neuer Märkte sowie unser Vorgehen, das auch immer auf Vertrauen aufgebaut ist sowohl in der politischen Kommunikation als auch in den Kontakten zwischen den Wirtschaftspartnern.
So offen unsere Volkswirtschaft ist und so erfolgreich wir als Exportnation sind, so sehr sind wir auch von weltwirtschaftlichen Entwicklungen betroffen. Das ist die Kehrseite dieser Entwicklung. Deshalb geht die weltweite Finanzkrise auch an uns nicht spurlos vorüber. Wir spüren, dass diese Krise mit einer Abkühlung des weltwirtschaftlichen Klimas einhergeht. Das merken auch Sie. Ich bin dennoch dankbar dafür, dass Sie die Lage in optimistischer Art und Weise beschrieben haben. Sie haben auch darauf hingewiesen, Herr Börner, wie finanzierungsabhängig Ihre Branche ist. Deshalb ist es auch verständlich, wenn Sie dafür werben, dass unsere Finanzinstitutionen alles dafür tun müssen, um in dieser Krise nicht nur zu überleben, sondern auch ihrer Aufgabe, ihrer dienenden Aufgabe, wirklich gerecht werden zu können. Denn davon hängt viel für unser Land ab.
Vor zwei Wochen haben wir international abgestimmte, aber doch auf die jeweilige nationale Situation ausgerichtete Maßnahmenpakete verabschiedet. In Deutschland haben wir das "Finanzmarktstabilisierungsgesetz" auf den Weg gebracht, eine Woche später ist es in Kraft getreten. Es war ein großer Kraftakt in großer gemeinsamer Verantwortung von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung.
Es geht nicht darum das will ich hier noch einmal sagen, Steuergelder einfach in Banken zu pumpen, die selbstverschuldet in eine schwierige Situation geraten sind, aus der sie sich selbst nicht mehr befreien können, sondern es geht im Kern um etwas anderes: Die Bürger unseres Landes brauchen ein intaktes Bankensystem, um ihre Ersparnisse verlässlich anlegen zu können. Und die Unternehmen brauchen ein funktionierendes Finanzsystem, das den Zugang zu Krediten gewährleistet, damit sie weiter wirtschaften können. Ansonsten würde der Wirtschaftsmotor abgewürgt. Ohne Kredite bleiben Investitionen aus, und zwar mit all den negativen Folgen für Wachstum, Arbeitsplätze und soziale Sicherung. Das ist der Zusammenhang.
Unser Maßnahmenpaket dient dazu, die Refinanzierung der Finanzinstitute zu sichern, die Beschaffung von Kapital zu erleichtern und eventuell den Instituten die Möglichkeit der Entlastung von Risikopositionen zu geben. Aber ich sage auch in diesem Zusammenhang: Keine Leistung ohne Gegenleistung. Deshalb wird gerade ein Augenmerk, auf das wir besonders unsere gesamte Kraft richten, sein, dass die Banken zu ihrer Verantwortung stehen und sich an bestimmte Regeln halten. Zum Beispiel ist die Finanzierung des Mittelstandes eine Kernaufgabe, wenn der Staat hilft, und sie ist auch eine Kernbedingung dafür, dass der Staat hilft.
Wir haben den Unternehmen eine weitere Möglichkeit gegeben das ist auch Teil dieses Pakets, nämlich eine flexiblere Handhabung der Bilanzierungsregeln. Das ist ein Beitrag dazu, dass im Grunde nicht allein die Kurzfristigkeit die Wertermittlung beherrscht, sondern dass hier auch wieder ein Stück Ruhe und Langfristigkeit hineinkommt. Das heißt also, wir haben alles darangesetzt, die zum Teil irrationalen Abwertungsspiralen zu durchbrechen und existierende Werte nicht sozusagen einer Preisvernichtung preiszugeben. Ich denke, dass es richtig war, auch auf europäischer Ebene die Bilanzierungsregeln an die amerikanischen Regeln anzupassen. Gleiche Wettbewerbsregeln im internationalen Bereich sind das A und O für eine offene und global agierende Wirtschaft. Wir werden natürlich die internationalen Bilanzierungsregeln mit den Kriterien der Transparenz und der Vergleichbarkeit der Abschlüsse immer wieder überprüfen.
Meine Damen und Herren, all das, was ich bisher hinsichtlich unseres Maßnahmenpakets dargestellt habe, kann natürlich nur ein Baustein auf dem Weg sein. Wir müssen vor allen Dingen miteinander überlegen, welche Lehren wir aus dieser Krise ziehen und wie wir verhindern können, dass es wieder zu einer solchen Situation kommt.
Um den Gefahren weiterer Verwerfungen auf den Finanzmärkten möglichst wirksam begegnen zu können, brauchen wir einen zweiten Baustein, der die neue Finanzmarktverfassung komplett macht: eine Neubestimmung der internationalen Regeln. Hier wird Europa eine führende und auch sehr fordernde Rolle einnehmen. Ich glaube, dass wir handeln müssen. Deshalb muss das Treffen der G 20 auf dem Weltfinanzgipfel also das Treffen der 20 führenden Wirtschaftsländer am 14. und 15. November mehr sein, als nur ein Treffen. Es muss ein klares Mandat, so jedenfalls meine Vorstellung, für einen Verhandlungsprozess verabschiedet werden, der nicht länger als ein Jahr dauern sollte, um wirklich zu neuen Regeln zu kommen.
Wir erleben dabei, dass es selbstverständlich ist, dass Schwellenländer wie China, Indien und andere daran teilhaben. Wir wirtschaften in einem gemeinsamen Kreislauf. Wir fühlen uns als Bundesregierung bezüglich unserer eigenen G8 -Präsidentschaft im letzten Jahr auch ein Stück weit bestätigt. Wir haben damals nämlich zwei Dinge gemacht: Wir haben auf die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte hingewiesen und haben auch konkrete Vorschläge dazu unterbreitet. Das war damals im angelsächsischen Raum nicht ganz so populär wie heute. Wir haben zweitens einen so genannten Heiligendamm-Prozess in Gang gebracht ein beständiges Forum der Zusammenarbeit von G8 plus den wesentlichen Schwellenländern, womit wir auf das vorbereitet sind, was wir heute sehen, nämlich dass die G8 -Staaten Wirtschafts- und Finanzregeln nicht mehr allein aufstellen können.
Meine Damen und Herren, Finanzmärkte schweben nicht im luftleeren Raum. Deshalb geht es jetzt darum, die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Wirtschaft so weit wie möglich zu begrenzen. Ich glaube, wir wissen, dass Deutschland in den letzten drei Jahren stark genug geworden ist stärker, als wir es vor 2005 waren, um eine solche Krise durchleben zu können. Aber wir wissen auch, dass wir den Unternehmen in unserem Land eine Brücke bauen müssen. Breit gestreute steuer- oder schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme wären allerdings, wie ich glaube, der falsche Weg, um eine solche Brücke zu bauen. Sie haben das eben auch gesagt. Ein kurzfristiges Strohfeuer kann uns volkswirtschaftlich nicht helfen. Wir brauchen gezielte und nachhaltig begründete Entscheidungen, die das Vertrauen in unseren Standort stärken, die auf die Zukunft und die Zukunftsfähigkeit unserer Produkte gerichtet sind.
Die Bundesregierung wird der Bundesfinanz- und der Bundeswirtschaftsminister bereiten das gemeinsam vor ein solches Paket in der kommenden Woche verabschieden. Es wird sehr gezielt sein. Es wird mutig sein. Es wird vor allen Dingen nachhaltig sein.
Ich will in diesem Zusammenhang auch noch einmal darauf hinweisen, dass wir bereits vor wenigen Wochen einige wichtige Maßnahmen beschlossen haben, die auch in diese Richtung gehen. Ich denke an die Erhöhung von Familienleistungen, an die konstanten sozialen Sicherungsbeiträge, an die Lohnzusatzkosten. Die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten bleiben unter 40 Prozent, und zwar deutlich unter 40 Prozent. Wir müssen alles daransetzen, dass wir diese erreichten Vorteile eher ausbauen und stärken, als sie wieder zur Disposition zu stellen. Hilfreich ist sicherlich auch die jüngste Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank. Ich glaube aber auch, dass viele Unternehmen auch durch die Erhöhung der Eigenkapitalquote in den letzten Jahren ihre Wettbewerbsfähigkeit gestärkt haben.
Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen in der vergangenen Zeit getroffen. Die Unternehmensteuerreform ist zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten, die Steuerlast von zuvor 39 Prozent konnte deutlich gesenkt werden. Körperschaftsteuer mit Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer führen jetzt zu einer Steuerbelastung von rund 30 Prozent. Damit hat sich Deutschland schon aus dem Kreis der Hochsteuerländer verabschiedet und ist nun in einem vernünftigen Mittelfeld.
Herr Börner hat darauf hingewiesen, dass der Erbschaftsteuer eine große Bedeutung zukommt. Wir wissen um diese Bedeutung. Wir wissen allerdings auch, dass uns das Bundesverfassungsgericht ein Urteil präsentiert hat, das es uns nicht ganz einfach macht, beim Vererben von Substanz anders vorzugehen als beim Vererben von Kapital, weil die Vergleichbarkeit der Bewertungen gewährleistet sein muss. Das war über viele Jahrzehnte in Deutschland nicht der Fall. Wir wussten alle miteinander, dass das vielleicht vor den Augen des Bundesverfassungsgerichts keinen Bestand haben würde. Das Bundesverfassungsgericht hat uns nun den Auftrag gegeben, nur dann Erleichterungen bei der Erbschaftsteuer zuzulassen aber diese Möglichkeit gibt es immerhin, wenn damit ein für die gesamte Gesellschaft verbundener Mehrwert deutlich sichtbar wird.
Wie wir das nun in einer möglichst unbürokratischen Form hinbekommen gleiche Bewertung von zu Vererbendem, gekoppelt mit einer Besserstellung der zu vererbenden Werte, die dem Gemeinwohl in besonderer Weise dienen, das ist die nicht ganz triviale Aufgabe, vor der wir stehen, aber zu der wir auch stehen. Darauf können Sie sich verlassen.
Das heißt also, die Entscheidungen müssen in den nächsten Tagen fallen. Ich glaube, es ist machbar. Ich glaube auch, dass Sie informiert sind, dass wir jetzt schon eine ganze Reihe von Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Gesetzentwurf diskutiert haben angefangen bei der Behaltensfrist bis zum so genannten Fallbeileffekt. Da gibt es deutliche Verbesserungen. Ich glaube, dass wir damit ganz nahe an das heranrücken, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben. Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass wir zu einem ordentlichen Ergebnis kommen können.
Meine Damen und Herren, bei den Lohnnebenkosten möchte ich auch noch einmal daran erinnern, dass wir jetzt alles darangesetzt haben, um die Spielräume wirklich auszuschöpfen. 2006 hatten wir bei der Arbeitslosenversicherung noch einen Beitragssatz in Höhe von 6,5 Prozent, heute von 3,3 Prozent. Wir haben uns entschlossen, ihn langfristig auf 3,0 Prozent und für eine bestimmte Zeit, die wir überschauen können, auf 2,8 Prozent zu senken. Das ist eine Reformdividende, die wir den Beitragszahlern zurückgeben. Ich will nicht verkennen, dass ein Teil davon aber wirklich nur ein Teil davon durch die Anhebung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung wieder kompensiert wird. Aber ich glaube, dass das Ziel insgesamt, das wir uns vorgenommen haben, erreicht wird. Das ist eine gute Nachricht.
Bei den Krankenversicherungsbeiträgen will ich nur darauf hinweisen: Der von der Bundesregierung verabschiedete durchschnittliche Beitragssatz von 14,6 Prozent ist nicht der erzwungene Beitragssatz, sondern es ist der durchschnittliche Beitragssatz. Jede Krankenkasse hat jetzt die Möglichkeit, im Wettbewerb ihren Versicherten auch etwas zurückzuzahlen, Mehrleistungen anzubieten. Das wird ein bisschen verkannt. Wo immer es diese Spielräume gibt, sollten wir also den Wettbewerbsgedanken durchaus auch in einem Feld wirken lassen, wo er bis jetzt noch nicht so gewirkt hat. Bis jetzt hat jede Krankenkasse ziemlich unscheinbar vor sich hin die Krankenversicherungsbeiträge erhöht. Das hat im letzten Jahr im Übrigen im Durchschnitt zu einer Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge um 0,7 Prozent geführt.
Wir wollen mehr Transparenz in den Krankenversicherungen, auch mehr Nachfragen der Versicherten, was ihnen ihre Krankenkasse bietet, gute Wechselmöglichkeiten und natürlich Krankenkassen, die ein Interesse daran haben, ihren Versicherten gute Leistungen anzubieten, aber das auch zu einem möglichst guten Preis.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass die tragende Säule unseres Wirtschaftssystems in Deutschland der Mittelstand ist der Mittelstand, die Familienunternehmen. Das ist im Übrigen auch eine interessante Lehre aus der Sozialen Marktwirtschaft: Ludwig Erhard musste sich mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie schwer anlegen, als er das Wettbewerbsrecht, das Kartellgesetz geschaffen hat, weil die großen Unternehmen natürlich nicht besonders viel Interesse daran hatten, dass es eine fein diversifizierte mittelständische Struktur in Deutschland gibt; ohne Kartellrecht würde es sie auch nicht geben. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie ein Ordnungsrahmen auch die Kraft einer Wirtschaftsordnung schärft und ermöglicht.
Wir haben in drei "Mittelstandsentlastungsgesetzen" versucht, dem Mittelstand zu helfen. Wir haben in den Fragen der Statistik, Buchführung und Genehmigungspflichten bisher eine Entlastungswirkung von 1,5 Milliarden Euro geschaffen und die handelsrechtlichen Buchführungs- und Bilanzierungspflichten für Einzelkaufleute abgeschafft, wenn sie bestimmte Schwellenwerte bei Umsatz und Gewinn nicht überschreiten. Das ist auch eine Entlastung von rund 1,2 Milliarden Euro.
Ich glaube, dass es uns insgesamt gelungen ist, mit dem Normenkontrollrat auch eine Kultur einer besseren Rechtsetzung zu schaffen. Denn die Bürokratiekosten müssen jetzt immer ermittelt und transparent gemacht werden. Der Normenkontrollrat schreibt zu jedem neuen Gesetz, das wir machen, eine Stellungnahme. Ich glaube, dass uns das bei der Rechtsetzung schon ein Stück weit treibt. Interessant war zum Beispiel, dass gerade auch bei der Unternehmensteuerreform die Stellungnahme des Normenkontrollrats im parlamentarischen Bereich dazu geführt hat, einfachere Regelungen zu finden als die, die vorgesehen waren.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass in dem Bereich, in dem wir innenpolitisch handeln können, natürlich auch viele so genannte weiche Faktoren für den Standort Deutschland von äußerstem Interesse sind. Ich sage voraus, dass das Thema Integration im nächsten Jahrzehnt von zentraler Bedeutung sein wird. Es ist heute schon wichtig. Denn wenn wir uns einmal anschauen, dass heute schon 40 bis 50 Prozent der Menschen im Alter von unter 25 Jahren in den Wirtschaftsregionen Deutschlands einen Migrationshintergrund haben, dann wissen wir, wie wichtig das Thema Integration für die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft ist. Schon jetzt haben wir auch von Fachkräftemangel gesprochen. Wie wird das erst werden, wenn die demografischen Veränderungen zunehmen und wir dann nicht in der Lage sind, auch jenen mit Migrationshintergrund wirklich gleiche Chancen auf Ausbildung und Bildung zu bieten?
Ich bedanke mich bei der deutschen Wirtschaft, die in vielfältiger Weise unseren Nationalen Integrationsplan unterstützt. Wir haben jetzt auf dem Bildungsgipfel auch dafür Sorge getragen, dass die Schnittstellen zwischen den einzelnen Bildungsstufen besser ausgestaltet werden. Natürlich gibt es unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Aber was nützt es der Wirtschaft, was nützt es denen, die Fachkräfte brauchen, was nützt es dem jungen Menschen, wenn er aus der Schule kommt und damit der Länderverantwortung entschwindet und direkt in die Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit hineinkommt und die Bundesagentur als erstes mit den Beitragsgeldern dafür Sorge tragen muss, dass ein Hauptschulabschluss nachgeholt wird, dass die Ausbildungsfähigkeit hergestellt wird? Deshalb müssen wir an dieser Schnittstelle natürlich enger zusammenarbeiten. Die Bundesregierung wird dieses Thema auch weiter auf der Tagesordnung halten.
Wir haben uns dazu verpflichtet, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Innovation, das heißt, für Forschung und Entwicklung auszugeben. All das sind Dinge, von denen wir in diesen Tagen auf gar keinen Fall irgendeinen Abstrich machen dürfen dazu haben wir uns verpflichtet, auch bei der Ausgestaltung unseres Bundeshaushalts. Denn es wäre sozusagen absolut kontraproduktiv, wenn wir die langfristigen Investitionen in Technologie und in die Köpfe der Menschen jetzt aufgeben würden. Das Gleiche gilt für die Familienpolitik, weil auch gerade hier die Zukunft unserer Gesellschaft gestaltet wird. All das sind gemeinschaftliche Überzeugungen der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, ich glaube, beim Bundesverband des Groß- und Außenhandels ist neben der Frage, wie wir eine internationale Finanzmarktverfassung schaffen, auch die Frage, wie faire Handelsbedingungen geschaffen werden können, von allergrößter Bedeutung. Wir arbeiten daran, dass wir die Doha-Runde zu Ende bringen. Das ist extrem schwierig. Trotzdem glaube ich nach wie vor, dass die WTO und das multilaterale Handelssystem die richtige Antwort auf die weltweite Verflechtung sind und nicht lauter bilaterale Handelsabkommen. Auch hier bedanke ich mich für die vielfältige Unterstützung, die wir erfahren haben.
Insgesamt haben wir also eine Zeit, in der Weichen sehr intensiv gestellt werden müssen. Wir haben eine Zeit, in der sich zeigt, dass Wirtschaft, Arbeitnehmer und Staat in gemeinsamer Verantwortung dazu verpflichtet sind, die Zukunft vernünftig zu gestalten. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Börner, und bei Ihren Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich dafür, dass Sie sich dieser Verantwortung stellen und dass Sie damit auch einen Beitrag für die Zukunft unseres Landes leisten. Herzlichen Dank und auf gute Zusammenarbeit.