Redner(in): k.A.
Datum: 06.07.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/35/13235/multi.htm


Sperrfrist 9.00 Uhr!

Herr Präsident,

meine Damen und Herren Abgeordneten,

am 14. April hat der Deutsche Bundestag den von allen Fraktionen eingebrachten Entwurf des Gesetzes zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" in erster Lesung behandelt.

Heute, knapp drei Monate später, stehen Sie vor der zweiten und dritten Lesung.

Kaum ein Wort, kaum ein Satzzeichen, ist unverändert geblieben.

Die Berichterstatter und der Bundesminister der Finanzen haben eine wahrlich eindrucksvolle Arbeit geleistet, um im Gesetzentwurf mit dem Rhythmus deutsch-amerikanischer Verhandlungsrunden, aber auch mit den Absprachen mit deutschen Unternehmen, Osteuropäern und vielen Opfergruppen Schritt zu halten.

Dass es gelungen ist, die Allparteienkoalition zusammenzuhalten, ist eine große politische Leistung, für die Frau Jelpke, Herr Beck, Herr Bosbach, Herr Reuter und Herr Stadler und nicht zuletzt Herr Wiefelspütz gemeinsam verantwortlich zeichnen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Am 14. April habe ich Ihnen die vorausgegangenen Etappen unseres Verhandlungsprozesses vorgestellt.

Es sind zwei wesentliche Schritte dazugekommen.

Am 22. Mai, nach langen, zum Teil öffentlich geführten Debatten, hat ein amerikanischer Reparationsverzicht den Weg zum Abschluss frei gemacht.

In dem deutsch-amerikanischen Regierungsabkommen wird dazu ausgeführt werden "The United States will not raise any reparation claims against Germany", auf Deutsch: Die Vereinigten Staaten werden keine Reparationsansprüche gegen Deutschland geltend machen ".

Es ist leicht zu behaupten, dass die US-Regierung nur Evidentes bestätigt.

Das Thema Reparationen hat komplizierte Diskussionen erfordert.

Die Beratung durch Prof. Frowein, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, war dabei besonders hilfreich.

Am vergangenen Pfingstmontag endlich haben wir uns nach weiteren dramatischen Diskussionen auf den Rechtsfrieden geeinigt, der in einem Briefwechsel zwischen dem außenpolitischen und sicherheitspolitischen Berater des Bundeskanzlers, Michael Steiner, und dem National Security Advisor Sandy Berger und der Rechtsberaterin des Präsidenten, Frau Nolan, festgehalten ist.

Erst unsere Intervention, die die Angelegenheit auf die Ebene Bundeskanzleramt Weißes Haus brachte, ermöglichte es, in einer äußerst schwierigen Verhandlungsphase die Bedenken des amerikanischen Justizministers zu überwinden. Der so erzielte Rechtsfrieden wird auch dort greifen, wo anhängige Klagen etwa nicht zurückgenommen oder neue Klagen erhoben werden.

Wir befinden uns jetzt in der Endphase der Redaktion des deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens zur Rechtssicherheit und der Abschlusserklärung der Konferenzteilnehmer, jeweils mit einer Reihe von Anlagen.

Diese Texte werden voraussichtlich am 17. Juli anlässlich eines feierlichen Abschlussplenums unterschrieben werden:

Von der deutschen und der amerikanischen Regierung,

den fünf mittel- und osteuropäischen Staaten Polen, Russland, der Tschechischen Republik, der Ukraine und Weißrussland,

von Israel und der Claims Conference,

von der Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen

und von den an den Plenarsitzungen beteiligten US-Anwälten.

Mit diesem Gesetz und diesen begleitenden Texten ist von deutscher Seite alles getan, damit die Auszahlungen an die Partnerorganisationen in diesem Jahr beginnen können.

Über eine Million ältere und alte Menschen haben darauf 55 Jahre oder zumindest seit Beginn der Gespräche vor anderthalb Jahren gewartet.

Die meisten leben in Osteuropa und die Sterberate scheint nach jüngeren Informationen aus Russland noch viel höher zu sein, als wir es bisher angenommen haben.

Bei den Diskussionen über viele juristische Details sind die Bilder der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter häufig verblasst.

Heute haben wir allen Anlass, wieder an sie zu denken.

Bundespräsident Rau hat uns am 17. Dezember 1999 darauf verpflichtet, das Leid der Zwangsarbeiter als Leid anzuerkennen und das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht zu nennen.

Wie ich schon am 14. April hervorheben konnte, unterstützten die meisten der fast zweitausend Zuschriften, die ich in diesen Monaten erhielt, das Vorhaben der Bundesstiftung.

Es erreichten mich aber auch fragende Briefe, viele von ehemaligen deutschen Zwangsarbeitern der ummittelbaren Nachkriegszeit in Polen, Russland, der Tschechischen Republik, aber auch im Westen.

In vielen Briefen war das Anliegen nicht Entschädigung, sondern das Bedürfnis, dass das eigene, durchaus vergleichbare Leid nicht vergessen wird.

Dafür habe ich tiefes Verständnis.

Meine Damen und Herren,

erlauben Sie mir, drei Fragen des Gesetzentwurfes anzusprechen:

E r s t e n s: Der Bundestag wird in seiner Entschließung dazu auffordern, dass wir auch für die ehemaligen Zwangsarbeiter aus jenen Ländern Sorge tragen, die nicht mit am Verhandlungstisch saßen, etwa aus der Slowakei, aus Slowenien, aus Ex-Jugoslawien.

Viele sind als Displaced Persons nach Frankreich, England, Amerika ausgewandert oder leben in anderen Staaten in der Diaspora.

Wir wissen, dass die 540 Mio. DM, die dafür im Gesetz vorgesehen sind, sich als zu knapp erweisen könnten.

Genau weiß es niemand.

Wir haben uns gemeinsam mit Deputy Secretary Eizenstat Gedanken gemacht, wie wir eine annähernd vergleichbare Entschädigung sicherstellen können.

Es geht dabei um nicht ausgeschöpfte Plafonds, Gelder aus dem US-Fonds, Mittel aus dem Schweizer Bankenvergleich, Zinsen des Stiftungskapitals.

Es wird eine zentrale Aufgabe des Stiftungskuratoriums sein, diese materielle Gerechtigkeit zu überwachen.

Der Innenausschuss schlägt Ihnen vor, die International Organization for Migration als siebente Partnerorganisation mit der Aufgabe zu betrauen, den sogenannten "Rest der Welt" zu betreuen und ihr dafür von Anfang an einen Platz im Kuratorium einzuräumen.

Ich begrüße dies.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes, also in weniger als einem Monat, beginnt die höchstens einjährige Antragsfrist für die Zahlungen.

Dann müssen die achtzig IOM-Büros weltweit in der Lage sein, diese Anträge entgegenzunehmen und ihre Prüfung einzuleiten.

Die anderen Partnerorganisationen, die über Datenbanken und Personal verfügen, sind gegenüber der IOM im zeitlichen Ablauf im Vorteil.

Ich meine, dass wir der IOM mit einer angemessenen Anschubfinanzierung helfen müssen, den Abstand zu anderen Partnerorganisationen im Interesse der Opfer zu verringern.

Z w e i t e n s: Die baltischen Staaten fordern, eigene Plafonds und die Verteilung durch eigene Opferorganisationen vorzusehen.

Ähnliches gilt für eine Reihe anderer Staaten und Organisationen, ich erwähne nur Slowenien und die Slowakei oder die Polen in Amerika.

Bundeskanzler Schröder hatte mich eingeladen, ihn in der vergangenen ersten Juniwoche auf eine Reise in das Baltikum zu begleiten, eine Region, die wie Sie wissen mir und meiner Familie nicht völlig unvertraut ist.

Umso mehr kann ich daher die Zurückhaltung der baltischen Betroffenen verstehen, die Zahlungen über die Partnerstiftungen in Minsk und Moskau zu erhalten.

Ich habe meinen baltischen Gesprächspartnern vorgeschlagen, in ihren Staaten Annahmeorganisationen zu berufen, die die Anträge in der Landessprache entgegennehmen und nach Moskau beziehungsweise Minsk weiterleiten.

Auch die Auszahlung sollte vor Ort erfolgen.

Eigene Plafonds für die Baltischen Staaten sind jedoch nicht möglich, weil dies die im Dezember abgeschlossene Aufteilungsdiskussion erneut eröffnen und außerdem einen Präzedenzfall schaffen würde, auf den sich alle anderen Staaten zu Recht berufen könnten.

Ich betone noch einmal, dass ich für das politische Anliegen durchaus Verständnis habe, umso mehr, als jetzt aus Moskau erneut das Märchen verbreitet wird, dass das Baltikum freiwillig der Sowjetunion beigetreten sei.

D r i t t e n s: Ich begrüße nachdrücklich, dass der Bundesminister der Finanzen auf der Grundlage eines Schreibens der Stiftungsinitiative, unterzeichnet von Dr. Breuer, dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank, und Dr. Gentz, dem Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, zugestimmt hat, dass das Gesetz am Tage nach seiner Verkündung in Kraft treten kann.

Dies ist außerordentlich wichtig, um weitere Verzögerungen auszuschließen, denn nach Inkrafttreten des Stiftungsgesetzes muss das Kuratorium zusammentreten, um den Stiftungsvorstand zu berufen, Verträge mit den Partnerorganisationen auszuhandeln und für die weltweite Bekanntmachung des Stiftungsangebots Sorge zu tragen.

Das Schreiben der Stiftungsinitiative hat dem Innenausschuss vorgelegen.

Allerdings, und auch da bin ich dankbar, dass der Bundestag meinem Vorschlag gefolgt ist:

Erst in dem Moment, in dem der Deutsche Bundestag festgestellt hat, dass mit der Abweisung der in den USA anhängigen Klagen der Rechtsfrieden hergestellt ist, wird die Stiftung berechtigt und verpflichtet, ihre Auszahlungen zu beginnen.

Dabei halte ich fest:

Die vor einem US-Richter zusammengeführten Sammel- und Einzelklagen müssen vom Tisch.

Ob dies auch für die letzte Klage vor einem Einzelstaatgericht in Kentucky gilt, mag der Bundestag zur gegebenen Zeit entscheiden.

Meine Damen und Herren,

auch ich hätte mir eine mutigere erneute Verpflichtung der deutschen Wirtschaft vorstellen können.

Ich vertraue jedoch auf die von der deutschen Wirtschaft gegebene Zusage, der Stiftung 5 Mrd. DM zur Verfügung zu stellen.

Es ist ein öffentliches Ärgernis, dass die Mehrzahl der Unternehmen noch nicht der Stiftungsinitiative beigetreten ist.

Die Gründungsunternehmen der Stiftungsinitiative waren sicher zu optimistisch und fangen erst jetzt an, Klartext zu sprechen.

Ich sage ganz deutlich:

Kein deutsches Unternehmen, auch wenn es erst nach dem Kriege gegründet wurde, darf sich von der Stiftungsinitiative ausschließen.

Es gibt keinen Grund, sich der Gesamtverantwortung der deutschen Wirtschaft zu entziehen.

Diejenigen, die sich nicht mit der Vergangenheit belastet fühlen, sollten sich mit den Aufgaben des Zukunftsfonds identifizieren können, der in der Stiftung eine zentrale Bedeutung hat.

Meine Damen und Herren,

denen, die aus verständlichen Gründen den einen oder den anderen Einwand gegen das Stiftungsgesetz haben, möchte ich mit aller Deutlichkeit zu verstehen geben, dass Moral und Geschäft selten so nahe beieinander lagen wie bei diesen Verhandlungen.

Die Stiftung schützt unmittelbar deutsche Interessen in den USA, nämlich unsere Exporte und Investitionen.

Sie sichert damit auch Arbeitsplätze in Deutschland.

Sie fördert den Handelsaustausch zwischen den Ländern und das Vertrauen in die Märkte.

Und damit trägt sie entscheidend zur Erhaltung der guten deutsch-amerikanischen Beziehungen bei.

Eine Fortsetzung der Gerichtsverfahren in Amerika mit aller öffentlichen Begleitmusik hätte das deutsch-amerikanische Verhältnis schwer belastet.

Meine Damen und Herren,

heute stehe ich sicher das letzte Mal vor ihnen, in dem Bundestag, der einen großen Teil meines Lebens ausmachte.

In Kürze werde ich dem Bundeskanzler Vollzug melden.

Ich hoffe, dass ich mit dieser Aufgabe, die ich im vollen Bewusstsein der damit verbundenen Verantwortung übernommen habe, Ihnen allen einen Dienst erweisen konnte.

Meine Damen und Herren, ich will nicht schließen, ohne denen Dank zu sagen, deren Mithilfe für das Gelingen unerlässlich war. Mein Dank geht zuerst an Deputy Secretary Stuart Eizenstat, an seinen Mitstreiter Botschafter J. D. Bindenagel und an Dr. Manfred Gentz, den Sprecher der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft. Und last but not least an die hochmotivierten Mitarbeiter meines kleinen Arbeitsstabes, vor allem an dessen Leiter Michael Geier.

Ihre heutige Entscheidung wird helfen, die Vergangenheit nicht zu vergessen und den Weg in eine Zukunft zu stärken, in der sich solche Untaten nicht wiederholen werden.

Bitte, stimmen Sie dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" zu.

Vielen Dank.