Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 07.07.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/85/13385/multi.htm


Sperrfrist: Redebeginn! ca. 14.40 Uhr )

der Einladung zu dieser Festveranstaltung bin ich gerne gefolgt.

Ein wichtiger Grund ist: Ich möchte deutlich machen, dass die von mir geführte Bundesregierung in der Förderung von Bildung und Forschung eine ihrer wichtigsten Aufgaben sieht.

Nachdem unsere Vorgänger diesen Bereich finanziell und konzeptionell böse vernachlässigt hatten, haben wir die Weichen für den notwendigen Aufbruch gestellt.

Seitdem steigen die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung wieder deutlich an - allein im nächsten Jahr um knapp 800 Millionen DM.

Die Mittel des Staates werden allerdings immer begrenzt sein. Nicht nur deshalb ist ihr möglichst effizienter Einsatz unabdingbar.

In der Forschung gilt es, Kapazitäten zusammenzuführen und die am meisten zukunftsträchtigen Bereiche auch am stärksten zu fördern. Das heißt: Die Forschungsförderung wird auf Leitprojekte in technologischen Spitzenfeldern konzentriert. Förderung nach dem "Gießkannenprinzip" darf es nicht geben. Nicht Stellenpläne, sondern Programme und Themen sollen die Arbeit der Forschungseinrichtungen bestimmen. Die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und Hochschulen bei der Forschung wie auch bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses muss verstärkt werden.

Die Research Schools der Max-Planck-Gesellschaft können hier durchaus als

Vorbild dienen. Und: Zwischen Wissenschaft und Wirtschaft müssen noch mehr Kompetenznetzwerke aufgebaut werden, damit eine schnellere Umsetzung von Forschungsergebnissen in neue Produkte und Dienstleistungen gelingt.

Meine Damen und Herren,

die Forschung in den neuen Ländern hat in den letzten Jahren deutlich an Profil gewonnen. Ein gutes Beispiel dafür ist Greifswald mit seinen hoch spezialisierten Instituten.

Am Institut für Plasmaphysik wird bis 2005 die bedeutendste Experimentier-Einrichtung des europäischen Fusionsprogramms errichtet. Dieses "Wendelstein 7 X" genannte Projekt wird die weltweit größte Anlage ihrer Art sein.

Allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung beteiligt sich daran mit insgesamt rund 690 Millionen Mark.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat die Ansiedlung des neuen Instituts in Greifswald in weit höherem Maß unterstützt, als dies üblicherweise im Verhältnis zwischen Bund und Land vorgesehen ist. Das Land unterstreicht damit, wie hoch es die Bedeutung dieser großen wissenschaftlichen Einrichtung für die Entwicklung der Region einschätzt.

Das Institut für Plasmaphysik in Greifswald könnte so eine Keimzelle für vielfältige zukunftsträchtige Aktivitäten werden. Die Aussichten dafür sind jedenfalls sehr gut.

Die Zusammenarbeit mit der Ernst-Moritz-Arndt-Universität und den Schulen der Region ist schon sehr vielversprechend angelaufen. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang das internationale Begegnungszentrum "Felix Hausdorff". Es eröffnet vor allem ausländischen Gastforschern die Möglichkeit des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Austausches.

Ich begrüße dies ausdrücklich. Denn: Wir müssen Deutschland weit internationaler machen, als es bisher ist. Wir müssen Ängste vor Fremdheit abbauen. Eine Haltung des Sich-Abschottens passt nicht zu unserer Welt, in der die Wirtschaft, aber auch die Wissenschaft immer stärker globalisiert sind. Nur wenn wir Austausch und Kooperation ganz bewusst praktizieren, wenn wir uns für das Wissen und die Erfahrungen Anderer öffnen, für Menschen aus anderen Gesellschaften und anderen Kulturen - nur dann steht uns buchstäblich die Welt offen.

Gerade in Bildung und Forschung beschleunigt sich die Internationalisierung. Es gibt einen zunehmenden internationalen Wettbewerb um Studenten, Doktoranden, Wissenschaftler, Forscher und gut ausgebildete Arbeitskräfte über alle Grenzen hinweg.

Unser Land darf in diesem Wettbewerb nicht zurückfallen. Im Gegenteil: Wir müssen uns auf den internationalen Märkten mit hervorragenden Angeboten in Bildung und Forschung präsentieren. Dazu müssen unsere "Produkte" stimmen.

Aber Deutschland muss sich auch auf internationalen Veranstaltungen oder in den weltweiten Informationsnetzen als attraktiver Ort für Bildung und Forschung präsentieren. Ich weiß, dass es hier schon vielfältige und durchaus vorzeigbare Aktivitäten gibt. Sie sind in der Regel dem besonderen Engagement einzelner Organisationen oder Personen zu verdanken. Mein Ziel ist ein verbessertes und gemeinsames internationales Marketing für Bildung und Forschung in Deutschland. Die dafür notwendigen Schritte will ich im September mit Spitzenvertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diskutieren.

Meine Damen und Herren,

mit Beginn der Nutzungsphase von "Wendelstein 7 X" werden am Greifswalder Standort rund 300 hochqualifizierte Fachkräfte tätig sein. Die Bundesregierung steht zu dem Großexperiment "Wendelstein 7 X", weil es Raum gibt für qualifizierte Grundlagenforschung. Bereits in meiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 10. November 1998 habe ich betont, dass die Bundesregierung den Einstieg in eine zukunftsfähige Energieversorgung will. Dieser Satz gilt nach dem Atomkonsens mit den Energieversorgern mehr denn je. Wir setzen dabei auf die Innovations- und Entwicklungspotenziale bei den erneuerbaren Energien. Wir setzen auch darauf, Möglichkeiten zur Einsparung konsequent zu nutzen. Der Beitrag, den die Fusionsenergie leisten kann, ist noch nicht ausgelotet. Sie als Wissenschaftler halten mit Ihren Arbeiten die langfristige Option Fusionsenergie offen.

Es ist wohl ein Zufall, gleichwohl aber bedenkenswert, dass zu der Zeit, da dieses schöne und großzügige neue Institut eingeweiht wird, die Gründung des Instituts für Plasmaphysik gerade 40 Jahre zurück liegt. Es war kein geringerer als Werner Heisenberg, der 1960 den damaligen Atomminister Balke - so etwas gab es früher - davon überzeugte, einige Arbeitsgruppen in einem Institut für Plasmaphysik zusammenzufassen.

Sie haben in der Plasmaphysik wissenschaftliche Fortschritte erzielt, auf die Sie zu Recht stolz sind und die der deutschen Fusionsforschung anerkanntermaßen eine international führende Rolle sichern. Dennoch hat sich die zu Beginn der Untersuchungen gehegte Hoffnung auf rasche wissenschaftliche und technische Durchbrüche nicht erfüllt. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass schwierige physikalische und Werkstoff-Probleme aufgetreten sind, die in ihrem Ausmaß nicht vorhersehbar waren.

Dennoch wird seit 14 Jahren bereits über den nächsten physikalisch-technischen Schritt der Kernfusion nachgedacht. Es waren die Präsidenten Reagan und Gorbatschow, die gegen Ende des Kalten Krieges das visionäre weltweite ITER-Projekt aufgegriffen haben, um die Entspannungsbemühungen mit einem gemeinsamen langfristigen Vorhaben zu unterstützen. ITER steht an der Schwelle des Übergangs von der Forschung zur Großtechnik. ITER wäre ein erster, weit reichender Schritt in Richtung auf ein großes Fusionskraftwerk - mit zur Zeit kalkulierten Kosten von 3,5 Milliarden EURO.

Sie werden dafür Verständnis haben, dass wir eine Entscheidung zum Bau von ITER sorgfältig abwägen müssen - und dies im freundschaftlichen Einvernehmen mit den Partnerländern. Es ist ja auch keineswegs so, dass diese zu einem positiven Entscheid drängen. Es ist ein Gebot der Vernunft, Chancen und Risiken dieser neuen Technik noch einmal zu bewerten. Dabei sind Bedingungen wie Angebot und Nachfrage von Energie, Preise und Umweltbelastungen einzubeziehen.

Keine Großtechnik kann ohne genaue Kenntnis der Märkte und ohne Beteiligung der Industrie eingeführt werden. Das ist eine gelegentlich verdrängte, aber dennoch unbedingt zu beherzigende Erfahrung. Besonders wichtig ist der Bundesregierung deshalb die Haltung, die denkbare zukünftige Betreiber von Fusionskraftwerken einnehmen.

Wir dürfen hier die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Es gibt leider schon zu viele Beispiele anfangs bejubelter Spitzentechniken, die vom Bund mit großem finanziellen Aufwand unterstützt wurden, deren Anwendung dann aber scheiterte, weil das Augenmerk zu sehr auf die technisch-wissenschaftliche Herausforderung gerichtet war. Sie als Wissenschaftler sind aufgerufen, Neuland zu erkunden, Wissen für Problemlösungen zu erarbeiten und auch Visionen zu verfolgen. Sie eröffnen damit Optionen. Dies ist eine große Chance. Nutzen Sie sie!

Aber die Politik hat, gegebenenfalls im Zusammenspiel mit der Industrie, die Aufgabe, nüchtern die Szenarien und Bedingungen abzuwägen, Erfolgsaussichten zu bewerten und Prioritäten zu setzen. Lassen Sie uns in dieser wohlverstandenen Arbeitsteilung gemeinsam an den Fragen arbeiten, die vor uns liegen. Sie haben dazu hier in Greifswald gute Voraussetzungen zur Bewältigung der wissenschaftlichen Herausforderungen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg.

Wenn von zukunftsfähiger Energieversorgung die Rede ist, dann möchte ich natürlich hier in Greifswald auch auf ein Vorhaben ganz in der Nähe zu sprechen kommen. Mich haben in den vergangenen Tagen sehr viele Gesprächswünsche wegen des GuD-Kraftwerkes in Lubmin erreicht. Da der Zeitplan es leider nicht erlaubt, all diesen Wünschen nachzukommen, gestatten Sie mir ein paar Bemerkungen: Die Bundesregierung begrüßt die Absicht von Investoren, in Lubmin ein GuD-Kraftwerk zu errichten. Sie setzt sich gemeinsam mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern für gute Rahmenbedingungen ein.

Wir wollen der hocheffizienten und damit umweltfreundlichen Technologie dieser GuD-Kraftwerkanlage Rechnung tragen und deshalb eine Befreiung von der Mineralölsteuer vorsehen. Auch die EU-Kommission ist sich der regional- und strukturpolitischen Bedeutung dieser Investition durchaus bewusst. Nach dem aktuellen Verhandlungsstand mit der EU-Kommission ist eine Freistellung solcher Kraftwerke von der Mineralölsteuer, aus rein umweltpolitischen Erwägungen, für eine Betriebsdauer von fünf Jahren je Kraftwerk genehmigungsfähig. Für den geplanten Kraftwerksstandort in Lubmin ist jedoch Planungssicherheit darüber hinaus erforderlich. Sie muss deshalb auch gewährt werden.

Die Bundesregierung prüft an erster Stelle, ob im Rahmen des Mineralölsteuergesetzes eine zusätzliche Förderung als Regionalfördermaßnahme möglich ist.

Auch andere Förderinstrumente sind in Erwägung zu ziehen. Wir werden den zur Verfügung stehenden rechtlichen Rahmen ausschöpfen, damit das Kraftwerk errichtet wird.