Redner(in): Michael Naumann
Datum: 13.07.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/52/14852/multi.htm


Badische Zeitung: Wird die deutsch-französische Filmakademie nun definitiv ihren Sitz in Ludwigsburg haben?

Naumann: Lassen Sie mich zunächst erläutern, wie dieses Projekt zu Stande kam. Die Gründung der deutsch-französischen Filmakademie geht auf eine Anregung des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac vom November 1999 zurück. Obwohl die Bezeichnung das vielleicht nahe legt, wird keine binationale Hochschule gegründet. Vielmehr ist die deutsch-französische Filmakademie ein Beratungsgremium für die Politik. Von den derzeit 20 deutschen und französischen Filmexperten, die die "Akademie" bilden, verspreche ich mir wirksame Anstöße für die deutsch-französische Zusammenarbeit im Filmbereich. Das betrifft den Bereich der Koproduktion, des Vertriebs, der Aus- und Fortbildung, der Verwertungsmöglichkeiten im Fernsehen sowie der Pflege unseres inzwischen schon beträchtlichen audiovisuellen Erbes.

Die Filmakademie hat keinen festen Sitz, ihre Mitglieder werden ein- bis zwei Mal im Jahr, je nach Bedarf, zusammenkommen. Meine Behörde und das französische "Centre National de la Cinématografie" teilen sich die Geschäftsführung. Dabei soll es im Bereich der Aus- und Fortbildung durch die Einrichtung einer gemeinsamen Master-Class in der Tat eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Filmakademie in Ludwigsburg und der französischen Filmakademie in Paris ( FEMIS ) geben.

Die wirtschaftliche Situation der Filmproduktion in beiden Ländern ist schlecht - der Patient siecht, also hängt man noch mal einen Tropf an. Welchen Etat hat die Akademie und wie wird sie finanziert?

Deutsche und französische Filme haben es tatsächlich - vor allem im Vergleich zum amerikanischen Film - schwer. Deswegen werden wir ja aktiv. Was die deutsch-französische Filmakademie betrifft: Sie hat keinen festen Etat. Die Regierungen werden gemeinsam prüfen, welche Vorschläge der Akademiemitglieder - etwa zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Koproduktion, des Vertriebs, der Aus- und Fortbildung oder der Ausstrahlung im Fernsehen - umgesetzt werden können.

Wann nimmt sie ihre Arbeit auf?

Die konstituierende Sitzung hat bereits stattgefunden: Im Rahmen des deutsch-französischen Gipfels Ende Juni in Berlin.

Und was will sie erreichen? Ein Zentrum neuer Vermarktungsformen sein, was von französischer Seite vorrangig gewünscht wird? Oder, wie es den Deutschen vorschwebt, eher ein Ort für die Aus- und Weiterbildung?

Wie ich schon angedeutet habe: Die deutsch-französische Zusammenarbeit soll vor allem bei Koproduktionen, dem Vertrieb, der Aus- und Fortbildung, der Ausstrahlung im Fernsehen und der Pflege unseres audiovisuellen Erbes intensiviert werden. Dafür muss ein günstiges Klima geschaffen werden, auch über enge, persönliche Kontakte.

1996 wurde das EIKK gegründet, das "Europäische Institut des Kinofilms" in Karlsruhe, mit "" Heimat" -Regisseur Edgar Reitz als Leiter. Das EIKK schickt Filmstudenten zu wichtigen europäischen Produktionen, gibt Postgraduierten die Chance, ihre ersten Filme in einem anderen europäischen Land zu drehen. Der Etat ist lächerlich, aber die Infrastruktur ist da, um den europäischen Film über Austausch und Lernen von und bei den Nachbarn zu befördern. Dabei spielt die Achse Deutschland-Frankreich eine wichtige Rolle...

Lassen Sie die "Achse" in diesem Zusammenhang einmal weg. Aber die Intensivierung der guten deutsch-französischen Beziehungen auch auf diesem Gebiet war tatsächlich ein wichtiges Motiv für die deutsch-französische Filmakademie.

Es geht um die in den letzten Jahren gewachsenen Beziehungen, schon wegen der Nähe zwischen Karlsruhe und Strasbourg. Das EIKK, die Stadt Karlsruhe und Reitz persönlich haben Ihnen dem Vernehmen nach geschrieben, als die Pläne für die Filmakademie bekannt wurden, und wollten die neuen Aktivitäten mit dem EIKK koordinieren. Sie sagen, sie hätten bis heute nichts von Ihnen gehört. Hat die deutsch-französische Filmakademie eine grundsätzlich andere Zielsetzung als das EIKK?

Stimmt, auch das "Europäische Institut des Kinofilms" in Karlsruhe und die Stadt Karlsruhe haben Interesse angemeldet, wie übrigens auch Institutionen aus anderen Regionen. Bei den Gesprächen zwischen den Fachkollegen meines Amtes und denen aus Baden-Württemberg hat aber das Land der Zusammenarbeit mit der Filmakademie Ludwigsburg Priorität beigemessen. Wir haben das akzeptiert.

Die Umsatzanteile des heimischen Films sind in Frankreich vergleichsweise hoch - dank rigoroser Subventions- und Quotenpolitik. Es wurde ja selbst daran gedacht, nicht genehme Filmkritiken zu verbieten. Soll jetzt eine Quote auf bilateraler Ebene gefördert werden?

Nein, nein. Ich bin strikt dagegen, Quoten für den Kinofilm einzuführen, weder für den deutschen, französischen oder amerikanischen Film. Daran denkt auch niemand. Wer die jetzigen Probleme lösen will, muss Folgendes bedenken: In Frankreich liegt der Marktanteil des französischen Films bei 35 bis 40 Prozent, in Deutschland liegt der des deutschen Films bei etwa 15 Prozent. Unser gemeinsames Ziel besteht zunächst darin, den Marktanteil der Filme im jeweiligen Nachbarland zu erhöhen, das heißt des deutschen Films in Frankreich, der unter einem Prozent liegt, und des französischen Films in Deutschland, der auch nur zwischen ein und zwei Prozent schwankt. Wir wollen also unsere Zusammenarbeit beim Vertrieb und der Aus- und Fortbildung intensivieren.

Welche Filme sollen nun "gepusht" werden? Setzt auch die Akademie auf nationale Großproduktionen wie "Asterix" und "Jeanne d'Arc", mit denen Frankreich den Amerikanern die Zähne zeigen wollte? Oder auf deutsche Hollywoodimitate wie das Erfolgsfilmchen "Anatomie" ? Oder kann sie einem Film wie "Die Unberührbare", der gerade den Deutschen Bundesfilmpreis bekam, zum Kassenerfolg auf beiden Seiten des Rheins verhelfen?

Ach wissen Sie, es liegt sowohl der Bundesregierung als auch der deutsch-französischen Filmakademie wirklich fern, sich als Kritiker zu betätigen und irgendwelche Vorgaben im Hinblick auf einzelne Filme zu machen. Wir wollen einfach, dass die Präsenz der Filme aus dem jeweiligen Nachbarland verbessert wird - mit "Jeanne d'Arc" und mit "Die Unberührbare". Am Ende hängt aber der Erfolg des gemeinsamen Unternehmens sowohl von der Qualität der Filme als auch von ihrer professionellen Vermarktung ab. Das passiert auf einem umkämpften Markt und wird nicht von der Akademie oder einer Kommission gesteuert.

Laut Agenturbericht nannten Sie als ein Problem des europäischen Films die regionale Orientierung, die es schwer mache, Filme innerhalb Europas zu übersetzen, ja überhaupt kulturell zu vermitteln. Soll jetzt in der Filmakademie ein europäischer Einheitsbrei gekocht werden?

Natürlich nicht. Meiner französischen Kollegin und mir geht es darum, französischen Filmen in Deutschland und deutschen Filmen in Frankreich zu einer stärkeren Präsenz zu verhelfen. Das ist genau das Gegenteil des von Ihnen befürchteten Europuddings. Gerade aus den Differenzen erwächst die Spannung und die Neugierde auf den jeweils anderen.

Wenn die regionale Orientierung die Vermittlung erschwert: Warum laufen dann in Deutschland die britischen Filme so gut, die ja politisch, sozial und dialektsprachlich sehr genau verortet sind? Oder die dänischen?

Ich freue mich sehr, wenn Filme aus unseren europäischen Nachbarländern bei uns eine starke Präsenz haben, zum Beispiel die von Ihnen erwähnten aus Großbritannien oder aus Dänemark. Das ist aber nicht die Regel. Wenn Sie genau hinschauen, handelt es sich meistens um Phänomene, die selten länger als ein Jahr zu beobachten sind. Ich wünsche mir, dass ein solcher Trend länger anhält, deshalb tun wir jetzt zum Beispiel etwas für bessere Austauschmöglichkeiten. Und natürlich hoffe ich, dass dieses Beispiel Schule macht.

Können Sie in einem Satz sagen, was für Sie ein guter europäischer Film ist?

Ein guter europäischer Film ist für mich ein Film, der sich professionell, anregend und auch anrührend mit den Freuden, Hoffnungen und Leiden der Menschen auseinander setzt - und zwar auf eine Art und Weise, dass er auch Zuschauer in anderen europäischen Ländern anspricht.