Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 14.07.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/36/13736/multi.htm


Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

nach mehr als 50 Jahren verabschiedet sich der Bundesrat heute aus Bonn. Hier sind Demokratie und Föderalismus erwachsen geworden. Dies ist eine erneute Gelegenheit, der Stadt Bonn und ihren Menschen im Namen der Bundesregierung zu danken für die Gastfreundschaft in diesen Jahren. Gleichzeitig möchte ich meine persönliche Freude zum Ausdruck zu bringen, dass die Stadt den durch den Umzug von Bundestag und Bundesregierung forcierten Strukturwandel so gut gemeistert hat.

Mehr als alle Festreden werden Ihre Entscheidungen am heutigen Tag das Bild prägen, das 50 Jahre Föderalismus, 50 Jahre Bundesrat in Bonn ausmacht.

Die alliierten Besatzungsmächte hatten eine institutionelle Trennung von Bund und Ländern verlangt. Dadurch entstand ein Verbundföderalismus mit ausgeprägten Verhandlungszwängen. Hatte der parlamentarische Rat die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze ursprünglich auf 10 % geschätzt, waren es bereits in den Anfangsjahren der Bundesrepublik über 40 % , inzwischen sind wir bei fast 60 % angelangt. Von der informellen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie der Länder untereinander gar nicht zu reden.

Der Föderalismus in Deutschland steht für Koordination und Kooperation, für Konflikt und Kompromiss. Vielen gilt er als Erfolgsmodell, anderen als einer der Gründe für die Langsamkeit politischer Entscheidungsprozesse. Vor diesem Hintergrund hat die Diskussion über den Föderalismus in den vergangenen Jahren stark zugenommen und sich über institutionelle Fragen hinaus in eine allgemeine, gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft Deutschlands im internationalen Wettbewerb entwickelt. Ich erinnere an die Berliner Rede des damaligen Bundespräsidenten Herzog oder an den Debattenbeitrag des BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel, der im Sommer 1997 nach der "Fähigkeit unseres politischen Systems, im Wettbewerb zu bestehen" fragte und riet, darüber zu diskutieren ich zitiere: "ob ein Land mit unserer föderalen Struktur, mit 16 Bundesländern und einem Verhältniswahlrecht überhaupt eine Chance hat, sich zu verändern". Nun habe ich nicht nur von Johannes Rau gelernt, dass es keine Bundesländer gibt, sondern Länder, die den Bund bilden. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass der Zwang zum Kompromiss oder Konsens dazu beiträgt, langfristigen Vorhaben die notwendige Akzeptanz zu verschaffen und diese dauerhaft zu sichern.

Die Stärke unserer Demokratie ist die Überlegenheit von "check and balance" über "cheques and balances".

Und doch, das Unbehagen an den föderalen Strukturen im Zeitalter der Globalisierung ist nachvollziehbar. So wächst der Konflikt zwischen der gesamtstaatlichen Verpflichtung Deutschlands in der EU und den innerstaatlichen Mitwirkungsrechten der Länder. Die Länder fordern im Zusammenhang mit der institutionellen Reform der EU eine klare Kompetenzabgrenzung. Die Bundesregierung teilt dieses Anliegen und wird sich in Nizza für eine anschließende umfassende Regierungskonferenz einsetzen.

Aktuell und dringlich sind zudem die anstehende Neuordnung des Länderfinanzausgleichs und die Anschlußregelungen für den Solidarpakt. Dies alles ist wichtig. Doch das sind nicht die Fragen, die Bürger und Wirtschaft in erster Linie bewegen.

Sie werden heute Entscheidungen treffen, die von zentraler Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung, für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind.

vor Ihnen liegt der Umzug nach Berlin.

Die Abgeordneten des 12. Deutschen Bundestages hatten sich am 20. Juni 1991 für Berlin als Hauptstadt und Sitz des gesamtdeutschen Parlaments ausgesprochen und gleichzeitig dem Bundesrat empfohlen, in Wahrnehmung seiner föderalen Tradition, in Bonn zu bleiben.

Der Bundesrat ist ein eigenständiges Verfassungsorgan und hält sich - wie wir wissen - nicht immer an die Beschlüsse des Bundestages. Zwar hatte sich der Bundesrat im Jahr 1991 zunächst tatsächlich für Bonn als künftigen Sitz entschieden. Am 27. September 1996 fiel dann jedoch die endgültige Entscheidung: Der Bundesrat wird seinen Sitz in Berlin nehmen. Das zeigt, dass der Bundesrat mitunter mit zeitlicher Verzögerung doch dem Bundestag folgt.

In fünf Jahrzehnten war das Gebäude des Bundesrates, in welchem wir heute das letzte mal tagen, der Ort historisch bedeutsamer Ereignisse, grundlegender Debatten und Weichenstellungen für die deutsche Politik: In diesem Plenarsaal wurde am 8. Mai 1949 das Grundgesetz verabschiedet und am 23. Mai des selben Jahres verkündet.

1953 musste Bundeskanzler Konrad Adenauer bei Bundesratspräsident Reinhold Meier ähnlich intensiv und wortgewandt für seine West-Verträge streiten, wie die Bundeskanzler Brandt und Schmidt später für ihre Ost-Politik. Hier in diesem Gebäude hat Willy Brandt, - damals neu gewählter Regierender Bürgermeister von Berlin - bei seiner Antrittsrede als Bundesratspräsident am 20. Dezember 1957 seinen Gedanken vom Zusammenwachsen dessen, was zusammen gehört, zum ersten Mal in Worte gefaßt. Anlaß war die Wiedereingliederung des Saarlandes in das Bundesgebiet am 1. Januar 1957. Brandt sagte damals: "Als Sprecher des Landes Berlin darf ich betonen, wie sehr gerade wir uns freuen, dass hier begonnen werden konnte, wieder zusammenzufügen, was zusammengehört." Die Hoffnungen Willy Brandts und die des gesamten deutschen Volkes gingen in Erfüllung und im Plenarsaal des Bunderates wurde es enger. 33 Jahre nach Brandts Rede mussten die Ländervertreter zusammenrücken, aus elf Ländern waren 16 geworden.

Das Gebäude des Bundesrates in Berlin wird wie so vieles in Berlin größer, eindrucksvoller und prächtiger sein als dieses Haus hier in Bonn. Die gemütliche Enge im Foyer werden manche vermissen. Ich wünsche uns allen, dass der Bundesrat den in dieser unprätentiösen und bescheidenen Umgebung gewachsenen Stil des kollegialen und fairen Umgangs miteinander nach Berlin mitnehmen und dort beibehalten wird.

Vielleicht hat die rheinische Atmosphäre und Mentalität in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses etwas gefehlt.

Vielleicht ist der Abschied aus Bonn aber auch ein Aufbruch.