Redner(in): Angela Merkel
Datum: 16.12.2008

Untertitel: in Mannheim
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/12/2008-12-16-merkel-zew,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrter Herr Professor Franz,

sehr geehrter Herr Minister Frankenberg,

sehr geehrter Herr Aufsichtsratsvorsitzender,

sehr geehrte Gäste, die Sie zahlreich anwesend sind,

ich bin heute sehr gern hierher nach Mannheim gekommen wir haben seit langem darüber gesprochen, Herr Professor Franz; es ist auch ein Dankeschön für die Arbeit des ZEW und für Ihre Arbeit im Sachverständigenrat.

Natürlich ist Mannheim auch ein Ort hoher wissenschaftlicher Kompetenz, wie ganz Baden-Württemberg. Das ist klar. Ich habe allerdings kürzlich, als ich auf dem CDU-Parteitag war, einen Schrecken bekommen. Als ich alle dortigen Elite-Universitäten benannt und sie Baden-Württemberg zugeschrieben habe, gab es einen lauten Aufschrei: Alles in Baden. Darauf musste ich den Badenern sagen, dass sie den Schwaben nichts gönnen. Ich hätte mir vorher so etwas gar nicht denken können.

Ich will mich jetzt aber nicht weiter in den Untiefen der baden-württembergischen Landesgeschichte bewegen, sondern noch einmal sagen: Dankeschön dafür, dass ich in einer Zeit, die für die Wirtschaftswissenschaften eine sehr spannende sein dürfte, hier sein kann. Sicherlich wird in Generationen von Promotionen und anderen Arbeiten über das geschrieben werden, was wir im Augenblick noch gar nicht durchlebt haben. Auf der anderen Seite heißt dies auch nichts anderes, als dass wir in einer sehr ernsten und auch sehr schwierigen Zeit leben.

Man ist geneigt, mit Mark Twain zu sagen: "Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen." Selten war diese Aussage so wahr wie im Augenblick. So erleben wir eine ständige Änderung der Wachstumsprognosen für das nächste Jahr und auch für die mittelfristige Zukunft. Das liegt, glaube ich, in der Natur der Sache, weil die mathematischen Grundlagen, auf denen man das beschreibt, wahrscheinlich an relativ stabilen Zyklen ansetzen und man mit doch eher schockartigen Zuständen einfach keine empirische und theoretische Erfahrung hat.

Insoweit glaube ich, dass wir Herrn Professor Zimmermann folgen sollten, der sagt, man solle die Menschen jetzt nicht jeden Tag mit Prognosen verunsichern, deren Fehlergrenzen man gar nicht richtig beschreiben kann. Wir müssen einfach als exportorientierte Nation darauf schauen, wie sich für uns das Bild der Lage darstellt. Wir können sagen: Deutschland ist besser auf eine Krise vorbereitet, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war. Wir haben eine Reihe von strukturellen Reformen durchgeführt. Die Unternehmen haben sich sehr gut aufgestellt. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben zum Teil über Jahre hinweg eine moderate Lohnpolitik durchaus mitgetragen. Die Beschäftigungsquote ist hoch. Mit knapp über 40Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist die Erwerbstätigenzahl die höchste, die wir in Deutschland jemals hatten. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist hoch. Im nächsten Jahrzehnt treten wir in eine Phase ein, von der wir wissen, dass sich der demografische Wandel immer stärker bemerkbar machen wird, wodurch natürlich auch unsere Facharbeitersubstanz unglaublich wichtig für die Zukunft Deutschlands wird. Auch das sollten wir in der gegenwärtigen Situation nicht aus den Augen verlieren.

Es gibt eine Vielzahl von Empfehlungen, was Politik tun kann, was Politik tun sollte. Diese Empfehlungen werden alle immer unter der Maßgabe gegeben da stimme ich Professor Franz vollkommen zu, dass politisches Handeln konjunkturelle Wirkungen mit Sicherheit nicht völlig kompensieren kann. Man kann gegensteuern, man kann versuchen, vernünftig gegenzusteuern, man sollte versuchen, zum richtigen Zeitpunkt gegenzusteuern. Aber in einer globalen Krise, die wir ja haben, lernen wir, dass auch möglichst global abgestimmt agiert werden sollte.

Das war für uns in der Bundesregierung und auch für mich ganz persönlich Anlass zu sagen: Lasst uns nach der akuten internationalen Finanzmarktkrise und der relativ koordinierten Antwort, die wir gerade auch im europäischen Bereich gefunden haben, mit einem ersten Maßnahmenpaket beginnen, aber dann, gerade auch mit Blick auf den bevorstehenden Präsidentenwechsel in den Vereinigten Staaten von Amerika, zu Beginn des nächsten Jahres noch einmal über koordinierte Antworten nachdenken.

Hinzu kommt, dass sich der Verlauf der Krise in den einzelnen europäischen Mitgliedstaaten je nach deren industrieller Basis und Ausrichtung sehr unterschiedlich darstellt, sodass sich bei allem koordinierten Vorgehen die Maßnahmen von Land zu Land in einer gewissen Bandbreite unterscheiden können und unterscheiden müssen. Deutschland zum Beispiel hat keine Immobilienkrise in dem Sinne, wie wir es in Großbritannien ansatzweise sehen; auch nicht eine solche "Baublase", wie wir sie in Spanien gesehen haben. Das sind also Punkte, auf die wir nicht in dem Maße wie andere reagieren müssen. Bei den amerikanischen Programmen, die bis jetzt wirksam sind, muss man sehen, dass sie letztlich eine Reaktion auf die Verschuldung sind und noch nicht einmal positive Konjunkturimpulse setzen, sondern zum Beispiel eben Kreditkartenverschuldungen und Immobilienverschuldungen kompensieren sollen.

Wir sind uns im Klaren darüber, dass es richtig ist, Maßnahmen durchzuführen, die zukunftsgerichtet sind und schnell wirken. Deshalb war unser erstes Maßnahmenpaket so angelegt, dass wir versucht haben, Impulse möglichst branchenspezifisch zu setzen und gleichzeitig Entlastungen im Bereich der Lohnzusatzkosten sowie durch Kindergeld- und Freibetragserhöhungen zu geben, sodass die entsprechenden Volumina für den Verbrauch zur Verfügung stehen.

Wir können lange zum Beispiel über eine degressive AfA und über Erleichterungen bei der Kfz-Steuer, die ja wirklich branchenspezifisch ausgerichtet sind, oder über einen Handwerkerbonus diskutieren. Beim ersten Maßnahmenpaket, hat man versucht, das, was die jeweiligen Wirtschaftszweige für sich selber am sinnvollsten erachtet haben, als Stimulus zu geben ein Stück weit auch damit rechnend, dass Wirtschaftspolitik, wie wir ja von Ludwig Erhard wissen, immer auch einen 50-prozentigen Anteil an Psychologie hat.

Dass das alleine noch nicht ausreichen könnte, wissen wir. Deshalb wird die Bundesregierung auch im Januar noch einmal agieren. Ich will zu diesem Maßnahmenpaket sagen, dass es eines ist, das sich in Europa und im europäischen Maßstab durchaus sehen lassen kann. Es ist nicht so, dass andere Länder überbordend mehr gemacht haben. Zum Teil haben sie etwas anderes gemacht. Spanien hat stärker agiert, hat aber auch ganz andere Umsatzeinbrüche zu verzeichnen. Die anderen Länder haben ähnlich, vergleichbar oder zum Teil noch gar nicht reagiert, sodass das europäische Programm, das wir auf dem Europäischen Rat am Freitag verabschiedet haben, sozusagen ein Schirm, ein Dach ist, unter dem die einzelnen Mitgliedstaaten ihre Aufgaben noch erfüllen müssen.

Ich will an dieser Stelle sagen, dass wir als erstes darüber nachdenken sollten, dass man auch Dinge machen kann, die kein Geld kosten. So haben wir beispielsweise auf dem Europäischen Rat auch darüber diskutiert, dass es nicht reicht, wenn wir alle Geld für Infrastrukturprojekte in die Hand nehmen, aber die Zeitläufe, in denen wir das Geld überhaupt einsetzen können, so lang sind, dass es konjunkturpolitisch doch nicht den notwendigen Impuls gibt.

So haben wir als Mitgliedstaaten, was nicht immer ganz einfach ist, die Kommission überzeugen können, dass erstens die so genannten De-minimis-Regeln erhöht werden. Heute können seitens der Länder oder des Staates Zuschüsse in Höhe von 200. 000Euro gegeben werden. Sofern die Zuschüsse darüber liegen, ist das Ganze beihilfepflichtig und muss von der Kommission erst akzeptiert werden. Wir haben jetzt gesagt: Lasst uns doch einmal für zwei Jahre diese Grenze von 200. 000Euro auf 500. 000Euro hochsetzen, damit ein schnelleres Agieren gerade auch auf kommunaler und auf Landesebene möglich wird. Dies war ein Wunsch der Ministerpräsidenten. Ich bin froh, dass uns das gemeinschaftlich gelungen ist.

Zweitens haben wir erreicht, dass die Ausschreibungen in Europa beschleunigt werden. Wir wissen, dass Aufträge ab fünfMillionen Euro ausgeschrieben werden müssen. Von diesem Zeitpunkt an läuft eine Ausschreibungsfrist von 87Tagen. Diese wird jetzt, ebenfalls zeitlich befristet, auf 30Tage verkürzt. Wir hätten uns gewünscht auch diesbezüglich werde ich am Ball bleiben, dass die Ausschreibungsgrenze, also der Betrag, ab dem ausgeschrieben werden muss, zum Beispiel für Schulen und kommunale Gebäude, von fünfMillionen Euro auf zehnMillionenEuro angehoben wird. Das haben wir noch nicht geschafft, aber ich bin guten Mutes.

Es ist also eben nicht immer eine Frage der Milliarden, die wir in die Hand nehmen, sondern gerade in Europa und Deutschland stellt sich auch die Frage, ob man mit der Milliarde, die man potenziell hat, auch praktisch etwas tun kann. Ich glaube, darauf Wert zu legen, ist mindestens so wichtig wie die Höhe unserer Haushaltsansätze.

Bei dem, was noch zu tun ist, müssen wir die Situation berücksichtigen, die wir vorfinden. Es liegt auf der Hand, dass im Infrastrukturbereich alles gemacht werden sollte, was man wirklich schnell machen kann. Ich habe dem Bundesverkehrsminister, der jetzt schon für das nächste Jahr einen höheren Planungsansatz für den Straßen- , Schienen- und Wasserstraßenbau hat, als eigentlich vorgesehen war, gesagt, dass wir uns alle Projekte, die geplant und ausschreibungsreif sind, anschauen und dann versuchen, dafür die Mittel bereitzustellen. Ich habe die Ministerpräsidenten, mit denen wir uns am nächsten Donnerstag treffen, gebeten, uns länderseitig noch einmal aufzuzeigen, was sie für fertig geplant erachten, was nur noch hoffentlich mit einer verkürzten Ausschreibungsfrist ausgeschrieben werden muss. Dann könnte man im frühen Frühjahr loslegen und die Dinge wirklich in Angriff nehmen.

Ich denke, dass insoweit noch einige Milliarden zusammenkommen werden, sage Ihnen allerdings auch, dass ich mit gewissem Staunen von den Hunderten von Milliarden in Amerika höre, die man angeblich sofort verbauen kann. Ich muss mir das einmal anschauen. Ob sie gar kein Planungsrecht haben oder ob man dort eine Brücke frei schwebend errichten kann, weiß ich nicht. Aber ich vermute, auch dort wird das Geld nicht innerhalb von zwei, drei oder vier Monaten abfließen.

Außerdem überlegen wir das wird Herrn Frankenberg freuen, ob wir auch die Forschungsprojekte an den Hochschulen, die vom Bund unterstützt werden, beschleunigen und dort einiges vorziehen können. Zudem wollen wir einen Pakt mit den Ländern und Kommunen schmieden, um zum Teil auch kleinere Aufträge, beispielsweise zur Sanierung von Schulen, schneller in Gang setzen zu können, um wirklich etwas für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes erreichen zu können. Das muss von der Straße über die Forschungseinrichtung bis zu der kommunalen Einrichtung immer unser Maßstab sein.

Allerdings ist es gar nicht so einfach, zwischen Bund, Ländern und Kommunen einen Pakt zu schmieden, weil wir ja gerade bei der Föderalismusreform festgelegt haben, dass der Bund mit den Kommunen so gut wie gar nichts mehr zu tun hat. Das heißt also, wir müssen hier auch einen verfassungsrechtlich möglichen Weg finden. Aber ich glaube, gerade um den Menschen zu zeigen, dass in einer solchen Zeit etwas passiert, was mit der Zukunft unseres Landes zu tun hat, ist das sehr wichtig.

Sehr gut und wichtig ist auch der gesamte Bereich der Gebäudesanierung zum Zweck der Wärmedämmung und eines sparsameren Energieverbrauchs als Beitrag zum Klimaschutz. Insoweit, denke ich, werden wir auch weiterkommen. Wir müssten im Grunde hierbei noch etwas schaffen, was jetzt vielleicht unter der Drucksituation, in der wir uns befinden, möglich wäre: Wir müssten das Mietrecht so ändern, dass es bessere Anreize für den Vermieter gibt, seinen Wohnungsbestand zu sanieren. Das heißt nichts anderes, als dass die Senkungen in den Nebenkosten auch bei der Umlage auf die Kaltmiete berücksichtigt werden müssten. Jeder, der sich einmal mit den Anliegen von Vermietern und Mietern und ihren Vertretungen beschäftigt hat, weiß, dass das in Deutschland naturgemäß ein schwieriges Unterfangen ist. Es würde aber im gesamten privaten Wohnungsbestand unglaubliche Anreize freisetzen, wirklich etwas für die Zukunft zu tun.

Der Bereich der Breitbandanschlüsse im ländlichen Raum liegt mir persönlich sehr am Herzen. Die Bundesrepublik ist in den Ballungszentren schon sehr gut mit Breitbandanschlüssen ausgestattet. Aber die Anreize für die ländlichen Bereiche fehlen, um wirklich jedem einen schnellen Internetanschluss zu geben. So sind in fünf oder zehn Jahren irrsinnige strukturelle Nachteile im ländlichen Bereich zu befürchten; zum Teil gibt es diese heute schon. Für eine vernünftige Vermarktung brauchen Sie heutzutage einen Breitband-Internetanschluss. Wenn all jene, die sozusagen relativ abgeschlagen in dünn besiedelten Gebieten leben, diesen nicht haben, so wird das strukturelle Nachteile mit sich bringen. Das heißt für uns, dass wir Investoren finden müssen, die bereit sind, auf den ersten Blick unrentable Investitionen zu tätigen, und dass diese dazu habe ich beim Europäischen Rat auch einen Halbsatz in die Schlussfolgerungen eingebracht, auf den ich sehr stolz bin, für eine bestimmte Anfangszeit bessere Nutzungsbedingungen bekommen müssen, bevor der volle Wettbewerb wirkt. Das braucht man nicht in den Ballungsgebieten. Dort ist klar, dass der Wettbewerb sofort funktionieren kann. Aber wenn ein oder zwei investitionsstarke Anbieter in Deutschland das sind vor allem Telekom und Vodafone bereit sind, wirklich das gesamte Land mit diesen Anschlüssen auszustatten, dann muss man ihnen auch für einige Jahre einen bevorzugten Zutritt geben, damit sich ihre Investition lohnt.

Da auch Landespolitiker anwesend sind, will ich in diesem Zusammenhang noch das schöne Stichwort der digitalen Dividende erwähnen. Durch die Veränderungen im Fernsehbereich sind aus unserer Sicht Frequenzen frei, die aber jene, die sie besitzen, nicht hergeben wollen. Nur die Länder sind in der Lage, den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten diese Fernsehfrequenzen zu nehmen und sie der Telekommunikation zuzuschlagen. Denn in den dünn besiedelten Gebieten wird man nicht alles für einen Erdanschluss aufgraben und Kabel verlegen, sondern man muss dort auch vieles über die Luft und über die Frequenzen machen.

Würden wir das alles zusammennehmen das hat auch viel damit zu tun, dass das entsprechende Regelwerk geschaffen wird, dann könnten damit Anreize für private Investitionen entstehen, wofür überhaupt keine staatlichen Mittel und Unterstützungstöpfe in Anspruch genommen werden müssten. Die Kommission wollte 500Millionen Euro oder sogar eine Milliarde Euro für Breitbandanschlüsse zur Verfügung stellen. Ich habe gesagt: Das ist nicht unser größtes Problem. Unser größtes Problem ist vielmehr, dass wir eine Regulierung brauchen, mit der sich das Investieren lohnt.

Deshalb lautet mein Plädoyer, auch in Zeiten der Krise marktwirtschaftliche Anreize nicht zu vergessen und nicht zu glauben, wer viel mit staatlichen Geldern auf Pump tue, habe schon das Richtige getan. Das heißt aber nicht, dass man nicht auch staatliche Mittel siehe Infrastruktur einsetzen muss.

Nun haben wir natürlich das große Problem vor uns, dass unsere auf Export ausgerichtete Wirtschaft davon lebt, dass nicht nur in Deutschland Konsumbereitschaft vorhanden ist, sondern dass auch Aufträge aus dem Ausland kommen. Deshalb haben wir uns jetzt zu fragen: Welche Brücken können wir über das Jahr 2009 bauen zunächst einmal habe ich dieses Jahr im Blick; dann müssen wir weiter schauen, wie sich die allgemeine Wirtschaftslage entwickelt, um Mitarbeitern eine Perspektive in den Betrieben zu geben?

Die Bundesregierung hat im ersten Maßnahmenpaket die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld auf 18Monate verlängert. Das war ein, sagen wir einmal, politischer Akt, der symbolhaft an die Betriebe die Nachricht geben soll: Wir haben ein Interesse daran, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wo immer möglich, in der Firma bleiben. Wir wissen allerdings, dass nahezu niemand 18Monate lang Kurzarbeit machen kann, dass kein Unternehmer so lange die Sozialversicherungsbeiträge bezahlen kann. Deshalb müssen wir an dieser Stelle gemeinsam überlegen wie zum Beispiel auch in der Diskussion mit den Vertretern der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Wirtschaftsinstitute am Sonntag: Wie können wir diese Brücke so bauen, dass sie auch von den Unternehmen angenommen werden kann?

Auf der einen Seite kann man für einen bestimmten Teil der Sozialversicherungsbeiträge Bürgschaften geben über die Landesförderbanken oder über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Auf der anderen Seite kann man überlegen, ob die Regierung selber einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge übernimmt.

Herr Leibinger von der Firma Trumpf hat uns einen Tipp gegeben, den ich sehr gern aufgegriffen habe. Er hat gesagt: Macht auch etwas in Sachen Qualifizierung. Es ist ganz wichtig, dass wir in dieser Zeit die Mitarbeiter nicht einfach nur Kurzarbeit machen lassen, sondern dass wir alles tun, um sie fitter für die Zukunft zu machen. Genau auf diesem Gebiet haben wir auch gemeinsam mit der Bundesagentur Überlegungen angestellt.

Ich glaube, dass wir miteinander eine Menge, auch maßgeschneiderte Lösungen, schaffen können. Deshalb habe ich mich gefreut, auch wenn ich weiß, dass das natürlich nicht die Antwort auf die Frage der Beschäftigung ist, dass einige DAX-Unternehmen gesagt haben: Wir werden im Jahr 2009 keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen. Ich weiß, dass das nicht jedes mittelständische Unternehmen einfach so versprechen kann. Aber es ist doch ein Symbol; wer es kann, versucht es. Es ist auch eine Nachricht an die Zulieferer, zum Beispiel von Siemens, wenn Siemens sagen kann: Wir werden unsere Facharbeiter nicht betriebsbedingt kündigen. Solche Unternehmen haben natürlich ein immanentes Interesse daran, dass die Kette der Zulieferer nicht zerbröckelt und zerstört wird und dann mühselig wieder aufgebaut werden muss.

Ich will zum Schluss noch zwei Dinge nennen, die wir, gerade wenn wir uns mit den Vereinigten Staaten von Amerika vergleichen, nicht außer Betracht lassen sollten.

Erstens hat uns der Präsident der Europäischen Zentralbank auf etwas hingewiesen. Alle europäischen Mitgliedstaaten sagen: Wir lassen die automatischen Stabilisatoren wirken. Das bedeutet aber in Europa etwas ganz anderes als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Denn das heißt für uns, dass wir die Rentenzahlungen, die Arbeitslosenzahlungen, die Krankenversicherungszahlungen eben nicht kürzen. Wir haben ein Rentensystem, das nicht in großem Maße auf Kapital aufgebaut ist. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, hat uns gesagt: Das macht im Vergleich dazu, wenn wir sagen würden, wir passten alle sozialen Sicherungssysteme an das Maß an, in dem die Steuereinnahmen sinken, einen Stimulus von über zweiProzent für das Bruttoinlandsprodukt aus. Das darf man nicht vergessen, wenn man über Konsumstimuli, die gegeben werden, spricht.

Das Letzte, das ich erwähnen möchte, ist: Nachdem wir im Sommer die inflationären Wirkungen steigender Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise mit Sorge verfolgt haben, ist nun innerhalb von sechs Monaten eine völlig andere Situation gegeben fallende Energiepreise, fallende Rohstoffpreise, damit natürlich gegeninflationäre Tendenzen und damit natürlich auch wichtige Signale an den allgemeinen Konsum. Auch wenn die Preise vielleicht nicht ganz so niedrig bleiben, wie sie jetzt sind, so ist dies doch eine Situation, mit der die Konsumenten viel besser umgehen können als mit der Situation, die noch im Sommer gegeben war.

Ich persönlich bin kein Freund von Konsum-Schecks. Das will ich ganz deutlich sagen. Ich glaube, sie sind nicht so sehr für die deutsche Situation gemacht. Wenn man auf die amerikanische Bevölkerung schaut, so haben sie dort ganz andere Rückwirkungen, auch mit Blick auf Sozialversicherungszahlungen und im Hinblick auf Verschuldungen bei Kreditkarten und im Hinblick auf fällige Ratenzahlungen beim Hauskauf. Insofern leben wir hier doch in einem anderen Umfeld.

Aber bei allen genannten Maßnahmen und bei allem, was diskutiert wird, herrscht eine große Unsicherheit bei der Frage: Welcher Gestalt ist eigentlich diese Krise? Man kann sagen: Diese Krise ist ausgelöst durch eine Krise der internationalen Finanzmärkte. Unstrittig ist sicherlich, dass im Hintergrund dieser internationalen Finanzmarktkrise, sozusagen im auslaufenden Konjunkturzyklus, bereits eine strukturelle Veränderung bestimmter Branchen sichtbar war. Es gibt viele Menschen, die sagen: Die Automobilproduktion auf der Welt war sicherlich nicht zu gering. Die Krise hatte also auch schon strukturelle Elemente. Sie hat nun aber auch diesen eruptiven Charakter der internationalen Finanzmarktkrise. Jetzt lautet die spannende Frage: Wie konnte diese zustande kommen und was steckt dahinter?

Ich glaube, dass sie natürlich auch zustande kommen konnte, weil letztlich Länder im Wesentlichen die Industrieländer und ganz besonders die Vereinigten Staaten von Amerika über ihre Verhältnisse gelebt haben. Das heißt, man hat sozusagen mit einem Wechsel auf die Zukunft das Lebensniveau und das Wachstum angekurbelt. Die Frage lautet jetzt: Ist diese Krise die der Finanzmärkte und ist alles wieder in Ordnung, wenn die Finanzmärkte wieder in Ordnung sind? Oder hat die Tatsache, dass wir ein Stück weit über unsere Verhältnisse gelebt haben, nicht doch auch einen strukturellen Effekt, der die Banken und Finanzinstitute jetzt vorsichtig macht und fragen lässt: Wo kommen wir dann zum Schluss wieder heraus? Auch dies ist einer der Gründe, warum ich bei der Frage, mit wie viel Verschuldung man eigentlich eine Krise bekämpfen sollte, die auch mit einer hoher Verschuldung in der Vergangenheit und mit einem Über-die-Verhältnisse-Leben zusammenhängt, relativ vorsichtig bin.

Nun kann man im Moment der Krise mit Sicherheit nicht hundertprozentig zum ordnungspolitischen Pfad zurückkehren. Aber man muss im Auge behalten, dass man wie nach dem 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo man versucht hat, das Wachstum am Laufen zu halten es nicht versäumt, wieder auf den Pfad der Tugend zurückzukehren, sondern dass man diese Linie, wie wir nach der Krise wieder auf einen vernünftigen Pfad kommen, heute schon mit vor Augen hat, um zu verhindern, dass es zu weiteren solchen Krisen kommt, die wir dann in den nächsten Jahren staunend und in immer größerer Intensität erleben könnten. Das muss vermieden werden.

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir auf dem G20 -Treffen miteinander besprochen haben, welche risikobehafteten Instrumente der Finanzmärkte besser reguliert und transparenter gestaltet werden müssen. Aber dies allein wird nicht ausreichen, wenn nicht dahinter auch das Bekenntnis steht ich habe es das Bekenntnis der schwäbischen Hausfrau genannt, dass man eben nicht mehr ausgeben kann, als man eingenommen hat. Ich glaube, dass die Welt insgesamt, wenn sie diese riesigen Ungleichgewichte vermeiden will, auf diesen Pfad kommen muss. Im Übrigen gilt das ja nicht nur für das ausgegebene Geld, sondern auch für die verbrauchten Rohstoffe, für die in Anspruch genommenen natürlichen Ressourcen. Wir haben im Grunde vom Klimaschutz über den Umgang mit Rohstoffen bis hin zum Umgang mit den Finanzen immer die gleichen Effekte, sodass wir lernen müssen, wie Globalisierung nachhaltig, dauerhaft und vernünftig gestaltet werden kann.

Genau aus diesem Grund muss die Arbeit an der Transparenz und der Regulierung der Finanzmärkte fortgesetzt werden. Genau aus diesem Grund glaube ich, dass wir, ähnlich, wie wir es heute im europäischen Binnenmarkt schon haben, auch bestimmte Grundlinien für die Weltwirtschaft brauchen. Deshalb habe ich von einem Weltwirtschaftsrat, analog zum UN-Sicherheitsrat, gesprochen. Das bedeutet nicht, dass das eine Regierungsform ist, das bedeutet aber, dass man sich auf bestimmte Standards global einigt, die in bestimmten Bandbreiten von allen Ländern einzuhalten sind. Ansonsten wird immer wieder versucht werden, dass das Risiko-Eingehen des Einen mit vollem Ausleben der Chancen zum Schluss zur Verteilung der Risiken über die ganze Welt führt. Das wird die Welt nicht allzu oft mitmachen. Genau aus diesem Grund denke ich, dass neben der nationalen Arbeit und neben der kohärenten europäischen Antwort Europas Stimme auch gefragt ist, um weltweit einheitlich aufzutreten und die entsprechenden Maßnahmen zu fordern.

Ein letztes Wort zur Situation der Finanzmärkte. Wir haben mit unserem Finanzmarktstabilisierungsgesetz gezeigt, wie schnell wir handeln können, wenn es sein muss. Das war ein wirklicher Kraftakt für alle Verfassungsorgane. Das hat auch gezeigt, welche Stabilität und welcher positiver Wille in unseren politischen Institutionen vorhanden sind. Wir haben sichergestellt, dass die Landschaft der Banken und Finanzinstitutionen sozusagen nicht in eine Kernschmelze verfällt, aber wir haben damit noch nicht die Funktionsfähigkeit der Finanzinstitutionen wiederhergestellt. Unser Treffen am Sonntag, an dem auch Akteure der Finanzmärkte teilgenommen haben, hat noch einmal sehr deutlich gemacht: Allein die Umsetzung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes wird eine volle Funktionsfähigkeit nicht wiederbringen können, weil das Vertrauen global schwer gestört ist, weil, wie man jetzt am Fall des Herrn Madoff sieht, Risiken lauern und lungern, die schwer voraussehbar sind, und weil deshalb dieses Vertrauen erst wiederhergestellt sein wird, wenn sozusagen alle Akteure der Kapitalmärkte wieder Vertrauen genießen.

Wir haben uns jetzt im Wesentlichen an die Banken, an die Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken gewandt. Aber es gibt auch die Hedgefonds, es gibt Private Equity. Wir haben also weite Kapitalmärkte, über die viele Finanzierungen gelaufen sind; nicht alles ist in den letzten Jahren über Banken gelaufen. Das heißt, diese Teile sind gegenwärtig nicht funktionsfähig. Sie sind staatlich auch gar nicht zu restrukturieren oder zu verbürgen; das würde alles überfordern. Erst wenn sich hier die Kapitalmärkte wieder in eine Richtung entwickeln, dass Vertrauen besteht, wird auch die Kreditvergabe wieder in Gang kommen. Die Sorge, die ich habe, auch nach dem, was uns an Analyse gegeben wurde, ist die, dass mögliche Wachstumseffekte der realen Wirtschaft auch in Bereichen ausbleiben, die von der Krise gar nicht sonderlich betroffen sind, aber nicht mit Krediten bedient werden können, und dass sozusagen noch einmal eine Verschärfung der Wirtschaftskrise dadurch eintritt, dass die Finanzmärkte ihre Funktion nicht so erfüllen, wie sie es müssten. Die Kreditvolumina sind konstant; sie sind zum Teil konstant, weil Kreditlinien von Stammkunden stets verlängert werden. Aber wenn jemand kommt und sagt: Ich habe eine neue Idee, ich habe ein langfristiges Vorhaben, das länger als drei Jahre dauert, dann ist es heute ohne staatliche Bürgschaft fast nicht mehr möglich, hierfür einen Kredit zu bekommen. Das ist die Schwierigkeit, die man nicht einer einzelnen Bank vorwerfen kann, weil auch die Liquidität, die auf den Märkten für langfristige Projekte verfügbar ist, einfach sehr knapp ist.

Damit kommen wir zu einem Punkt, den wir staatlicherseits wieder beachten müssen. Deutschland und viele Staaten haben noch eine wunderbare Bonität. Wir sind mit "AAA" geratet. Wenn man jemandem etwas gibt, dann uns zuerst. Wir müssen jetzt nur aufpassen, dass wir nicht so viel verbürgen und so viel Liquidität aus den Märkten ziehen, dass anschließend jene, die nur geringfügig geringer bewertet sind, keine Liquidität mehr bekommen und wir damit staatliches Handeln so weit verfestigen, dass ohne dieses gar nichts mehr läuft. Hier einen vernünftigen Weg zu finden als Staat zu agieren, aber sozusagen die Märkte nicht zu ersetzen, wird eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Monate sein.

In konjunktureller Hinsicht ist es gleich, ob die Telekom in der Lage ist, Breitbandnetze zu verlegen ich habe zunächst über die Regulierung gesprochen; jetzt spreche ich über die Kreditaufnahme oder ob der Staat das mit seinen Mitteln macht. Wenn die Telekom dazu strukturell in der Lage ist, müssen wir erreichen, dass für solche langfristigen Vorhaben wirklich auch Kreditvergabe möglich ist.

Damit habe ich Ihnen eigentlich das Szenario der politischen Aufgaben beschrieben: Als Staat achten, schützen, aber nicht ersetzen, um wirtschaftliche Dynamik, die als Pflänzchen irgendwann wieder aufkeimen wird, nicht kaputtzumachen. In diesem Sinne denken wir und beraten wir und sind der Meinung, wenn es in Amerika reicht, ein großes Programm zu machen, wenn der neue Präsident ins Amt kommt, dann wird es auch in Deutschland richtig sein, in etwa der gleichen Zeit ein zweites Programm aufzulegen, das in seinen Facetten durchdacht ist und für das wir auch in Europa werben werden. In diesem Sinne arbeitet die Bundesregierung.

Ich freue mich, dass ich am Sonntag gesehen habe, dass es seitens der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Finanzmarktakteure und auch derjenigen, die uns mit ihrem wissenschaftlichen Rat begleiten, eine große Bereitschaft gibt, diese Aufgabe auch als eine Aufgabe zu sehen, in der wir gemeinsam Verantwortung übernehmen müssen. Politik kann das haben wir gezeigt im Ernstfall, in einer Krise punktuell eingreifen. Aber Politik kann sicherlich nicht ein System der Sozialen Marktwirtschaft alleine durch eine Krise führen. Deshalb bin ich jedem dankbar, der konstruktiv mitarbeitet. Die Situation ist so beschaffen, dass es kein allgemeingültiges Rezept gibt, dass es aber unsere Aufgabe ist, den Menschen einen guten Weg aufzuzeigen. Dazu sind wir bereit. Herzlichen Dank, dass ich Ihnen das hier darstellen durfte.