Redner(in): k.A.
Datum: 17.12.2008
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/12/2008-12-17-ib-boehmer-30-jahr-amtsjubilaeum,layoutVariant=Druckansicht.html
I Begrüßung
BundeskanzlerinCornelia Schmalz-JacobsenMarie-Luise BeckRita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a. d. Kolleginnen und Kollegen des Bundestages und der Landtage.
Heute begehen wir das 30. Amtsjubiläum der Integrations- und Ausländerbeauftragten der Bundesregierung. Ich freue mich, dass so viele heute hierher gekommen sind. Ganz besonders freue ich mich, dass Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, und Sie, Frau Beck, als zwei meiner Vorgängerinnen heute hier sind. Herzlich willkommen! Auch Liselotte Funcke wäre gerne gekommen. Es war ihr aber aus gesundheitlichen Gründen leider nicht möglich.
Und ich freue mich ganz besonders, dass Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin hier sind. Wenn ich recht informiert bin, war noch bei keinem Jubiläum ein Bundeskanzler zugegen.
Das zeigt den neuen Stellenwert, den die Integrationspolitik innerhalb der Bundesregierung hat. Und es zeigt, wie wichtig Ihnen persönlich, Frau Bundeskanzlerin, das Thema Integration ist.
II Rückschau: Gemeinsamkeiten
Jubliäen laden ein, zurückzuschauen und zugleich, den Blick nach vorne zu richten. Dabei stellen sich klassischerweise die Fragen:
Was hat sich verändert? Was muss sich verändern? Und welche Kontinuitäten zeichnen das Amt aus?
Es sind vor allem drei Dinge, die allen Beauftragen ein Anliegen waren und sind:
Alle Beauftragten haben stets betont: Die Integration der Zuwanderer ist eine politische Schlüsselaufgabe. Dabei geht es ebenso um den einzelnen Menschen und seine Chancen wie um den sozialen Frieden und die Leistungsfähigkeit unseres Landes. Alle Beauftragten haben sich einzelner Schicksale angenommen. Und alle Beauftragten haben betont, wie wichtig die Bildung und Förderung gerade der Kinder und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien sind.
Wir alle konnten und können uns auf hoch engagierte und kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen, die dem Thema leidenschaftlich verbunden waren und sind. Ich darf Ihnen allen einen ganz herzlichen Dank sagen.
III Rückschau: Unterschiede. Die Vorgänger.
Alle Amtsinhaberinnen haben das Amt unterschiedlich ausgefüllt. Sie standen vor unterschiedlichen Herausforderungen. Sie haben eigene Schwerpunkte gesetzt.
Fixpunkt ist dabei die Unabhängigkeit des Amtes, die 1997 endlich auch gesetzlich festgeschrieben wurde.
Natürlich hat die politische Herkunft jeder Beauftragten immer eine Rolle gespielt. Zugleich aber gilt: Das Amt hat uns geprägt, so wie wir das Amt geprägt haben. Darüber werden wir uns in der Podiumsdiskussion noch austauschen.
Heinz Kühn
Schon 1970 schlug der CDU-Bundestagsabgeordnete Dieter Hussing vor, einen Ausländerbeauftragten zu berufen. Es dauerte dann aber noch neun Jahre, bis der erste Ausländerbeauftragte, Heinz Kühn, die Arbeit aufnahme. Heinz Kühn ist vor allem wegen seines 1979 veröffentlichten Memorandums in Erinnerung. Zum ersten Mal wurden hier von Bundesseite der Stand der Integration und die Notwendigkeit politischen Handelns beschrieben. Beispielsweise regte er einen islamischen Religionsunterricht nach deutschem Schulrecht an. Organisatorisch waren die Anfänge bescheiden: Heinz Kühn musste mit zwei Mitarbeitern auskommen, unter seiner Nachfolgerin waren es dann sieben.
Liselotte Funcke
Liselotte Funcke übernahm 1980 das Amt. 10 Jahre lang übte sie es aus, länger als alle anderen bisher. Sie hat es nachhaltig in dem Selbstverständnis geprägt, für eine politische Schlüsselaufgabe und für die Schicksale einzelner Verantwortung zu tragen. Zu Ihrem 90. Geburtstag habe ich sie als Wegbereiterin der Integrationspolitik in Deutschland gewürdigt. Liselotte Funcke konnte allerdings weniger gestalten als sie eigentlich wollte.
Denn viele wollten damals nicht wahrhaben, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und dass es zu einer echten Integrationspolitik keine Alternative gibt. Viele wollten nicht wahrhaben, dass Integration nur gelingt, wenn der Aufenthalt in Deutschland gesichert ist und die Leistungen und vielfältigen Begabungen der Migranten anerkannt werden.
Liselotte Funcke musste gegen starke Widerstände angehen. 1991 hat sie das Amt in der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung niedergelegt. Bei ihrem Rücktritt hat sie die Forderung erhoben, die Querschnittsaufgabe Integration mit einem Sitz im Kabinett zu verbinden.
Es hat etwas gedauert, bis es so weit kam 14 Jahre! Erst Sie, Frau Bundeskanzlerin haben entschieden, dass die Integrationsbeauftragte am Kabinettstisch Platz nimmt. Damit haben Sie dem Amt mehr Gewicht verliehen.
Cornelia Schmalz-Jacobsen
Ein Teil der Forderungen von Liselotte Funcke wurde mit Ihrem Amtsantritt 1991, liebe Frau Schmalz-Jacobsen, umgesetzt. Die Zuständigkeit der Beauftragten wurde auf alle in der Bundesrepublik lebenden Ausländer erweitert.
Sie haben das Amt in einer außerordentlich schwierigen Zeit übernommen.
Es war die Zeit des heftig umstrittenen Asylkompromisses. Es war die Zeit, als so viele Zuwanderer und Flüchtlinge nach Deutschland kamen wie nie zuvor. Es war die Zeit schrecklicher fremdenfeindlicher Anschläge. Dass sie nicht der Vergangenheit angehören, hat der brutale Anschlag auf den Passauer Polizeichef gezeigt. Im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dürfen wir nicht locker lassen.
Politische Auseinandersetzungen und Ängste in der Bevölkerung haben Ihre Amteszeit geprägt. Sie haben gegen Fremdenfeindlichkeit gekämpft. Sie haben sich von Anfang an für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht eingesetzt. Die von ihnen geforderte doppelte Staatsangehörigkeit ist nach wie vor umstritten. Entscheidend war aber: Sie haben den Boden dafür bereitet, dass das "ius soli" ins deutsche Recht Eingang gefunden hat.
Die Integrationsbeauftragten sind immer auch Vordenkerinnen. In Ihrem Memorandum von 1998 forderten Sie, liebe Frau Schmalz-Jacobsen, ein Gesamtkonzept für Integration. Zehn Jahre später liegt es mit dem Nationalen Integrationsplan endlich vor.
Marie-Luise Beck
Mit dem Regierungswechsel 1998 übernahmen Sie, liebe Frau Beck, das Amt der Beauftragten. Sie haben wichtige Gesetzesänderungen mitgestaltet, insbesondere das Staatsangehörigkeitsrecht und das Zuwanderungsgesetz. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern erhalten seit dem Jahr 2000 die deutsche Staatsbürgerschaft.
Aus dem Zuwanderungsrecht nenne ich hier bewusst nur die Integrationskurse. Sie sind zu einem beispiellosen Erfolg geworden. Eine halbe Million Menschen nimmt an den Kursen teil oder hat sie bereits abgeschlossen.
Der Schutz der Flüchtlinge war Ihnen, liebe Frau Beck, immer ein besonderes Anliegen. Sie haben sich beispielhaft für jene eingesetzt, die vor nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung fliehen mussten. Dieses Engagement verdient größten Respekt!
In Ihrem Memorandum von 2005 schrieben Sie: Es geht nicht um das Ob, sondern allenfalls um das Wie von Integration." Darüber haben wir uns dann ausgetauscht, als Sie das Amt an mich übergeben haben. Damals war ich sehr nachdenklich. Denn ich wusste: Hier geht es um schwierige, umstrittene Themen. Und alle Beauftragten hatten zum Teil mit mangelnder politischer und gesellschaftlicher Unterstützung zu kämpfen.
IV Mein Amtsantritt - Ausgangspunkte
Wie war die Situation, als ich mein Amt antrat?
Im Herbst 2005 brannten die französischen Vorstädte und in Deutschland haben sich viele gefragt, ob das auch hier geschehen kann. Dann kam 2006 der Mikrozensus heraus. Er belegte erstmals, was vorher nur vage Ahnung war: Fast 20 % der Bevölkerung und jedes dritte Kind stammen aus einer Zuwandererfamilie.
Damit war und ist klar: Jetzt geht es um die Integration. Deutschland muss Integrationsland sein.
Viele Zuwanderer sind gut integriert und gehen ihren Weg. Sie tragen zum Wohlstand unseres Landes bei. Aber und das ist die andere Seite der Medaille
40 % der jungen Migranten haben keinen Berufsabschluß. Viele Kinder und Jugendliche sprechen schlecht Deutsch, obwohl sie hier geboren sind. Zum Teil macht sich Perspektivlosigkeit breit, zum Teil geht sie mit der Ablehnung unseres Landes und unserer Werte einher.
Zugleich dürfen wir nicht nur die Probleme in den Blick nehmen. Wir müssen die Potenziale der Integration erkennen und nutzen. Wir müssen Vielfalt als Chance begreifen.
V Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Das kann die Politik nicht alleine. Notwendig ist eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung.
Wir gestalten Integrationspolitik gemeinsam. Aus dem Dialog der Beauftragten mit den Migranten und ihren Verbänden ist ein ständiger Dialog der Bundesregierung geworden: Mit den Migranten, den Verbänden, den Stiftungen, den Medien, den Kirchen und den Religionsgemeinschaften, der Wirtschaft, dem Sport und vielen anderen.
Wir reden nicht mehr übereinander, sondern miteinander. Dabei heißt miteinander reden nicht, immer einer Meinung zu sein.
Integration ist endlich politische Schlüsselaufgabe. Damit öffnen sich auch für das Amt der Beauftragten völlig neue Gestaltungsspielräume. Und manches stellt sich nicht mehr so wie früher dar! Das Amt der Integrationsbeauftragten wandelt sich. Ja, es muss sich wandeln um neuen Anforderungen gerecht zu werden.
Die Integrationsgipfel waren die Höhepunkte des Dialogs. Hinzu kommt die Deutsche Islamkonferenz, hinzu kommen unsere Jugendforen im Kanzleramt und die regelmäßigen Migrantentreffen.
In diesem Dialog-Prozess verändern sich auch die Migrantenorganisationen ich schaue Herrn Kolat und Herrn Tanriverdi an und weiss, dass sie mir recht geben! Die Migrantenorganisationen sind und bleiben Interessenvertretungen. Das ist ihre Aufgabe. Aber sie übernehmen zugleich mehr eigene Verantwortung für ihre Mitglieder und die Integration.
Integration gelang und gelingt auch in Zukunft nur mit starken Partnern. Viele von ihnen sind heute hier und ich möchte Ihnen danken.
Ich danke den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Viele Kollegen sehe ich hier. Den Vorsitzenden des Innenausschusses, Herrn Edathy begrüße ich gerne namentlich. Im eigenen Namen, sicher auch in dem meiner möglichen Nachfolger bitte ich Sie alle um nachhaltige Unterstützung, die gern auch in einem ordentlichen Haushaltsansatz zum Ausdruck kommen darf. Ich begrüße auch herzlich die Kollegen aus den Landtagen.
Ich danke für die nachdrückliche Unterstützung innerhalb der Bundesregierung, namentlich der Bundeskanzlerin, Herrn Bundesminister Scholz und Herrn Bundesminister de Maizière sowie dem Präsidenten des Bundesamtes für Migration, Flüchtlinge und Integration, Herrn Albert Schmid, für die professionelle Begleitung durch seine Behörde.
Die Integrationsminister der Länder ich darf aus Berlin Frau Senatorin Knake Werner begrüßen - haben sich zu einer neuen Fachministerkonferenz zusammengeschlossen. Das gibt der Integrationspolitik auf Landesebene neuen Schwung und es erleichtert uns die Zusammenarbeit.
Die Ausländerbeauftragten in den Ländern und Kommunen, heute sind Frau Schäfer, Frau Deihimi, Frau de Haas, Herr Piening und Herr Storr und Herr Michna bei uns, verstehen sich zunehmend als Integrationsbeauftragte. Sie koordinieren und steuern Integrationsprozesse und gehen damit weit über die klassische Ombudsfunktion hinaus.
Viele Städte und Kommunen waren jahrelang Vorreiter in der Integration. Engagierte Oberbürgermeister und Landräte haben sie vorangebracht, lange bevor Integration auf Bundesebene zur Schlüsselaufgabe wurde. Ihnen gilt mein besonderer Dank ebenso wie den Kommunalen Spitzenverbände für die gute Zusammenarbeit.
Ohne die vielfältigen Anregungen einzelner Persönlickeiten wären wir nicht so weit, wie wir sind. Stellvertretend möchte ich die ehemalige Bundestagspräsidentin und Vorsitzende der Zuwanderungskommission, Rita Süssmuth, nennen. Vielen Dank für Deine Impulse!
Unverzichtbar sind die großen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, die und das war eine sehr gute Erfahrung der letzten Jahre die Integration kraftvoll voranbringen und viel bewirkt haben:
Die Wohlfahrtsverbände, heute prominent vertreten durch Herrn Präsidenten Kottnik und Freifrau Schenck zu Schweinsberg, die Kirchen, und Religionsgemeinschaftender Sportdie Stiftungen, mit denen sich eine hervorragende und überaus erfolgreiche Zusammenarbeit entwickelt hat. Stellvertretend nenne ich die Mercatorstiftung, die Vodafonestiftung, die Boschstiftung und die Bertelsmannstiftung, die Stiftungen von Hertie und der Deutschen Bank, lieber Herr von Heydebreck. Und die Medien nicht nur, weil sie unsere Politik kritisch begleiten, sondern weil sie eine besondere Verantwortung eingegangen sind, Deutschland so zu beschreiben, wie es heute ist: bunter als manche glauben. Vertrauensvoll arbeite ich mit den Botschaften der großen Herkunftsländer zusammen. Ich darf stellvertretend den türkischen Botschafter Acet nennen.
Sie alle haben zu einem Bewusstseinswandel beigetragen. Sie haben sich zugleich selbst in der Arbeit für einen bessere Integration verändert.
Migrantinnen und Migranten erkennen ihre Selbstverantwortung und ihre Chancen in unserem Land. Und wir erkennen, dass Deutschland nur als Integrationsland stark bleibt gerade auch in der der Wirtschafts- und Finanzkrise.
Ich befördere diesen Bewußtseinswandel mit meiner Kampagne "Vielfalt als Chance" und bin stolz, dass mittlerweile über 500 Unternehmen und öffentliche Einrichtungen die Charta der Vielfalt unterschrieben haben. Die Wirtschaft selbst hat dazu den Anstoß gegeben. Lieber Herr Dr. Franke von der Deutschen BP, lieber Herr Sattelberger von der Deutschen Telekom, ich danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie zusammen mit der Deutschen Bank und Daimler die Initiative ergriffen haben. Die Wirtschaft stellt sich ihrer Verantwortung und sie weiß, dass Vielfalt ein Gewinn in der globalisierten Welt darstellt. Deshalb muss Integration auch in wirtschaftlich schweren Zeiten ganz oben auf der Tagesordnung bleiben.
VI Wie geht es weiter?
Deutschland ist das Land der Projekte. Wir müssen aus der Projektförderung in die Regelförderung kommen. Das ist ein ambitioniertes Vorhaben! Um zu wissen, was wirklich erfolgreich ist, machen wir Integration mit Hilfe von Indikatoren messbar. Damit treten wir in eine neue Phase der Integrationspolitik ein. Wir werden Integration wirkungsvoller und zielgenauer gestalten können.
Gesetze und der Nationale Integrationsplan allein reichen nicht aus, wie müssen die Herzen gewinnen. Deutschland ist unser gemeinsames Land!
Das Ideal wäre es, dass es das Amt in 20 Jahren, an seinem 50. Geburtstag, überflüssig ist, weil die Aufgabe Integration erfüllt ist. Die Erfahrung der letzten 30 Jahre lehrt, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist. Aber die Chance, die Integration in Deutschland voranzubringen, stehen besser denn je.
Der Bewußtseinswandel war beim Jahrestreffen der START-Stipendiaten in Frankfurt mit Händen zu greifen. Ich weiß nicht, wo ich zuletzt so viele fröhliche und begeisterte junge Menschen gesehen habe. Sie haben die unterschiedlichsten Wurzeln und die verschiedensten Pläne. Aber drei Dinge verbinden sie:
Das Glück, Menschen gefunden zu haben, die ihre Begabung erkannt haben. Der Wille trotz zum Teil widriger Umstände weiterzukommen unddie Bereitschaft, sich für andere und unser gemeinsames Land zu engagieren.
Diese jungen Menschen werden Ihren Weg gehen. Sie werden Vorbilder und Brückenbauer sein. Das macht Mut.
Vielen Dank.