Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 12.01.2009

Untertitel: "Volksfeste sind traditionsreiches deutsches Kulturgut aber vor allem: sie sind lebendiges Kulturgut."
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/01/2009-01-12-neumann-schaustellerbund,layoutVariant=Druckansicht.html


Volksfeste gehören zu Deutschland wie Goethe "so ein Titel am 15. Dezember in der Tageszeitung" DIE WELT ". Ich gehe allerdings jede Wette ein, dass weltweit mehr Menschen eher das Münchner Oktoberfest als den Dichterfürsten nennen, wenn sie nach etwas typisch Deutschem gefragt werden!

Unsere großen Volksfeste sind auch international hervorragend eingeführte Marken, die selbst ohne aufwendiges Marketing so gut laufen, dass jeder Werbestratege nur neidisch werden kann! Wir haben es doch erst vor wenigen Wochen wieder erlebt: Die Vorweihnachtszeit wird für die meisten erst durch Glühwein und erzgebirgische Weihnachts-Pyramiden, durch Lebkuchen und Dresdner Stollen kurz: erst durch den Besuch auf einem der vielen festlichen Weihnachtsmärkte in ganz Deutschland zum perfekten Erlebnis mit dem überhaupt Weihnachtsstimmung aufkommt!

Die Menschen identifizieren sich vor Ort mit ihren Kirmessen und Jahrmärkten. Ob Cannstatter Wasen oder Dresdner Striezelmarkt, Hamburger Dom oder Weimarer Zwiebelmarkt Volksfeste gehören zu unserer Kultur wie Musik, Architektur und Literatur.

Der Slogan der Schausteller "Wo Jahrmarkt ist, ist pures Leben!" trifft es auf den Punkt. Jahrmärkte sind pures Leben, sind über Jahrhunderte Tradition - sie sind Kultur und zwar Kultur für alle! Frei nach Eugen Roth: "Hier sitzt der Maurer neben dem Professor, je enger, desto besser".

Weit über die Hälfte aller Deutschen [63 %] besucht rein rechnerisch rund 3 Mal jährlich ein Volksfest; dabei sind die Weihnachtsmärkte noch gar nicht mitgerechnet. Die Zahlen sind atemberaubend und stellen alle anderen kulturellen Veranstaltungen weit in den Schatten: Zum Oktoberfest pilgern über 6Millionen. In meiner Heimatstadt Bremen folgen alljährlich im Herbst 4 Millionen Besucher dem Aufruf "Ischa Freimaak". Der Stoppelmarkt in Vechta meldete im letzten Jahr mit 800.000 einen Besucherrekord und nicht nur, weil Herr Gels dort Stadtdirektor war.

Keine Frage: Als Kulturstaatsminister fühle ich Verantwortung für dieses Kulturgut, das ein wichtiger Teil unserer deutschen Identität ist. Darum habe ich auch sofort zugesagt, als mich Herr Gels vor über einem Jahr gefragt hat, ob ich auf der heutigen Eröffnung des 60. Delegiertentages des Deutschen Schaustellerbundes hier in Berlin ein Grußwort sprechen könne.

Manche mögen einwenden: Die Schaustellerei ist ein Gewerbe, Volksfeste generieren Umsätze in Milliardenhöhe kann so etwas überhaupt Kultur sein? Ich halte nichts davon, dass Kultur nur das sein soll, was auf öffentliche Subvention angewiesen ist. Wir können es uns gar nicht leisten, Kultur und Wirtschaft als Gegensatz zu begreifen. Die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft, zu der auch Ihr Gewerbe zählt, steht mit 124 Milliarden Euro Umsatz und rund einer Million Beschäftigten europaweit ganz vorne.

Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, die Kulturwirtschaft in Deutschland weiter zu stärken. Darum habe ich in meinem Haus ein Referat "Kultur- und Kreativwirtschaft" eingerichtet, und gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister haben wir die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft gestartet. Sicherlich wird die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl dazu gleich noch etwas sagen.

Schon heute können wir sagen, was viele kulturwirtschaftlichen Unternehmer vom Musiker bis zum Designer eint: Sie gehören zu den Klein- und Kleinstunternehmen. Ich weiß, dass auch der überwiegende Teil der Schausteller seit vielen Generationen in Familienbetrieben arbeitet. Diese kleinen Unternehmen, meine Damen und Herren, gilt es unbedingt zu erhalten und zu unterstützten! Sie sind die Garantie für Qualität und Vielfalt. Was für ein ärmliches Bild würden unsere Volksfeste abgeben, wenn nur noch ein paar "big player" den Markt dominieren!

Volksfeste haben Tradition aber Tradition heißt nicht Stillstand. Die Ansprüche der Menschen, ihr Freizeitverhalten und ihre Vorlieben haben sich immer wieder gewandelt.

Doch Volksfeste kommen nicht aus der Mode, auch wenn angesichts der Finanzkrise der Euro bei vielen nicht mehr so locker sitzt, auch wenn die Konkurrenz durch andere Unterhaltungsangebote drückt und der demographische Wandel in unserer Gesellschaft ein Umdenken fordert. Ich bin sicher, dass sich ihre Branche auch in Zukunft erfolgreich entwickeln wird mit Offenheit für Innovation und Sinn für Tradition.

Tradition ist ein gutes Stichwort: Das älteste Volksfest in Deutschland ist 1200 Jahre alt [angeblich das Lullus-Fest in Hersfeld] älter als die meisten der deutschen UNESCO-Welterbestätten wie Hildesheim oder der Kölner Dom. Ich weiß, dass es dem Schaustellerbund ein wichtiges Anliegen ist, dass auch die deutschen Volksfeste als immaterielles UNESCO-Welterbe anerkannt werden.

Für die Bundesregierung gibt es überhaupt keinen Zweifel, dass die deutschen Volksfeste zum immateriellen Kulturerbe gehören. Auch der Bundestag hat die Bedeutung der Volksfeste in einem Beschluss aus dem Jahr 2000 betont. Die UNESCO-Generalkonferenz hat 2003 das Übereinkommen zur Bewahrung auch des immateriellen Kulturerbes verabschiedet. Nachdem 30 Staaten es ratifiziert hatten, trat es zum 20. April 2006 in Kraft.

Deutschland wie auch zahlreiche EU-Staaten sind der Konvention bisher noch nicht beigetreten. Deutschland unterstützt prinzipiell die Zielsetzung, auch immaterielles und nicht nur im Stein gemeißeltes Kulturerbe zu bewahren. Allerdings sind vor einer Ratifizierung aus Sicht der Bundesregierung einige Fragen zu klären.

Die Konvention ist teilweise unklar formuliert, die Abgrenzung zu bestehenden UNESCO-Konventionen fehlt, die vorgesehenen Regelungen begründen unnötige Bürokratisierung, und es besteht Unklarheit über innerstaatliche Konsequenzen einer Ratifizierung u. a. die Kosten und die Rolle der Länder betreffend.

Aber für einen Beitritt gibt es auch keine Eilbedürftigkeit, zumal es gerade in Deutschland keinen zwingenden Bedarf an einem völkerrechtlichen Instrumentarium gibt. Wir werden die nähere Ausgestaltung der Konvention und ihre Praxis konstruktiv kritisch begleiten mit dem Ziel, dass ein Beitritt zur Konvention für dem immateriellen Kulturerbe wirklich zum Vorteil gereicht.

Eines aber steht für mich bereits jetzt außer Frage und benötigt keinen juristischen Beleg: Volksfeste sind traditionsreiches deutsches Kulturgut aber vor allem: sie sind lebendiges Kulturgut.

Volksfeste zeigen unser Land weltoffenen und gastfreundlich, fröhlich und einfallsreich. Als Kulturstaatsminister werde ich mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass dies so bleibt.