Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 14.01.2009

Untertitel: Staatsminister Bernd Neumann in seiner Laudatio auf Volker Schlöndorff: "Mit Ihren Filmen leisten Sie aktiven Widerstand gegen das Vergessen."
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/01/2009-01-14-neumann-volker-schloendorff,layoutVariant=Druckansicht.html


wie kommt eigentlich ausgerechnet die Konrad-Adenauer-Stiftung dazu, Volker Schlöndorff zu ehren?

Den Mann, der die 50er Jahre, in denen Adenauer regierte, als "bleierne Zeit" beschreibt?

Den politisch Empörten, der wie Heinrich Böll als Sympathisant der RAF galt, weil er dessen Erzählung über die VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM zu einem Kinohit machte?

Den Besessenen, der unter widrigsten Umständen die BLECHTROMMEL verfilmte und dafür den Oscar bekam den ersten für einen deutschen Film seit 1927?

Den Lobbyisten, der für die SPD, ohne je Mitglied zu sein, Filmpolitik machte?

Den Manager, der nach der Wende dazu beitrug, dass die Filmstudios in Babelsberg erhalten wurden und heute ein weltweit geschätzter Drehort für viele internationale Produktionen sind?

Den Provokateur, der es mit einem einzigen Wort erreichte, alle Filmschaffenden der ehemaligen DDR gegen sich aufzubringen, weil er die DEFA-Produktionen in Bausch und Bogen "furchtbar" nannte?

Den schwierigen Freund, der inzwischen in Berlin sesshaft gelegentlich mit Angela Merkel im vertrauten Gespräch durch den uckermärkischen Sand wandert, was ihn aber nicht davon abhält, die Rede der Bundeskanzlerin zum zehnjährigen Bestehen der Institution, deren Chef ich als Beauftragter für Kultur und Medien bin, öffentlich als langweiliges Politikergerede zu kritisieren.

Warum also Schlöndorff?

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Antwort ist schwierig und doch ganz einfach: Aus allen diesen Gründen. Denn Volker Schlöndorff ist, wie er ist und nur als Ganzes zu haben. Man kann ihn nicht in seine verschiedenen Ichs aufspalten. Bei allen Macken, Ecken und Kanten die er hat, bei den vielen Irrungen und Wirrungen, die sein Leben begleitet haben, bei den vielen Widersprüchen, in die er uns und sich verwickelte, ist er heute ein ganz Großer des deutschen Films, fast schon ein Klassiker, und deshalb habe ich es auch gern übernommen, auf ihn hier und heute die Laudatio zu halten.

Er hat mir das Geschäft dadurch erleichtert, dass er selbst vor einem Jahr eine umfassende Autobiografie geschrieben und dargestellt hat, wie sein Werk und sein Leben zusammen hängen. Bevor andere über ihn schreiben, zu seinem 70. Geburtstag, der in diesem Jahr ansteht, wolle er es lieber selbst tun, hat er dazu angemerkt.

Natürlich war dies auch ein Stück geschickter Selbstinszenierung: Der Regisseur Schlöndorff gab die Richtung vor, in die seine Laudatoren und Nachrufer gefälligst denken, reden und schreiben sollen. Chapeau! Das ist ein unter Memoirenschreibern sehr beliebter Trick, der auch uns Politikern durchaus vertraut ist.

Volker Schlöndorff ist ein Meister der Literatur-Verfilmung. Seine cineastische Adaption der BLECHTROMMEL, die er in enger Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Günter Grass schuf, wurde ein für die Dichtung kongeniales Werk. Schlöndorff verschaffte damit dem deutschen Nachkriegsfilm und einer ganzen Generation deutscher Regisseure internationale Anerkennung und Beachtung.

Aber Schlöndorff ist auch selbst fast ein Poet. Kein anderer Filmemacher hat so intensiv und produktiv mit zeitgenössischen Dichtern zusammen gearbeitet wie er: Nicht nur Grass, auch Heinrich Böll, Arthur Miller und Max Frisch vertrauten ihm sich selbst und ihre Werke an und beteiligten sich intensiv an seiner Film-Arbeit. Daraus entstanden die schon erwähnte Verfilmung der KATHARINA BLUM, die bis heute in ihrer Dichte unerreichte Inszenierung des Dramas TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN mit Dustin Hoffman in der Titelrolle und schließlich HOMO FABER, ein Filmerlebnis, das wie die vorgenannten Stücke zu den Meisterwerken deutschsprachiger Literaturverfilmungen zählt.

Viele Jahre war Schlöndorff ein unruhiger Wanderer zwischen vielen Welten. Immer stand und steht er unter Dampf. Der Mann könne "freiwillig seine Füße nicht für 15 Minuten still halten," sagt sein Freund, Produzent und langjähriger Weggefährte Eberhard Junkersdorf, und er schaffe "es auch nicht länger als 15 Minuten nichts zu tun." Zum Glück laufe er inzwischen jeden Tag und trainiere für den nächsten

Marathon, das sei hilfreich."Denn dadurch lässt er Dampf ab," so Junkersdorf,"und muss dann keine Leute mehr beleidigen." So viel zum Thema DEFA.

Volker Schlöndorff ist ein Weltbürger: in Frankreich so heimisch wie in der Toskana, im hessischen Rheingau und im preußischen Berlin wie in New York und San Francisco. Er hat in den weiten Steppen Kasachstans gedreht und in den Wüsten Mexikos, in den vom Bürgerkrieg zerstörten Straßen von Beirut und auf dem Balkan, er duzt weltberühmte Stars und nahezu alle namhaften Regisseure dieser Erde er ist einer der internationalsten unter den deutschen Filmemachern, zugleich aber auch einer der deutschesten. Denn seine besten Filme wurden diejenigen, die direkt oder indirekt von den deutschen Katastrophen des 20. Jahrhunderts handeln: Vom Untertanengeist, vom Faschismus, von Rassenhass, Antisemitismus, Judenvernichtung und Krieg und von den Spätfolgen dieser Katastrophen für seine, meine, die deutsche Nachkriegsgeneration.

Was im Kaiser- und Nazireich vorgefallen war, das kannte er Jahrgang 1939 nicht aus eigenem Erleben, sondern nur vom Hörensagen, aus Büchern und aus den Erzählungen jener, die es erlebt hatten. Deren Berichte und Romane verschlang er, schon als Jugendlicher ein Lesehungriger, auf der Suche nach der eigenen Identität."Selbsterlebtes" sei ihm "nicht immer wichtig" gewesen schreibt er in seiner Biografie."Leseerlebnisse hingegen waren regelrechte Offenbarungen: Erst wenn ich meine Gefühle in der Literatur wieder fand, begann ich sie ernst zu nehmen." Erlesenes wurde so zu Erlebtem. Andere spielten Fußball, er las Bücher. Und beim Lesen formten sich in seinem Kopf die Figuren, die später in seinen Filmen Gestalt annehmen sollten.

Erlebtes und Erlesenes das ist die Mixtur, aus der seine Filme sind. Wo Schlöndorff dran steht, steckt Schlöndorff drin auch und gerade, wenn es verfilmte Literatur ist. Wir begegnen ihm in der Gestalt des Pferdehändlers Kohlhaas,

des Internats-Zöglings Törless, des Trommlers Oskar Matzerath, des Handlungsreisenden Willi Loman, des Ingenieurs Walter Faber, und des rätselhaften Franzosen Charles, der in Schlöndorffs jüngstem Werk ULZHAN durch die Steppe Kasachstans irrt, um zu vergessen. Es ist eine lyrische Liebesgeschichte, in der Schlöndorff noch einmal versucht, das eigene Leben in Kunst zu verwandeln.

Er befindet sich da übrigens in bester Gesellschaft. Über die fast zwanghafte Neigung, Erlebtes in Kunst zu transformieren, aus Wahrheit Dichtung zu machen, räsonierte schon sein großer hessischer Landsmann Johann Wolfgang von Goethe. Bereits in jungen Jahren, schrieb der Meister 1775, habe sich bei ihm diese "Richtung" gezeigt,"von der ich mein ganzes Leben über nicht abweichen konnte, nämlich dasjenige, was mich erfreute oder quälte, oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht Schlöndorff würde sagen: In einen Film zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen. Alles was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Confession."

Wahrheit und Dichtung braucht man das Leben als Rohstoff für das Werk? Für Schlöndorff keine Frage: "Ich kann schwer einen anderen Charakter erfinden, der mir nicht vertraut ist." Max Frisch, mit dem er sich bei der Verfilmung des Romans HOMO FABER eng befreundete, verriet ihm ein Künstlern geläufiges und daher offenes Werkstattgeheimnis: "Ein Buch", sagte Frisch,"ist ja aus vielem zusammengesetzt, das man erlebt hat. Auch jede einzelne Figur ist aus verschiedenen Menschen, die ich gekannt habe, entstanden. Es gibt nie nur ein Vorbild."

So ist auch Schlöndorffs Blechtrommler Oskar Matzerath, gespielt von David Bennent, aus vielen Figuren und Erinnerungen zusammengesetzt, die Volker Schlöndorff im Kopf hatte, als er den Film 1979 drehte."Manchmal habe ich den Eindruck", notierte er damals in seinem Filmtagebuch,"dass ich beim Drehen versäumte Kindheit nachhole, eigene Kindheit bewusst nacherlebe. Dabei hilft mir David, der für mich mehr ist, als ein Schauspieler: Er ist ein Medium."

Mit dem kleinwüchsigen Oskar Matzerath aus der Blechtrommel, der beschlossen hat, aus Protest gegen die Welt der Erwachsenen nicht mehr zu wachsen, verband den Filmemacher zum Beispiel die Leidenschaft für den Zirkus. Aber auch die große, unfassbare Trauer über den frühen Tod der Mutter, die 1944 beim Kochen von Bohnerwachs in der eigenen Küche verbrannte. Die Schilderung dieser Szene gehört zu den eindrucksvollsten seines Buches. Schlöndorff schreibt dazu: "Gesehen habe ich es nicht. Gerda, unser Kindermädchen sperrte uns sofort ins Kinderzimmer. Ich erinnere nur, wie ich mit meinen kleinen Fäusten an die verschlossene Tür trommelte, hinter der sich so Schreckliches ereignete und noch Jahrzehnte später habe ich den verzweifelten Oskar ebenso vergeblich an die Toilettentür schlagen lassen, hinter der seine arme Mama, Agnes Matzerath, an Fischvergiftung verschied."

Die Nazizeit rückte in Volker Schlöndorffs Blickfeld, als er mit 16 Jahren in Frankreich, als Schüler eines von Jesuiten geführten Internats, den Film NACHT UND NEBEL das erste Mal sah. Britische, amerikanische und russische Soldaten hatten die Leichenberge und die ausgemergelten Skelette gefilmt, die sie bei der Befreiung der Konzentrationslager vorfanden. Vom Holocaust war in seinem deutschen Geschichtsunterricht vorher nie die Rede gewesen."Dieses Thema", so Schlöndorff,"war im Adenauer-Deutschland tabu, an den Schulen, wie in der Gesellschaft. Es wurde durch das Verschweigen praktisch geleugnet." Als er den Film das erste Mal gesehen hatte, als einziger Deutscher unter hunderten kleinen Franzosen, fiel es ihm nicht leicht, aufzustehen. Ich sehe noch meine Schulfreunde, wie sie mir stumm oder mit Worten die immer selbe Frage stellen, die wir uns heute, ein halbes Jahrhundert später, immer noch stellen: Wie war das möglich? Innerlich bin ich nie damit fertig geworden, und fast alle meine Filme suchen immer noch die Antwort auf die Frage, die dieser Film auslöste."

Verehrter Herr Schlöndorff, gäbe es diese Antwort, es würde vielleicht niemand mehr fragen. Sie haben ein großes filmisches Werk geschaffen, Sie haben damit dem deutschen Film nicht nur Achtung und Anerkennung in der Welt verschafft, sondern zugleich auch unser Gedächtnis geschärft. Mit Ihren Filmen leisten Sie aktiven Widerstand gegen das Vergessen. Auch dafür gebührt Ihnen heute unser Respekt und mein Dank.